Arbeitsrecht

Betriebsrat, Arbeitnehmer, Arbeitszeit, Betriebsvereinbarung, Einigungsstelle, Arbeitgeber, Betrieb, Beisitzer, Antragsteller, Zeiterfassung, Arbeitszeiterfassung, Unternehmen, Gesundheitsschutz, Rechtsauffassung, nationale Regelung, Richter am Arbeitsgericht, eine Angelegenheit

Aktenzeichen  37 BV 39/21

Datum:
29.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28925
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Als Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Einführung einer Arbeitszeiterfassung für alle Beschäftigen des Vertretungsbereichs der Beteiligten zu 1), die nicht unter den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit mit elektronischer Zeiterfassung vom 18.07.1997“ fallen, wird Richter J. bestellt.
2. Die Anzahl der Beisitzer wird auf 3 pro Seite festgesetzt. Im Übrigen wird abgewiesen.

Gründe

I.
Die Parteien streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle.
Der Antragsteller ist der Betriebsrat bei den Beteiligten zu 2) – 9), welche Unternehmen in einem Medienkonzern sind. Diese haben einen gemeinsamen Betrieb. Der Antragsteller wurde als Betriebsrat für den gemeinsamen Betrieb gewählt. Im gemeinsamen Betrieb sind rund 1000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt.
Für den Vertretungsbereich des Betriebsrats der Beteiligten zu 2) – 9) gilt für einen Teil der Beschäftigten die Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeiten mit elektronischer Zeiterfassung von 18.07.1997. Der persönliche Geltungsbereich ist auf die in der dazugehörigen Anlage 9 zur Betriebsvereinbarung genannten Abteilungen beschränkt. Für alle Bereiche, die nicht unter den Geltungsbereich der bestehenden Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit fallen, gibt es keine Arbeitszeiterfassung. Dies betrifft insbesondere die Beschäftigten der Redaktionen und die außertariflich beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Betriebsrat forderte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 15.12.2020 auf, für alle Bereiche des gemeinsamen Betriebes, die nicht unter den Geltungsbereich der bestehenden Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit fallen, eine objektive, verlässliche und nachvollziehbare Arbeitszeiterfassung einzuführen. Die Arbeitgeberin teilte am 25.01.2021 telefonisch mit, dass sie sich nicht verpflichtet sehe, eine Arbeitszeiterfassung für diese Bereiche einzuführen und daher jedwede Verhandlung zu diesem Regelungsgegenstand ablehne.
Der Betriebsrat beantragt,
1. Als Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand, „Einführung einer Arbeitszeiterfassung für alle Beschäftigten des Vertretungsbereichs der Beteiligten zu 1), die nicht unter den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit mit elektronischer Zeiterfassung vom 18.07.1997 fallen“, wird Herr J., Richter am Arbeitsgericht München bestellt.
2. Die Anzahl der Beisitzer, die vom Arbeitgeber und Betriebsrat bestellt werden, wird auf vier festgesetzt.
Für den Fall des Unterliegens:
3. Als Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand, „Einführung einer technischen Arbeitszeiterfassung für alle Beschäftigten des Vertretungsbereiches der Beteiligten zu 1), die nicht unter den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung über gleitenden Arbeitszeit mit elektronischer Zeiterfassung vom 18.07.1997 fallen“, wird Herr J., Richter am Arbeitsgericht München bestellt.
Der Beteiligtenvertreter zu 2) – 9) beantragt,
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Antragssteller zu 2) – 9) sind der Rechtsauffassung, für den beantragten Regelungsgegenstand sei die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig. Zu den rechtlichen Ausführungen im Einzelnen wird Bezug genommen auf den Schriftsatz des Vertreters der Beteiligten zu 2) – 9) vom 11.03.2021.
II.
1. Die Hauptanträge sind zulässig und zum Großteil begründet. Eine Einigungsstelle ist einzusetzen, da die Arbeitszeiterfassung den Gesundheitsschutz betrifft. Die Beisitzer wurden jedoch mit drei anstatt mit vier pro Seite festgesetzt.
a. Gemäß § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG kann wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle der Antrag auf Bestimmung der Person des Einigungsstellenvorsitzenden sowie der Anzahl der Beisitzer nur dann zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist.
b. Gemäß § 87 Abs. 2 BetrVG entscheidet die Einigungsstelle, wenn eine Einigung zwischen dem Betriebsrat und der Arbeitgeberseite über eine Angelegenheit nach § 87 Abs. 1 BetrVG nicht zustande kommt. Gemäß § 87 Abs. 1 Ziff. 7 BetrVG hat der Betriebsrat in Angelegenheiten zur Regelung über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften mitzubestimmen.
c. Die Arbeitszeiterfassung ist eine Angelegenheit des Gesundheitsschutzes. Dies ergibt sich aus der Entscheidung des EUGH vom 14.05.2019 C-55/18. Die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung resultiert aus der RL 2003/88/EG -im Lichte des Art.31 Abs. 2 GrCH- und aus Artikel 6 Abs. 1 der RL 89/391. Diese beinhalten den Gesundheitsschutz.
§ 87 Abs. 1 Ziff. 7 BetrVG umfasst den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften. Die Richtlinien sowie Art. 31 Abs. 2 GrCH sind solche gesetzlichen Vorschriften. Hierbei ist es irrelevant, dass der nationale Gesetzgeber es bisher versäumt hat, eine nationale Regelung zur Arbeitszeiterfassung zu erlassen. Denn Art.31 GrCH ist als Primärrecht unmittelbar anwendbar. Primärrecht bindet auch, wenn der nationale Gesetzgeber seiner Verpflichtung nicht nachkommt.
Die Arbeitszeiterfassung dient dem Gesundheitsschutz, das Primärrecht ist eine gesetzliche Vorschrift i.S.d. § 87 Abs. 1 Ziff. 7 BetrVG. Die Arbeitszeiterfassung unterfällt daher dem § 87 Abs. 1 Ziff. 7 BetrVG.
Eine offensichtliche Unzuständigkeit liegt daher keinesfalls vor.
d. Hinsichtlich des Vorsitzenden bestanden keine Unstimmigkeiten.
e. Die Anzahl der Beisitzer wurde mit drei festgesetzt. Daher wurde der Antrag im Übrigen abgewiesen.
Hierbei ist das Gericht davon ausgegangen, dass ein anwaltlicher Vertreter, der Betriebsratsvorsitzende oder sein Stellvertreter sowie ein Betriebsrat aus einer betroffenen Abteilung beziehungsweise der betroffenen Tätigkeiten an der Einigungsstelle teilnimmt. Die beantragten vier Beisitzer waren nach Auffassung des Gerichtes nicht notwendig.
III.
Gegen diese Entscheidung ist das Rechtsmittel der Beschwerde zum Landesarbeitsgericht München eröffnet.


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