Aktenzeichen W 1 K 16.748
VersAusglG VersAusglG § 35, § 36
VwGO VwGO § 58 Abs. 2, § 67 Abs. 2 S. 2 Nr. 3-7, § 70 Abs. 2, § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1, § 154 Abs. 1, § 167
BayBG BayBG Art. 129, Art. 143 Abs. 2
ZPO ZPO § 708 Nr. 11, § 711
Leitsatz
Die Kürzung der laufenden Versorgung aufgrund eines Versorgungsausgleichs kann nicht nach § 35 Abs. 1 VersAusglG ausgesetzt werden, wenn der ausgleichspflichtige Beamte mit Eintritt in den Ruhestand Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht seiner geschiedenen Ehefrau gegen ihren Arbeitgeber erhält. (redaktioneller Leitsatz)
Auf die Tatsache, dass die geschiedene Ehefrau des Beamten noch arbeitet und aus dem von ihm im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht noch keine Leistungen bezieht, kommt es nicht an. Denn die Kürzung ist gemäß Art. 92 Abs. 1 BayBeamtVG bereits ab dem Ruhestandsbeginn durchzuführen. Durch die seit dem 1. Januar 2011 gültige Neuregelung des Art. 92 BayBeamtVG ist das sog. Pensionistenprivileg entfallen. Der ausgleichspflichtige Ehegatte erhält somit nur noch um den Versorgungsausgleich gekürzte Ruhestandsbezüge, und zwar unabhängig davon, ob der ausgleichsberechtigte Ehegatte seinerseits schon eine Rente bezieht oder nicht (vgl. VGH München BeckRS 2015, 42867). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
Über die Klage konnte mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 18. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat nach den §§ 35, 36 VersAusglG keinen Anspruch auf die Aussetzung der infolge des Versorgungsausgleichs durchgeführten Kürzung seiner laufenden Versorgungsbezüge (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die erhobene Klage ist nicht verfristet. Den Antrag des Klägers vom 28. Oktober 2015 auf Aussetzung bzw. Anpassung der Kürzung seiner Versorgungsbezüge hat der Beklagte mit Bescheid vom 18. Dezember 2015 abgelehnt. Dieser Verwaltungsakt enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung, so dass die Widerspruchsfrist vorliegend gemäß §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 VwGO ein Jahr seit Bekanntgabe des Bescheides beträgt. Der am 17. Juni 2016 bei dem Beklagten eingelegte Widerspruch ist somit jedenfalls fristgemäß. Gegenstand der Klage ist hierbei – entgegen der Auffassung des Beklagten im Widerspruchsbescheid – allein der Bescheid vom 18. Dezember 2012 hinsichtlich der Aussetzung bzw. Anpassung der Kürzung der Versorgungsbezüge, nicht jedoch der Bescheid vom 7. Oktober 2015, mit welchem die Versorgungsbezüge des Klägers unter Berücksichtigung einer Kürzung nach Art. 92 BayBeamtVG festgesetzt wurden und der in Bestandskraft erwachsen ist.
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet, da die Voraussetzungen des § 35 VersAusglG vorliegend nicht gegeben sind. Nach § 35 Abs. 1 VersAusglG wird die Kürzung der laufenden Versorgung aufgrund des Versorgungsausgleichs auf Antrag ausgesetzt, solange die ausgleichspflichtige Person eine laufende Versorgung wegen Invalidität oder Erreichens einer besonderen Altersgrenze erhält und sie aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Leistungen beziehen kann. Zwar handelt es sich bei dem Kläger gemäß Ziffer 2 des Endbeschlusses des Amtsgerichts Gemünden am Main vom 22. April 2010 im Scheidungsverbundverfahren um eine ausgleichspflichtige Person, da zulasten des Anrechts des Antragstellers beim Landesamt für Finanzen zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau ein Anrecht in Höhe von seinerzeit 1.004,64 Euro monatlich begründet wurde. Auch erhält der Kläger gemäß Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2015 seit dem 1. November 2015 eine laufende Versorgung wegen Erreichens einer besonderen Altersgrenze, da er Polizeivollzugsbeamter war, für welche gemäß Art. 129, 143 Abs. 2 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) eine besondere Altersgrenze für die Versetzung in den Ruhestand gilt. Jedoch fehlt es eindeutig an dem kumulativ erforderlichen gesetzlichen Merkmal, dass der Kläger aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht noch keine Leistung beziehen kann (vgl. hierzu Münchener Kommentar, § 35 VersAusglG, Rn. 5; Breuers in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., juris PK-BGB, § 35 VersAusglG, Rn. 10; Beck‘scher Online- Kommentar BGB, Bamberger/Roth, § 35 VersAusglG, Rn. 4). Vielmehr erhält der Kläger seit dem 1. November 2015, mithin seit dem Eintritt in den Ruhestand, Zahlungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht seiner Ehefrau bei dem Bundeseisenbahnvermögen von derzeit 527,01 Euro, wie der Kläger auch selbst vorgetragen hat. Damit steht diesem ein Anspruch nach § 35 VersAusglG auf Aussetzung bzw. Anpassung der Kürzung seiner Versorgung nach Art. 92 BayBeamtVG nicht zu.
Dieses Ergebnis deckt sich mit dem durch § 35 VersAusglG erfolgten Normzweck. Die Vorschrift enthält nämlich eine Regelung für Härtefälle, die dadurch entstehen können, dass die beiderseitigen Anrechte aus dem Versorgungsausgleich nicht mehr – wie nach dem am 31. August 2009 außer Kraft getretenen früheren Versorgungsausgleichsrecht – saldiert werden, sondern jedes einzelne Anrecht isoliert ausgeglichen wird. Wenn die zu teilenden Anrechte unterschiedliche Leistungsvoraussetzungen haben, kann dieses Ausgleichssystem zu unbilligen Ergebnissen führen, etwa weil die laufende Versorgung eines Ehegatten aufgrund des Versorgungsausgleichs gekürzt wird, er aber aus den erworbenen Anrechten des anderen Ehegatten noch keine Leistungen beziehen kann (vgl. BT-Drs. 16/10144, S. 74 f.; BT-Drs. 16/11903, S. 110). Mit der Vorschrift des § 35 Abs. 1 VersAusglG soll vermieden werden, dass die Ehegatten nach der Strukturreform des Versorgungsausgleichs schlechter stehen als nach bisherigem Recht, das durch den Einmalausgleich der Anrechte mit Saldierung geprägt war (vgl. Münchener Kommentar, § 35 VersAusglG, Rn. 1). Aus diesem Grunde sieht § 35 Abs. 3 VersAusglG auch vor, dass die Kürzung höchstens in Höhe der Ausgleichswerte aus den denjenigen Anrechten i. S. d. § 32 VersAusglG auszusetzen ist, aus denen die ausgleichspflichtige Person (noch) keine Leistung bezieht. Zweck dieses Absatzes ist es wiederum, die ausgleichsverpflichtete Person durch die neu eingeführte Anpassungsbestimmung nicht besser zu stellen als nach bisherigem Versorgungsausgleichsrecht. Denn auch nach bisheriger Rechtslage war eine Kürzung in Höhe des Saldos der auszugleichenden Anrechte im Falle der Invalidität oder bei einer besonderen Altersgrenze hinzunehmen (vgl. Münchener Kommentar, § 35 VersAusglG, Rn. 12).
Übertragen auf den vorliegenden Fall würde dies bedeuten, dass eine Aussetzung der Kürzung nur in Höhe des dem Kläger übertragenen Anrechts beim Bundeseisenbahnvermögen, derzeit 527,01 Euro, möglich wäre und es bei einer Kürzung von 610,28 Euro monatlich verbliebe (1.137,29 Euro abzgl. 527,01 Euro). Denn um diesen Betrag wären die Versorgungsbezüge des Klägers auch nach altem Versorgungsausgleichsrecht gekürzt worden. Da es jedoch – wie ausgeführt – bereits an der zwingenden Voraussetzung eines fehlenden Leistungsbezugs aus dem erworbenen Anrecht mangelt, kommt vorliegend eine Aussetzung der Kürzung bereits dem Grunde nach nicht in Betracht.
Auf die Tatsache, dass die geschiedene Ehefrau des Klägers derzeit noch arbeitet und aus dem vom Kläger im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht noch keine Leistungen bezieht, kommt es von Rechts wegen nicht an. Die Kürzung ist vielmehr gemäß Art. 92 Abs. 1 BayBeamtVG bereits ab dem Ruhestandsbeginn des Klägers, mithin ab dem 1. November 2015, durchzuführen. Die Höhe der Kürzung bestimmt sich nach Art. 92 Abs. 2 BayBeamtVG und legt hierfür den (vollen) Monatsbetrag der durch die Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich begründeten Anwartschaften zugrunde, welcher zudem gemäß Abs. 2 Sätze 2 und 3 fortzuschreiben ist. Durch die seit dem 1. Januar 2011 gültige Neuregelung des Art. 92 BayBeamtVG ist das sog. Pensionistenprivileg entfallen. Der ausgleichspflichtige Ehegatte erhält somit nur noch um den Versorgungsausgleich gekürzte Ruhestandsbezüge, und zwar unabhängig davon, ob der ausgleichsberechtigte Ehegatte seinerseits schon eine Rente bezieht oder nicht (vgl. BayVGH, B. v. 4.3.2015 – 3 ZB 13.2437 – juris Rn. 5). Auch die in diesem Zusammenhang bestehende Übergangsbestimmung des Art. 102 Abs. 2 BayBeamtVG greift vorliegend nicht, da der Kläger sich im Januar 2011 noch nicht im Ruhestand befand. Der Wegfall des Pensionistenprivilegs ist darüber hinaus verfassungskonform (vgl. BayVerfGH, E. v. 25.2.2013 – Vf. 17-VII-12 – juris).
§ 49 VersAusglG, wonach für Verfahren nach den §§ 4 bis 10 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich, in denen der Antrag beim Versorgungsträger vor dem 1. September 2009 eingegangen ist, das bis dahin geltende Recht weiterhin anzuwenden ist, ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Denn der Antrag auf Aussetzung der Kürzung wurde erst mit Schreiben vom 28. Oktober 2015 beim zuständigen Versorgungsträger gestellt wurde. Zudem enthielt das bis zum 31. August 2009 geltende Recht keine Vorschrift zur Aussetzung der Kürzung bei einer Versorgung wegen Invalidität oder einer besonderen Altersgrenze (vgl. obige Ausführungen sowie Münchener Kommentar, § 49 VersAusglG, Rn. 2).
3. Diese auf Basis der geltenden einfachgesetzlichen Rechtslage beruhende Ablehnung des klägerseitig geltend gemachten Anspruchs verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht.
Das System des Versorgungsausgleichs, also des hälftigen Ausgleichs der während der Ehezeit erworbenen Renten- und Versorgungsanwartschaften, wird in ständiger Rechtsprechung des BVerfG als vereinbar mit Art. 14 und 33 Abs. 5 GG, der das Alimentationsprinzip verfassungsrechtlich absichert, angesehen. Die in diesem Rahmen vorgenommenen Eingriffe in Art. 14 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 5 GG sind aufgrund des besonderen Schutzes von Ehe und Familie sowie der Gleichbehandlung von Mann und Frau nach Art. 6 Abs. 1 und 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt (BVerfG, U. v. 28.2.1980 – 1 BvL 17/77; BVerfG, U. v. 5.7.1989 – 1 BvL 11/87; BVerfG, B. v. 6.5.2014 – 1 BvL 9/12).
Die aufgeteilten Renten- bzw. Versorgungsanwartschaften unterliegen mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs auch eigentums- bzw. beamtenrechtlich verschiedenen Schicksalen. Der Zweck des Versorgungsausgleichs wird hierdurch nicht verfehlt (BVerfG, B. v. 6.5.2014 – 1 BvL 9/12, 1 BvL 1145/13 – BVerfGE 136, 152, Rn. 40 ff., sowie für die Versorgung der Soldaten: BVerfG, B. v. 11.12.2014 – 1 BvR 1485/12 – NJW 2015, 686 Rn. 20).
Nach Durchführung des Versorgungsausgleichs setzt sich das versicherungstypische Risiko statistisch unterdurchschnittlicher Leistungen zwangsläufig in beiden Hälften des geteilten Anrechts auf je eigene Weise fort. Erhält die ausgleichsberechtigte Person aufgrund ihres konkreten Versicherungsverlaufs im statistischen Vergleich weniger Leistungen aus dem übertragenen Anrecht, realisiert sich darin das typische Versicherungsrisiko allein der ausgleichsberechtigten Person. Für die ausgleichspflichtige Person ist dies ohne Bedeutung. Denn die im Versorgungsausgleich zwischen den Geschiedenen geteilten Versorgungsanrechte sind ab der Teilung voneinander unabhängig. Während der Ehe steht jedes Anrecht einem Ehepartner formal ungeteilt zu und folgt einem einheitlichen Versicherungsverlauf, der sich im Wesentlichen am Inhaber des Anrechts ausrichtet. Durch den Versorgungsausgleich werden die einzelnen ehezeitlich erworbenen Rechte zwischen den geschiedenen Ehegatten in zwei Hälften geteilt, die den beiden je eigenen Versicherungsschutz vermitteln. Dabei entstehen zwei selbstständige Versicherungsverhältnisse, so dass die rentenrechtlichen Schicksale der geschiedenen Ehegatten grundsätzlich unabhängig voneinander zu sehen sind.
Die auf die Hälfte ihres zu Ehezeiten begründeten Anrechts verwiesene ausgleichspflichtige Person erbringt auch nicht etwa ein Opfer, das im Einzelfall in Gestalt tatsächlich erbrachter Versorgungsleistungen dem geschiedenen Ehegatten zugutekommen müsste, ansonsten aber seine Rechtfertigung verlöre. Als Opfer ist die versorgungsausgleichbedingte Kürzung bei der ausgleichspflichtigen Person deshalb nicht anzusehen, weil mit der Teilung lediglich die seit Ehebeginn angelegte materielle Zuordnung der Anrechte auch rechtstechnisch nachvollzogen wird. Der ausgleichsberechtigten Person wird rechtlich das Anrecht in der Höhe zugewiesen, in der es ihr der Sache nach schon zuvor zustand. Die eigentumsrechtliche Position der ausgleichspflichtigen Person war von vornherein durch die Ehe mitbestimmt und gebunden (BVerfG, B. v. 6.5.2014 – 1 BvL 9/12 – juris Rn. 48 ff.).
Vor diesem Hintergrund geht der Kläger auch mit seinem Hinweis fehl, dass es sich bei dem Saldo aus dem von ihm hinzunehmenden Kürzungsbetrag und dem ihm übertragenen Anrecht noch um „sein“ Geld handelt. Die Klage war nach alledem abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.