Arbeitsrecht

Einmalbeitrag zur Insolvenzsicherung nach Betriebsrentengesetz verfassungsgemäß

Aktenzeichen  8 C 35/09

Datum:
15.9.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
Art 3 Abs 1 GG
Art 12 Abs 1 GG
Art 14 Abs 1 GG
Art 20 Abs 3 GG
Art 2 Abs 1 GG
§ 10 Abs 1 BetrAVG
§ 10 Abs 2 BetrAVG
§ 10 Abs 3 BetrAVG
§ 30i Abs 1 BetrAVG
§ 30i Abs 2 BetrAVG
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

1. Die Pflicht zur Zahlung des Einmalbeitrags nach § 30i Abs. 1 BetrAVG setzt voraus, dass eine Beitragspflicht nach § 10 Abs. 1 BetrAVG im Jahr 2005 und bei Inkrafttreten des § 30i BetrAVG bestand.
2. Die Erhebung des Einmalbeitrags verletzt weder den Gleichheitssatz noch das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot .

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 27. April 2009, Az: 12 A 1519/08, Urteilvorgehend VG Düsseldorf, 15. April 2008, Az: 16 K 6270/07, Urteil

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung eines Einmalbeitrags zur Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung.
2
Die Klägerin ist ein im Bereich “Dokumentenverarbeitung” tätiges Unternehmen. Sie beschäftigt derzeit bundesweit 480 Mitarbeiter. Sie gewährt eine betriebliche Altersversorgung teils in Form von unmittelbaren Versorgungszusagen, teils in Form von Unterstützungskassenzusagen. Seit dem 1. Januar 1975 ist sie insolvenzsicherungspflichtig und Mitglied des Beklagten.
3
Mit dem Gesetz zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2. Dezember 2006, in Kraft getreten am 12. Dezember 2006, hat der Gesetzgeber die Finanzierung der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung vom sogenannten Rentenwertumlageverfahren auf das Kapitaldeckungsverfahren umgestellt. Das Rentenwertumlageverfahren ist ein Bedarfsdeckungsverfahren, mit dem jährlich nur die im betreffenden Kalenderjahr entstehenden laufenden Rentenansprüche finanziert und auf die beitragspflichtigen Arbeitgeber umgelegt werden. Hinsichtlich der aus den Insolvenzen herrührenden unverfallbaren Versorgungsanwartschaften wurde in dem Jahr des Insolvenzereignisses bisher kein Beitrag erhoben. Bei diesen Anwartschaften war die Finanzierung in die Zukunft hinausgeschoben auf den Zeitpunkt in dem Jahr, in dem der individuelle Versorgungsfall des jeweiligen Anwartschaftsberechtigten eintritt. Mit Wirkung ab 2006 werden nunmehr nicht nur die laufenden Rentenansprüche finanziert, sondern auch die unverfallbaren Anwartschaften durch einen Beitrag der insolvenzpflichtigen Arbeitgeber jeweils im Jahr der Insolvenz. Diejenigen unverfallbaren Anwartschaften, die aus bis zum 31. Dezember 2005 eingetretenen Insolvenzen hervorgegangen sind und für die bis zum 31. Dezember 2005 der Versorgungsfall noch nicht eingetreten war, werden nach § 30i BetrAVG durch die Erhebung eines Einmalbeitrags nachfinanziert.
4
Mit Bescheid vom 24. Januar 2007 forderte der Beklagte von der Klägerin einen Einmalbeitrag in Höhe von 1 524 562,65 € für die aus Insolvenzen bis einschließlich 2005 gesicherten, aber noch nicht finanzierten unverfallbaren Anwartschaften in Höhe von rund 2,2 Mrd. Euro. Der Betrag ergebe sich aufgrund der für das Jahr 2005 gemeldeten Beitragsbemessungsgrundlage und des für die Finanzierung dieses Einmalbeitrags erforderlichen Beitragssatzes von 8,66 Promille. Der Einmalbeitrag sei gemäß § 30i Abs. 2 BetrAVG in 15 Jahresraten zu je 101 637,51 € fällig, die erste Rate am 31. März 2007, die weiteren Raten jeweils am 31. März der Jahre 2008 bis 2021. Alternativ zur Ratenzahlung könne die Forderung auch vorfällig in einem Betrag bezahlt werden. Sofern von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werde, könne bis zum 31. März 2007 die gesamte Forderung, diskontiert unter Berücksichtigung des gesetzlich vorgegebenen Rechnungszinsfußes von 3 %, beglichen werden.
5
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2007 wurde der Widerspruch der Klägerin gegen den Einmalbeitragsbescheid zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin abgewiesen.
6
Die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil vom 27. April 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Bescheid des Beklagten sei rechtmäßig. Die Ermächtigungsgrundlage in § 30i BetrAVG verstoße nicht gegen Verfassungsrecht. Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Die von der Klägerin beanstandete Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen von Arbeitgebern lasse sich auf vernünftige einleuchtende Gründe zurückführen. Maßgeblicher Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung der Arbeitgeber, die bereits vor 2005 aus der Mitgliedschaft bei dem Beklagten ausgeschieden seien, im Vergleich zu den zur Zahlung herangezogenen Arbeitgebern sei der Umstand, dass ein Rückgriff auf Erstere rechtswidrig wäre. Die Beitragspflicht ende mit dem Tag des Ausscheidens aus dem öffentlich-rechtlichen Beitragsverhältnis.
7
Mit Blick auf die Gruppe derjenigen Arbeitgeber, die erst nach 2005 beitragspflichtig geworden seien, liege ein nachvollziehbarer und sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung gegenüber den schon unter dem alten Finanzierungssystem beitragspflichtig gewesenen Arbeitgebern in dem Umstand, dass Erstere von dem bisherigen Finanzierungssystem nicht profitiert hätten. Nach § 10 Abs. 2 BetrAVG seien sie von Beginn ihrer Mitgliedschaft an zur Finanzierung der unverfallbaren Anwartschaften bereits im Jahr der betreffenden Insolvenz heranzuziehen.
8
§ 30i BetrAVG verstoße auch nicht wegen einer fehlenden Binnendifferenzierung innerhalb der Gruppe der nach dieser Vorschrift beitragspflichtigen Arbeitgeber gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gleichheitssatz verlange auf dem Gebiet des Beitragsrechts, dass die Beiträge im Verhältnis der Beitragspflichtigen zueinander grundsätzlich vorteilsgerecht bemessen würden. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass auf dem Gebiet der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung dieser Grundsatz eingeschränkt gelte, weil der betrieblichen Altersversorgung die Funktion zukomme, die Sozialrenten zu einer angemessenen Gesamtversorgung zu ergänzen.
9
Es sei nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber in § 30i BetrAVG den Umfang der Einmalbeitragspflicht an die Beitragsbemessungsgrenze des § 10 Abs. 3 BetrAVG knüpfe, der die allgemeine Beitragspflicht nach Art und Umfang der vom jeweiligen Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer gewählten Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung differenziere und mit höherrangigem Recht vereinbar sei. Dem Gebot einer sachgerechten Lastenverteilung sei nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber verpflichtet gewesen wäre, weitere Differenzierungen vorzunehmen. Nach dem plausiblen Vorbringen des Beklagten sei zu berücksichtigen, dass weitere Differenzierungen trotz unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwandes nur für einen Teil der Arbeitgeber, der zudem nur einen zu vernachlässigenden Teil des Beitragsaufkommens leiste, zu einer Besserstellung geführt hätte.
10
§ 30i BetrAVG verstoße auch nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, weil es sich um keine Norm mit echter Rückwirkung handele. § 30i BetrAVG greife nicht in Tatbestände ein, die bereits in der Vergangenheit abgewickelt gewesen seien. Vorliegend sei keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen gegeben, sondern lediglich eine tatbestandliche Rückanknüpfung an die Beitragspflicht 2005. In diese werde nicht nachträglich eingegriffen, weil der geschuldete Beitrag für 2005 nicht nachträglich verändert werde. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, der in Fällen unechter Rückwirkung zu beachten sei, bleibe gewahrt, weil die Erhebung eines Einmalbeitrags zur Umlage der bis zur Umstellung des Finanzierungsverfahrens aufgelaufenen, noch nicht finanzierten Anwartschaften geeignet sei, die Finanzierungslücke von 2,2 Mrd. Euro zu schließen. An der Erforderlichkeit bestünden keine Zweifel. Durch die hohe Zahl von Insolvenzen in den letzten Jahren sei das Volumen der auszufinanzierenden Barwerte der noch nicht finanzierten Anwartschaften deutlich angestiegen. Das Ziel des Gesetzgebers, mit der Umstellung des Finanzierungsverfahrens auf eine Kapitaldeckung die Finanzierung der Insolvenzsicherung unabhängiger von Strukturentscheidungen der Unternehmen zu gestalten, erfordere einen derartigen Ausgleich. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung jedenfalls die Mitglieder erfasst, die den Großteil des Beitragsaufkommens stellten und mithin auch den größten Liquiditätsvorteil gehabt hätten.
11
Das Bestandsinteresse der beitragspflichtigen Arbeitgeber könne das Veränderungsinteresse des Gesetzgebers bezüglich des Finanzierungsverfahrens nicht verdrängen. Die schlichte Erwartung, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, sei verfassungsrechtlich nicht geschützt. Ein schutzwürdiges Interesse an der Beibehaltung eines einmal gewählten Finanzierungsverfahrens für die Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung sei mit Blick auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers auf dem Gebiet der Sozial- und Gesellschaftspolitik nicht anzuerkennen. Eines überragend wichtigen Gemeinschaftsinteresses bedürfe es im Fall einer unecht rückwirkenden Regelung nicht. Vielmehr sei der Vertrauensschutz der Betroffenen schlicht gegen das gesetzgeberische Interesse abzuwägen. Die Umstellung stelle eine enge Verknüpfung zwischen Beitragspflicht und Versichertenrisiko her.
12
Gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts hat die Klägerin die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Sie beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2009 und das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15. April 2008 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf sowie den Einmalbeitragsbescheid des Beklagten vom 24. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 22. November 2007 aufzuheben.
13
Sie ist der Auffassung, dass die Erhebung eines Einmalbeitrags gemäß § 30i BetrAVG Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG verletze. Es gebe keine sachlichen Gründe, die Vergleichsgruppe der Arbeitgeber, die die Mitgliedschaft vor 2005 beendet hätten, anders zu behandeln als die nach § 30i BetrAVG verpflichteten Arbeitgeber. In der Heranziehung der im Jahr 2005 beitragspflichtigen Arbeitgeber liege eine unzulässige echte Rückwirkung. Die Benachteiligung dieser Gruppe gegenüber den vor 2005 Ausgeschiedenen verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz. Dasselbe gelte für die Begünstigung der erst seit 2006 insolvenzsicherungspflichtigen Arbeitgeber und das Fehlen einer Differenzierung der Höhe des Einmalbeitrags nach der Dauer der Beitragspflicht.
14
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
15
Er verteidigt das angegriffene Urteil.


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