Arbeitsrecht

Betriebsbedingte Kündigung – Betriebsschließung – Unternehmerentscheidung

Aktenzeichen  1 Ca 414/20

Datum:
10.11.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
ArbG Gera 1. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:ARBGERA:2021:1110.1CA414.20.00
Spruchkörper:
undefined

Tenor

1. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, dem Kläger ein Arbeitszeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer der Tätigkeit sowie auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 92 Prozent und die Beklagte zu 2) zu 8 Prozent zu tragen.
4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 47.505,24 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit betriebsbedingter Kündigungen und damit im Zusammenhang stehenden Ansprüchen auf Weiterbeschäftigung und Annahmeverzug.
Außerdem begehrt der Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis.
Die Beklagten zu 1) und 2) gehören zur U..
Die Beklagte zu 1) betreibt 24 Kinos im Bundesgebiet.
Die Beklagte zu 2) betrieb lediglich 1 Kino in G..
Der am 27.05.1967 geborene Kläger ist verheiratet und hat keine Unterhaltspflichten.
Er war seit dem 20.10.1997 von der Beklagten zu 1) als stellvertretender Theaterleiter in der U G. angestellt. Auf den Anstellungsvertrag vom 23.10.1997 (Bl. 11 ff. bzw. Bl. 71 ff. d. A.) sowie die dazugehörende Stellenbeschreibung vom 23.10.1997 (Bl. 19 ff. bzw. Bl. 71 ff. d. A.) wird Bezug genommen. Aufgrund des Änderungsvertrags mit der Beklagten zu 1) vom 04.08.1999 (Bl. 26 ff. bzw. Bl. 86 ff. d. A.) und der dazugehörenden Stellenbeschreibung vom 04.08.1999 (Bl. 34 ff. bzw. Bl. 94 ff. d. A.) wurde er ab dem 01.09.1999 als Theaterleiter in der U G. angestellt.
Aufgrund eines weiteren Änderungsvertrages mit der Beklagten zu 1) vom 06.04.2000 (Bl. 101 ff. d. A.) wurde er für die Dauer von 4 Monaten ab dem 01.03.2000 als Theaterleiter der U. in G. und C. beschäftigt. Ab dem 01.07.2000 wurde er wieder als Theaterleiter der U. G. zu den bis zum 29.02.2000 arbeitsvertraglich geltenden Bedingungen weiterbeschäftigt.
Seine Vergütung betrug zuletzt 3.958,77 € brutto monatlich. Er bezog 13 Vergütungen pro Kalenderjahr.
Mit Schreiben vom 25.05.2000 (Bl. 41 d. A.) wurde dem Kläger bestätigt, dass sein Arbeitsverhältnis mit der Firma U. GmbH auf die K. GmbH mit Wirkung ab dem 01.06.2000 gemäß § 613 a BGB übergeht.
In der Folgezeit hat der Kläger als Theaterleiter diverse Verträge mit Mitarbeitern im Namen der K. GmbH abgeschlossen. Auf das Anlagenkonvolut B2 (Bl. 105 bis 124 d. A.) wird Bezug genommen.
Im Kalenderjahr 2019 hat die K. GmbH umfirmiert in U. GmbH und ihren Sitz von G. nach B. verlegt.
Die Beklagte zu 2) betrieb das Kino im G in angemieteten Räumlichkeiten. Nach ihrem Vortrag wiesen die Räumlichkeiten erhebliche Mängel in der Bausubstanz auf, die unter anderem durch den Starkregen Mitte August 2020 verursacht wurden und eine Wiederaufnahme des Betriebs nach der Covid-19-bedingten Schließung unmöglich gemacht hätten. Der Vermieter sei nicht bereit gewesen, die Schäden zu beseitigen. Deswegen habe die Beklagte zu 2) am 16.11.2020 die unternehmerische Entscheidung getroffen, den laufenden Gewerbemietvertrag über die Kinoräumlichkeiten fristlos zu kündigen und den Betrieb des Kinos endgültig und dauerhaft zu schließen.
Am 19.11.2020 hat eine Betriebsversammlung stattgefunden, die geleitet worden ist von Frau W. in ihrer Funktion als People Business Partner.
Ebenfalls am 19.11.2020 erfolgte die Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten ordentlichen fristgerechten Kündigung sämtlicher Mitarbeiter (Bl. 142 ff. d. A.).
Am 23.11.2020 erfolgte die außerordentliche fristlose Kündigung des Gewerbemietvertrages.
Unter dem 26.11.2020 hat der Betriebsrat Widerspruch zur ordentlichen fristgerechten Kündigung erhoben (Bl. 147 f. d. A.).
Mit Schreiben vom 27.11.2020 (Bl. 42 f. d. A.) haben die Beklagten zu 1) und 2) das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der U. GmbH sowie vorsorglich auch ein etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis mit der U. ordentlich fristgemäß zum 30.06.2021 gekündigt.
Hiergegen richtet sich die vom Kläger am 14.12.2020 erhobene Kündigungsschutzklage.
Der Kläger hält die ausgesprochenen Kündigungen für sozial ungerechtfertigt.
Er bestreite mit Nichtwissen, dass es per 01.06.2000 zu einem wie auch immer gearteten Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB von der Beklagten zu 1) auf die K. GmbH gekommen sei. Demzufolge bestehe kein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten zu 2).
Die Kündigung sei rechtsunwirksam, weil die die Kündigung erklärende Frau W. eine Vollmachtsurkunde nicht vorgelegt habe und der Kläger die Kündigung unverzüglich zurückgewiesen habe.
Die Anhörung des Betriebsrats sei nicht ordnungsgemäß erfolgt.
Eine dauerhafte Betriebsschließung werde bestritten, es würden noch Verhandlungen mit dem Vermieter geführt. Die Sozialauswahl habe auch auf andere Standorte erstreckt werden müssen, weil es sich bei allen von der U. Gruppe betriebenen Kinos um einen gemeinsamen Betrieb handele.
Eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei wegen des arbeitsvertraglich vorgesehenen Versetzungsvorbehaltes möglich.
Der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) durch die Kündigung vom 27.11.2020 nicht aufgelöst worden ist.
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2) durch die ordentliche Kündigung vom 27.11.2020 nicht aufgelöst worden ist.
3. die Beklagte zu 1), hilfsweise die Beklagte zu 2), zu verurteilen, dem Kläger ein vorläufiges Arbeitszeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Verhalten und Leistung während des Arbeitsverhältnisses erstreckt.
4. die Beklagte zu 1), hilfsweise die Beklagte zu 2), zu verurteilen, dem Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsanträge als Theaterleiter mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden weiter zu beschäftigen.
5. hilfsweise, für den Fall, dass die Feststellungsanträge zu 1. und 2. abgewiesen werden, die Beklagte zu 1), hilfsweise die Beklagte zu 2), zu verurteilen, dem Kläger ein endgültiges Arbeitszeugnis, dass sich auf Art und Dauer sowie Verhalten und Leistung während des Arbeitsverhältnisses erstreckt, zu erteilen.
6. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an den Kläger 15.835,08 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 3.958,77 € seit dem 01.08.2021, 01.09.2021, 01.10.2021 und 01.11.2021 abzüglich erhaltener Leistungen der Agentur für Arbeit in Höhe von 7.237,20 € netto zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
1. die Klage abzuweisen.
2. hilfsweise, für den Fall, dass die Klageanträge Ziffer 1. oder 2. begründet sind, die Beklagte zu 2) von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung zu entbinden.
Die Beklagten zu 1) und 2) tragen vor, das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten zu 1) sei am 01.06.2000 auf die K. GmbH übergegangen. Der Kläger habe dem Betriebsübergang nicht widersprochen. Im Zeitpunkt des Betriebsübergangs habe es noch keine gesetzliche Unterrichtungspflicht gegeben, weil § 613 a Abs. 5 BGB erst im Kalenderjahr 2002 in Kraft getreten sei.
Die Beklagte zu 2) habe als einziges Kino die U.t in G. betrieben. Diese sei aufgrund nicht zu beanstandender unternehmerischer Entscheidung dauerhaft und endgültig geschlossen. Die Kündigung sei durch die dazu bevollmächtigte Frau W. ausgesprochen worden. Die Zurückweisung durch den Kläger sei nicht unverzüglich erfolgt. Eine Sozialauswahl sei entfallen, weil allen betroffenen Mitarbeitern gekündigt worden sei. Ein gemeinsamer Betrieb der Beklagten zu 2) mit anderen Gesellschaften, die zur U. Gruppe gehören, liege nicht vor. Dies gelte insbesondere für die Beklagte zu 1). Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus würde zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung führen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst allen dazugehörenden Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 22.03.2021 und 10.11.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat nur teilweise Erfolg.
Der Kläger hat Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses gegenüber der Beklagten zu 2).
Die weiteren Klageanträge sind unbegründet.
Der Antrag zu 1) ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegenüber der Beklagten zu 1) aus § 4 KSchG auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 27.11.2020 nicht aufgelöst worden ist.
Zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) bestand im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung kein Arbeitsverhältnis mehr.
Das Arbeitsverhältnis ist zwar ausweislich der vorgelegten Arbeitsverträge zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) begründet worden. Dieses Arbeitsverhältnis ist jedoch am 01.06.2000 durch Betriebsübergang gemäß § 613 a BGB auf die K. GmbH übergegangen. So wurde das Arbeitsverhältnis jedenfalls über mehr als 20 Jahre (01.06.2000 bis 27.11.2020) tatsächlich gelebt. Der Kläger wurde durch schriftliche Bestätigung vom 25.05.2000 über den Betriebsübergang informiert und hat dagegen während all der Jahre keinen Widerspruch erhoben. Darüber hinaus hat er als Theaterleiter Arbeitsverträge mit Mitarbeitern für die K. GmbH abgeschlossen. Bei seiner Entscheidungsfindung hat das Gericht berücksichtigt, dass die gesetzliche Unterrichtungspflicht gemäß § 613 a Abs. 5 BGB sowie das Widerspruchsrecht gemäß § 613 a Abs. 6 BGB erst mit Wirkung zum 01.04.2002 in Kraft getreten ist. Auf die sich daraus ergebenden Rechtsfragen braucht daher für die Feststellung des Betriebsübergangs am 01.06.2000 nicht eingegangen werden. Zur damaligen Zeit war § 613 a BGB eine Schutzvorschrift zu Gunsten der Arbeitnehmer, die durch den gesetzlich angeordneten Betriebsübergang vor einem Arbeitsplatzverlust geschützt werden sollten. Schon damals war nach der Rechtsprechung des BAG ein Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Betriebsübergang möglich, weil der Betriebsübergang mit einem Wechsel des Vertragspartners einherging. Der Kläger hat jedoch seinem Betriebsübergang weder damals noch in den Folgejahren widersprochen. Aufgrund des Zeitablaufs und der praktischen Durchführung des Arbeitsverhältnisses bestehen daher aus der Sicht des Gerichts keine Zweifel an der Rechtswirksamkeit des Betriebsübergangs. Damit bestand gegenüber der Beklagten zu 1) seit dem 01.06.2000 kein Arbeitsverhältnis mehr. Ausschließlicher Vertragspartner war seit diesem Zeitpunkt die K. GmbH, die im Jahr 2019 umfirmiert hat, d.h. ihren Namen geändert hat in U. GmbH. Auf die Person ihrer Geschäftsführer und die Sitzverlegung von G. nach B. kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
Der Antrag zu 2. ist ebenfalls unbegründet.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch gegenüber der Beklagten zu 2) aus § 4 KSchG auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 27.11.2020 nicht aufgelöst worden ist.
Mit der Beklagten zu 2) besteht nach den oben getroffenen Feststellungen zwar ein Arbeitsverhältnis. Die ausgesprochene Kündigung erweist sich jedoch als rechtswirksam.
Gegen die Wirksamkeit der Kündigungserklärung bestehen keine Bedenken.
Die Kündigungserklärung wurde durch Frau W. in ihrer Funktion als People Business Partner Germany im Namen der U. GmbH und der U. ausgesprochen. Frau W. ist nach Angabe der Beklagten zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen und zum Ausspruch der Kündigung bevollmächtigt. Eine Rechtsunwirksamkeit gemäß § 180 S. 1 BGB liegt deswegen nicht vor.
Allerdings hat die Bevollmächtigte bei Ausspruch der Kündigung eine Vollmachturkunde nicht beigefügt.
Die Kündigung ist jedoch auch nicht wegen § 174 BGB rechtsunwirksam.
Nach § 174 S. 1 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist.
Nach § 174 S. 2 BGB ist die Zurückweisung ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.
Nach der Rechtsprechung des BAG setzt der Arbeitgeber die Arbeitnehmer dadurch über die Kündigungsberechtigung in Kenntnis, dass er einen Mitarbeiter in eine Stellung beruft, mit der das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden ist. Dies ist vorliegend geschehen. Alle Mitarbeiter wurden per E-Mail bereits im Mai 2020 über die Ernennung von Frau W. informiert. Darüber hinaus wurde ihre Bevollmächtigung durch Aushang am schwarzen Brett bekannt gemacht. Darüber hinaus wurden die Mitarbeiter mit einer weiteren E-Mail vom 14.09.2020 über die Vollmacht von Frau W. erneut unterrichtet. Bei seiner Entscheidungsfindung hat das Gericht berücksichtigt, dass es Frau W. war, die am 19.11.2020 die Betriebsversammlung in G. durchgeführt hat, um die Mitarbeiter zu informieren. Außerdem hat sie in ihrer Funktion den Betriebsrat schriftlich angehört. Auch dem Betriebsrat war ihre Bevollmächtigung bekannt. Aus dem Betriebsratswiderspruch ergeben sich keine Zweifel des Betriebsrates an der Bevollmächtigung von Frau W..
Auf den weiteren Streit der Parteien darüber, ob die Zurückweisung des Kündigungsschreibens unverzüglich im Sinne des § 174 S. 1 BGB erfolgt ist, kommt es daher nicht an.
Die Kündigung ist auch nicht sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG.
Sie ist durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt. Nach der Rechtsprechung des BAG zählt die Stilllegung eines Betriebs zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen. Erforderlich ist der ernstliche und endgültige Entschluss des Unternehmers, die Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern für einen seiner Dauer nach unbestimmten, wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum aufzuheben. Der Arbeitgeber braucht mit dem Ausspruch der Kündigung nicht bis zur Stilllegung des Betriebs zu warten. Eine ordentliche Kündigung kommt vielmehr schon in Betracht, wenn die auf eine Betriebsstilllegung gerichtete unternehmerische Entscheidung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hat und eine vernünftige betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, das bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist der Arbeitnehmer entbehrt werden kann. Bei Anwendung dieses Maßstabs bestehen aus der Sicht des Gerichts keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtswirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung. Das Kino in G. ist seit November 2020 bis zum Tag der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 10.11.2021, also seit rund einem Jahr, geschlossen. Eine konkrete Aussicht auf baldige Wiedereröffnung ist nicht vorgetragen. An der Ernstlichkeit des unternehmerischen Entschlusses bestehen daher keine Zweifel. Der Zeitraum ist auch bereits jetzt wirtschaftlich nicht unerheblich. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit der Mitarbeiter in der U. ist damit zu verneinen.
Die Kündigung ist auch nicht wegen unterlassener Sozialauswahl rechtsunwirksam.
Die Sozialauswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG ist betriebsbezogen. In die Sozialauswahl sind alle Arbeitnehmer des Betriebes einzubeziehen. Bei einer Schließung des gesamten Betriebes und Kündigung aller Arbeitnehmer des Betriebes entfällt eine Sozialauswahl daher.
Die Sozialauswahl musste auch nicht auf einen Gemeinschaftsbetrieb erstreckt werden.
Ein gemeinsamer Betrieb zwischen der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) existiert nicht.
Nach der Rechtsprechung des BAG liegt ein gemeinsamer Betrieb vor, wenn mindestens 2 Unternehmen, die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Mittel für einen oder mehrere einheitliche arbeitstechnische Zwecke zusammenfassen, ordnen, gezielt einsetzen und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Dazu müssen sich die beteiligten Unternehmen zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben. Die einheitliche Leitung hat sich auf die wesentlichen Funktionen eines Arbeitgebers in personellen und sozialen Angelegenheiten zu beziehen. Eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist ein gemeinsamer Betrieb nicht gegeben.
Die U. GmbH ist ein rechtlich selbstständiges Unternehmen. Sie hat als einzigen Betrieb die U. in G.. Eine einheitliche Betriebsstätte mit anderen U. liegt ersichtlich nicht vor. Dass die Geschäftsführer der Beklagten zu 1) und 2) personenidentisch sind, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung des Sachverhalts. Daraus lässt sich lediglich der Schluss ziehen, dass es eine unternehmerische Zusammenarbeit durchaus gibt. Eine rechtliche Vereinbarung zur Führung eines gemeinsamen Betriebes ist dagegen nicht vorgetragen. Eine solche ergibt sich auch nicht stillschweigend. Es fehlt bereits am Austausch von Arbeitnehmern zwischen verschiedenen U.. Eine einheitliche Leitung wesentlicher Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten liegt nicht vor.
Die Kündigung ist auch nicht wegen fehlender Betriebsratsanhörung rechtsunwirksam.
Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören, § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen, § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam, § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG.
Die Anhörung des Betriebsrats ist unstreitig schriftlich unter dem 19.11.2020 erfolgt. Für die Mitteilung der Gründe durch den Arbeitgeber gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Grundsatz der subjektiven Determinierung der Unterrichtungspflicht. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat die aus seiner Sicht tragenden Kündigungsgründe mitzuteilen. Dies ist zweifelsfrei geschehen. Dem Betriebsrat wurde mitgeteilt, weswegen der Arbeitgeber sich dazu entschlossen hat, den Betrieb endgültig und dauerhaft zu schließen. Darüber hinaus wurde mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, allen Mitarbeitern der U. zu kündigen. Eine Namensliste aller betroffenen Mitarbeiter war beigefügt. Daraus war die ausgeübte Tätigkeit ebenso zu ersehen wie das Einstellungsdatum, die Kündigungsfrist und Besonderheiten zum Kündigungsschutz wegen Betriebsratstätigkeit, Elternzeit oder Schwerbehinderung. Nach der Überzeugung des Gerichts kann eine darüber hinausgehende weitere Unterrichtungspflicht vom Arbeitgeber nicht verlangt werden. Dies gilt insbesondere deswegen, weil eine Sozialauswahl bei der Kündigung von allen Mitarbeitern nicht erforderlich ist.
Der Antrag zu 3. ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines vorläufigen qualifizierten Arbeitszeugnisses, weil das Arbeitsverhältnis nach den oben getroffenen Feststellungen beendet ist. Auf die Frage, gegen wen sich der Zeugnisanspruch richtet, kommt es an dieser Stelle nicht an.
Der Antrag zu 4. ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung gegen die Beklagte zu 1). Nach den oben getroffenen Feststellungen besteht zu dieser schon seit dem 01.06.2000 kein Arbeitsverhältnis mehr.
Der Kläger hat auch keinen hilfsweisen Anspruch auf Weiterbeschäftigung gegen die Beklagte zu 2).
Der besondere betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch ist nicht gegeben.
Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen, § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG.
Dieser Weiterbeschäftigungsanspruch ist davon abhängig, dass der Betriebsrat der Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen hat. Der Beschluss des Betriebsrats muss nach § 33 BetrVG wirksam gefasst und den Anforderungen des § 102 Abs. 3 BetrVG entsprechen. Ein rechtlich erhebliches Widerspruchsrecht steht dem Betriebsrat nur aus den in § 102 Abs. 3 BetrVG aufgeführten Gründen zu.
Daran fehlt es hier. Der Betriebsrat hat seinen Widerspruch ausschließlich auf § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG gestützt. Damit hat er gerügt, dass der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Diese Auffassung des Betriebsrats war unzutreffend. Wie das Gericht bereits oben festgestellt hat, hatte eine soziale Auswahl durch den Arbeitgeber nicht zu erfolgen. Daher kam es auch nicht darauf an, welche Sozialdaten der Arbeitnehmer im Einzelnen mitgeteilt worden sind. Der Betriebsrat ist davon ausgegangen, es liege lediglich eine Standortschließung und keine Betriebsschließung vor. Auch insoweit hat der Betriebsrat den Betriebsbegriff verkannt. Auf die oben getroffenen Feststellungen wird Bezug genommen.
Auch ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch ist nicht gegeben.
Bei dem durch die Rechtsprechung des Großen Senats des BAG entwickelten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch handelt es sich um einen uneigentlichen Hilfsantrag, der nur bei Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung zur Entscheidung anfällt.
Der Antrag zu 5. ist teilweise begründet.
Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis aus § 630 S. 4 BGB i.V.m. § 109 GewO. Dieser Anspruch ist jedoch ausschließlich gegen den aktuellen Vertragspartner des Klägers im Arbeitsverhältnis gerichtet. Nach den oben getroffenen Feststellungen besteht der Zeugnisanspruch daher nicht gegenüber der Beklagten zu 1), sondern ausschließlich gegenüber der Beklagten zu 2).
Der Antrag zu 6. ist wiederum unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung aus Annahmeverzug für die Monate Juli bis Oktober 2021, weil das Arbeitsverhältnis nach den oben getroffenen Feststellungen mit Ablauf des 30.06.2021 rechtswirksam beendet worden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Die Kostenquote entspricht dem Anteil des Obsiegens und Unterliegens der Parteien.
Der nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzende Wert des Streitgegenstandes folgt für die Bestandsschutzstreitigkeiten aus § 42 Abs. 2 S. 1 GKG. Das Gericht hat für die angegriffene Kündigung der Beklagten zu 1) und für die angegriffene Kündigung der Beklagten zu 2) jeweils 3 Verdienste in Höhe von 3.958,77 € brutto monatlich zu Grunde gelegt. Für den Zeugnisanspruch und die Weiterbeschäftigung wurde jeweils 1 weiterer Bruttomonatsverdienst berücksichtigt. Der Wert des Annahmeverzuges folgt aus der Höhe des eingeklagten Betrages.


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