Arbeitsrecht

Eingruppierung – Tarifautomatik – konstitutive oder deklaratorische Vertragsbestimmung – Allgemeine Geschäftsbedingungen – Unklarheitenregel

Aktenzeichen  4 AZR 387/20

Datum:
2.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2021:020621.U.4AZR387.20.0
Normen:
§ 305 Abs 1 S 1 BGB
§ 305c Abs 2 BGB
§ 12 TV-L
§ 13 TV-L
Anl A Teil II Abschn 22.1 Entgeltgr 12 Fallgr 1 TV-L
§ 22 BAT
Spruchkörper:
4. Senat

Verfahrensgang

vorgehend Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen, 23. Januar 2020, Az: 5 Ca 186/19, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 29. Juni 2020, Az: 9 Sa 21/20, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg – Kammern Freiburg – vom 29. Juni 2020 – 9 Sa 21/20 – aufgehoben, soweit es auf die Berufung des beklagten Landes das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 23. Januar 2020 – 5 Ca 186/19 – teilweise abgeändert hat.
2. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 23. Januar 2020 – 5 Ca 186/19 – wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu 65 % zu tragen, das beklagte Land zu 35 %. Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers im Zeitraum von März bis einschließlich August 2017 und sich daraus ergebende Ansprüche auf Zahlung von Differenzvergütung.
2
Der nicht tarifgebundene Kläger ist bei der Hochschule F des beklagten Landes seit dem 1. März 2011 beschäftigt. Grundlage war zunächst ein befristeter Arbeitsvertrag vom 25. Januar 2011; im Folgenden kam es zum Abschluss weiterer Arbeits- und Änderungsverträge.
3
Der für den Streitzeitraum maßgebliche „Arbeitsvertrag für Beschäftigte, für die der TV-L gilt,“ vom 27. Juli 2015 lautet auszugsweise:
        
„§ 1 Einstellung, Beschäftigungsumfang
        
Frau/Herr W
        
wird ab 01.September 2015
        
auf unbestimmte Zeit eingestellt
        
        
☒ als Vollbeschäftigte/Vollbeschäftigter.
        
        
        
…       
        
        
Die Basisarbeitszeit (regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit einer/eines entsprechenden Vollbeschäftigten) bestimmt sich bei der vorgesehenen Beschäftigung
        
        
        
☒       
nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a TV-L und beträgt derzeit 39,5 Stunden.
        
        
        
…       
        
        
        
§ 2 Anwendung tariflicher Bestimmungen
        
        
Für das Arbeitsverhältnis gelten
        
        
–       
der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L),
        
        
–       
der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) sowie
        
        
–       
die Tarifverträge, die den TV-L und den TVÜ-Länder ergänzen, ändern oder ersetzen,
        
        
in der Fassung, die für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und für das Land Baden-Württemberg jeweils gilt und
        
        
–       
sonstige einschlägige Tarifverträge für das Land Baden-Württemberg.
        
        
…       
        
        
§ 4 Eingruppierung
        
        
Die Einstellung erfolgt für Tätigkeiten der Entgeltgruppe 11 TV-L.
        
        
…       
        
        
Der Arbeitgeber ist berechtigt, der/dem Beschäftigten aus dienstlichen Gründen eine andere Tätigkeit im Rahmen der Entgeltgruppe zuzuweisen.
        
        
…“    
        
4
Der Kläger besitzt einen Studienabschluss (Bachelor of Science) als Sicherheitsingenieur. Er übt seit Beginn des Arbeitsverhältnisses die in Stellenbeschreibungen vom 1. August 2010 und vom 6. Juli 2018 benannten und im Wesentlichen unveränderten Tätigkeiten aus. In der letztgenannten Stellenbeschreibung heißt es ua.:
        
„6)     
Darstellung der Tätigkeiten
        
        
        
Lfd. Nr.
Benennung der Aufgabengebiete
Detaillierte Beschreibung der einzelnen Aufgabengebiete
Anteil an der Gesamtarbeitszeit in %
        
1       
operative Leitung und Betrieb sowie wissenschaftliche Begleitung des Sicherheitslabors
Leitung und Durchführung des sicherheitstechnischen Labors (Themenfelder u.a. Lärm, Maschinensicherheit, Vibrationen, Elektroprüfung);
10 %   
        
        
Planung, Instandhaltung, Beschaffung der Laborausrüstung, Raumplanung;
        
        
        
Sicherheitsaspekte: Aktualisieren der Betriebsanweisungen und Sicherheitsvorschriften, Entwicklung/Realisierung von Sicherheitskonzepten, Überwachung und Dokumentation der o.g. Sicherheitsmaßnahmen
        
        
2       
Weiterentwicklung der Forschungsaktivitäten im Bereich Arbeitsschutz mit Schwerpunkt auf physikalisch-technischen Gefährdungen
Ermittlung, Bewertung und Einwerben von Drittmittelaufträgen, Strategischer Ausbau der begonnenen und weiterer Kontakte zu Drittmittelgebern und Projektpartnern (wie BGIA, VDSI, VDI, EMI, IGB, IPA etc.)
10 %   
        
        
Eigenständige Entwicklung der o.g. Forschungsschwerpunkte
        
        
        
Eigenverantwortliche Durchführung der Projekte mit Mitarbeiterin, Studenten und in Kooperationen
        
        
3       
Weiterverfolgung und Ausbau von angebahnten Kooperationen mit Partnern aus der Industrie und Forschung
Beispiele:
20 %   
Lärmminderungsprojekte im K AG, Langfristige Projekte zur Maschinenlärmemission bei der Fa. R,
Projekte im Montagelabor des Instituts für Arbeitswissenschaft und Arbeitsorganisation in Stuttgart, Projekt ‚Zündquelle Ultraschall‘ gemeinsam mit der PTB und dem Institut für Chemische Technik in P
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
        
4       
Akquise, Planung, Organisation und Durchführung von F&E-Projekten
Selbstständige Einwerbung von industrienahen Drittmitteln,
20 %   
        
Beobachten und Bewerten von einschlägigen Ausschreibungen,
        
Weiterentwickeln von Thesisarbeiten zu umfassenden Projekten mit Partnern aus der Industrie und Forschung
        
5       
Durchführung von Messungen und Vermittlung von Grundlagen u.a. zu den Themengebieten Lärm, Vibrationen und Trittsicherheit
Erstellen von Übungen, Lehrgangsunterlagen, etc., Didaktischer Aufbau von Laborstationen, Abnahme von laborspezifischen Studienleistungen
15 %   
        
6       
Betreuung von Studierenden
Unterstützung und Beratung bei Abschlussarbeiten bei denen das Laborequipment (z.B. Lärmmessung) eingesetzt wird,
25 %   
Korrektur der Ausarbeitungen, Betreuung von Studien-, Thesis- und Projektarbeiten
        
        
        
Gesamt:
100     
        
…“    
        
        
5
Zunächst wurde der Kläger nach Entgeltgruppe 10 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vergütet, seit dem 1. März 2014 nach Entgeltgruppe 11 TV-L. Am 27. September 2017 machte der Kläger rückwirkend zum 1. März 2017 eine Eingruppierung nach Entgeltgruppe 13 TV-L geltend. Aufgrund Änderungsvertrags vom 27. Juni 2019 wird der Kläger mit Wirkung ab 1. September 2017 nach Entgeltgruppe 12 TV-L vergütet.
6
Der Kläger hat – soweit für die Revision noch von Interesse – die Auffassung vertreten, er sei bereits seit dem 1. März 2017 nach Entgeltgruppe 12 TV-L zu vergüten. Er sei nicht für „Tätigkeiten der Entgeltgruppe 11 TV-L“, sondern für die Ausübung der in der Stellenausschreibung beschriebenen Tätigkeiten eingestellt worden. Diese hätten auch im Streitzeitraum das tarifliche Tätigkeitsmerkmal erfüllt.
7
Der Kläger hat insoweit zuletzt beantragt,
        
die Beklagte zu verurteilen, Gehaltsrückstände für den Zeitraum von März 2017 bis einschließlich August 2017 iHv. 2.730,90 Euro brutto zuzüglich einer Verzinsung iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins p. a. seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
8
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt. Es hat die Auffassung vertreten, im Arbeitsvertrag vom 27. Juli 2015 sei die Entgeltgruppe verbindlich festgelegt worden. Die Parteien hätten vereinbart, dass dem Kläger nur Tätigkeiten der Entgeltgruppe 11 TV-L, beschränkt auf den Dienstbetrieb der Hochschule F, zugewiesen werden könnten. Daher könne weder der Kläger eine Beschäftigung mit Aufgaben einer höheren Entgeltgruppe fordern noch das beklagte Land ihm entsprechende Aufgaben einseitig übertragen. Für die Eingruppierung maßgeblich sei nicht die tatsächlich ausgeübte, sondern die vom Arbeitnehmer auszuübende, dh. die vertraglich geschuldete Tätigkeit. Damit der Grundsatz der Tarifautomatik greifen könne, bedürfe es zwingend eines abstrakten, mehrere Entgeltgruppen umspannenden Tätigkeitsrahmens. Daran fehle es hier. Erst seit dem 1. September 2017, dem Zeitpunkt der einvernehmlichen Vertragsänderung, habe der Kläger einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe 12 TV-L.
9
Das Arbeitsgericht hat der Klage – soweit für die Revision von Interesse – stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung des beklagten Landes abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht insoweit zugelassenen Revision strebt der Kläger eine Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung an. Die weitergehend auf Vergütung nach Entgeltgruppe 13 TV-L gerichtete Klage haben die Vorinstanzen rechtskräftig abgewiesen.


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