Arbeitsrecht

Beitragspflichten zu dem Sozialkassensystem der Bauwirtschaft – Rohrleitungsbauarbeiten – Anbohren und Absperren von unter Druck stehenden Versorgungsrohren mithilfe von Spezialarmaturen

Aktenzeichen  10 AZR 144/19

Datum:
28.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2021:280421.U.10AZR144.19.0
Normen:
§ 199 BGB
§ 167 ZPO
§ 253 Abs 2 Nr 2 ZPO
§ 562 Abs 1 ZPO
§ 563 Abs 3 ZPO
§ 690 Abs 1 Nr 3 ZPO
§ 7 SokaSiG
§ 10 Abs 1 SokaSiG
Anl 26 SokaSiG
Anl 27 SokaSiG
Anl 29 SokaSiG
Anl 30 SokaSiG
Anl 31 SokaSiG
Anl 37 SokaSiG
§ 1 Abs 1 VTV-Bau vom 21.12.2011
§ 1 Abs 2 Abschn II VTV-Bau vom 21.12.2011
§ 1 Abs 2 Abschn V Nr 25 VTV-Bau vom 21.12.2011
§ 1 Abs 3 S 1 Nr 1 VTV-Bau vom 21.12.2011
§ 18 Abs 2 S 1 VTV-Bau vom 21.12.2011
§ 21 Abs 1 S 1 VTV-Bau vom 21.12.2011
§ 24 VTV-Bau vom 21.12.2011
§ 1 Abs 1 VTV-Bau vom 17.12.2012
§ 1 Abs 2 Abschn II VTV-Bau vom 17.12.2012
§ 1 Abs 2 Abschn V Nr 25 VTV-Bau vom 17.12.2012
§ 1 Abs 3 S 1 Nr 1 VTV-Bau vom 17.12.2012
§ 18 Abs 2 S 1 VTV-Bau vom 17.12.2012
§ 21 Abs 1 S 1 VTV-Bau vom 17.12.2012
§ 24 VTV-Bau vom 17.12.2012
§ 1 Abs 1 VTV-Bau vom 03.05.2013
§ 1 Abs 2 Abschn II VTV-Bau vom 03.05.2013
§ 1 Abs 2 Abschn V Nr 25 VTV-Bau vom 03.05.2013
§ 1 Abs 3 S 1 Nr 1 VTV-Bau vom 03.05.2013
§ 15 Abs 2 S 1 VTV-Bau vom 03.05.2013
§ 18 Abs 1 S 1 VTV-Bau vom 03.05.2013
§ 21 VTV-Bau vom 03.05.2013
§ 1 Abs 1 VTV-Bau vom 10.12.2014
§ 1 Abs 2 Abschn II VTV-Bau vom 10.12.2014
§ 1 Abs 2 Abschn V Nr 25 VTV-Bau vom 10.12.2014
§ 1 Abs 3 S 1 Nr 1 VTV-Bau vom 10.12.2014
§ 15 Abs 2 S 1 VTV-Bau vom 10.12.2014
§ 18 Abs 1 S 1 VTV-Bau vom 10.12.2014
§ 21 VTV-Bau vom 10.12.2014
§ 1 Abs 1 VTV-Bau vom 24.11.2015
§ 1 Abs 2 Abschn II VTV-Bau vom 24.11.2015
§ 1 Abs 2 Abschn V Nr 25 VTV-Bau vom 24.11.2015
§ 1 Abs 3 S 1 Nr 1 VTV-Bau vom 24.11.2015
§ 15 Abs 2 S 1 VTV-Bau vom 24.11.2015
§ 18 Abs 1 S 1 VTV-Bau vom 24.11.2015
§ 21 VTV-Bau vom 24.11.2015
§ 1 Abs 1 Nr 1 Buchst c BauWiAusbV 1999 vom 20.02.2009
§ 1 Abs 2 Nr 3 Buchst a BauWiAusbV 1999 vom 20.02.2009
§ 17 Nr 12 BauWiAusbV 1999 vom 20.02.2009
§ 15 BauWiAusbV 1999 vom 20.02.2009
§ 18 Anl 3 BauWiAusbV 1999 vom 20.02.2009
§ 73 Nr 7 BauWiAusbV 1999 vom 20.02.2009
§ 73 Nr 10 BauWiAusbV 1999 vom 20.02.2009
§ 73 Nr 11 BauWiAusbV 1999 vom 20.02.2009
§ 74 Anl 14 BauWiAusbV 1999 vom 20.02.2009
§ 77 Abs 2 S 3 Nr 3 BauWiAusbV 1999 vom 20.02.2009
§ 5 Abs 4 TVG
Spruchkörper:
10. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Wiesbaden, 11. Juli 2017, Az: 12 Ca 38/17, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 19. Februar 2019, Az: 12 Sa 1146/17, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 19. Februar 2019 – 12 Sa 1146/17 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 11. Juli 2017 – 12 Ca 38/17 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, 30.927,00 Euro an den Kläger zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft für die Zeiträume von Januar 2012 bis Dezember 2013 und von Januar 2015 bis November 2016.
2
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verpflichtet. Der Kläger nimmt die Beklagte auf der Grundlage verschiedener Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) auf Beiträge iHv. insgesamt 30.927,00 Euro in Anspruch. Er stützt seine Ansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2012 auf den VTV vom 18. Dezember 2009 idF vom 21. Dezember 2011 (VTV 2011), für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2013 auf den VTV vom 18. Dezember 2009 idF vom 17. Dezember 2012 (VTV 2012), für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2013 auf den VTV vom 3. Mai 2013 (VTV 2013 I), für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2015 auf den VTV vom 3. Mai 2013 idF vom 10. Dezember 2014 (VTV 2014) und für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. November 2016 auf den VTV vom 3. Mai 2013 idF vom 24. November 2015 (VTV 2015). Für die erhobenen Beitragsansprüche zieht der Kläger die vom Statistischen Bundesamt ermittelten Durchschnittslöhne heran.
3
Die im Klagezeitraum geltenden Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes wurden für allgemeinverbindlich erklärt. Der Senat hat entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV 2011, des VTV 2012 und des VTV 2013 I unwirksam sind (BAG 25. Januar 2017 – 10 ABR 34/15 -, nachgehend BVerfG 10. Januar 2020 – 1 BvR 1459/17 -; BAG 25. Januar 2017 – 10 ABR 43/15 -, nachgehend BVerfG 10. Januar 2020 – 1 BvR 1104/17 -). Die Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV 2014 vom 6. Juli 2015 (AVE VTV 2015) und des VTV 2015 vom 4. Mai 2016 (AVE VTV 2016) hat der Senat für wirksam befunden (BAG 20. November 2018 – 10 ABR 12/18 -; 21. März 2018 – 10 ABR 62/16 – BAGE 162, 166).
4
Die nicht originär tarifgebundene Beklagte unterhält in Salzgitter einen Betrieb. In der Gewerbeanmeldung vom 20. Juni 2002 beschrieb sie den Tätigkeitsbereich mit „Industrieller Rohrleitungsbau und Servicearbeiten, insbesondere Service-Spezialarbeiten an Rohrleitungen, Rohrnetzen und Pipelines für alle Medien oder ähnl. Unternehmen“. Die Bundesagentur für Arbeit lehnte die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung mit Bescheid vom 10. Mai 2017 mit der Begründung ab, im Betrieb der Beklagten würden nicht überwiegend Bauleistungen erbracht.
5
Der Kläger hat gemeint, die Beklagte habe im streitigen Zeitraum einen Betrieb iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 25 der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes unterhalten. Er hat behauptet, im Betrieb der Beklagten seien arbeitszeitlich überwiegend Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten an industriellen Rohrleitungen, Rohrnetzen und Pipelines ausgeführt worden. Die Beklagte habe an Gas-, Wasser- und Kraftwerksrohren, die zur Fern- und Nahversorgung führten, Anbohrungen und Schweißarbeiten vorgenommen. Zudem habe sie Rohr-Absperrungen und – zum Teil dauerhafte – Rohrumleitungen (Bypässe) um schadhafte Rohrstellen herum verlegt. Dabei habe es sich nach Auffassung des Klägers um zwingend notwendige Teiltätigkeiten zur Instandsetzung oder Reparatur von Rohrleitungen und damit ebenfalls um Rohrleitungsbauarbeiten im Tarifsinn gehandelt.
6
Der Kläger hat beantragt,
        
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 30.927,00 Euro zu zahlen.
7
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich dahin eingelassen, ihre Aufgabe bestehe darin, Rohrleitungen in Anlagen von Gasversorgern oder Erdölunternehmen drucklos zu stellen, damit sie von Dritten oder dem Anlagenbetreiber selbst repariert oder verändert werden könnten. Dazu bestelle sie zunächst passgenaue Fittings. Dabei handle es sich um Manschetten, die aus zwei Teilen und einer Revisionsöffnung am oberen Teilstück bestünden. Die Fittings würden nach der Anlieferung von einem Drittunternehmen auf die Rohrleitung aufgeschweißt. Die Beklagte selbst führe keine Schweißarbeiten aus. Sie setze lediglich Spezialarmaturen auf die Revisionsöffnungen der Fittings auf. Für das Anbohren der unter Betriebsdruck stehenden Rohrleitung verwende sie eine Hot-Tapping-Maschine und für das temporäre Außer-Betrieb-Nehmen eines schadhaften Rohrleitungsteils ein Stopple-Gerät. Falls der Auftraggeber dies wünsche, könne das in der Rohrleitung transportierte Medium durch einen Bypass fließen, während das auszutauschende Rohrleitungsteil drucklos gestellt sei. Nach dem Austausch des schadhaften Teils der Rohrleitung, den stets ein Drittunternehmen durchführe, baue die Beklagte den Bypass zurück und die Spezialarmaturen ab. An den Rohren verblieben nach Abschluss der Arbeiten lediglich die aufgeschweißten Fittings, deren Revisionsöffnung durch eine Platte verschlossen werde.
8
Die Beklagte hat mit Blick auf den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 10. Mai 2017 gemeint, sie führe eine dem industriellen Anlagenbau zuzurechnende Teilleistung mit hohem Spezialisierungsgrad aus. Ihre Arbeitnehmer verrichteten reine Schlosserarbeiten, um Reparatur- oder Wartungsarbeiten an Rohrleitungen durch Drittunternehmen vorzubereiten. Der industrielle Charakter ergebe sich auch daraus, dass sie arbeitsteilig mit anderen Unternehmen und dem Anlagenbetreiber vorgehe und Drittunternehmen, wie zB der TÜV und ein Unternehmen, das die Verbindungen röntge, beteiligt seien. Die Beklagte hat das SokaSiG für verfassungswidrig gehalten.
9
Der Kläger hat die Beitragsansprüche mit drei Mahnanträgen verfolgt. Er hat den ersten Mahnantrag, der die Ansprüche von Januar bis November 2012 iHv. 7.073,00 Euro betrifft, am 28. Dezember 2016 beim Arbeitsgericht eingereicht. Der am 17. Januar 2017 antragsgemäß erlassene Mahnbescheid ist der Beklagten am 20. Januar 2017 zugestellt worden (- 12 Ba 2726/16 -). Die beiden anderen Mahnbescheide sind der Beklagten am 20. Januar 2017 und 7. April 2017 zugestellt worden. Sie umfassen die Beitragsansprüche für die Zeiträume von Dezember 2012 bis Dezember 2013 iHv. 8.191,00 Euro und von Januar 2015 bis November 2016 iHv. 15.663,00 Euro (- 12 Ba 2727/16 – und – 12 Ba 0285/17 -). Das Arbeitsgericht hat die Verfahren verbunden und die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.


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