Arbeitsrecht

Auslegung TV-L (Wege- und Rüstzeiten eines Wachpolizisten)

Aktenzeichen  5 AZR 148/20

Datum:
31.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2021:310321.U.5AZR148.20.0
Normen:
§ 611 Abs 1 BGB
§ 611a Abs 2 BGB
§ 286 ZPO
§ 287 Abs 2 ZPO
§ 287 Abs 1 S 1 ZPO
§ 287 Abs 1 S 2 ZPO
Spruchkörper:
5. Senat

Leitsatz

Das Zurücklegen des Weges von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück stellt in der Regel keine zu vergütende Arbeitszeit dar. Vergütungspflichtig sind dagegen die Umwegezeiten, die ein angestellter Wachpolizist, der auf Weisung des Arbeitgebers den Dienst mit streifenfertiger Dienstwaffe anzutreten hat, zum Aufsuchen eines dienstlichen Waffenschließfachs außerhalb seines Dienstortes aufwendet. Dabei handelt es sich um eine vergütungspflichtige Zusammenhangstätigkeit.

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Berlin, 31. Januar 2019, Az: 58 Ca 15361/17, Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg, 19. November 2019, Az: 7 Sa 620/19, Urteil

Tenor

1. Die Revisionen der Parteien gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. November 2019 – 7 Sa 620/19 – werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu 70 % und das beklagte Land zu 30 % zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten in der Revision über die Verpflichtung des beklagten Landes, Rüst-, Wege- und Umwegezeiten zu vergüten.
2
Der Kläger ist beim beklagten Land als Wachpolizist im Zentralen Objektschutz (iF ZOS) tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der TV-L Anwendung. Der Kläger wurde zunächst als Springer an wechselnden Schutzobjekten und jedenfalls seit dem 29. Januar 2017 als Stammkraft zur Bewachung der Botschaft in B eingesetzt.
3
Die Wachpolizisten müssen den Dienst in angelegter Uniform nebst persönlicher Schutzausrüstung (iF PSA) und streifenfertiger Dienstwaffe antreten. Auf der dunklen Oberbekleidung der Uniform ist in weißer Schrift der Schriftzug „POLIZEI“ aufgebracht. Es ist den Wachpolizisten freigestellt, ob sie den Weg zum und vom Dienst in Uniform zurücklegen. An den Schutzobjekten finden sich nur teilweise Umkleidemöglichkeiten. Es besteht die Möglichkeit, einen Spind zu beantragen. Die Dienstwaffe ist nach einer Geschäftsanweisung des beklagten Landes über den Umgang mit Faustfeuerwaffen im streifenfertigen Zustand zu führen. Jeder Wachpolizist verfügt über ein Waffenschließfach in der Dienststelle des ZOS oder einem Polizeiabschnitt. Ein bestimmter Weg zwischen Wohnort und dem Ort des Waffenschließfachs wird vom beklagten Land nicht vorgegeben. Wachpolizisten ist es gestattet, die Dienstwaffe mit nach Hause zu nehmen, sofern dort eine geeignete Aufbewahrungsmöglichkeit besteht. Auf dem Weg zum und vom Dienst ist es den Wachpolizisten freigestellt, die Dienstwaffe mit oder ohne Dienstkleidung zu tragen.
4
Das beklagte Land stellte dem Kläger auf seinen Antrag vom 9. März 2017 ab dem 5. März 2018 einen Spind am Schutzobjekt zur Verfügung. Ob der Kläger die Dienstwaffe zu Hause und wo er die Uniform nebst PSA anlegt, ist zwischen den Parteien streitig. Mit Schreiben vom 13. Februar 2017 forderte der Kläger vom beklagten Land – soweit für die Revision von Bedeutung – die Vergütung von Rüst-, Wege- und Umwegezeiten.
5
Mit seiner Klage hat der Kläger – soweit diese in die Revision gelangt ist – die Feststellung der Vergütungspflicht für die von ihm aufgewandten Wegezeiten von seiner jeweiligen Wohnanschrift zu dem dienstlichen Waffenschließfach und den jeweils zugewiesenen Schutzobjekten sowie der Zeit des Entnehmens, Ladens und Entladens und An- und Ablegens der Dienstwaffe verlangt. Er hat gemeint, die Wegezeiten, die von ihm in auffälliger Dienstkleidung unter Mitführen der Dienstwaffe zurückgelegt werden, seien zu vergütende Arbeitszeit.
6
Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,
        
1.    
festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die vom Kläger in der Zeit vom 25. Juni 2015 bis zum 19. Januar 2017 zusätzlich erbrachte Arbeitszeit in näher bestimmtem Umfang an den Tagen, an denen er tatsächlich gearbeitet und das dienstliche Waffenschließfach genutzt hat, durch Zurücklegen der Wegezeiten in Dienstkleidung zwischen seiner Wohnung in der Hstraße, B und dem ihm jeweils zugewiesenen Einsatzort mit dem Umweg über das Waffenschließfach in der B Allee, B zu vergüten,
        
2.    
festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die vom Kläger in der Zeit vom 23. Januar 2017 bis zum 5. März 2018 zusätzlich erbrachte Arbeitszeit in näher bestimmtem Umfang an den Tagen, an denen er tatsächlich gearbeitet und das dienstliche Waffenschließfach genutzt hat, durch Zurücklegen der Wegezeiten in Dienstkleidung zwischen seiner Wohnung in der Hstraße, B und dem Dienstantrittsort in der Astraße, B mit dem Umweg über das Waffenschließfach in der B Allee, B zu vergüten,
        
        
        
        
3.    
festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die vom Kläger seit dem 23. Januar 2017 zusätzlich erbrachte Arbeitszeit im Umfang von acht Minuten je einfacher Wegstrecke an den Tagen, an denen er tatsächlich gearbeitet hat, durch Zurücklegen der Wegezeiten vom Dienstantrittsort in der Astraße, B zum Schutzobjekt Botschaft in der Pallee, B zu vergüten,
        
4.    
festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die vom Kläger in der Zeit vom 6. März 2018 bis zum 27. September 2018 zusätzlich erbrachte Arbeitszeit im Umfang von 23 Minuten je einfacher Wegstrecke (13 Minuten für den Umweg zum Waffenschließfach sowie zehn Minuten, um das Waffenschließfach aufzusuchen, die Waffe zu entnehmen/verstauen, laden/entladen und an-/abzulegen) an den Tagen, an denen er tatsächlich gearbeitet und das dienstliche Waffenschließfach genutzt hat, durch Zurücklegen der Umwegezeiten zwischen seiner Wohnung in der Hstraße, B und dem Dienstantrittsort in der Astraße, B sowie durch das Aufsuchen des Waffenschließfachs, das Laden und Entladen sowie das Anlegen und Ablegen der Dienstwaffe, zu vergüten,
        
5.    
festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die vom Kläger seit dem 28. September 2018 zusätzlich erbrachte Arbeitszeit im Umfang von 26 Minuten je einfacher Wegstrecke (16 Minuten für den Umweg zum Waffenschließfach und zehn Minuten, um das Waffenschließfach aufzusuchen, die Waffe zu entnehmen/verstauen, laden/entladen und an-/abzulegen) an den Tagen, an denen er tatsächlich gearbeitet und das dienstliche Waffenschließfach genutzt hat, durch Zurücklegen der Umwegezeiten zwischen seiner Wohnung A, H und dem Dienstantrittsort in der Astraße, B sowie durch das Aufsuchen des Waffenschließfachs, das Laden und Entladen sowie das Anlegen und Ablegen der Dienstwaffe, zu vergüten.
7
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt. Es hat die Auffassung vertreten, Wegezeiten seien unabhängig davon, wo sich der Kläger umziehe und rüste, nicht zu vergüten. Dies gelte auch, wenn der Kläger in Uniform den Arbeitsweg zurücklege.
8
Das Arbeitsgericht hat das beklagte Land zu einer Zeitgutschrift auf dem für den Kläger geführten Arbeitszeitkonto verurteilt, im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Soweit für die Revision von Bedeutung, hat das Landesarbeitsgericht auf die Berufung des Klägers – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen – eine Vergütungspflicht des beklagten Landes von Umwegezeiten zum dienstlichen Waffenschließfach und für Zeiten des Aufsuchens des Waffenschließfachs, des Ladens und Entladens sowie An- und Ablegens der Dienstwaffe seit dem 1. Mai 2017 für die Tage, an denen er tatsächlich gearbeitet hat, festgestellt. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision die Feststellung der Vergütungspflicht von Wegezeiten zwischen Wohnsitz und Einsatzort bzw. Dienstantrittsort und Schutzobjekt weiter. Das beklagte Land begehrt mit seiner Revision weiterhin die Abweisung der Klage.


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