Arbeitsrecht

Einigungsstelle, Rechtsschutzbedürfnis, Person des Vorsitzenden

Aktenzeichen  3 TaBV 59/21

Datum:
13.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44242
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
ArbGG: § 100
BetrVG: § 74 Abs. 1 S. 2, § 76 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 87 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Das Gericht ist nicht gehalten, bei der Bestellung des Einigungsstellenvorsitzenden nach § 100 ArbGG diejenige Person auszuwählen, die der Antragsteller benannt hat. Es kann auch ohne nachvollziehbare, stichhaltige oder ernsthafte Einwendungen gegen diese Person bei einem “schlichten Nein” des weiteren Beteiligten eine andere geeignete Person als Vorsitzenden einsetzen. Die gegensätzige Rechtsprechung (LAG München, Beschluss vom 25.03.2021 – 3 TaBV 3/21) wird aufgegeben.

Verfahrensgang

31 BV 210/21 2021-09-13 Bes ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 13.09.2021 – 31 BV 210/21 – teilweise zur Person des Einigungsstellenvorsitzenden abgeändert und Herr Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht S zum Vorsitzenden der durch das Arbeitsgericht eingesetzten Einigungsstelle bestellt.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten zuletzt noch über die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Arbeitszeit und die Person des Einigungsstellenvorsitzenden.
Der Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Betriebsrat) ist der bei der Beteiligten zu 2 (im Folgenden: Arbeitgeberin) gebildete Betriebsrat. Die Arbeitgeberin unterhält bundesweit mehrere Niederlassungen, wobei die Geschäfts- und Personalleitungen ihren Sitz in C-Stadt bei DStadt haben. Das Büro des Betriebsrats befindet sich in A-Stadt.
Der Betriebsrat kündigte die „BV-Arbeitszeitinnendienst und Vertrieb“ vom 17.07.2009 mit Schreiben vom 11.02.2021 zum 30.06.2021. Mit Schreiben vom 15.03.2021 formulierte er seine Forderungen für den Abschluss einer neuen diesbezüglichen Betriebsvereinbarung und forderte die Arbeitgeberin auf, bis zum 29.03.2021 schriftlich Stellung zu nehmen. Sollten die Verhandlungen scheitern, würde der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen (vgl. Anl. K 8 = Bl. 22 f. d. A.). Mit E-Mail vom 29.03.2021 kündigte die Arbeitgeberin ihrerseits einen Entwurf für eine betriebliche Neuregelung der Arbeitszeit bis zum 16.04.2021 an (vgl. Anl. K 9 = Bl. 24 d. A.). In dieser E-Mail hieß es weiter:
„… wir schlagen vor, dass Sie diesen Entwurf sodann prüfen, mit Ihren Vorstellungen abgleichen und wir uns im Anschluss zu entsprechenden Verhandlungsterminen verabreden, in deren Rahmen wir sicher auch auf die von Ihnen genannten Forderungen näher zu sprechen kommen werden.“
Mit E-Mail vom 16.04.2021 übersandte die Arbeitgeberin ihren Entwurf für eine Neuregelung der Arbeitszeit und erklärte hierin (vgl. Anl. AG2 = Bl. 55 d. A.):
„Wir haben die Regelungen zum einen den aktuellen Bedürfnissen der Z angepasst und zum anderen das Anliegen aufgegriffen, die Arbeitszeiten der Mitarbeiter besser in Griff zu haben und so Mehrarbeit zu vermeiden.
Bitte prüfen Sie den Entwurf und lassen Sie uns im Anschluss Verhandlungstermine vereinbaren.“
Mit E-Mail vom 10.05.2021 übersandte der Betriebsrat der Arbeitgeberin seinen finalen Vorschlag zur Betriebsvereinbarung Arbeitszeitinnendienst und Vertrieb mit der Bitte um Zustimmung bis 19.05.2021. Sollte diese nicht oder nur in unwesentlichen Punkten erteilt werden, werde der Betriebsrat die Einigung als gescheitert erklären und die Einigungsstelle anrufen (Anl. K 11 = Bl. 27 d. A.). Mit E-Mail vom 28.05.2021 erklärte die Arbeitgeberin, dass sie die beiden Betriebsvereinbarungsentwürfe gegenübergestellt habe, dabei seien Fragen aufgekommen, wobei sie sich vorstellen könne, dass dies den Betriebsrat ähnlich ergangen sei (vgl. Anl. AG3 = Bl. 56 d. A.). Weiter hieß es in dieser E-Mail:
„Aus diesem Grund sollten wir im ersten Schritt ein gemeinsames Verständnis unserer Positionen erhalten, um im Anschluss Lösungsvorschläge erörtern zu können.
Als Termin kann ich Ihnen den 1. Juni, 13:00 Uhr bis 14:00 Uhr und/oder 11. Juni im Rahmen des Monatsgesprächs anbieten. …“
Mit Schreiben vom 02.06.2021 stellt der Betriebsrat das Scheitern der Verhandlungen fest, es solle nunmehr eine Einigungsstelle unter Vorsitz von Prof. Dr. Y, mit je drei Beisitzern pro Seite angerufen werden.
Der Betriebsrat hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass die Verhandlungen gescheitert seien. Die Arbeitgeberin sei auf die Forderungen des Betriebsrats nicht eingegangen, sondern habe hierauf substanzlos reagiert. Aufgrund ihres Verhaltens, wie es in der E-Mail-Korrespondenz zum Ausdruck käme, sei es dem Betriebsrat nicht verwehrt, weitere Verhandlungen für aussichtslos zu halten. Gegen den vorgeschlagenen Einigungsstellenvorsitzenden seien keine sachlichen Einwände zu erheben. Die Hinzuziehung von drei Beisitzern sei erforderlich.
Die Arbeitgeberin hat zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags bestritten, dass das erforderliche Rechtschutzbedürfnis für die Einsetzung der Einigungsstelle vorliege. Die Arbeitgeberin habe Verhandlungen zu keinem Zeitpunkt verweigert, sondern den Betriebsrat seit Monaten aufgefordert, in solche einzutreten. Die E-Mail-Korrespondenz zeige, dass der Betriebsrat außerhalb der Einigungsstelle nicht mit der Arbeitgeberin sprechen wolle. Dies laufe dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Betriebsparteien zuwider. Aus Kostengründen sei ein Vorsitzender mit einem geringen Anfahrtsweg auszuwählen. Es sei ausreichend, lediglich zwei Beisitzer je Seite zu bestimmen.
Das Arbeitsgericht München hat durch Beschluss vom 13.09.2021 – 31 BV 210/21 – zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle über die zwischen den Beteiligten streitige Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit“ Herrn Prof. Dr. Y bestellt, die Zahl der von jedem Beteiligten zu benennenden Beisitzer der Einigungsstelle auf zwei festgesetzt und im Übrigen den Antrag zurückgewiesen. Der Antrag sei zulässig. Es fehle nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Es sei von einem Scheitern der Verhandlungen auszugehen. Der Betriebsrat habe einen ausreichenden Versuch zu einer Verhandlungslösung unternommen, indem er der Arbeitgeberin zunächst seine wesentliche Forderung für eine Betriebsvereinbarung übermittelt und diese in einem Entwurf für eine neue Betriebsvereinbarung am 10.05.2021 bekräftigt habe. Die Arbeitgeberin sei auf die vom Betriebsrat geäußerten Forderungen zu keinem Zeitpunkt konkret eingegangen, ihr Entwurf für eine Betriebsvereinbarung stelle aus Sicht des Betriebsrats in maßgeblichen Punkten sogar eine Verschlechterung gegenüber der bisherigen Betriebsvereinbarung dar. Daher habe der Betriebsrat im Zeitpunkt der Antragstellung nach § 100 ArbGG aufgrund des bisherigen Verhaltens der Arbeitgeberin annehmen dürfen, dass eine Konfliktlösung in angemessener Zeit nicht mehr erreichbar sein würde. Hieran würden auch die mehrfach angebotenen Verhandlungstermine nichts ändern. Mangels Äußerung der Arbeitgeberin zu den vom Betriebsrat aufgestellten wesentlichen Forderungen habe dieser nach seiner subjektiven Einschätzung davon ausgehen können, dass diese wesentlichen Punkte auch im Rahmen von weiteren Verhandlungsterminen nicht geklärt werden könnten. Selbst wenn ein Verhandlungstermin eine einzelne Frage geklärt hätte, erweise sich die Einschätzung des Betriebsrats, dass jedenfalls keine Konfliktlösung insgesamt hätte erzielt werden können, nicht als offensichtlich unbegründet. Der Antrag sei auch überwiegend begründet. Die vom Betriebsrat begehrte Einigungsstelle sei einzurichten, da sie nicht offensichtlich unzuständig sei, § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Diesbezügliche Einwände seien auch von der Arbeitgeberin nicht geltend gemacht worden. Die Einigungsstelle sei unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Y einzurichten. Auch nach dem Vortrag der Arbeitgeberin bestünden keine Zweifel daran, dass Prof. Dr. Y die Gewähr für eine neutrale Verhandlungsführung und aufgrund seiner Sach- und Rechtskunde auch die Gewähr für eine zügige Durchführung des Einigungsstellenverfahrens biete. Dessen Wohnsitz spiele bei dieser Beurteilung keine Rolle. Erhöhte Fahrtkosten könnten im Rahmen der abzuschließenden Honorarvereinbarung berücksichtigt werden. Hinsichtlich der Festlegung der Anzahl der Beisitzer sei der Antrag jedoch nur insoweit begründet, als die Anzahl der Beisitzer der einzusetzenden Einigungsstelle pro Betriebspartei auf zwei festzusetzen sei.
Gegen diesen, ihren Verfahrensbevollmächtigten am 17.09.2021 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 28.09.2021 Beschwerde beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese am selben Tage begründet.
Der Antrag sei unzulässig, weil es an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehle. Verhandlungen hätten bislang nicht stattgefunden und seien auch nicht gescheitert. Die Arbeitgeberin habe zu keinem Zeitpunkt Verhandlungen verweigert, sondern habe den Betriebsrat mehrfach aufgefordert, mit ihr in Verhandlungen einzutreten, im Rahmen derer seine Forderungen thematisiert werden sollten (E-Mail vom 29.03.2021). Der Betriebsrat sei nicht bereit, seine Position und/oder das dahinterstehende Interesse zu erläutern. Soweit er Forderungen nenne, bliebe unklar, was genau der Inhalt der Forderung sei und worauf der Betriebsrat abziele. Soweit in seinem Entwurf Regelungen enthalten seien, die in ihrer Formulierung gegenüber der vormaligen Regelung verändert worden seien, sei unklar, ob damit eine inhaltliche Änderung bezweckt sei und ggf. weshalb. In einen Dialog über solche Fragen habe der Betriebsrat bislang nicht einsteigen wollen. Auch nach der Wahrnehmung der Arbeitgeberin sei daher bislang nur „substanzlose Korrespondenz“ ausgetauscht worden. Soweit das Arbeitsgericht meine, dass der Betriebsrat „nach seiner subjektiven Einschätzung“ davon habe ausgehen können, dass Verhandlungen scheitern würden, werde auf die rein subjektive Prognose einer Seite abgestellt. Dies stehe in Widerspruch zu § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG und der BAG-Rechtsprechung. Die bloße Annahme einer Betriebspartei, Verhandlungen seien aussichtslos, würde nicht reichen. Da Betriebsparteien zu Beginn von Verhandlungen stets unterschiedliche Standpunkte hätten, könnte mit dem Verweis auf die „subjektive Einschätzung“ einer Seite, dass man sich nicht einigen können werde, stets sogleich die Einigungsstelle angerufen werden. Der Betriebsrat habe keineswegs aufgrund des bisherigen Verhaltens der Arbeitgeberin davon ausgehen dürfen, dass eine Konfliktlösung in angemessener Zeit nicht mehr erreichbar sein würde. Mit dem Entwurf für eine Betriebsvereinbarung habe die Arbeitgeberin sich gerade auf Verhandlungen eingelassen. Darüber hinaus sei die Arbeitgeberin nicht mit Herrn Prof. Dr. Y als Vorsitzenden der Einigungsstelle einverstanden. In Bezug auf seine Person bestünden seit der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 13.09.2021 tiefgreifende Bedenken hinsichtlich seiner Unparteilichkeit. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats habe in dieser Verhandlung erklärt, Herr Prof. Dr. Y sei der Einzige, der die Interessen des Betriebsrats durchsetzen könne. Diese Äußerung würde den Verdacht begründen, dass Herr Prof. Dr. Y die zwingende Voraussetzung der Unparteilichkeit nicht erfülle. Darüber hinaus seien die zu erwartenden erhöhten Fahr- und ggf. Übernachtungskosten bei der Bestellung des Einigungsstellenvorsitzenden zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang sei richtig zu stellen, dass sich das Büro des Betriebsrats nicht in A-Stadt befinde. Die Arbeitgeberin schlage deshalb den Richter am Arbeitsgericht in Nürnberg, Herrn X als Vorsitzenden der Einigungsstelle vor, der in D-Stadt wohnhaft sei, sodass kaum Reiseaufwand entstehen würde. Alternativ sei die Arbeitgeberin mit jeder anderen in Bayern ansässigen Person als Einigungsstellenvorsitzenden einverstanden.
Die Arbeitgeberin beantragt,
I. Der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 13.09.2021, Az. 31 BV 210/21, wird abgeändert.
II. Der Antrag des Beteiligten zu 1. wird zurückgewiesen.
III. Hilfsweise:
Zum Vorsitzenden der Einigungsstelle zum Gegenstand „Betriebsvereinbarung Arbeitszeit“ wird Herr X, Richter am Arbeitsgericht Nürnberg, bestellt.
Der Beteiligte zu 1. beantragt,
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Ein Rechtschutzbedürfnis für die Einsetzung der Einigungsstelle liege vor. Verhandlungen könnten auch ohne physische Präsenz durchgeführt werden. Maßgeblich sei, dass auf welche Weise auch immer, eine Einigung der Betriebsparteien angestrebt und grundsätzlich erreicht werden könne. Die Arbeitgeberin habe zu den Forderungen des Betriebsrats nicht inhaltlich Stellung genommen bzw. sei nicht auf diese eingegangen. Die Ankündigung eines eigenen Betriebsvereinbarungsentwurfs mit E-Mail vom 29.03.2021 habe Verhandlungen hinausgezögert. Der Betriebsrat habe zudem diesen Entwurf prüfen sollen, ohne dass auf seine Forderungen eingegangen worden sei. Auch mit E-Mail vom 28.05.2021 habe sich die Arbeitgeberin nicht zu den Forderungen des Betriebsrats geäußert, sondern allgemein und abstrakt von der Erörterung von Lösungsvorschlägen gesprochen, statt auf den Punkt zu kommen. Der seitens der Arbeitgeberin vorgelegte Entwurf einer neuen Betriebsvereinbarung habe die bisherigen Regelungen zum Gleitzeitrahmen und zur persönlichen Geltung der Betriebsvereinbarung verschlechtert. Auch sei es dem Betriebsrat für die Arbeitgeberin erkennbar auf die Vergütung jeglicher Mehrarbeit angekommen. Eine Betriebspartei könne aber Verhandlungen für gescheitert erklären, wenn aus ihrer Sicht weitere substanzlose Korrespondenz keinen Sinn mache und von einem Scheitern der Verhandlungen auszugehen sei. Soweit die Arbeitgeberin erstmals gravierende Einwände gegen die Neutralität des vorgesehenen Einigungsstellenvorsitzenden erhebe, bestreitet der Betriebsrat, dass ihr Verfahrensbevollmächtigter eine solche Erklärung, die nicht protokolliert worden sei, im Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht abgegeben habe. Der Betriebsrat sei mit dem personellen Vorschlag der Arbeitgeberin nicht einverstanden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig und teilweise begründet.
1. Die gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 ArbGG eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig.
2. Die Beschwerde ist auch teilweise begründet. Es war gem. § 100 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 76 Abs. 2 BetrVG eine Einigungsstelle einzurichten, wenngleich mit dem Vorsitzenden Richter am LAG, Herrn S, als Vorsitzenden.
a) Der Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle ist zulässig. Es liegt insbesondere das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis des Betriebsrats für den Antrag nach § 100 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 76 Abs. 2 BetrVG vor.
aa) Für die Bildung einer Einigungsstelle fehlt grundsätzlich das Rechtsschutzinteresse, wenn die Betriebsparteien in einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit nicht den nach § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG vorgesehenen Versuch einer gütlichen Einigung unternommen, sondern sofort die Einigungsstelle angerufen haben. Ein Rechtsschutzinteresse besteht deshalb nur, wenn der Antragsteller geltend macht, dass entweder die Gegenseite Verhandlungen über das Regelungsverlangen ausdrücklich oder konkludent verweigert hat oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sind (BAG v. 18.03.2015 – 7 ABR 4/13 – Rn. 17 m. w. Nachw. aus der Literatur; LAG München v. 25.03.2021 – 3 TaBV 3/21 -; LAG Düsseldorf v. 16.07.2019 – 3 TaBV 36/19 m. w. N.).
Ob die Gegenseite Verhandlungen verweigert oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sind, bleibt der subjektiven Einschätzung jedes Betriebspartners überlassen, die nicht offensichtlich unbegründet sein darf (vgl. Kliemt in Schwab/Weth, ArbGG, 5. Aufl. 2018, Anhang „Das Einigungsstellenverfahren“, Rn. 46a m. w. N. zur Rechtsprechung; Ahrendt in Schaub, ARHdb, 19. Aufl. 2021, § 232 Rn. 14; Spirolke in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Aufl. 2016, § 109 BetrVG Rn. 3; Reinhard in MüHdbAR, Bd. 3: Kollektives Arbeitsrecht I, 4. Aufl. 2019, § 308 Rn. 35; Tschöpe, NZA 2004, 945, 946). Anderenfalls würde der in § 100 ArbGG zugrundeliegende Beschleunigungszweck konterkariert werden, nach dem beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung gestellt werden soll (vgl. GMP/Schlewing, 9. Aufl. 2017, ArbGG § 100 Rn. 16). Zudem hätte es die verhandlungsunwillige Partei durch geschicktes Taktieren in der Hand, die Einsetzung einer Einigungsstelle längere Zeit zu blockieren (vgl. Kliemt, a.a.O.).
bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist das Rechtschutzbedürfnis für den Antrag des Betriebsrats zu bejahen.
Der Betriebsrat hat einen ausreichenden Versuch zu einer Verhandlungslösung unternommen. Er hat der Arbeitgeberin mit Email vom 15.03.2021 seine inhaltlichen Forderungen für den Abschluss einer BV Arbeitszeit mitgeteilt. Durch ihren mit Email vom 16.04.2021 vorgelegten Entwurf einer BV Arbeitszeit hat die Arbeitgeberin deutlich gemacht, dass sie mit den Vorschlägen des Betriebsrats nicht einverstanden ist. Darüber hinaus hat sie die Gründe ihrer Ablehnung mitgeteilt: die Regelungen ihres Entwurfs einer BV Arbeitszeit seien zum einen „den aktuellen Bedürfnissen … (der Arbeitgeberin) angepasst.“ Zum anderen sei es das Anliegen gewesen, „die Arbeitszeiten der Mitarbeiter besser im Griff zu haben und so Mehrarbeit zu vermeiden.“ Hierauf hat der Betriebsrat seinerseits mit dem per Email vom 10.05.2021 übersandten eigenen Entwurf einer BV Arbeitszeit geantwortet, der – wie die Arbeitgeberin in ihrer Gegenüberstellung herausgearbeitet hat – in einer Vielzahl von Punkten zu ihrem Entwurf kontrovers ist. Sowohl der Betriebsrat als auch die Arbeitgeberin haben dabei zu keinem Zeitpunkt deutlich gemacht, dass inhaltlich eine Einigungsbereitschaft bestehe, insbesondere welche ihrer Forderungen unter Berücksichtigung des jeweiligen Gegenentwurfs verhandelbar seien. So kündigt die Arbeitgeberin in ihrer Email vom 29.03.2021 lediglich an, „auf die … genannten Forderungen näher zu sprechen (zu) kommen“, zeigt sich damit aber nicht über ihre Positionen verhandlungsbereit. Wenn die Arbeitgeberin in der Email vom 16.04.2021 dann darum bittet, der Betriebsrat möge ihren Entwurf „prüfen“, und vorschlägt, „im Anschluss Verhandlungstermine (zu) vereinbaren“, obwohl sie mit ihrem Entwurf von den Forderungen des Betriebsrats offensichtlich abgewichen ist, ist die subjektive Einschätzung des Betriebsrats nicht offensichtlich unbegründet, der Arbeitgeberin fehle es an Verhandlungsbereitschaft über seine Forderungen. Eine Verhandlungsbereitschaft kommt auch nicht ausreichend zum Ausdruck, wenn die Arbeitgeberin mit Email vom 28.05.2021 vorschlägt, „im ersten Schritt ein gemeinsames Verständnis unserer Positionen (zu) erhalten, um im Anschluss Lösungsvorschläge erörtern zu können.“ Erneut werden Verhandlungen aufgeschoben, statt direkt aufzunehmen. Dabei vermittelt das vorgeschlagene Procedere keine Gewähr für eine baldige Einigung, weil offenbleibt, wann und wie dieses gemeinsame Verständnis gefunden wird und wer dies feststellt. Die dann genannten Terminvorschläge erscheinen mit einstündiger Dauer bzw. im Rahmen des Monatsgesprächs zudem auch für einen ersten Verhandlungstermin nach Umfang und Gelegenheit unzureichend. Weitere Verhandlungstermine werden schon nicht vorgeschlagen.
Dem Rechtschutzbedürfnis steht nicht entgegen, dass der Betriebsrat mit Email vom 10.05.2021 unter Fristsetzung von nur neun Tagen die Zustimmung der Arbeitgeberin zum finalen Vorschlag zur Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit Innendienst und Vertrieb“ erbeten hat; andernfalls er die Einigungsstelle anrufen werde. Hiermit hat er zwar eine ultimative, von keinem Verständigungswillen getragene Forderung aufgestellt, die insbesondere im Hinblick auf die Kürze der gesetzten Frist bedenklich erscheint (LAG Düsseldorf v. 16.07.2019 – 3 TaBV 36/19 – und v. 07.04.2020 – 3 TaBV 1/20- Rn 38.). Jedoch waren zu diesem Zeitpunkt bereits fast zwei Monate verstrichen, seitdem der Betriebsrat erstmals seine Vorstellungen zum Regelungsthema formuliert hatte. Beide Betriebsparteien hatten sich bereits zu diesem Zeitpunkt inhaltlich auf ihre Positionen festgelegt; eine Einigung außerhalb der Einigungsstelle stand im Grunde nicht mehr zu erwarten.
b) Der Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle ist auch teilweise begründet.
aa) Die Einigungsstelle ist gem. § 76 Abs. 2 S. 2 BetrVG zu bestellen, da sie zur Rege lung der Angelegenheit Arbeitszeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig ist, § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Hierüber besteht zwischen den Betriebsparteien auch kein Streit.
bb) Die Beschwerde hat aber Erfolg, soweit sie sich hilfsweise gegen die Person des Vorsitzenden wendet. Es kann im vorliegenden Fall offenbleiben, ob die diesbezügliche Entscheidung des Arbeitsgerichts lediglich auf Ermessensfehler zu überprüfen ist oder ob das Beschwerdegericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen hat (vgl. ErfK/Koch, 22. Aufl. 2022, § 100 ArbGG Rn. 7 einerseits und Schlewing in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 100 Rn. 41 jeweils m. w. N. andererseits). Gegenüber dem erstinstanzlichen Einsetzungsverfahren hat sich der Sachverhalt geändert. Die Arbeitsgeberin lehnt den vorgeschlagenen Vorsitzenden nunmehr auch deshalb ab, weil ihr das Vertrauen in seine Unparteilichkeit fehlt.
(1) Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist die oder der Vorsitzende der Einigungsstelle durch das Arbeitsgericht zu bestellen, wenn sich die Betriebsparteien nicht auf eine bestimmte Person einigen konnten. Dabei dürfen nach § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nur unparteiische Personen bestellt werden. Dies sind Personen, die von den Betriebsparteien unabhängig sind und auch sonst die Gewähr für eine neutrale Verhandlungsführung bieten. Außerdem sollte die oder der Vorsitzende die für den konkreten Konflikt notwendige Sach- und Rechtskunde besitzen und in der Lage sein, die Betriebsparteien zu einer für beide Seiten tragfähigen Kompromisslösung zu führen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, B. v. 18.06.2015 – 21 TaBV 745/15 – Rn. 24 m. w. N.).
(2) Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der vorgeschlagene Einigungsstellenvorsitzende abgelehnt werden kann, ist umstritten. Einerseits wird die Auffassung vertreten, dass hierfür schlüssig nachvollziehbare, stichartige oder ernsthafte Gründe gegen die Person des unparteiischen Vorsitzenden vorgebracht werden müssten und dessen schlagwortartige Ablehnung nicht genüge (vgl. LAG Köln, Beschluss vom 04.06.2018 – 9 TaBV 25/18 – Rn. 15; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.09.2017 – 12 TaBV 7/17 – Rn. 22; LAG Nürnberg, Beschluss vom 02.07.2004 – 7 TaBV 19/04 – unter B. IV. 2. a) der Gründe). Andererseits wird die Meinung vertreten, dass die Ablehnung der Person eines unparteiischen Vorsitzenden durch eine Betriebspartei ausreiche und keiner Begründung bedürfe (sogenanntes „schlichtes Nein“, vgl. LAG Düsseldorf, Beschluss vom 09.06.2020 – 3 TaBV 31/20 – Rn. 37; vom 25.08.2014 – 9 TaBV 39/14 – Rn. 43 f.; LAG München, Beschluss vom 27.11.2019 – 5 TaBV 11/19 – Rn. 44 ff.; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.06.2010 – 6 TaBV 901/10 – Rn. 13; LAG Nürnberg, Beschluss vom 21.06.2021 – 1 TaBV 11/21 – Rn. 62; LAG Hamm, Beschluss vom 10.08.2015 – 7 TaBV 43/15 – Rn. 13 ff.; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 04.09.2002 – 4 TaBV 8/02 – unter 2. 2. der Gründe; aus der Literatur vgl. Fitting, BetrVG, 30. Auflage 2020, § 76 Rn. 25; GK-BetrVG/Kreutz/Jacobs, 11. Auflage 2018, § 76 Rn. 63; Kühnreich in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016 § 76 BetrVG Rn. 19; anderer Ansicht Arendt in Schaub, ArbRHd, 19. Auflage 2021, § 232 Rn. 19; Krasshöfer in Düwell, BetrVG, 5. Auflage 2018, § 76 Rn. 16; Ricardi/Maschmann in Ricardi, BetrVG, 16. Auflage 2018, § 76 Rn. 54 a; widersprüchlich ErfK/Kania, 22. Auflage 2022, § 76 BetrVG Rn. 6). Unter Aufgabe ihrer bisherigen Rechtsprechung (vgl. LAG München, Beschluss vom 25.03.2021 – 3 TaBV 3/21 – Rn. 82) folgt die Kammer der zweiten Auffassung. Nach dem Wortlaut des § 76 Abs. 2 S. 2 BetrVG bestellt das Arbeitsgericht den Vorsitzenden, wenn eine Einigung über seine Person nicht zustande kommt. Weitere Voraussetzungen, wie eine nachvollziehbare Begründung für die Ablehnung durch eine Betriebspartei, nennt das Gesetz nicht. Insbesondere ist dort nicht bestimmt, dass das Gericht von der im Antrag genannten Person des Einigungsstellenvorsitzenden nur abweichen dürfe, wenn (nachvollziehbare, stichhaltige oder gar ernsthafte Gründe vorliegen. Darüber hinaus spricht der Sinn und Zweck des Einigungsstellenverfahrens dafür, Gründe für die Ablehnung der Person des Einigungsstellenvorsitzenden nicht als erforderlich anzusehen. Ein Einigungsstellenvorsitzender bedarf zur sachgerechten Ausführung des ihm übertragenen Amts, die Betriebsparteien in ihrem Regelungsstreit zügig zu einer idealerweise einvernehmlichen Lösung zu führen, des Vertrauens beider Betriebsparteien. Ist dieses Vertrauen bei einer Partei nicht vorhanden und stellt sich deren Ablehnung nicht als rechtsmissbräuchlich dar, wofür besondere Anhaltspunkte gegeben seien müssen, genügt das bloße „Nein“ zum personellen Vorschlag der Gegenseite (vgl. insbesondere LAG Düsseldorf, Beschluss vom 09.06.2020 – 3 TaBV 31/20 – Rn. 37). In diesem Zusammenhang wird zu Recht darauf hingewiesen, dass das Vertrauen der ablehnenden Betriebspartei auch dadurch nachträglich beeinträchtigt wird, wenn die mitgeteilten Gründe als nicht ausreichend beurteilt wurden und es zur gerichtlichen Bestellung der abgelehnten Person als unparteiischen Vorsitzenden kommt. Hierdurch kann das nachfolgende Einigungsstellenverfahren belastet werden, was zu vermeiden ist (vgl. LAG München, Beschluss vom 27.11.2019 – 5 TaBV 11/19 – Rn. 45; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 25.08.2014 – 9 TaBV 39/14 – Rn. 44). Gegen die erstgenannte Auffassung spricht zudem, dass sie einen Wettlauf um den ersten Vorschlag eines Einigungsstellenvorsitzenden auslöst, der dem gesetzgeberischen Ziel, einen stimmberechtigten Verhandlungsführer als Einigungsstellenvorsitzenden einzusetzen, der das Vertrauen beider Betriebsparteien genießt, zuwiderläuft. Denn derjenige, der zuerst den Einsetzungsantrag stellt, erhielte einen entscheidenden strategischen Vorteil für die Besetzung der wichtigen Person des unparteiischen Vorsitzenden (vgl. LAG München, Beschluss vom 27.11.2019 – 5 TaBV 11/19 – Rn. 44; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.06.2010 – 6 TaBV 901/10 – Rn. 13; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.05.2009 – 9 TaBV 10/09 unter II. der Gründe; LAG Nürnberg, Beschluss vom 21.06.2021 – 1 TaBV 11/21 – Rn. 62). Endlich vermeidet diese Auffassung eine sonst zu befürchtende Diskreditierung der Kandidaten durch vorzubringende Gründe, die weder in deren Interesse noch im Interesse der Funktionsfähigkeit des Einigungsstellenverfahrens liegt. In diesem Zusammenhang vermag der Hinweis auf den möglichen Ansehensverlust des vorgeschlagenen Einigungsstellenvorsitzenden, der ohne Überprüfung der Gründe nicht bestellt wird, nicht zu überzeugen. Diese Erwägung steht außerhalb des Regelungszusammenhangs der § 76 Abs. 2 S. 2 BetrVG i.V.m. § 100 ArbGG (vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 10.08.2015 – 7 TaBV 43/15 – Rn. 25).
(3) Danach ist weder die vom Betriebsrat noch von der Arbeitgeberin hilfsweise benannte Person als Einigungsstellenvorsitzender zu bestimmen, sondern ein Dritter, den kein Beteiligter benannt und gegen den keiner der Beteiligten eine Einwendung erhoben hat. Gegen die Person des nunmehr vom Landesarbeitsgerichts München bestellten unparteiischen Vorsitzenden der Einigungsstelle sind Bedenken nicht ersichtlich. Er ist zur Übernahme der Tätigkeit bereit, bietet Gewähr für die Unparteilichkeit und besitzt aufgrund jahrelanger Erfahrung als Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht München und als Vorsitzender von Einigungsstellen die erforderliche breite Sachkunde in betrieblichen, betriebsverfassungsrechtlichen und allgemein arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. Die Betriebsparteien haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht München Bedenken nicht geäußert. Der Betriebsrat hat in außergerichtlichen Einigungsverhandlungen der Vorsitzenden zudem mitgeteilt, dass er bayerische Einigungsstellenvorsitzende nicht aus eigener Kenntnis beurteilen könne. Der Hilfsantrag der Arbeitgeberin war aus den genannten Gründen ebenfalls ohne Erfolg.
III.
Gegen diese Entscheidung findet kein Rechtsmittel statt, § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG).


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