Arbeitsrecht

Arbeitnehmer, Nichtigkeit, Aufsichtsrat, Feststellung, Anfechtung, Wahl, Wahlvorstand, Betriebsratswahl, Ermessen, Antragstellung, Auslegung, Anlage, Anordnung, Antragsteller, berechtigtes Interesse, leitender Angestellter, nicht ausreichend

Aktenzeichen  28 BV 216/20

Datum:
3.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6996
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Wahl der Beteiligten zu 1), 5) bis 11) und 16) bis 22) in den Aufsichtsrat der Beteiligten zu 12) vom 25.06.2020 wird für unwirksam erklärt.
2. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Gründe

A.
Die Beteiligten streiten über die Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit einer Aufsichtsratswahl vom 25.06.2020.
Die Beteiligte zu 12) ist eine Aktiengesellschaft, die einen nach dem MitbestG mitbestimmten Aufsichtsrat mit 8 Arbeitnehmervertretern hat, welche nach Maßgabe des MitbestG i.V.m. der 3. WO MitbestG zu wählen sind. Im Konzernverbund der Beteiligten zu 12) waren deutschlandweit ca. 25.000 Mitarbeiter beschäftigt, von denen 12.988 das aktive Wahlrecht für die Aufsichtsratswahl hatten.
Bei der Beteiligten zu 12) wurde am 25.06.2020 eine Aufsichtsratswahl in Form der Delegiertenwahl durchgeführt. Die Antragsteller und Beteiligten zu 1) bis 4) sind wahlberechtigte Mitarbeiter von Konzernunternehmen, die an der Aufsichtsratswahl teilgenommen haben. Der Beteiligte zu 13) ist der gewählte Aufsichtsrat. Der Beteiligte zu 1) sowie die Beteiligten zu 5) bis 11) sind die gewählten Aufsichtsräte. Die Beteiligten zu 16) bis 22) sind die in der Bekanntmachung benannten Ersatzmitglieder. Die Beteiligten zu 14) ist eine im Konzern vertretene Gewerkschaft, die eine Liste für die Wahl der Gewerkschaftsvertreter eingereicht hatte. Die Beteiligte zu 15) ist eine Gewerkschaft, die im Kennwort einer weiteren eingereichten Liste für die Wahl der Gewerkschaftsvertreter erwähnt ist. Es ist streitig, ob die Beteiligte zu 15) eine im Konzern vertretene Gewerkschaft im Sinne des § 7 Abs. 5 MitbestG ist.
Zum Zeitpunkt der Wahl galt infolge der Corona Pandemie im Bayern die Sechste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19. Juni 2020. Diese lautete Auszugsweise wie folgt:
„§ 5 (…)
(2) Veranstaltungen, die üblicherweise nicht für ein beliebiges Publikum angeboten oder aufgrund ihres persönlichen Zuschnitts nur von einem absehbaren Teilnehmerkreis besucht werden (insbesondere Hochzeiten, Beerdigungen, Geburtstage, Schulabschlussfeiern und Vereins- und Parteisitzungen) sind mit bis zu 50 Teilnehmern in geschlossenen Räumen oder bis zu 100 Teilnehmern unter freiem Himmel gestattet (…)“
Mit E-Mail vom 20.05.2020 (vgl. Anlage B 12 12, Bl. 573 d.A.) informierte der Hauptwahlvorstand die 148 Delegierten darüber, dass der Hauptwahlvorstand in seiner Sitzung am 19.05.2020 beschlossen habe, „die Delegiertenwahl als reine Briefwahl am 25.06.2020 (Eingang Briefwahlunterlagen 16:00 Uhr) durchzuführen“. Er kündigte des Weiteren an, das für „die Stimmauszählung ist eine digitale Übertragung vorgesehen“ sei.
Mit weiteren Schreiben vom 02.06.2020 (vgl. Anlage B12 11, Bl. 556 ff. d.A.) wurden den Delegierten die Briefwahlunterlagen übermittelt. In dem Schreiben wurde nochmals auf den Wahltermin am 25.06.2020 bis 16 Uhr hingewiesen, sowie darauf, dass die Stimmauszählung „umgehend im Anschluss an den vorgenannten Termin im Raum Chiemsee stattfinde und, dass eine „Übertragung per Livestream oder MS Teams“ angedacht sei.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Delegierte und Beteiligte zu 2) Briefwahlunterlagen erhalten hat.
Mit Einladung vom 22.06.2020 wurden die Delegierten zur „Stimmauszählung zur Aufsichtsratswahl 2020 per MS TEAMS“ eingeladen und ihnen die Einwahlinformationen „zur Teilnahme an der Stimmauszählung zur Aufsichtsratswahl 2020 per MS TEAMS“ übermittelt. Als „Ort“ wurde „Microsoft Teams-Besprechung“ angegeben (vgl. Anlage LLR 41, Bl. 239 d.A).
Von den 148 Delegierten wurden nur 143 Wahlumschläge eingereicht. Eine Rücksendung wurde für ungültig erklärt, da ihr die persönliche Erklärung nicht beigefügt war. Von 5 Delegierten – einschließlich des Beteiligten zu 2) – sind keine Wahlunterlagen eingegangen.
Die Stimmauszählung erfolgte ab 16 Uhr am 25.06.2020. Im Raum der Auszählung waren anwesend:
Mitglieder des Hauptwahlvorstandes:
Herr (Hauptwahlvorstand, Delegierter), Herr (Hauptwahlvorstand), Herr (Hauptwahlvorstand, Delegierter, Kandidat), Herr (Hauptwahlvorstand, Delegierter, Kandidat), Herr (Ersatzmitglied Hauptwahlvorstand, Delegierter, Kandidat) Weitere Anwesende:
Herr (Delegierter und Kandidat für die Liste der leitenden Angestellten) sowie Frau (Assistentin des Hauptwahlvorstandes), Herr (Technik)
und Herr (Kandidat für die Liste der Beteiligten zu 14).
Frau …  Herr … und Herr … waren während der Stimmauszählung nicht durchgehend anwesend.
Die übrigen Delegierten hatten die Möglichkeit der Teilnahme über MS-Teams. Die Übertragung erfolgte mittels einer festgelegten Kameraperspektive, die auf den Tisch der Auszählung gerichtet war (vgl. Anlage B 12 13 Bl. 574 d.A.). Nach der Begrüßung der Online zugeschalteten Delegierten erfolgte die weitere Auszählung zunächst ohne Tonübertragung. Ab 18:10 Uhr wurde die weitere Auszählung vom Hauptwahlvorstandvorsitzenden moderiert.
Die Auszählung wurde im Wesentlichen wie folgt durchgeführt: Für die Auszählung wurden die Stimmzettelkuverts der Wahlurne entnommen und das Vorliegen der Erklärung über die persönliche Stimmabgabe überprüft. Die gültigen Stimmkuverts wurden in eine offene Box gelegt. Anschließend wurden diese geöffnet und die farbigen Stimmzettel jeweils in durchsichtige, auf dem Tisch sichtbare, offene Boxen nach Farben sortiert eingeordnet. Erst nach Öffnung aller Stimmzettelkuverts begann die eigentliche Auszählung der einzelnen Wahlvorgänge, wobei mit der Auszählung der Stimmen der Gewerkschaften begonnen wurde.
Während der Übertragung wurde unstreitig der Stream mehr als einmal für einige Minuten komplett unterbrochen und zwischendurch wurde kurzzeitig die Sicht verdeckt, weil eine Dame ins Bild der Kamera lief (vgl. hierzu Anlagen LLR 42 und LLR 43, Bl. 241 ff. d.A.).
Im Chat-Protokoll von MS-Teams findet sich hierzu der Hinweis um 17:59 Uhr „Sie sortieren die blauen Stimmzettel in die Körbe und zwischendurch läuft immer mal wieder eine Dame ins Bild und trinkt etwas“ (vgl. Anlage LLR 43 Bl. 242). Zum Zeitpunkt dieser Kommentierung wurden die Stimmen der Gewerkschaften ausgezählt.
Hinsichtlich des Ergebnisses der Wahl wird auf die Anlage LLR 40, Bl. 237 f. d.A. verwiesen.
Am 02.07.2020 wurde das Ergebnis der Wahl im Bundesanzeiger veröffentlicht.
Mit am gleichen Tag bei Arbeitsgericht eingegangenem Antrag vom 15.07.2020 haben die Beteiligten zu 1) bis 4) die Aufsichtsratswahl angefochten.
Ein von der Beteiligten zu 12) am 15.09,2020 eingeleitetes Verfahren zur gerichtlichen Ersatzbestellung der, von einer Nichtigkeit bzw. Anfechtung der Wahl ggf. betroffenen, gewählten Arbeitnehmervertreter, wurde vom Amtsgericht München – Registergericht mit Beschluss vom 01.10.2020 (Az HRB 109326 (Fall 62)) abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde OLG München abgewiesen (vgl. OLG München, Beschluss vom 22. Dezember 2020 – 31 Wx 436/20 -, juris).
Die Antragsteller sind der Ansicht, die Wahl sei nichtig, da offenkundig gegen grundlegende Wahlgrundsätze verstoßen worden sei. Dass auch die Beteiligte zu 12) von einer Nichtigkeit ausgehe, zeige sich darin, dass sie beim Amtsgericht nach § 104 AktG die Ersatzbestellung der Aufsichtsratsmitglieder beantragt habe.
Die Nichtigkeit ergebe sich insbesondere im Hinblick auf die Anordnung der Briefwahl sowie darauf, dass durch die nur Online übertragene Stimmauszählung keine öffentliche Stimmauszählung stattgefunden habe. Allein hierdurch, aber spätestens im Zusammenhang mit der Häufung weiterer Verstöße, sei hier die Grenze zur Nichtigkeit eindeutig überschritten.
Eine Briefwahl sei in der 3. WO MitbestG für die Delegiertenwahl eindeutig nicht vorgesehen. Auch die Pandemiesituation führe nicht dazu, dass dem Hauptwahlvorstand das Recht zugestanden hätte, eine solche anzuordnen. Dies gelte umso mehr, als die Ansteckungszahlen bereits seit Mai 2020 zurückgingen. Auch die Konzernbetriebsratssitzung am 07. und 08.07.2020 habe beispielsweise als Präsenzsitzung stattgefunden. Angesichts der mit der Briefwahl verbundenen Gefahr der Wahlmanipulation könne eine solche nur durch den Gesetzgeber zugelassen werden. Vorliegend habe der Gesetzgeber dies jedoch gerade nicht getan. Für eine Analogie fehle es mithin an einer Regelungslücke. Der Fehler wirke sich auch auf das Wahlergebnis aus. Dies zeige sich besonders daran, dass der Beteiligte zu 2) als Delegierter gar keine Briefwahlunterlagen erhalten habe und weitere 4 Delegierte keine Wahlunterlagen zurückgesendet haben. Auch die mangels persönlicher Erklärung für ungültig erklärte Stimmabgabe sei ausschließlich der Briefwahl geschuldet. Schließlich könne bei einer Briefwahl eine Wahlmanipulation nicht ausgeschlossen werden.
Der mit der unzulässigen Briefwahl verbundene Verstoß gegen die öffentliche Wahl werde noch durch die Verstöße im Hinblick auf die öffentliche Stimmauszählung verstärkt. So seien die Delegierten erst mit Schreiben vom 22.06.2020 und damit unter Verstoß gegen § 77 Abs. 1 Nr. 11 3. WO MitbestG zur Stimmauszählung eingeladen worden.
Auch sei die Stimmauszählung über MS Teams nicht geeignet, die für eine öffentliche Stimmauszählung notwendige Öffentlichkeit herzustellen. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die fehlende Tonübertragung, den Bildausfall und die Tatsache, dass eine Dame mehrfach das Bild verdeckt habe, als sie durch´s Bild gelaufen sei. Dies sei mit einem vollständigen Ausschluss der Öffentlichkeit vergleichbar. Gerade da die Wahlunterlagen während der Auszählung nicht in eigenen Wahlurnen, sondern in unverschlossenen Behältern lagen, sei eine Manipulation hier nicht ausschließbar. Beachtlich sei aber auch, dass Vorgänge außerhalb der Kameraeinstellung nicht registriert werden konnten, da ein „Rundblick“ gerade nicht möglich gewesen sei. Auch seien die Teilnehmer über MS- Teams so weit entfernt gewesen, dass sie nicht im Detail erkennen konnten, was die geöffneten Kuverts enthielten. Mit der Wahl der Delegierten werde auf diese auch gerade das Recht der Anwesenheit bei der Stimmauszählung übertragen. Dem werde die Teilnahme nur per MS-Teams Übertragung nicht gerecht. Auch die persönliche Teilnahme einzelner Delegierter sei nicht ausreichend, zumal es sich hierbei um parteiische Delegierte gehandelt habe, die dem Hauptwahlvorstand angehörten, bzw. im Fall von Herrn selbst Kandidaten gewesen seien. Die Rahmenbedingungen bei der Stimmauszählung stellten einen solch gravierenden Verstoß dar, dass von einer ordnungsgemäßen Wahl nicht mehr gesprochen werden könne. Hier müsse die Nichtigkeit angenommen werden, denn andernfalls bliebe die Nichtigkeit auf Fälle der nachgewiesenen Manipulation beschränkt, dies würde die Anforderungen überspannen.
Jedenfalls sei die Wahl anfechtbar, denn die Mängel rechtfertigten zumindest die Wahlanfechtung. Darüber hinaus sei während der Wahl mehrfach gegen Vorgaben des MitbestG und der 3. WO MitbestG verstoßen worden. Die Beteiligten zu 1) bis 4) machten u.a. folgende Mängel geltend:
– Der Hauptwahlvorstand sei teilweise nicht erreichbar gewesen.
– Bei der Abstimmung über die Art der Wahl sei die Möglichkeit zur Antragstellung unzulässig verkürzt worden und die Beschäftigten teilweise unzureichend über die Abstimmung informiert worden. Auch habe die Abstimmung selbst unter mehrfachen Verstößen gegen §§ 17 ff. 3. WO MitbestG stattgefunden.
– Die Wahl der Delegierten sei unter mehrfachem Verstoß gegen die 3. WO MitbestG durchgeführt worden.
– Die Gewerkschaftsliste mit dem Kennwort „btü/DPolG“ sei unzulässiger Weise zugelassen worden. Das Kennwort sei irreführend und daher unzulässig, da die „btü“ (Vereinigung der Beschäftigten der technischen Überwachung) keine Gewerkschaft sei. Auch sei die Beteiligte zu 15) keine im Konzern vertretene Gewerkschaft.
– Herr sei unzulässiger Weise auf der Liste der leitenden Ange stellten zugelassen worden, obwohl er kein leitender Angestellter sei.
– Die Liste „Zusammen mehr Wert“ habe nicht zugelassen werden dürfen, da sie erst nach Ablauf der Frist des § 27 Abs. 2 3. WO MitbestG eingereicht worden sei. Demgegenüber sei die Liste „MUT“ unzulässiger Weise nicht berücksichtigt worden.
– An der Stimmauszählung hätten zumindest 2 Wahlvorstandsmitglieder möglicherweise unentschuldigt nicht teilgenommen, so dass der Sachverhalt mit dem jüngst entschiedenen Fall des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG v. 24.02.2021 – 7 ABR 38/19) vergleichbar sei (vgl. Schriftsatz vom 25.02.2021 Bl. 593 ff. d.A.).
Die Beteiligten zu 1) bis 4) beantragen zuletzt,
1) Es wird festgestellt, dass die am 25.06.2020 stattgefundene Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer der nichtig ist.
2) Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.:
Die am 25.06.2020 stattgefundene Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer der wird für unwirksam erklärt.
3) Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den vorstehenden Anträgen zu 1. und 2.:
a) Die am 25.06.2020 erfolgte Wahl der Vertreter der Gewerkschaften inkl. des mit diesen gewählten Ersatzmitglieds in den Aufsichtsrat der wird für unwirksam erklärt;
b) Die am 25.06.2020 erfolgte Wahl des Herrn M. sowie es mit diesem gewählten Ersatzmitglieds Frau …, als Vertreter der leitenden  Angestellten in den Aufsichtsrat der … wird für unwirksam erklärt;
c) Die am 25.06.2020 erfolgte Wahl der Vertreter der Aufsichtsratsmitglieder der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG bezeichneten Arbeitnehmer inkl. der mit diesen gewählten Ersatzmitgliedern in den Aufsichtsrat der … wird für unwirksam erklärt.
Die Beteiligten zu 5) bis 9), 11) und 12) beantragen Abweisung der Anträge.
Die Beteiligten zu 10) und 13) bis 22) haben im Verfahren keine Anträge gestellt.
Die Beteiligten zu 5) bis 9), 11) und 12) sind der Ansicht, dass keine Verletzung wesentlicher Wahlvorschriften gegeben sei. Erst recht liege keine Nichtigkeit der Wahl vor. Letztere könne aufgrund der weitreichenden Folgen nur in absoluten Ausnahmefällen angenommen werden. Ein solcher liege hier für keinen der von den Antragstellern behaupteten Mängel vor. Wenn die einzelnen Mängel nicht zur Nichtigkeit der Wahl führen, könne sich auch aus der Gesamtbetrachtung keine Nichtigkeit ergeben.
Die Mutmaßung der Antragsteller, der Antrag der Beteiligten zu 12) nach § 104 AktG spreche dafür, dass auch die Beteiligte zu 12) von einer Nichtigkeit der Wahl ausgehe, sei abwegig. Ziel der beantragten vorsorglichen Ersatzbestellung sei es allein gewesen, für den unwahrscheinlichen Fall der Feststellung einer Nichtigkeit Rechtssicherheit herzustellen.
Eine Nichtigkeit ergebe sich insbesondere nicht aus der Durchführung der Delegiertenwahl als Briefwahl. Zwar finde sich bei der Delegiertenwahl keine ausdrückliche Regelung zur Briefwahl, dennoch sei die Briefwahl ein im MitbestG bzw. der 3. WO MitbestG grundsätzlich vorgesehenes und damit zulässiges Instrument. Die Briefwahl sei danach gerade für Mitarbeiter zugelassen, die wegen ihrer Tätigkeit im Home-Office oder im Außendienst nicht ständig vor Ort im Betrieb seien. Dies sei in der Pandemie gerade weitreichend der Fall gewesen. Die Briefwahl sei ein zulässiges und anerkanntes Wahlverfahren, welches nicht gegen den Grundsatz der geheimen Wahl verstoße. Auch das BVerfG habe mehrfach die Zulässigkeit der Briefwahl bestätigt. Im Vergleich zum Drittelbeteiligungsgesetz, in dem die Wahlgrundsätze in § 5 DrittelbG ausdrücklich aufgezählt seien, sei im MitbestG und der 3. WO MitbestG nur der Grundsatz der geheimen Wahl erwähnt. Dies zeige, dass der Gesetzgeber in diesem Bereich Abweichungen von den allgemeinen Wahlgrundsätzen anerkannt habe.
Der Hauptwahlvorstand habe im Hinblick auf die besondere Situation der Corona Pandemie zulässiger Weise, nach sorgfältiger Prüfung und Einholung juristischer Expertise die Briefwahl anordnen dürfen. Eine Präsenzveranstaltung wäre nach der damals gültigen 6. BayIfSMV unzulässig gewesen. Dieser Fall sei nicht mit dem Fall einer bloßen Verhinderung eines Delegierten vergleichbar, bei dem die Briefwahl ausscheide, weil an dessen Stelle der Ersatzdelegierte trete.
Auch ein Vergleich mit den Kommunalwahlen in Bayern und den Bürgermeisterwahlen in Hessen zeige, dass Wahlen ausschließlich per Briefwahl durchgeführt werden könnten. Schließlich hätte selbst ein unterstellter Fehler keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis bzw. allenfalls im Hinblick auf die Liste „Zusammen mehr Wert“ gehabt und diese habe das Wahlergebnis bekanntlich akzeptiert.
Die Delegierten seien auch rechtzeitig und unter Einhaltung der in der 3. WO MitbestG vorgesehenen Vorgaben zur öffentlichen Stimmauszählung eingeladen worden. Am 22.06.2020 sei die Einwahlinformation übermittelt worden. Die Delegierten seien jedoch bereits am 20.05.2020 vom Hauptwahlvorstand informiert worden, dass die Stimmauszählung digital übertragen werde. Im Übrigen erfülle die Übertragung der Auszählung die Erfordernisse einer öffentlichen Stimmauszählung. Zweck der öffentlichen Auszählung sei die Feststellung des Abstimmungsergebnisses und die Kontrolle der Ordnungsgemäßheit. Diesem Zweck sei durch die körperliche Anwesenheit einiger Delegierter sowie die Zuschaltung der weiteren Delegierten mittels MS Teams erfüllt. In § 79 3. WO MitbestG stehe nichts vom Erfordernis einer körperlichen Anwesenheit. Die Kameraeinstellung sei auch so gewählt worden, dass die Delegierten die Stimmauszählung einschließlich der verschlossenen Wahlurne haben erkennen können. Dies zeige u.a. das als Anlage B12 13 vorgelegte Bild (vgl. Anlage B 12 13, Bl 574 d.A.). Die verschlossenen Stimmzettel seien für die Kamera sichtbar aus der verschlossenen Wahlurne entnommen, für die Kamera sichtbar geöffnet und ebenfalls sichtbar in verschiedene durchsichtige Plastikboxen gelegt worden. Bei der Stimmauszählung selbst habe dann auch wieder eine Übertragung mit Ton stattgefunden. Die Unterbrechungen oder das „durchs Bild Laufen“ könne keinen Ausschlag geben, denn auch bei einer Delegiertenversammlung als Präsenzveranstaltung käme es zu solchen Unterbrechungen, etwa durch Personen, die den Blick versperrten oder durch Toilettengänge. Dies würde die Stimmauszählung auch nicht unwirksam machen. Im Übrigen seien die kurzzeitigen Aussetzer stets kurzfristig behoben worden.
Eine Nichtigkeit lasse sich mithin insgesamt nicht feststellen. Der Hauptwahlvorstand habe angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen die Wahl und die Auszählung vertretbar in einer Weise durchgeführt, welche der Pandemiesituation angepasst war.
Das Fehlen eines Nichtigkeitsgrundes führe auch nicht automatisch zur Anfechtbarkeit der Wahl. Selbst wenn man einen Verstoß gegen Wahlrechtsgrundsätze annehmen wolle, so habe sich dieser nicht auf das Wahlergebnis auswirken können und eine Anfechtung scheide vor diesem Hintergrund aus.
Auch die behaupteten weiteren Mängel seien entweder unzutreffend oder berechtigten ebenfalls nicht zu einer Anfechtung der Wahl.
Die Beteiligte zu 14) teilt insbesondere die Bedenken der Antragsteller im Hinblick auf die Unzulässigkeit der durchgeführten Briefwahl. Eine solche sei für die Delegiertenwahl überhaupt nicht vorgesehen. Es stehe nicht im Ermessen des Hauptwahlvorstandes eine solche anzuordnen. Wie bereits durchgeführte und derzeit laufende Gesetzesänderungen zeigten, sei es Aufgabe des Gesetzgebers darüber zu entscheiden, für welche Wahlen eine generelle Briefwahl zugelassen werde. Dies gelte auch in Zeiten der Pandemie.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der Güteanhörung vom 14.10.2020 und der Kammerverhandlung vom 03.03.2021 Bezug genommen.
B.
1. Der Hauptantrag ist zulässig aber unbegründet. Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer der … vom 25.06.2020 ist nicht nichtig.
1.1 Der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl ist zulässig. Die Nichtigkeit einer Wahl kann von jedermann, der an der Feststellung der Nichtigkeit ein berechtigtes Interesse hat, zu jeder Zeit in jeder Form geltend gemacht werden (vgl. zur Betriebsratswahlanfechtung BAG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 7 ABR 23/12 -, Rn. 41, juris). Das Feststellungsinteresse der antragsbefugten Beteiligten zu 1) bis 4) ergibt sich bereits aus ihrer Stellung als wahlberechtigte Arbeitnehmer der Beteiligten zu 12).
1.2 Die Nichtigkeit der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer kann wegen der damit verbundenen weitreichenden Folgen nur in besonderen Ausnahmefällen angenommen werden, in denen die Voraussetzungen der Wahl nicht vorlagen oder bei der Wahl gegen fundamentale Wahlgrundsätze in so hohem Maße verstoßen wurde, dass nicht einmal mehr der Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl vorliegt. Im Regelfall führen Verstöße gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren nach § 22 MitbestG lediglich zur Anfechtbarkeit der Wahl (vgl. BAG, Beschluss vom 15. Mai 2019 – 7 ABR 35/17 -, Rn. 27 m.w.N., juris).
Nur in diesem Ausnahmefall, in dem für jeden evident ist, dass ein wirksam gewählter Aufsichtsrat nicht besteht, ist die Wahl von Anfang an nichtig. Davon kann bei einer erforderlichen, bewertenden Gesamtwürdigung ebenso wenig ausgegangen werden, wie bei einer erst durch Beweisaufnahme zu ermittelnden Tatsachenfeststellung. Handelt es sich bei den einzelnen Verstößen um Mängel, die jeder für sich genommen zwar die Anfechtung der Aufsichtsratswahl rechtfertigen, nicht aber die Wahl als nichtig erkennen lassen, so kann weder die addierte Summe der Fehler noch eine Gesamtwürdigung zur Nichtigkeit führen (vgl. zur Betriebsratswahl BAG, Beschluss vom 19. November 2003 – 7 ABR 24/03 -, BAGE 108, 375-382, Rn. 34).
Unter Zugrundlegung vorstehender Grundsätze kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein derart schwerwiegender Fehler vorliegt, der zur Nichtigkeit der Wahl führen könnte.
1.3 Die vom Hauptwahlvorstand durchgeführte Briefwahl stellt einen wesentlichen Verstoß gegen § 74 Abs. 1 Satz1 3. WO MitbestG dar, der jedoch nicht zur Nichtigkeit der Wahl führt.
1.3.1 Gemäß § 74 Abs. 1 Satz1 3. WO MitbestG wählen die Delegierten den Aufsichtsrat in der Delegiertenversammlung. Die Möglichkeit einer Briefwahl ist im Gesetz für die Delegiertenwahl nicht vorgesehen. Die 3. WO MitbestG regelt allein für die Urwahl die Möglichkeit der Briefwahl in den dort unter § 49 3. WO MitbestG vorgesehenen Voraussetzungen.
§ 49 3. WO MitbestG regelt die Fälle, in denen die Briefwahl zulässig ist, abschließend.
Die Briefwahl steht nicht im Belieben des Hauptwahlvorstands, sondern ist an die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 49 3. WO MitbestG gebunden. Eine generelle Briefwahl ist daher unzulässig. Durch die persönliche Stimmabgabe sollen Wahlmanipulationen weitestgehend ausgeschlossen werden. Bei der Briefwahl ist es dem Wählenden selbst aufgegeben, insbesondere für die Einhaltung des Wahlgeheimnisses Sorge zu tragen. Gerade wegen der hiermit verbundenen Gefahren hat der Gesetzgeber die Briefwahl nur eingeschränkt zugelassen (vgl. umfassend zur Urwahl BAG, Beschluss vom 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 -, BAGE 72, 161-176, Rn. 51 – 53; zustimmend Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 25. Juni 2013 – 9 TaBV 11/13 -, Rn. 154 – 155, juris). Die für die Urwahl vom Bundesarbeitsgericht bestätigte Unzulässigkeit der Briefwahl muss erst recht im Bereich der Delegiertenwahl gelten, in der die Möglichkeit der Briefwahl überhaupt nicht vorgesehen ist. Bei der Delegiertenwahl geht der Gesetzgeber vielmehr eindeutig von der ausschließlichen Möglichkeit der persönlichen Stimmabgabe aus. Dies spiegelt sich in der Regelung zur Wahl in der Delegiertenversammlung ebenso wider, wie in der Regelung des § 14 Abs. 2 MitbestG, der bei einer Verhinderung des Delegierten nicht die Möglichkeit der Briefwahl, sondern die Vertretung durch den Ersatzdelegierten vorsieht.
Der Hauptwahlvorstand war vorliegend auch nicht im Hinblick auf die Besonderheit der Pandemiesituation berechtigt, ausnahmsweise eine Briefwahl ohne Rechtsgrundlage anzuordnen. Dabei soll nicht verkannt werden, dass die Wahl in einer Phase der Pandemie erfolgte, in der noch viel Unsicherheit über den Umgang mit der Pandemie und den Ansteckungsrisiken herrschte. Dem Wahlvorstand steht zwar nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine gewisse Richtlinienkompetenz zu (vgl. BAG, Beschluss vom 20. Februar 1991 – 7 ABR 85/89 -, BAGE 67, 254-264, Rn. 29). Diese berechtigt ihn aber nur, ggf. die Tatbestandmerkmale des vom MitbestG und der 3. WO MitbestG vorgegebenen rechtlichen Rahmens dort auszufüllen, wo der Wortlaut eine Auslegung zulässt (vgl. BAG, Beschluss vom 20. Februar 1991 – 7 ABR 85/89 -, BAGE 67, 254-264, Rn. 29 wo sich das BAG ausdrücklich nur auf die von den Tatbestandsmerkmalen vorgegebene Spannbreite bezieht). Diese Richtlinienkompetenz führt jedoch nicht dazu, dass dem Wahlvorstand das Recht zusteht, außerhalb der vom Gesetz und der Wahlordnung vorgegebenen, enumerativ aufgezählten Tatbestände, eine Briefwahl generell zuzulassen (vgl. auch BAG, Beschluss vom 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 -, BAGE 72, 161-176, Rn. 53). Etwas Anderes folgt auch nicht daraus, dass in anderen Wahlverfahren ggf. Briefwahlen für zulässig gehalten wurden. Die vorliegende Wahl richtet sich allein nach dem MitbestG und der 3. WO MitbestG. Hinzu kommt, dass bei der Delegiertenwahl die Wahlrechtsgrundsätze bereits insofern eingeschränkt werden, als die Unmittelbarkeit der Wahl nicht gegeben ist. Dies spiegelt sich auch in § 15 Abs. 1 MitbestG wider, in dem der Grundsatz der Unmittelbarkeit als logische Folge – anders, als in § 5 DrittelbG – nicht erwähnt ist. Aus der Erwähnung nicht aller Wahlrechtsgrundsätze folgt damit aber nicht, dass den anderen Wahlrechtsgrundsätze im Geltungsbereich des MitbestG eine geringere Bedeutung zugemessen werden könnte, wie im Geltungsbereich des DrittelbG. Im DrittelbG ist eine Delegiertenwahl gerade nicht vorgesehen, schon deswegen scheiden Rückschlüsse aus der unterschiedlichen Formulierung aus. Zudem ist vorliegend mit der Anordnung der Briefwahl gerade der Grundsatz der geheimen Wahl betroffen, da bei der Briefwahl dem Wählenden selbst aufgegeben ist, für die Einhaltung des Wahlgeheimnisses Sorge zu tragen (vgl. BAG Beschluss vom 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 a.a.O.; BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 1967 – 2 BvC 2/66 -, BVerfGE 21, 200-207, Rn. 20). Der Grundsatz der geheimen Wahl ist in § 5 Abs. 1 MitbestG ausdrücklich erwähnt. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber diesen Grundsatz im Geltungsbereich des MitbestG besonders hervorheben wollte. Das steht einer Befugnis des Hauptwahlvorstandes, zur Anordnung der Briefwahl entgegen und berechtigt ihn nicht dazu.
1.3.2 Der Verstoß gegen § 74 Abs. 1 Satz1 3. WO MitbestG führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Wahl.
Zwar stellt sich die Anordnung der generellen Briefwahl als Verstoß gegen den in § 74 Abs. 1 Satz1 3. WO MitbestG vorgesehene Verpflichtung der Durchführung einer Delegiertenversammlung und letztlich auch gegen den Grundsatz der geheimen Wahl dar, jedoch muss dies nicht als Verstoß in so hohem Maße angesehen werden, dass er zur Nichtigkeit der Wahl führt (auch das BAG hat in der Anordnung einer generellen Briefwahl zwar einen Anfechtungsgrund, jedoch keinen Nichtigkeitsgrund gesehen: vgl. BAG, Beschluss vom 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 -, BAGE 72, 161-176, Rn. 45). Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der 3. WO MitbestG zumindest für die Urwahl die Briefwahl für zulässig erklärt wird. Damit ist zumindest erkennbar, dass die Briefwahl, trotz der besonderen Bedeutung des Grundsatzes der geheimen Wahl, auch vom Gesetzgeber im Geltungsbereich des MitbestG als mögliches, probates Mittel angesehen wurde. Die Fehleinschätzung des Hauptbetriebsrates, er könne seine Richtlinienkompetenz im Hinblick auf die Besonderheiten der Pandemiesituation ausnahmeweise doch dahingehend nutzen, eine generelle Briefwahl anzuordnen, führt daher nicht dazu, dass offenkundig nicht mehr der Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl vorliegt.
Die Nichtigkeit folgt schließlich auch nicht aus dem Antrag der Beteiligten zu 12) auf gerichtliche Ersatzbestellung nach § 104 AktG. § 104 AktG gibt die Möglichkeit der gerichtlichen Bestellung von Mitgliedern bei Unterbesetzung bzw. fehlender Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrates. Da bis zur Rechtskraft einer Entscheidung im vorliegenden Verfahren keiner der Fälle des § 104 AktG vorlag (vgl. zutreffend OLG München, Beschluss vom 22. Dezember 2020 – 31 Wx 436/20 -, Rn. 4, juris), konnte der Antrag der Beteiligten zu 12) nur dahingehend verstanden werden, dass sie den Antrag gestellt hat, um den weitreichenden Folgen einer Nichtigkeitsfeststellung bereits im Vorfeld entgegenzuwirken. Entgegen der Ansicht der Antragsteller muss der Tatsache, dass die Beteiligte zu 12) das Verfahren nach § 104 AktG betrieben hat, damit aber nicht zwingend entnommen werden, die Beteiligte zu 12) teile die Ansicht der Antragsteller zur Nichtigkeit der Wahl. Mit der Antragstellung nach § 104 AktG wollte sich die Beklagte nur für den Fall absichern, dass sie sich mit ihrer Rechtsansicht nicht durchsetzt und die Antragsteller mit ihrem Antrag auf Nichtigkeit obsiegen. Damit bringt die Beteiligte zu 12) nicht zum Ausdruck, dass sie die Rechtsansicht der Antragsteller teilt. Vielmehr erfolgte der Antrag offenkundig zur Absicherung für den Fall, dass dem Hauptantrag der Antragsteller stattgegeben wird. Die Beteiligte zu 12) wollte allein den weitreichenden Folgen einer Nichtigkeitsfeststellung vorgreifen und so eine kontinuierliche Arbeitsfähigkeit des Aufsichtsrates sicherstellen.
Die Antragstellung nach § 104 AktG ist auch kein Indiz, welches den Verstoß gegen Wahlrechtsgrundsätze offenkundiger erscheinen lässt. Sie ist vielmehr als Reaktion auf den Antrag auf Nichtigkeitsfeststellung zu verstehen.
1.4 Die Auszählung der Stimmen über MS-Teams verstieß zwar gegen das Gebot der öffentlichen Stimmauszählung gem. § 79 Abs. 1 3. WO MitbestG. Der Verstoß war jedoch ebenfalls nicht derart schwerwiegend, dass er zur Nichtigkeit der Wahl führen musste.
1.4.1 Die Öffentlichkeit der Wahl ist Grundvoraussetzung für eine demokratische Willensbildung. Sie sichert die Ordnungsmäßigkeit und Nachvollziehbarkeit der Wahlvorgänge und schafft damit eine wesentliche Voraussetzung für begründetes Vertrauen der Wähler in den korrekten Ablauf der Wahl. Die grundsätzlich gebotene Öffentlichkeit im Wahlverfahren umfasst das Wahlvorschlagsverfahren, die Wahlhandlung – in Bezug auf die Stimmabgabe durchbrochen durch das Wahlgeheimnis – und die Ermittlung des Wahlergebnisses. Durch das Gebot der Öffentlichkeit sollen interessierte Personen die Möglichkeit erhalten, die Ordnungsmäßigkeit der Feststellung des Wahlergebnisses beobachten zu können, damit der Verdacht von Wahlmanipulationen „hinter verschlossenen Türen“ nicht aufkommen kann. Zur Herstellung dieser Beobachtungsmöglichkeit ist es erforderlich, dass Ort, Tag und Zeit sämtlicher öffentlicher Kontrolle unterliegender Vorgänge im Wahlverfahren rechtzeitig vorher bekannt gegeben werden (BAG 10. Juli 2013 – 7 ABR 83/11 – Rn. 18; 15. November 2000 – 7 ABR 53/99 – zu B II 2 der Gründe, BAGE 96, 233). Dem Zweck des Grundsatzes der öffentlichen Stimmauszählung, jedem Verdacht einer Manipulation des Wahlergebnisses „hinter verschlossenen Türen“ zu begegnen, wird bei der Delegiertenwahl dadurch entsprochen, dass die Delegierten den Vorgang der Stimmauszählung verfolgen können (BAG, Beschluss vom 17. Mai 2017 – 7 ABR 22/15 -, BAGE 159, 111124, Rn. 40).
Die „Öffentlichkeit“ der Stimmauszählung nach § 79 Abs. 1 3. WO MitbestG soll den gesamten Vorgang der Ermittlung des Wahlergebnisses umfassen. Dazu ist es entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht erforderlich, dem Wahlvorstand „über die Schulter blicken“ zu können. Das Gebot, die Auszählung in öffentlicher Sitzung vorzunehmen, soll gewährleisten, dass selbst der Anschein von Manipulationen vermieden wird. Die Beobachtungsmöglichkeit dient der Kontrolle des Auszählvorgangs durch die Öffentlichkeit, ohne damit eine vollständige Rechtmäßigkeitskontrolle zu bezwecken. Die Beratung und Beschlussfassung des Wahlvorstands bei der öffentlichen Stimmauszählung muss daher nicht in dem Sinne öffentlich sein, dass die Anwesenden die Entscheidung in jedem Fall zur Kenntnis nehmen können (vgl. zur Betriebsratswahl Kreutz/Jacobs GK-BetrVG 10. Aufl. § 14 WO Rn. 4). Ein „Mitlesenkönnen“ ist daher nicht erforderlich (BAG, Beschluss vom 17. Mai 2017 – 7 ABR 22/15 -, BAGE 159, 111-124, Rn. 43).
Auch wenn das Gebot der öffentlichen Stimmauszählung eine vollständige Rechtmäßigkeitskontrolle nicht bezweckt, so wird die alleinige Möglichkeit der Delegierten, die Stimmauszählung über MS Teams zu verfolgen, dem Gebot der Kontrolle des Auszählungsvorgangs, mit dem der Anschein der Manipulation vermieden wird, nicht gerecht. Die Öffentlichkeit der Stimmauszählung war nicht schon durch die Anwesenheit eines Delegierten, der nicht Mitglied des Hauptwahlvorstandes war (Herr … sowie der drei weiteren Personen (Assistentin, Techniker, Kandidat einer Gewerkschaftsliste) gewahrt. Wie dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Mai 2017 (7 ABR 22/15 -, BAGE 159, 111-124, Rn. 40) entnommen werden kann, sind mit der Öffentlichkeit im Sinne des § 79 3. WO MitbestG bei der Delegiertenwahl in erster Linie die Delegierten gemeint. Vorliegend war nur Herr … als Delegierter anwesend, der selbst als Kandidat zur Wahl stand. Herr … war auch nicht durchgehend anwesend.
Durch die Zuschaltung der übrigen Delegierten allein über MS-Teams wurde die nach § 79 3. WO MitbestG notwendige Öffentlichkeit der Stimmauszählung nicht hergestellt. Zwar stellt § 79 3. WO MitbestG in der Tat nicht auf eine körperliche Anwesenheit ab. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz davon ausgeht, dass die Stimmauszählung unverzüglich nach der Stimmabgabe in der Delegiertenversammlung stattfindet. Das Gesetz setzt damit voraus, dass die Delegierten wegen der Delegiertenversammlung präsent sind. Aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Erwähnung kann mithin nicht geschlossen werden, eine körperliche Anwesenheit sei nicht zwingend.
Selbst wenn man dem folgen wollte, könnte allenfalls eine Übertragung der Stimmauszählung in Betracht kommen, die mit der Beobachtung der Stimmauszählung durch körperlich anwendende Delegierte vergleichbar ist. Die „Öffentlichkeit“ der Stimmauszählung nach § 79 Abs. 1 3. WO MitbestG soll den gesamten Vorgang der Ermittlung des Wahlergebnisses umfassen. Dies setzt voraus, dass die Beobachter die Möglichkeit haben, sich im Raum umzusehen oder zumindest aus mehreren Perspektiven auszuwählen. Nur wenn diese Möglichkeit gegeben ist, spielt es in der Tat keine Rolle, ob die Sicht kurzzeitig eingeschränkt ist oder nicht. Denn die Beobachter haben dann – wie präsente Beobachter – nicht alle die gleiche Sicht auf das Geschehen oder die Möglichkeit durch Perspektivwechsel die Sicht ggf. unmittelbar wiederherzustellen. Für die Öffentlichkeit der Stimmauszählung muss gewährleistet sein, dass – wie bei einer Beobachtung durch Delegierte vor Ort – nie alle Delegierten gleichzeitig von der Möglichkeit der Beobachtung ausgeschlossen werden. Dem wurde die Auszählung am 25.06.2020 nicht gerecht. Hier wurde den Delegierten nur eine feste Kameraperspektive vorgegeben. Soweit hier das Bild durch eine Person verdeckt wurde, welche „durch das Bild lief“, wurde allen Beobachtern, die über MS Teams zugeschaltet waren, gleichzeitig die Möglichkeit genommen, den Auszählungsvorgang zu verfolgen. Insoweit ist die Situation gerade nicht vergleichbar mit einer Auszählung unter persönlicher Anwesenheit aller interessierten Delegierten. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass die Stimmzettel nach dem Öffnen der Kuverts in offenen Boxen auf dem Tisch lagen. Die Stimmauszählung begann mit der Auszählung der Stimmen der Gewerkschaften. Die Kommentierung, dass eine Dame immer mal ins Bild laufe, erfolgte gerade während der Auszählung der Stimmen der Gewerkschaften. Der Blick der Delegierten auf den Wahlvorgang wurde mithin am Anfang des Auszählungsvorgangs zu einem Zeitpunkt verdeckt, zu dem die Stimmzettel quasi „offen auf dem Tisch lagen“.
Das Gleiche gilt für die unstreitigen Unterbrechungen der Übertragung. Auch wenn diese nur wenige Minuten gedauert haben, so waren in dieser Zeit doch alle zugeschalteten Delegierten von der Beobachtung ausgeschlossen. Die Wahlzettel lagen nachdem sie der Wahlurne entnommen worden sind, bis zum Abschluss der Auszählung – und damit nicht ausschließbar auch während der Zeiträume, in denen die Bildübertragung unterbrochen war – in offenen Plastikkisten. Ein Austausch von Wahlzetteln war in der Zeit der Bildunterbrechung mithin nicht völlig unmöglich. Die Auszählung von Stimmen unter Ausschluss der zuständigen Beobachter durch Unterbrechung des Streams oder Verdecken der Sicht, stellt nichts Anderes dar, als eine Stimmauszählung „hinter verschlossenen Türen“. Der Zweck des Grundsatzes der öffentlichen Stimmauszählung, jedem Verdacht einer Manipulation des Wahlergebnisses „hinter verschlossenen Türen“ zu begegnen, dem dadurch entsprochen werden soll, dass die Delegierten den Vorgang der Stimmauszählung verfolgen können (vgl. BAG, Beschluss vom 17. Mai 2017 – 7 ABR 22/15 -, BAGE 159, 111124, Rn. 40), wird damit gerade nicht erreicht.
Die Anforderungen an die öffentliche Stimmauszählung mussten auch nicht im Hinblick auf die Corona Pandemie so weitgehend angepasst werden, wie dies der Wahlvorstand getan hat. Eine Beobachtung des Auszählungsvorgangs wäre beispielsweise auch dahingehend möglich gewesen, dass man die Delegiertenversammlung und die anschließende Auszählung außerhalb Bayerns durchführt oder entsprechend der Auflagen der 6. BayIfSMV nur 42 Delegierten (zzgl. der 7 Mitglieder des Hauptwahlvorstandes und des Technikers) – nach Anmeldung – den persönlichen Zugang zur öffentlichen Auszählung gewährt und den übrigen Teilnehmern die Möglichkeit gibt, über MS Teams die Auszählung zu verfolgen. Vorliegend wurden die Delegierten aber von vorneherein nicht zur persönlichen Teilnahme eingeladen. Aus der Einladung mit der Ortsangabe „MS Teams“ ergab sich eindeutig und ausschließlich die Möglichkeit des Onlinezugangs. Selbst wenn man im Hinblick auf die Pandemiesituation eine Onlineübertragung für zulässig halten wollte, hätte es zumindest der Auswahl verschiedener Kameraperspektivenden sowie eines redundanten Übertagungssystems bedurft, um einen Ausschluss aller zugeschalteten Delegierten über mehrere Minuten zu verhindern.
1.4.2 Der Verstoß gegen die „Öffentlichkeit“ der Stimmauszählung führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Wahl. Die Stimmauszählung erfolgte nicht in so hohem Maße unter Verstoß gegen § 79 3. WO MitbestG, dass nicht einmal mehr der Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl vorliegt. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Auszählvorgang zumindest größtenteils unter körperlicher Anwesenheit von 4 Personen durchgeführt wurde, welche nicht dem Hauptwahlvorstand angehörten. Darunter befand sich zumindest auch ein Delegierter. Dass zwei der Anwesenden Beobachter als Kandidaten ein eigenes Interesse am Wahlausgang hatten, führte – entgegen der Ansicht der Antragsteller – nicht dazu, dass ihr Betrag als Beobachter der Stimmauszählung völlig entwertet wäre. Die Auszählenden waren mithin auch während der Unterbrechungen der Bildübertragung nicht völlig unbeobachtet. Selbst wenn man annehmen würde, für die Öffentlichkeit der Stimmauszählung sei allein auf die Delegierten abzustellen, so war zumindest ein Delegierter, Herr … bei der Stimmauszählung anwesend. Es war auch weder vorgetragen, noch – mangels genauer Kenntnis der Zeitpunkte der Unterbrechung – feststellbar, dass es zu Unterbrechungen der Bildübertragung kam, während Herr … nicht anwesend war. Darüber hinaus war aus der gewählten Kameraperspektive ausweislich des als Anlage B 12 13, Bl. 574 d.A. vorgelegten Bildes – soweit die Kamera nicht verdeckt oder ausgefallen war – auch der gesamte Tisch mit den darauf liegenden Unterlagen sichtbar. Der Bildausfall dauerte unstreitig auch jeweils nur wenige Minuten. Insgesamt kann der Verstoß damit nicht als so offensichtlich angesehen werden, dass der Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl völlig beseitigt wäre. Die Anforderungen an eine Nichtigkeit werden damit auch nicht überspannt. Ebenso wenig wird das Vorliegen des Nachweises einer Manipulation vorausgesetzt. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Nichtigkeit angesichts ihrer weitereichenden Folgen nur die Ausnahme darstellen kann. Daran ändert auch die Existenz des § 104 AktG nichts. Schließlich bleibt der Wahlrechtverstoß auch nicht „sanktionslos“, vielmehr tritt unter den Voraussetzungen des § 22 MitbestG die gesetzlich vorgesehene „Regelsanktion“ der Anfechtbarkeit ein. Denkbar wäre allenfalls dann eine Nichtigkeit, wenn die Übertragung tatsächlich zu einem Zeitpunkt unterbrochen wurde, in dem nicht einmal der Delegierte, Herr … anwesend war. Vorliegend steht jedoch weder fest, noch gibt es dafür ausreichende Tatsachengrundlagen, dass die Unterbrechung der Bildübertragung zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, in der der Delegierte nicht anwesend war. Durch die persönliche Anwesenheit zumindest eines Delegierten, der nicht Mitglied des Wahlvorstandes war, waren mithin niemals alle Delegierten von der Möglichkeit der Beobachtung ausgeschlossen. Da die Unterbrechung der Beobachtung über MS-Teams auch nur maximal wenige Minuten dauerte, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verstoß gegen die Öffentlichkeit der Stimmauszählung jedem mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Dritten sofort ohne weiteres erkennbar war (vgl. hierzu BAG, Beschluss vom 19. November 2003 – 7 ABR 24/03 -, BAGE 108, 375-382, Rn. 34) und der Wahl damit „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn“ trägt (vgl. zu diesem vom BAG häufig verwendeten Duktus BAG, Beschluss vom 25. Oktober 2017 – 7 ABR 2/16 -, Rn. 15 m.w.N., juris).
1.5 Im Hinblick auf die weiteren von den Antragstellern vorgetragenen Verstöße kann dahingestellt bleiben, ob diese tatsächlich Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften darstellen, denn selbst wenn man dies unterstellen würde, wären die – unterstellten Verstöße – jeweils nicht geeignet, die Nichtigkeit der Wahl zu begründen. Dies sehen auch die Antragsteller so, denn sie haben sich zur Begründung der Nichtigkeit nur auf die Verstöße im Zusammenhang mit der öffentlichen Stimmauszählung und der Briefwahl berufen.
Entgegen der Einlassung der Antragsteller kann sich die Nichtigkeit auch nicht aus einer „Gesamtbetrachtung“ der Verfahrensverstöße ergeben.
Auch wenn, wie oben ausgeführt, bei der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer gegen mindestens zwei wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens verstoßen worden ist, führt dies nicht zur Nichtigkeit der Wahl im Wege der Gesamtbetrachtung. Unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung des 1. Senates des Bundesarbeitsgerichts hat der 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts zu Recht entschieden, dass auch eine Vielzahl von Verstößen gegen Wahlvorschriften noch nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führt. Handelt es sich bei den einzelnen Verstößen um Mängel, die jeder für sich genommen zwar die Anfechtung der Betriebsratswahl rechtfertigen, nicht aber die Wahl als nichtig erscheinen lassen, so kann weder die addierte Summe der Fehler noch eine Gesamtwürdigung zur Nichtigkeit führen (vgl. BAG, Beschluss vom 19. November 2003 – 7 ABR 24/03 -, BAGE 108, 375-382, Rn. 34).
2. Der für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1) von den Beteiligten zu 1) bis 4) gestellte Antrag zu Ziffer 2) ist zulässig und begründet.
2.1 Der Antrag war bestimmt genug und auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl der Mitglieder der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat, mithin der Beteiligten zu 1) 5) bis 11) und 16) bis 22) gerichtet. Er wurde nur klarstellend auf die einzelnen von der Unwirksamkeitsfolge betroffenen Beteiligten umformuliert.
Die formalen Voraussetzungen der Wahlanfechtung sind erfüllt. Die nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 MitbestG erforderliche Anzahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer des mitbestimmten Unternehmens haben mit dem am 15.07.2020 eingereichten Antrag die mit der Veröffentlichung des Wahlergebnisses im Bundesanzeiger am 02.07.2020 beginnende zweiwöchige Anfechtungsfrist des § 22 Abs. 2 Satz 2 MitbestG gewahrt.
2.2 Ein Anfechtungsgrund ist in zweifacher Hinsicht gegeben.
Gemäß § 22 Abs. 1 MitbestG kann die Wahl beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Anfechtung setzt nach § 22 Abs. 1 MitbestG materiell voraus, dass gegen wesentliche Verfahrensvorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde.
Vorliegend verstößt die Wahl in Form der reinen Briefwahl wie oben ausgeführt gegen § 74 Abs. 1 3. WO MitbestG. Dies stellt zweifellos grundsätzlich einen Anfechtungsgrund dar.
Darüber hinaus verstößt die Stimmauszählung mittels MS-Teams – wie oben ausgeführt – gegen das Gebot der öffentlichen Stimmauszählung nach § 79 Abs. 1 3. WO MitbestG. Bei den Regelungen der 3. WO MitbestG zur öffentlichen Stimmauszählung handelt es sich um wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren i.S.d. § 22 Abs. 1 MitbestG. Sie sind zwingend und belassen dem Hauptwahlvorstand keinen Entscheidungsspielraum (vgl. BAG, Beschluss vom 11. Juni 1997 – 7 ABR 24/96 -, BAGE 86, 117-122, Rn. 22).
2.3 Die Verstöße waren auch geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Nach § 22 Abs. 1 MitbestG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Unerheblich ist, ob der Verstoß das Wahlergebnis tatsächlich beeinflusst hat. Entscheidend ist, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Ergebnis erzielt worden wäre. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (BAG 10. Juli 2013- 7 ABR 83/11; WKS/Wißmann, 5. Aufl. 2017, § 22 MitbestG Rn. 33).
2.3.1 Im Hinblick auf die Briefwahl kann davon ausgegangen werden, dass das Wahlergebnis hierdurch beeinflusst wurde.
Einerseits kann wohl davon ausgegangen werden, dass der mangels persönlicher Erklärung für ungültig erklärte Stimmzettel bei persönlicher Stimmabgabe gültig gewesen wäre. Auch ist nicht auszuschließen, dass die fünf Delegierten, von denen – aus welchen Gründen auch immer – keine Wahlumschläge eingereicht wurden, ihre Stimme persönlich abgegeben hätten. Andererseits kann aber auch darüber hinaus eine Beeinflussung des Wahlverhaltens nicht ausgeschlossen werden. Bei der schriftlichen Stimmabgabe müssen sich die Wähler bereits vor dem eigentlichen Wahltag entscheiden, damit ihr Wahlbrief rechtzeitig beim Wahlvorstand wieder eingeht. Dadurch kommt es zu für die einzelnen Delegierten zeitlich versetzten Wahlen. Da zwischen der Stimmabgabe und dem eigentlichen Wahltag unter Umständen mehrere Tage liegen können, ist nicht auszuschließen, dass einige Delegierte anders gewählt hätten, wenn sie persönlich ihre Stimme abgegeben hätten (vgl. auch BAG, Beschluss vom 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 -, BAGE 72, 161-176, Rn. 52). Vor diesem Hintergrund kann selbst im Hinblick auf die Wahl des Aufsichtsratsmitglieds der leitenden Angestellten, trotz des Vorsprungs des gewählten, Herrn … von 42 Stimmen nicht ausgeschlossen werden, dass das Ergebnis durch die Anordnung der allgemeinen Briefwahl beeinflusst wurde. Dies gilt umso mehr, als ausweislich der Wahlbekanntmachung (vgl. Anlage LLR 40, Bl. 237 d.A.) gerade insoweit zusätzlich 16 Stimmzettel ungültig waren und 6 Stimmzettel nicht abgegeben wurden.
2.3.2 Das Gleiche gilt für den Verstoß gegen die öffentliche Stimmauszählung, auch dieser Verstoß war geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Bei einem Verstoß gegen das Erfordernis der öffentlichen Stimmauszählung ist die Kausalität regelmäßig gegeben, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Wahl bei ordnungsgemäßer Durchführung zu einem anderen Ergebnis geführt hätte (vgl. BAG, Beschluss vom 15. November 2000 – 7 ABR 53/99 -, BAGE 96, 233-237, Rn. 18; Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 09. Oktober 2019 – 5 TaBV 5/19 -, Rn. 69, juris). Dies bedeutet nicht, dass der Verdacht einer Manipulation bestehen muss. Es reicht vielmehr aus, dass die Möglichkeit einer Manipulation nicht ausgeschlossen werden kann. Dies war vorliegend der Fall, denn die Stimmzettel lagen nach dem Öffnen der Kuverts, während des gesamten Auszählungsvorgangs in offenen Boxen auf dem Auszähltisch. Da die Bildübertragung mehrfach unterbrochen, bzw. verdeckt war, und dies nicht ausschließbar auch während die Stimmzettel offen in dem Boxen lagen, kann der Nachweis, dass ein Zugriff auf die offen daliegenden Stimmzettel nicht erfolgt ist, nicht geführt werden. Vor diesem Hintergrund war der Verstoß auch geeignet das Wahlergebnis zu beeinflussen.
2.4 Die Wahl war bereits aus diesen Gründen für unwirksam zu erklären, daher kommt es auf das Vorliegen weiterer Anfechtungsgründe nicht an (vgl. BAG, Beschluss vom 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 -, BAGE 72, 161-176, Rn. 57).
3. Über die weiteren, für den Fall der Abweisung auch des Antrags zu Ziffer 2) gestellten Hilfsanträge war nicht mehr zu entscheiden.
4. Da der Schriftsatz der Antragsteller vom 25.02.2021 keinen entscheidungserheblichen neuen Vortrag enthielt, war der Beteiligten zu 12) die beantragte weitere Schriftsatzfrist nicht zu gewähren.
Auch war nicht entscheidungserheblich, dass der Kammer der Schriftsatz der Beteiligten zu 5) bis 9) und 11) vom 02.03.2021 im Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorlag, da der Beteiligtenvertreter in der Kammerverhandlung klargestellt hat, dass die Ausführungen in dem Schriftsatz nur für den Fall erfolgten, dass eine Entscheidung über den Hilfsantrag zu Ziffer 3 b) ergeht. Über den Hilfsantrag war jedoch nicht zu entscheiden.
C.
Eine Kostenentscheidung ergeht im Beschlussverfahren nicht, § 2 Abs. 2 GKG.
Gegen den Beschluss ist gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG Beschwerde zum Landesarbeitsgericht München nach Maßgabe der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrungzulässig.


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