Arbeitsrecht

Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Pflichtverletzung: Bestreiten der Voraussetzungen eines wirksamen Betriebsratsbeschlusses mit Nichtwissen

Aktenzeichen  5 BV 92/15

Datum:
14.1.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 131631
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BetrVG § 23 Abs. 1 S. 1
ZPO § 80, § 81

 

Leitsatz

1. Die vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsätze, nach denen ein Arbeitgeber die nicht näher dargelegten tatsächlichen Voraussetzungen eines wirksamen Betriebsratsbeschlusses mit Nichtwissen bestreiten kann, und er, trägt der Betriebsrat die Einhaltung der Voraussetzungen im Einzelnen und unter Beifügung von Unterlagen vor, darlegen muss, in welchen einzelnen Punkten und weshalb die Behauptungen des Betriebsrats dennoch unrichtig sein sollen, können auf ein Beschlussverfahren, an dem der Betriebsrat und eines seiner Mitglieder beteiligt sind, nicht übertragen werden, weil das Betriebsratsmitglied anders als der Arbeitgeber regelmäßig Kenntnis von der dem Beschlussverfahren zugrunde liegenden Beschlussfassung hat (Abgrenzung zu BAG BeckRS 2004, 40841). (Rn. 13 – 14) (red. LS Alke Kayser)
2. Bleibt ein Betriebsratsmitglied von den Betriebsratssitzungen unentschuldigt fern oder nimmt es an den Abstimmungen im Betriebsrat nicht teil, kann dies als grobe Pflichtverletzung iSd § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG grundsätzlich seinen Ausschluss aus dem Betriebsrat rechtfertigen. Ein Ausschluss kann aber nur erfolgen, wenn der Auszuschließende durch ein ihm anrechenbares Verhalten die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats ernstlich bedroht oder lahmgelegt hat (hier verneint; anders ArbG Augsburg BeckRS 2017, 148107 Rn. 21). (Rn. 17) (red. LS Alke Kayser)

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Der Antragsteller beantragt den Ausschluss des Beteiligten zu 2) aus dem Betriebsrat gem. § 23 Abs. 1 BetrVG.
Die Beteiligte zu 3) ist ein Großhandelsunternehmen, welches Gastronomie- und Hoteleriebetriebe mit Lebensmitteln und allgemeinem Restaurant- und Hoteleriebedarf ausstattet.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1) ist der bei der Beteiligten zu 3) gebildete 11-köpfige Betriebsrat, der Antragsgegner und Beteiligte zu 2) ist Mitglied dieses Betriebsrates. Von April 2014 bis Februar 2015 war der Antragsgegner u.a. Mitglied im Wirtschaftsausschuss, Schriftführer und freigestelltes Mitglied des Antragstellers sowie Mitglied des Gesamtbetriebsrats und des Konzernbetriebsrats. Zuletzt war der Antragsgegner BEM-Beauftragter des Antragsstellers.
Der Antragsteller trägt vor, der Betriebsrat habe in seiner Sitzung am 22.07.2015 durch Mehrheitsbeschluss die Einleitung eines Ausschlussverfahrens nach § 23 Abs. 1 BetrVG gegen den Antragsgegner beschlossen.
Der Antragsteller trägt weiter vor, der Antragsgegner fehlte trotz ordnungsgemäßer Ladung im Zeitraum vom 25. Februar bis 22. Juli 2015 an insgesamt 12 Betriebsratssitzungen unentschuldigt (Bl. 4, 29 d.A.). Auch nach Einleitung des vorliegenden Verfahrens sei der Antragsgegner trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zu den weiteren Betriebsratssitzungen erschienen und habe sich hierfür auch nicht entschuldigt. Am 10. Juni 2015 habe er trotz Anwesenheit nicht an den Beschlüssen des Betriebsrats teilgenommen.
Der Beteiligte zu 1) beantragt:
Der Antragsgegner … wird aus dem Betriebsrat ausgeschlossen.
Der Beteiligte zu 2) beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antragsgegner rügt den Vortrag des Antragstellers zur unentschuldigten Abwesenheit als unsubstantiiert und bestreitet, dass der Antragsgegner am 10. Juni 2016 trotz Anwesenheit an einer Beschlussfassung nicht teilgenommen habe (Bl. 21 d.A.).
Er bestreitet weiter mit Nichtwissen, dass der Antragsteller am 22.07.2015 in einer ordnungsgemäß einberufenen Sitzung, zu der alle Betriebsratsmitglieder unter Angabe der Tagesordnungspunkte ordnungsgemäß geladen worden sind, durch Beschlussfassung mit der Mehrheit der Stimmen die Einleitung des vorliegenden Verfahrens zum Ausschluss des Antragstellers und die Beauftragung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers mit der Vertretung beschlossen habe (Bl. 23 d.A.).
Im Übrigen wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Der Antrag war zurückzuweisen, da nach Auffassung der Kammer die behaupteten Verstöße des Antragsgegners nicht die strengen Voraussetzungen für eine grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 1 BetrVG erfüllen.
1. Der Antrag des Betriebsrats ist nicht wegen nicht ordnungsgemäßer Beschlussfassung des Betriebsrats zur Beauftragung seines Verfahrensvollmächtigten mit der Durchführung des vorliegenden Beschlussverfahrens unzulässig.
Für die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch den Betriebsrat mit der Durchführung eines Beschlussverfahrens bedarf es einer nach außen wirksamen Vollmachtserteilung nach §§ 80, 81 ZPO und einer wirksamen internen Beschlussfassung des Gremiums (BAG 09.12.2003 – 1 ABR 44/02, AP BetrVG 1972 § 33 Nr. 1). Die ordnungsgemäße Bevollmächtigung des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats i.S.d. § 80, 81 BetrVG ist vorliegend nicht gerügt worden. Der Antragsgegner hat jedoch ausdrücklich bestritten, dass der Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens ein wirksamer Beschluss des Betriebsrats zugrunde gelegen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes kann ein Arbeitgeber die nicht näher dargelegten tatsächlichen Voraussetzungen eines wirksamen Betriebsratsbeschlusses mit Nichtwissen bestreiten. Der Betriebsrat hat dann die Einhaltung der Voraussetzungen im Einzelnen unter Beifügung von Unterlagen vorzutragen, darauf muss der Arbeitgeber darlegen, in welchen einzelnen Punkten und weshalb die Behauptungen des Betriebsrats dennoch unrichtig sein sollen (BAG 09.12.2003, a.a.O.).
Diesen Anforderungen wird der pauschale Vortrag des Antragstellers nicht gerecht. Die Kammer vertritt jedoch die Auffassung, dass die vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsätze auf ein Beschlussverfahren; an dem der Betriebsrat und eines seiner Mitglieder beteiligt sind nicht übertragen werden können. Denn der Antragsgegner hat als Betriebsratsmitglied anders als der Arbeitgeber regelmäßig Kenntnis von der dem Beschlussverfahren zugrunde liegenden Beschlussfassung. Damit ist für ein Bestreiten mit Nichtwissen regelmäßig kein Raum. Von einem Betriebsratsmitglied kann erwartet werden, dass es Mängel der Beschlussfassung konkret rügt oder jedenfalls darlegt, warum ihm bezüglich der Beschlussfassung die erforderliche Kenntnis fehlt.
2. Gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG kann ein Betriebsratsmitglied aus dem Betriebsrat ausgeschlossen werden, wenn es seine gesetzlichen Pflichten grob verletzt. Mit den gesetzlichen Pflichten sind die Amtspflichten des Betriebsratsmitglieds gemeint, das heißt diejenigen Pflichten, die sich aus dem Betriebsverfassungsrecht ergeben (BAG 05.09.1947 – 1 ABR 1/67, juris; LAG Düsseldorf 23.01.2015 – 6 TaBV 48/14, juris). Dabei muss die Pflichtverletzung grob, nämlich objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend sein. Eine grobe Verletzung der Pflichten kann nur angenommen werden, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die weitere Amtsausübung des Betriebsrats untragbar erscheint (BAG 22.06.1993 – 1 ABR 62/92, juris). Der Ausschluss kann nur erfolgen, wenn der Auszuschließende durch ein ihm anrechenbares Verhalten die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats ernstlich bedroht oder lahmgelegt hat (BAG 05.09.1947 – 1 ABR 1/67, a.a.O.).
Die dargestellten strengen Voraussetzungen an einen Ausschluss aus dem Betriebsrat sind nach Auffassung der Kammer auch nach den Behauptungen des Antragstellers nicht gegeben.
Zwar gehört es zu den Pflichten eines Betriebsratsmitglieds, dass es an den Sitzungen des Betriebsrats teilnimmt (Richardi, § 23 BetrVG, Rdnr. 17). Daher kommt ein ständiges unentschuldigtes Fernbleiben von der Betriebsratssitzung oder die Nichtteilnahme an Abstimmungen im Betriebsrat als grobe Pflichtverletzung i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG grundsätzlich in Betracht (Fitting § 23 BetrVG, Rdnr. 19). Weitere Voraussetzung ist jedoch nach Auffassung der Kammer entsprechend der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass durch das Verhalten des Betriebsratsmitglieds die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats ernstlich bedroht oder lahmgelegt wird. Denn das arbeitsgerichtliche Erkenntnisverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG ist nicht auf Sanktionen gegen das Betriebsratsmitglied gerichtet (Hessisches LAG – 9 TaBV 17/13, juris), es sichert vielmehr die gesetzmäßige Durchführung der Betriebsverfassung.
Der Antragsteller hat jedoch nicht vorgetragen, noch ist ersichtlich, dass durch das behauptete ständige unentschuldigte Fernbleiben des Antragsgegners die Funktionsfähigkeit des 11-köpfigen Betriebsrats ernstlich bedroht oder gar lahmgelegt wird.
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass ein ständiges unentschuldigtes Fernbleiben eines Betriebsratsmitglieds nicht dazu geeignet ist, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Betriebsrat zu fördern. Mangels gravierender Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats sieht sie jedoch die Voraussetzungen nicht erfüllt, unter denen das Gericht im Rahmen des Verfahrens nach § 23 Abs. 1 BetrVG in die demokratisch legitimierte Zusammensetzung des Gremiums eingreifen kann.
Das Verfahren ist gemäß § 2 Abs. 2 GKG kostenfrei.
Gegen diesen Beschluss kann der Antragsteller Beschwerde beim Landesarbeitsgericht München gemäß nachfolgender Rechtsbehelfsbelehrung einlegen.


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