Arbeitsrecht

Außerordentliche Verdachtskündigung – Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit

Aktenzeichen  1 Sa 484/21

Datum:
22.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 1. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LAGRLP:2022:0422.1SA484.21.00
Normen:
Spruchkörper:
undefined

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Koblenz, 4. November 2021, 5 Ca 98/20, Urteil

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 04.11.2021, Az. 5 Ca 98/20, teilweise abgeändert und der Tenor zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.109,90 EUR brutto abzüglich am 29.05.2020 gezahlter 298 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2020 zu zahlen.
2. Im Übrigen werden Klage und Widerklage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die erstinstanzlichen Kosten tragen der Kläger zu 69% und die Beklagte zu 31%. Die Kosten der Berufung tragen die Beklagte zu 52% und der Kläger zu 48%.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 00.00.1968 geborene, ledige und keinen Unterhaltspflichten unterfallende Kläger ist seit dem 01.06.2009 bei der Beklagten im Bereich Lagerabwicklung/Lagerverwaltung auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 28.05.2009 (Bl. 11 ff. d.A.) zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.623,50 EUR beschäftigt. Die Beklagte ist ein auf den Handel mit Babyprodukten spezialisiertes Unternehmen und vertreibt diese u.a. über ein Ladengeschäft an ihrem Sitz sowie online.
Von Mitte Oktober 2018 bis 31.03.2020 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger nahm die Arbeit am 01.04.2020 wieder auf. Er wurde nicht an seinem bisherigen Arbeitsplatz im Lager eingesetzt, sondern erhielt kurzfristig anfallende Sonderaufgaben. Vom 20.04.2020 bis zum 09.05.2020 war der Kläger erneut krankgeschrieben, der 10.05.2020 fiel auf einen Sonntag. Nachdem der Kläger vom 11.05.2020 bis zum 13.05.2020 einschließlich seine Arbeitsleistung erbracht hatte, nahm er auch am Morgen des 14.05.2020 seine Arbeit zunächst auf. Die Mitarbeiterin der Beklagten Frau K.-P. legte dem Kläger eine schriftliche Arbeitsanweisung für diesen Tag vor (auf Bl 107 d. A. wird verwiesen), wonach der Kläger für eine Werbeaktion bei Altkunden Kataloge mit Kundenadressen und voraussichtlichem Gutscheinwert versehen sowie diese Daten und die Summe der Gutscheinwerte in einer Excel-Tabelle erfassen sollte. Er äußerte daraufhin gegenüber Frau K.-P.: “wer denkt sich denn einen solchen Unsinn aus? Das kann man auch einfach mit einem PC machen.” Nach einem Wortwechsel mit der Mitarbeiterin meldete der Kläger sich bei ihr wegen Magenbeschwerden ab und verließ seinen Arbeitsplatz. Mit E-Mail vom gleichen Tag teilte der Kläger sodann um 13.47 Uhr (auf Bl. 109 d.A. wird verwiesen) mit, dass er bis zum 27.05.2020 krankgeschrieben worden sei. Hierüber verhält sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. med. D. vom 14.05.2020 (Bl. 153 d.A.), die als Erstbescheinigung ausgestellt ist und unter Diagnose angibt „Z60G“. Dieser ICD-Code ist wie folgt beschrieben:
Kontaktanlässe mit Bezug auf die soziale Umgebung
Inkl.:
Alleinlebende Person
Anpassungsprobleme an die Übergangsphasen im Lebenszyklus
Atypische familiäre Situation
Empty nest syndrome
Schwierigkeiten bei der kulturellen Eingewöhnung
Soziale Ausgrenzung oder Ablehnung
Zielscheibe feindlicher Diskriminierung und Verfolgung
Unter dem 14.06.2021 stellte Herr Dr. med. D. eine Ärztliches Attest folgenden Wortlauts aus (Bl. 239 d.A.):
„Herr K. stellte sich am 14.05.202 über meine täglich stattfindende Akutsprechstunde vor und berichtete, dass er heute auf seiner Arbeitsstelle Listen, die er von Hand habe aufnehmen müssen, nun in Excel Tabellen überführen müsse. Die vom Arbeitgeber zugeteilten Arbeiten dienten einzig und allein dazu, ihn zu schikanieren. Bereits in den zurückliegenden Wochen habe er mit der Faust in der Tasche auf seiner Arbeitsstelle gesessen und sich ermahnen müssen, keine Dummheiten zu machen. Er sei innerlich aufgewühlt, die linke Halsschlagader schmerze und er verspüre ein Druckgefühl im Brustkorb. Entspannung finde er durch Spaziergänge durch die Weinberge. Ein am gleichen Tag durchgeführtes EKG und eine laborchemische Schnelltestung auf das Vorliegen kardialer Marker ergab einen unauff. Status.
Zum Konsultationszeitpunkt befand sich Herr K. in einer massiven physischen und psychischen Spannungssituation mit Ausbildung somatischer Störungsmuster, die eine rasche Distanzierung vom potentiell verursachenden Arbeitsmilieu erforderlich machte, was durch die Attestierung der Arbeitsunfähigkeit für den Zeitraum 14.05. bis 27.05.2021 erfolgte. Als Diagnose wurde die ICD 10 Z60 (Mobbing) verwendet.
Herrn K. wurde explizit empfohlen, sich sportlich und körperlich in der freien Natur zu bewegen, da dies nachgewiesenermaßen eine bessere Effektivität als medikamentöse Therapiestrategien hat und zu einem Abbau der Stresshormone führt.”
Ab dem 28.05.2020 attestierte die ärztliche Urlaubsvertretung des Dr. med. D. mit Arbeitsunfähigkeitserstbescheinigung gleichen Datums (Bl. 154 d.A.) bis zum 12.03.2020.mit der Diagnose M54.5 G Arbeitsunfähigkeit.
Die Beklagte engagierte eine private Detektei, welche den Kläger in der Zeit vom 15.05.2020 bis zum 21.05.2020 observierte. In dieser Zeit zeigte der Kläger folgende Aktivitäten, über welche die beauftragte Detektei die Beklagte jeweils unterrichtete:
Am 18.05.2020 besuchte der Kläger zwischen 15.30 Uhr und 16.15 Uhr die Bar “Killybegs Irish Pub” in A-Stadt und hielt sich dort an der Theke auf. Zuvor hatte er in einem Einkaufszentrum zwischen 13.36 Uhr und 13.58 Uhr Einkäufe erledigt.
Am 20.05.2020 hielt sich der Kläger zwischen 17.30 Uhr und 18.30 Uhr an einem Tisch im Biergarten des “Killybegs Irish Pubs” auf und hatte zuvor zwischen 16.30 Uhr und 16.50 Uhr Erledigungen in der Innenstadt getätigt. Nach dem Pub-Besuch polierte der Kläger auf dem Stellplatz vor seinem Wohnhaus ca. 15 Minuten seinen PKW.
Am 21.05.2020 lief der Kläger mit seiner Lebensgefährtin zu Fuß in die Innenstadt und hielt sich zwischen 19.15 Uhr und 23.15 Uhr erneut im Biergarten des “Killybegs Irish Pub” auf.
Die Detektei hat der Beklagten für die Überwachung des Klägers insgesamt 14.633,70 EUR exklusive Mehrwertsteuer in Rechnung (Bl. 122 d.A.) gestellt. Die Beklagte hat die Rechnung beglichen.
Mit Schreiben vom 27.05.2020 hörte die Beklagte den Kläger zu dem Vorwurf der Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit an und setzte dem Kläger eine Frist zur Beantwortung bis zum 02.06.2020 12.00 Uhr.
Das Schreiben lautet auszugsweise (auf Bl. 110 ff. d.A. wird im Übrigen verwiesen):
” (…) wir müssen Sie bitten, einen Sachverhalt gemeinsam mit uns aufzuklären, bei dem sich derzeit ein Verdacht ergeben könnte, der den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses beträfe.
Am 14.05.2020 versuchte Ihre Kollegin Frau K.-P. Ihnen Ihre Aufgabe für die nächste Zeit zu erläutern (…) Nachdem Frau K.-P. Ihnen die entsprechende Arbeitsanweisung vorgelegt und erläutert hatte, beschwerten Sie sich zunächst über die Aufgabe mit den Worten “wer denkt sich denn so einen Unsinn aus” und wiesen dann noch darauf hin, dass die Aufgabe auch mit einem PC zu erledigen wäre. Danach sagten Sie plötzlich und ohne vorher erkennbare Symptome oder Signale, dass es Ihnen jetzt nicht gut ginge, Sie es “mit dem Magen” hätten und zum Arzt müssten. Sie verließen daraufhin den Arbeitsplatz und das Ladengeschäft (…)
Wir möchten Sie mit den folgenden Beobachtungen während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit konfrontieren:
Am 18.05.2020 besuchten Sie in der Zeit zwischen etwa 15.30 Uhr und 16.15 Uhr die Bar “Killybegs Irish Pub” in der Hauptstraße 84 in A-Stadt und hielten sich dort an der Theke auf.
Auch am 20.05.2020 wurden Sie in der o.g. Bar gesehen, wie Sie sich dort in der Zeit von etwa 17.30 Uhr bis 18.30 Uhr mit mehreren Männern an einem Tisch trafen und dort augenscheinlich Alkohol konsumierten.
Auch am 21.05.2020 hielten Sie sich in der Zeit zwischen etwa 19.15 Uhr bis 23.15 Uhr in dem Irish Pub (…) auf und konsumierten augenscheinlich in einer Gruppe von etwa 10 bis 15 Personen Bier und Cocktails.
Zur Arbeit sind Sie weder am 22. noch am 25.05.2020 erschienen. Gleichzeitig hatten Sie zunächst für die Zeit vom 18.05.2020 und per Anwaltsschreiben vom 22.05.2020 für die Zeit ab dem 28.05.2020 Urlaub beantragt. Unter Hinzunahme der oben geschilderten Beobachtungen haben wir auf der aktuellen Tatsachengrundlage den Verdacht, dass Sie die per Bescheinigung vom 14.05.2020 attestierte Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht haben und tatsächlich nicht infolge Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert waren. Damit verbunden wäre der Versuch, sich zu Unrecht Entgeltfortzahlungsleistungen zu erschleichen (…).
Wir möchten sie bitten, zu den vorstehenden Sachverhalten Stellung zu nehmen (…).
Sollten Sie sich nicht einlassen (was Ihnen selbstverständlich ebenfalls frei-steht), müssten wir nach derzeitigem Beurteilungsstand zu der Überzeugung kommen, dass Sie sich in grober Weise arbeitsvertragswidrig verhalten haben. (…) müssten (wir) zusätzlich den Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung erwägen. (…)”
Der Kläger erwiderte mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 29.05.2020 (Bl. 113 d.A.), die Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage.
Nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis zunächst mit Schreiben vom 29.04.2020 aus betriebsbedingten Gründen zum 31.08.2020 gekündigte hatte, kündigte sie mit Schreiben vom 03.06.2020, dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, wegen des Verdachts des Vortäuschens von Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2020 (Bl. 36 d.A. im später mit dem vorliegenden Verfahren verbundenen Verfahren ArbG Koblenz, Az. 5 Ca 1584/20).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie der wechselseitigen Behauptungen der Parteien erster Instanz wird im Übrigen Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils.
Soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, hat der Kläger erstinstanzlich beantragt,
1. – 4. ……
5. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 03.06.2020, zugestellt am gleichen Tag, und auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist,
6. ……
7. ……
8. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.623,50 EUR brutto, abzüglich am 29.05.2020 gezahlter 298,60 EUR netto, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2020 zu zahlen;
9. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.494,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.623,50 EUR seit dem 01.07.2020, aus EUR 2.623,50 EUR seit dem 01.08.2020, aus 2.623,50 EUR seit dem 01.09.2020 und aus 2.623,50 EUR seit dem 01.10.2020 abzüglich bereits gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 4.003,06 EUR netto zu zahlen
Die Beklagte hat erstinstanzlich neben Abweisung der Klage im Wege der Widerklage beantragt,
1. den Kläger zu verurteilen, an sie 14.633,70 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. hilfsweise für den Fall, dass der Kläger mit seinem Antrag zu 5. obsiegen sollte, den Kläger zu verurteilen, ihr in Textform Auskunft zu erteilen über seine Einkünfte aus seit dem 03.06.2020 ausgeübten selbständigen oder nichtselbständigen Tätigkeiten sowie unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung in Euro darüber, welche Arbeitsplatzangebote und Vermittlungsvorschläge ihm durch die Bundesagentur für Arbeit – Agentur für Arbeit T. und/oder das Jobcenter Landkreis A. seit dem 03.06.2020 unterbreitet worden sind.
Der Kläger hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Soweit für das Berufungsverfahren relevant, hat das Arbeitsgericht Koblenz nach Vernehmung der Zeugen Dr. med. D., Frau K.-P., Frau W., und Herrn J. (Protokoll der Sitzung vom 30.09.2021, Bl. 274 ff. d.A.) mit Urteil vom 4.11.2021 für Recht erkannt:
1. a. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 03.06.2020 weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst worden ist.
b. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.623,50 EUR brutto abzüglich am 29.05.2020 gezahlter 298 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2020 zu zahlen
c. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
– 2.623,50 EUR brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe von 899,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2020,
– 2.623,50 EUR brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe   von 1.034,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2020 und
– 2.623,50 EUR brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeld in Höhe von 1.034,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2020
zu zahlen.
d. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. a. Der Kläger wird verurteilt, der Beklagten in Textform Auskunft zu erteilen unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung in Euro darüber, welche Arbeitsplatzangebote und Vermittlungsvorschläge ihm durch die Bundesagentur für Arbeit – Agentur für Arbeit T. und/oder das Jobcenter Landkreis A. seit dem 03.06.2020 unterbreitet worden sind.
b. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht -zusammengefasst- ausgeführt:
Es hätten sich keine Tatsachen feststellen lassen, auf die sich ein Verdacht des Vortäuschens von Arbeitsunfähigkeit gründen lasse. Vielmehr schließe der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14.05.2020 einen solchen Verdacht aus. Der Beweiswert dieser Bescheinigung sei nicht erschüttert. Die Beklagte habe Tatsachen, die zu einer Erschütterung des Beweiswerts führen könnten, nicht dargelegt bzw. nicht bewiesen. Hinsichtlich des Vorfalls am 14.05.2020 begründeten die Äußerungen des Klägers gegenüber der die Arbeitsanweisung übermittelnden Zeugin Frau K.-P., keine derartigen Zweifel. Eine aus Sicht des Gegenübers möglicherweise plötzliche Offenbarung einer Erkrankung vermöge nicht per se Zweifel an dieser zu erwecken, da nicht alle Erkrankungen, so auch die seitens des Klägers angegebenen Magenbeschwerden bzw. die später diagnostizierte Fortsetzung der depressiven Episode, sich über körperliche Anzeichen wahrnehmen ließen. Auch die Beobachtungen der Detektei begründete keine ernsthaften Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit. Die beobachteten Alltagsgeschäfte bzw. Freizeitbeschäftigungen seien mit einer Erkrankung bzw. einer hierauf beruhenden Arbeitsunfähigkeit nicht schlicht unvereinbar. Dem Kläger sei weder Bettruhe verordnet worden, noch habe es sich um besonders anstrengende Tätigkeiten gehandelt. Ob die Angabe der Diagnose der Kategorie Z Zweifel begründe, könne offenbleiben, da die Vernehmung des attestierenden Arztes ergeben habe, dass dieser die Arbeitsunfähigkeit nicht allein auf einer in die Kategorie Z fallenden Diagnose festgestellt habe. Der Zeuge habe die Behauptung der Beklagten, eine Arbeitsunfähigkeit sei aufgrund der Diagnose der Z-Kategorie nicht feststellbar gewesen, nicht bestätigt.
Damit bestehe auch ein Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers für den Monat Mai 2020 wegen einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung. Die Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung sei durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14.05.2020, deren Beweiswert ja nicht erschüttert sei, belegt.
Da das Arbeitsverhältnis nicht bereits aufgrund der Kündigung vom 03.06.2020 aufgelöst worden sei, habe der Kläger auch einen Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung für den Zeitraum Juni bis August 2020.
Ein Anspruch der Beklagten auf Schadensersatz wegen der aufgewendeten Detektivkosten scheide aus. Ein Anlass für die Beauftragung der Detektei habe nicht bestanden, da die Äußerungen des Klägers am 14.05.2020 gegenüber der Mitarbeiterin K.-P. nicht geeignet gewesen seien, einen konkreten Verdacht des Vortäuschens von Arbeitsunfähigkeit zu begründen.
Gegen dieses ihr am 30.11.2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 28.12.2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der gem. Beschluss vom 25.01.2022 bis zum 28.02.2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 25.02.2022, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, begründet.
Mit dem genannten Schriftsatz, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 368 ff. d.A.), macht die Beklagte zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen geltend:
Die Kündigung vom 03.06.2020 habe das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang aufgelöst, jedenfalls aber nach Ablauf der Kündigungsfrist beendet. Das Arbeitsgericht habe die Anforderungen an die Darlegung für die Gründe für eine Verdachtskündigung überspannt und vielmehr geprüft, ob im Sinne einer Tatkündigung feststehe, dass der Kläger die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht habe. Ausgehend davon, dass der Kläger als Grund für den Arztbesuch am 14.05.2020 Magenbeschwerden angegeben habe, das von der Detektei beobachtete Verhalten mit solchen Beschwerden nicht vereinbar sei, der Kläger diese Verdachtsmomente auch nicht im Rahmen der Anhörung habe entkräften können und auch schon früher als Reaktion auf unliebsame Arbeitsanweisungen Arbeitsunfähigkeit angekündigt bzw. angedroht habe, habe ein dringender Verdacht des Vortäuschens der Arbeitsunfähigkeit bestanden, um sich einer missliebigen Arbeitsanweisung zu entziehen. Im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts sei der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14.05.2020 ganz erheblich erschüttert. Diese sei unter Verstoß gegen die AU-Richtlinien ausgestellt worden, weise schon keine als Krankheit zu wertende Diagnose auf und sei unter Verkennung der Voraussetzungen für eine durch Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit erstellt worden. Dies ergäbe ich insbesondere auch durch den Inhalt der Aussage des erstinstanzlich als Zeugen vernommenen Arztes.
Infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestünden auch keine Vergütungsansprüche für die Monate Juni bis August 2020. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch für den Monat Mai 2020 bestehe wegen der Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14.05.2020 nicht. Diese Erschütterung erstrecke sich auch auf die ab dem 28.05.2020 attestierte Arbeitsunfähigkeit.
Da die Beobachtungen der zu Recht eingeschaltete Detektei den Kläger einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt hätten, sei dieser nach § 280 Abs. 1 BGB auch verpflichtet, die mit der Widerklage geltend gemachten Detektivkosten zu tragen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 04.11.2021, Az. 5 Ca 98/20, teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen sowie den Kläger auf die Widerklage hin zu verurteilen, an die Beklagte 14.633,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Widerklage zu zahlen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil mit seinem Berufungserwiderungsschriftsatz mit Datum vom 30.03.2022, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 392 ff. d.A.), als zutreffend.
Entgegen dem Sachvortrag der Beklagten habe er keineswegs auch schon zuvor mehrmals auf Arbeitsanweisungen mit einer Ankündigung bzw. Androhung von Arbeitsunfähigkeit reagiert. Auch habe nicht ein Scheitern von Vergleichsgesprächen, sondern das Ende der Krankheit zur Arbeitsaufnahme ab dem 01.04.2020 geführt. Es stelle auch nichts Ungewöhnliches dar, wenn eine Auseinandersetzung über die Sinnhaftigkeit einer Arbeitsanweisung zu einem unguten Gefühl im Magenbereich führe. Er habe während seiner Erkrankung auch keinen Alkohol getrunken. Der erstinstanzlich vernommene Arzt habe die Arbeitsunfähigkeit als erfahrener Arzt eindeutig bestätigt. Da das Arbeitsverhältnis damit wie zutreffend vom Arbeitsgericht erkannt erst zum 31.08.2020 geendet habe, sei bis zu diesem Zeitpunkt auch der Lohn zu zahlen. Mit zutreffender Begründung habe das Arbeitsgericht auch den mit der Widerklage geltend gemachten Schadensersatzanspruch hinsichtlich von Detektivkosten verneint.
Im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist an sich statthaft nach § 64 Abs. 1 und 2 c) ArbGG. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO.
B.
In der Sache hat die Berufung der Beklagten teilweise Erfolg. Die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 03.06.2020 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst (I.). Entgelt bzw. Entgeltfortzahlungsansprüche des Klägers für den Monat Mai bestehen nicht in der vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Höhe (II.). Vergütungsansprüche des Klägers für den Zeitraum Juni bis August 2020 sind nicht gegeben (III.). Die Berufung bleibt ohne Erfolg, soweit die Beklagte mit ihr einen Anspruch auf Erstattung von Detektivkosten weiterverfolgt (IV.).
I.
Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 03.06.2020 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Die Voraussetzungen einer außerordentlichen Verdachtskündigung sind erfüllt.
1.
Nicht nur das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit kann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer solch erheblichen Pflichtverletzung ist „an sich“ als Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet (vgl. nur BAG 29.06.2017 -2 AZR 597/16-Rn. 15 ff., juris).
Zur Beantwortung der Frage, ob ein auf konkrete Tatsachen gestützter dringender Verdacht besteht, sind dabei nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten Tatsachen von Bedeutung. Es sind auch solche später bekannt gewordenen Umstände zu berücksichtigen, die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken. Dies gilt zumindest dann, wenn sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen. Der Arbeitgeber kann verdachtserhärtende Tatsachen in den Prozess einführen, die ihm erst nachträglich bekannt geworden sind, der Arbeitnehmer solche, die den Verdacht entkräften (BAG 23.10.2014 -2 AZR 644/13-, Rn. 21, juris). Einer ergänzenden Anhörung des Arbeitnehmers bedarf es dabei nicht (BAG 23.05.2013 -2 AZR 102/12-, Rn. 28 ff., juris).
2.
Vorliegend bestand ein dringender, auf objektive Tatsachen gestützter Verdacht, dass der Kläger die ab dem 14.05.2020 attestierte Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht hat. Der Verdacht bezieht sich damit auf eine gravierende, schwerwiegende Vertragspflichtverletzung.
a)
Für diesen Verdacht spricht zunächst schon, dass die behauptete Arbeitsunfähigkeit in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erteilung einer dem Kläger missliebigen Arbeitsanweisung erfolgte. Wie sich aus der Aussage der erstinstanzlich vernommenen Zeugin K.-P. ergibt, wurde dem Kläger eine auch schriftlich fixierte Arbeitsanweisung im Zusammenhang mit einer Werbeaktion der Beklagten erteilt, die der Kläger als unsinnig erachtete, um sich sodann im weiteren Verlauf krank zu melden und einen Arzt aufzusuchen. Begründet hat er dies mit Magenbeschwerden. Er hatte vor Erteilung der Anweisung nicht auf das Bestehen von Beschwerden hingewiesen. Dies begründet den Verdacht, dass der Kläger sich mit dem Mittel der behaupteten Arbeitsunfähigkeit der Erfüllung der ihm zugewiesenen, aber von ihm als unsinnig angesehenen Arbeitsaufgabe entziehen wollte.
Dieser Verdacht erhärtete sich durch nachträglich bekannt gewordene, zum Zeitpunkt der Kündigung aber objektiv vorliegende Umstände. Diese ergeben sich aus der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, dem ärztlichen Attest mit Datum vom 14.06.2021 sowie der Aussage des erstinstanzlich vernommenen Arztes, der die Arbeitsunfähigkeit attestierte.
Der Kläger gab gegenüber Frau K.-P. an, er habe Magen- bzw. Bauchschmerzen. Diese Symptomschilderung steht schon nicht in Einklang mit den Symptomen, die der Kläger nach dem ärztlichen Attest des Dr. D. vom 14.06.2021 gegenüber dem Arzt schilderte. Diesem gegenüber gab der Kläger danach an, unter Schmerzen der Halsschlagader und einem Druckgefühl im Brustkorb zu leiden, wobei nach dem genannten Attest nach Durchführung eines EKG und einer labortechnischen Schnelltestung keine objektivierbaren Befunde festgestellt wurden. Dem entspricht es, dass der Arzt auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14.05.2020 unter der Rubrik „Diagnosen“ einzig die Diagnose „Z60G“ vermerkte. Dieser Code kennzeichnet nach dem System der sog. ICD-Codes keine Krankheit, sondern „Kontaktanlässe mit Bezug auf die soziale Umgebung“, wobei nach den Erläuterungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (DIMDI) die Kategorie Z00-Z99, also auch der Code Z60 für Fälle vorgesehen sind, „in denen Sachverhalte als „Diagnosen“ oder „Probleme“ angegeben sind, die nicht als Krankheit, Verletzung oder äußere Ursache unter den Kategorien A00-Y89 klassifizierbar sind.“ (vgl. ICD-10-GM, Kapitel XXI in der hier maßgeblichen Fassung 2020, abrufbar unter www.dimdi.de). Damit fehlte es nach der ausgestellten Diagnose bereits an dem für die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit konstitutiven Merkmal der Krankheit.
Diese Angabe unter der Rubrik „Diagnose“ hat auch die Vermutung der Vollständigkeit für sich. Nach § 5 Satz 4 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 7 SGB V -Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie- sind in Übereinstimmung mit § 295 Abs. 1 SGB V auf der Bescheinigung alle Diagnosen zu vermerken.
Der Inhalt der Aussage des erstinstanzlichen vernommenen Arztes hat den bestehenden Verdacht nicht entkräftet, sondern eher bestärkt. Den Bekundungen lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger über eine Gefühlsregung hinaus an einer Krankheit litt. Der Arzt hat insoweit ausgeführt, dass solche Gefühlsregungen zu somatischen Beschwerden führen können, wobei aber objektivierbare somatische Beschwerden nicht festgestellt werden konnten. Wenn der Zeuge ausführt, er habe die „Z-Diagnose“ aus Zeitgründen stellvertretend für weitere Diagnosen angegeben und insoweit auf die mögliche Diagnose „psychovegetative Störung des kardiovaskulären Systems“ verweist, ist nicht nachvollziehbar, welche Störung überhaupt feststellbar gewesen sein soll und weshalb die Angabe dieser Diagnose zeitaufwändiger gewesen sein soll, als das Eintragen der Diagnose „Z 60 G“.
Die Beobachtungen, die die beauftragte Detektei getätigt hat, haben demgegenüber keine wesentlichen Verdachtsmomente erbracht. Weder ihrer Art nach noch nach deren zeitlichem Umfang handelte es sich um Aktivitäten, die unter Berücksichtigung der Tatsache, dass entgeltfortzahlungspflichtige Arbeitsunfähigkeit infolge einer Erkrankung nicht nur im Falle von Bettlägerigkeit vorliegen kann, den Schluss rechtfertigen, nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei der Kläger nicht arbeitsunfähig gewesen.
Soweit das Arbeitsgericht ausgeführt hat, ein Verdacht bestehe aufgrund des auch nach Beweisaufnahme nicht erschütterten Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14.05.2020 nicht, trifft dies aus den oben ausgeführten Gründen nicht zu. Die Umstände der Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sowie der Zusammenhang zwischen unliebsamer Arbeitsanweisung und behaupteter Arbeitsunfähigkeit führen zumindest zu einer erheblichen Erschütterung des Beweiswerts.
b)
Der demnach bestehende Verdacht war auch dringend.
Ein Verdacht ist dringend, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte (BAG 31. 01. 2019 – 2 AZR 426/18 –, Rn. 27, juris).
Der Kläger hat weder im Rahmen seiner Anhörung noch im vorliegenden Verfahren Umstände aufgezeigt, die für ein anderes Geschehen sprechen. Im Rahmen der Anhörung hat er lediglich pauschal darauf verwiesen, die Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage. Im vorliegenden Verfahren hat er geltend gemacht, die ärztlichen Feststellungen vom 14.05.2020 rechtfertige die Diagnose ICD 10 Z 60. Diese aber rechtfertigt wie ausgeführt nicht den Schluss, es habe Arbeitsunfähigkeit infolge einer Erkrankung bestanden.
3.
Die erforderliche Anhörung des Klägers vor Ausspruch der Verdachtskündigung ist ordnungsgemäß erfolgt.
Der Umfang der Anhörung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Einerseits muss sie nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden. Andererseits reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt (BAG 20.03.2014 -2 AZR 1037/12-, Rn. 24, juris).
Die Beklagte hat in ihrem Anhörungsschreiben vom 27.05.2020 den ihr seinerzeit bekannten Sachverhalt konkret geschildert, so dass es für den Kläger ohne weiteres erkennbar war, auf welche tatsächlichen Umstände die Beklagte ihren Verdacht stützt.
4.
Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht.
Die Verdachtskündigung ist keine verhaltensbedingte, sondern eine personenbedingte Kündigung. Es geht bei ihr darum, dass der Arbeitnehmer aufgrund des Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung und des damit einhergehenden Verlustes der für ein Arbeitsverhältnis vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit einen Eignungsmangel aufweist (BAG 31.01.2019 -2 AZR 426/18-, Rn. 21 ff., juris). Dieser kann durch eine Abmahnung nicht beseitigt werden.
Selbst wenn man annimmt, die Verdachtskündigung setze in Fällen, in der sich der Verdacht auf eine Pflichtwidrigkeit bezieht, die im Falle ihres Vorliegens eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen rechtfertigen kann und im Rahmen deren Prüfung auch zu entscheiden wäre, ob in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine vorherige Abmahnung erforderlich war, ebenfalls eine solche Prüfung erfordert (so etwa LAG Köln 07.07.2017 -4 Sa 936/16-, Rn. 74, juris), ergibt sich keine andere rechtliche Beurteilung.
Die Pflichtverletzung in Gestalt des Vortäuschens von Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum ab dem 14.05.2020, derer der Kläger dringend verdächtig ist, wiegt so schwer, dass eine Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich – und auch für den Kläger erkennbar – ausgeschlossen ist. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil der Kläger, träfe der Verdacht zu, damit zugleich zum Ausdruck brachte, sich im Rahmen des Direktionsrechts gegebener Anweisungen unter missbräuchlicher Inanspruchnahme von Entgeltfortzahlung zu entziehen, auch wenn kein nachvollziehbarer Anlass für die Missbilligung der Arbeitsanweisung besteht.
5.
Die Beklagte hat auch die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Abs. 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen eine Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne. Unerheblich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder nicht (BAG 20.03.2014 -2 AZR 1037/12-, Rn. 14, juris).
Erste Verdachtsmomente ergaben sich für die Beklagte nach Bekanntwerden des Vorfalls am 14.05.2020. Die Beklagte hat sodann unverzüglich weitere Ermittlungen durch Veranlassung der Beobachtung des Klägers durch die Detektei veranlasst. Diese durfte sie auch für erforderlich halten. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB begann daher jedenfalls nicht, bevor diese Ermittlungen abgeschlossen waren, also nicht vor dem 21.05.2020. Der Kündigungszugang am 03.06.2020 wahrte daher die Frist des § 626 Abs. 2 BGB.
6.
Die abschließende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Klägers aus. Das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt das Interesse des Klägers am Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.
Die Kammer hat zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass dieser zum Zeitpunkt der Kündigung bereits knapp 11 Jahre beschäftigt war. Weitere zugunsten des Klägers ins Gewicht fallende Gesichtspunkte liegen nicht vor. Der Kläger ist ledig und keinen Unterhaltspflichten ausgesetzt. Signifikante aufgrund des Alters typischerweise einhergehende Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt sind bei einem Lebensalter zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung von 51 Jahren nicht typischerweise zu erwarten.
Demgegenüber wiegt die Pflichtverletzung, deren der Kläger dringend verdächtig ist, so schwer, dass das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt. Läge die Pflichtverletzung vor, hätte der Kläger nicht nur vorsätzlich die Arbeitspflicht verletzt, sondern zugleich versucht, ohne Anspruch hierauf zu haben von der Beklagten durch Täuschung Entgeltfortzahlung zu erlangen und damit deren Vermögen vorsätzlich zu schädigen.
II.
Entgeltfortzahlungsansprüche des Klägers für den Monat Mai 2020 bestehen nicht in der vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Höhe, sondern nach § 3 Abs.1, § 4 Abs. 1 EFZG nur für den Zeitraum 01.05.-09.05.2020 und 28.05. – 31.05.2020.
Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts lag für den Zeitraum vom 20.04.2020 bis zum 09.05.2020 eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Der Beweiswert dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht erschüttert. Das Argument der Beklagten, eine Erschütterung folge bereits daraus, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wiederum von dem Arzt stamme, der zu Unrecht die Arbeitsunfähigkeit des Zeitraums ab 14.05.2020 attestiert habe, verfängt nicht. Einen Erfahrungssatz dahingehend, dass ein Arzt, der nachfolgend in einem Fall eine unzutreffende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt hat, nie ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstelle, gibt es nicht. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Zeitraums 28.05. – 31.05.2020 wurde im Übrigen nach den tatbestandlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils von einem anderen Arzt als Urlaubsvertretung ausgestellt.
Ausgehend von 26 Werktagen im Mai 2020 und dem monatlichen Gehalt in Höhe von 2.623,50 EUR brutto errechnet sich für die insgesamt 11 Werktage des genannten Zeitraums ein Betrag in Höhe von 1.109,90 EUR brutto. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.
Entgeltfortzahlungsansprüche für den Zeitraum 14.05. – 27.05.2020 bestehen hingegen nicht. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger in Folge von Krankheit an der Arbeitsleistung gehindert war. Auf die Ausführungen oben I. wird verwiesen.
III.
Die Berufung hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung von Vergütung für die Monate Juni bis August 2020 richtet.
a)
Unter dem Gesichtspunkt der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall besteht ein Anspruch nach § 3 Abs.1, § 4 Abs. 1 EFZG lediglich für den Zeitraum 01. -02.06.2020
In diesem Zeitraum war der Kläger ausweislich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 28.05.2020 (Bl. 154 d.A.) arbeitsunfähig erkrankt. Der Beweiswert dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht erschüttert. Das Argument der Beklagten, eine Erschütterung folge bereits daraus, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wiederum von dem Arzt stamme, der zu Unrecht die Arbeitsunfähigkeit des Zeitraums ab 14.05.2020 attestiert habe, verfängt schon deshalb nicht, da nach den tatbestandlichen Feststellungen des Arbeitsgerichts die Bescheinigung nicht von diesem, sondern durch dessen Urlaubsvertretung mit zudem einer anderen Diagnose (M54.5 G) ausgestellt wurde.
Ausgehend von 30 Werktagen im Juni 2020 und dem monatlichen Gehalt in Höhe von 2.623,50 EUR brutto errechnete sich für die 2 Werktage des genannten Zeitraums ein Betrag in Höhe von 174,90 EUR brutto.
Ein weitergehender Entgeltfortzahlungsanspruch besteht ungeachtet dessen, dass nach der genannten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Arbeitsunfähigkeit bis zum 12.06.2020 fortbestand, nicht. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung endete mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Voraussetzungen einer sog. Anlasskündigung nach § 8 Abs. 1 EFZG liegen nicht vor, da die Beklagte nicht aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit, sondern wegen des Verdachts des Vortäuschens der Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat.
Da der Kläger für den Monat Juni 2020 Arbeitslosengeld in einer den sich errechnenden Bruttobetrag von 174,90 EUR erheblich übersteigenden Höhe (899,86 EUR) erhalten hat, besteht kein Vergütungsanspruch mehr.
b)
Auch Annahmeverzugsvergütungsansprüche nach Ende der mit Bescheinigung vom 28.05.2020 attestierten Arbeitsunfähigkeit bestehen nicht, da die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 03.06.2020 mit ihrem Zugang am gleichen Tag das Arbeitsverhältnis beendete.
IV.
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Abweisung der Widerklage hinsichtlich der geltend gemachten Kosten der Beauftragung der privaten Detektei richtet.
1.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (ausführlich BAG 29.04.2021 -8 AZR 276/20-, Rn. 24 ff., juris) hat der Arbeitnehmer wegen der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten (§ 280 Abs. 1 BGB) dem Arbeitgeber die durch das Tätigwerden eines Detektivs entstandenen notwendigen Kosten zu ersetzen, wenn der Arbeitgeber aufgrund eines konkreten Tatverdachts einem Detektiv die Überwachung des Arbeitnehmers überträgt und der Arbeitnehmer letztlich aufgrund der Ermittlungen einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt wird. Insofern handelt es sich um keine Vorsorgekosten, die unabhängig von konkreten schadensstiftenden Ereignissen als ständige Betriebsausgabe vom Arbeitgeber zu tragen sind. Nach § 249 BGB erstreckt sich die Schadensersatzpflicht auf alle Aufwendungen des Geschädigten, soweit diese nach den Umständen des Falles als notwendig anzusehen sind. Dazu gehört auch die Abwehr drohender Nachteile, wenn sich insofern konkrete Verdachtsmomente ergeben. § 254 BGB verlangt von einem Geschädigten allerdings die Rücksichtnahme auf das Interesse des Schädigers an der Geringhaltung des Schadens. Daraus folgt, dass der Arbeitgeber nur für die Maßnahmen Erstattungsansprüche hat, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Arbeitgeber nach den Umständen des Einzelfalles zur Beseitigung der Störung bzw. zur Schadensverhütung nicht nur als zweckmäßig, sondern auch als erforderlich ergriffen haben würde.
Auch bei einer Verdachtskündigung, bei der es sich nicht um eine Kündigung wegen tatsächlich begangener Pflichtverletzungen handelt, sondern letztlich um eine personenbedingte Kündigung wegen des Verlusts der Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers (BAG 31.01.2019 -2 AZR 426/18- Rn. 21 ff., juris), soll eine Schadensersatzpflicht in Betracht kommen, wenn die Observation vorgelagerte und den Verdacht als Hilfstatsachen begründende Pflichtwidrigkeiten erbracht hat. Dies soll bei einer auf den Verdacht des Vortäuschens von Arbeitsunfähigkeit gestützten Kündigung etwa der Fall sein, wenn ein Verhalten beobachtet wird, das in einer vom Arbeitnehmer zu vertretenden Art und Weise die Rücksicht auf die Interessen der Arbeitgeberin vermissen lässt, dass es den Verdacht eines Betrugs zu Lasten der Arbeitgeberin (mit-) begründete, d.h. ein vorsätzliches Verhalten vorliegt, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung der Schluss gezogen werden muss, der Arbeitnehmer sei nicht arbeitsunfähig (so BAG 26.09.2013 -8 AZR 1026/12-, Rn. 26 ff., juris).
Die Beschränkung eines Anspruchs auf Erstattung der erforderlichen Kosten bedingt, dass der Geschädigte diese Kosten im Einzelnen spezifiziert darlegen muss (BAG 29.04.2021,aaO., Rn. 45).
2.
In Anwendung dieser Grundsätze scheidet vorliegend ein Anspruch der Beklagten aus.
a)
Zunächst fehlt es schon an einer Spezifizierung der geltend gemachten Kosten. Die Beklagte verweist insoweit auf die auf die Abschlussrechnung der Detektei vom 08.06.2020 (Bl. 122 d.A.), die keine Spezifizierungen, etwa mit welchem Stundenaufwand die Observierung vorgenommen wurde, enthält. Eine Überprüfung darauf hin, ob die Beklagte diese Kosten für erforderlich halten durfte, ist damit nicht möglich.
b)
Soweit die Beklagte die Kündigung soweit ersichtlich erstmals im Berufungsverfahren darauf stützt, es bestehe nicht nur ein Verdacht des Vortäuschens von Arbeitsunfähigkeit, sondern der Kläger sei tatsächlich arbeitsfähig gewesen und insoweit (neben der erstinstanzlich erfolgten Vernehmung des Dr. D.) Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens anbietet, bedurfte es der Einholung eines solchen Gutachtens nicht.
Selbst wenn ein Gutachten dieses Ergebnis erbringen würde, wäre der Kläger letztlich nicht durch die erfolgten Ermittlungen, sondern erst durch dieses Gutachten einer Pflichtverletzung überführt worden. Wie bereits ausgeführt, waren die getätigten Beobachtungen auch kein wesentliches Indiz für den Verdacht des Vortäuschens von Arbeitsunfähigkeit. Die die Einholung eines Sachverständigengutachtens erst ermöglichende Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung trat nicht erst aufgrund der Beobachtungen ein.
c)
Aber auch die Voraussetzungen, unter denen das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 26.09.2013 -8 AZR 1026/12- im Falle einer Verdachtskündigung eine Schadensersatzpflicht des Arbeitnehmers für Detektivkosten annahm, sind nicht erfüllt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Observation vorgelagerte und den Verdacht als Hilfstatsachen begründende Pflichtwidrigkeiten erbracht hat. Ein vorsätzliches Verhalten, aufgrund dessen nach allgemeiner Lebenserfahrung der Schluss gezogen werden muss, der Kläger sei nicht arbeitsunfähig, wurde nicht beobachtet. Weder ihrer Art nach noch nach deren zeitlichem Umfang handelte es sich um Aktivitäten, die unter Berücksichtigung der Tatsache, dass entgeltfortzahlungspflichtige Arbeitsunfähigkeit infolge einer Erkrankung nicht nur im Falle von Bettlägerigkeit vorliegen kann, nach der allgemeinen Lebenserfahrung den Schluss zeitigen, der Kläger sei nicht arbeitsunfähig gewesen.
V.
Der mit der Widerklage gestellte Hilfsantrag auf Erteilung von Auskunft in Textform über die Einkünfte des Klägers aus seit dem 03.06.2020 ausgeübten selbstständigen oder nicht selbstständigen Tätigkeit unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung in Euro darüber, welche Arbeitsplatzangebote und Vermittlungsvorschläge ihm durch die Bundesagentur für Arbeit -Agentur für Arbeit Trier- und/oder das Jobcenter Landkreis Ahrweiler seit dem 03.06.2020 unterbreitet wurden, fiel erstinstanzlich nicht zur Entscheidung an. Der Antrag war für den Fall des Obsiegens mit dem gegen die Kündigungen vom 03.06.2020 gerichteten Kündigungsschutzantrags gestellt. Diese prozessuale Bedingung ist wie ausgeführt nicht eingetreten.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Ein Revisionszulassungsgrund nach § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.


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