Arbeitsrecht

Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wegen endgültiger Zerstörung des Vertrauens

Aktenzeichen  16a D 18.2661

Datum:
28.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 44530
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 11, Art. 14 Abs. 1, Abs. 2
BeamtStG § 34 S. 1, S. 3, § 35 S. 2, § 47 Abs. 1 S. 1
StGB § 20, § 21, § 277

 

Leitsatz

1.  Im Fall der Fälschung von Gesundheitszeugnissen auf dem privaten Computer ist die materielle Dienstbezogenheit zu bejahen, wenn die Fälschungen dazu bestimmt waren, über die Erfüllung der Dienstpflicht, bei Dienstunfähigkeit ab dem dritten Tag ein ärztliches Attest vorzulegen, zu täuschen (Rn. 34). (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufgrund der Variationsbreite ist bei der Fälschung von Gesundheitszeugnissen – einhergehend mit weiteren Verstößen gegen die Krankmeldepflicht und gegen die Pflicht zum ordnungsgemäßen Nachweis einer Erkrankung – eine generelle deliktsgruppenbezogene Bestimmung der als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen regelmäßig erforderlichen Disziplinarmaßnahme (Regeleinstufung) nicht möglich, so dass bei der Ahndung der Dienstpflichtverletzungen der gesamte Katalog möglicher Disziplinarmaßnahmen in den Blick zu nehmen und die Entscheidung aus den Umständen des Einzelfalles zu treffen ist (Rn. 45). (redaktioneller Leitsatz)
3. Mit der Fälschung von Gesundheitszeugnissen, der mangelhaften Dienstverrichtung über einen Zeitraum von vier Jahren und den zahlreichen Weisungsverstößen hat der Beklagte ein schweres Dienstvergehen begangen, für das aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis den Ausgangspunkt der disziplinarischen Bewertung bildet (Rn. 46). (redaktioneller Leitsatz)
4.  Die Rechtsfrage, ob die festgestellte Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund der schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome und dem Abhängigkeitssyndrom von Alkohol erheblich war, ist durch das Gericht ohne Bindung an Wertungen durch Sachverständige zu beantworten (Rn. 47 – 48). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 19L DK 18.837 2018-10-15 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG) verhängt.
1. Der vom Verwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt, wonach dem Beklagten sämtliche in der Disziplinarklage aufgeführten Handlungen zur Last gelegt werden, ist zur Überzeugung des Senats erwiesen. In Bezug auf die gefälschten Gesundheitszeugnisse sind die tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 21. Mai 2015 (Az.: 843 Ds 123 Js 214449/14) zwar nicht bindend, der Senat kann sie jedoch gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1, Art. 55 Halbs. 1, Art. 25 Abs. 2 BayDG seinem Urteil ohne nochmalige Prüfung zugrunde legen. Der Beklagte hat den Sachverhalt auch bezüglich der übrigen Disziplinarklagepunkte vor dem Verwaltungsgericht und vor dem Senat eingeräumt, sodass weitere Ermittlungen nicht veranlasst waren. Seinen Einwand in der mündlichen Verhandlung zu Disziplinarklagepunkt (5), in der sog. Reißwolfkiste hätten sich nur Duplikate befunden, die nicht zu den Akten hätten gelangen sollen, hat er nach dem substantiierten Widerspruch des Klägervertreters nicht aufrechterhalten.
2. Der Beklagte hat durch sein Verhalten ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen im Sinne des § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen, weil das pflichtwidrige Verhalten in das Amt des Beamten und in die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden war (BVerwG, B.v. 5.7. 2016 – 2 B 24.16 – juris Rn. 14; U.v. 19.8.2010 – 2 C 5.10 – juris Rn. 9). Die Unterscheidung zwischen inner- und außerdienstlichen Verfehlungen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 BeamtStG richtet sich nicht nach der (mehr oder weniger) formalen Dienstbezogenheit, d.h. nach der (mehr oder weniger) engen räumlichen oder zeitlichen Beziehung einer Verfehlung zum Dienst. Vielmehr kommt es auf die materielle Dienstbezogenheit, mithin darauf an, ob durch das Verhalten innerdienstliche Pflichten verletzt worden sind. Dies ist auch für die Fälschung der 14 Gesundheitszeugnisse auf dem privaten Computer zu bejahen, weil diese dazu bestimmt waren, über die Erfüllung der Dienstpflicht, bei Dienstunfähigkeit ab dem dritten Tag ein ärztliches Attest vorzulegen, zu täuschen.
3. Durch sein Verhalten hat der Beklagte vielfach gegen beamtenrechtliche Pflichten verstoßen.
In der Fälschung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen liegt eine Verletzung der Pflicht, die Gesetze zu achten (§ 277 StGB) und sich dem Beruf entsprechend achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG). Zudem hat der Beklagte damit der Pflicht zuwidergehandelt, dienstliche Anordnungen auszuführen und allgemeine Richtlinien zu befolgen (§ 35 Satz 2 BeamtStG).
Letztere Pflicht hat der Beklagte auch mit den Handlungen verletzt, die Gegenstand der Disziplinarklagepunkte (2), (3), (4) und (6) sind.
Mit der jahrelang mangelhaften Diensterfüllung hat der Beklagte des Weiteren gegen die Pflicht verstoßen, sich mit vollem persönlichen Einsatz seinem Beruf zu widmen (§ 34 Satz 1 BeamtStG). Auch insoweit hat das Verwaltungsgericht dem Beklagten zu Recht Vorsatz angelastet. Dem Einwand des Beklagten, seine mangelhafte Diensterfüllung habe sich in der Intensität, in der sie ab Sommer 2013 mit dem Nichtbearbeiten einer Vielzahl von Schreiben zu Tage getreten sei, nicht über den gesamten vierjährigen Zeitraum von 2010 bis 2014 hingezogen, die vor dem Sommer 2013 liegenden Leistungsmängel gingen noch nicht eindeutig über ein normales Versagen eines durchschnittlichen Beamten hinaus, folgt der Senat nicht. Wie auch der Verlauf der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, liegt der Grund für die mangelhafte Diensterfüllung, die auch einfachste Bearbeitungsstandards nicht einhielt, darin, dass der Beklagte den Polizeiberuf – wie er selbst angegeben hat – nicht aus eigenem Antrieb gewählt hat. Nur dies erklärt die bewusste Gleichgültigkeit gegenüber dienstlichen Anweisungen und die bewusste Nachlässigkeit bei der Dienstverrichtung.
4. Das Fehlverhalten des Beklagten wiegt schwer im Sinn von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG. Es hat zur Folge, dass der Beklagte das Vertrauen seines Dienstherrn sowie der Allgemeinheit endgültig verloren hat, so dass gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG) zu erkennen ist. Aufgrund der Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände muss der Schluss gezogen werden, dass der Beamte auch künftig seinen Dienstpflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen wird. Entgegen der Auffassung des Beklagten spielt es dabei auch keine Rolle, dass der Beklagte für polizeidienstunfähig erklärt wurde. Denn die kritisierte mangelhafte Diensterfüllung bezieht sich gerade auf reine Verwaltungstätigkeiten. Mit seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung, es gehe ihm um das Beamtenverhältnis als solches, lässt der Beklagte keinen Grund erkennen, der auf ein künftiges Bemühen um ordnungsgemäße Diensterfüllung hindeuten würde.
4.1 Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG und der dieser Vorschrift inhaltlich entsprechenden Bemessungsregelung des Disziplinargesetzes des Bundes ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – ZBR 2016, 254 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BVerwG, B.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 16; B.v. 11.2.2014 – 2 B 37.12 – juris Rn. 20; B.v. 25.5.2012 – 2 B 133.11 – juris Rn. 9 mit weiteren Nachweisen).
Das Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten“ erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Dies erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder es – etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder gar einer psychischen Ausnahmesituation – davon abweicht (BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 2 C 59.07 – juris Rn. 14).
Der Gesichtspunkt der „Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit“ verlangt eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und ihre konkret ausgeübte Funktion (BVerwG, U.v. 29.5.2008 a.a.O. Rn. 15).
Bei der Anwendung des Bemessungskriteriums „Schwere des Dienstvergehens“ ist das festgestellte Dienstvergehen nach seinem Gewicht einer der im Gesetz aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen. Hierbei können die in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung für bestimmte Fallgruppen herausgearbeitete Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 a.a.O. Rn. 20).
Fallen einem Beamten – wie hier – mehrere Dienstpflichtverletzungen zur Last, die in ihrer Gesamtheit das einheitliche Dienstvergehen ergeben, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BayVGH, U.v. 13.7.2011 – 16a D 09.3127 – juris). Es würde indes hier zu kurz greifen, mit dem Hinweis auf den Strafrahmen der Fälschung von Gesundheitszeugnissen (§ 277 StGB), der Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vorsieht, den Orientierungsrahmen für die disziplinarische Ahndung auf Maßnahmen unterhalb der Höchstmaßnahme zu begrenzen. Dabei stellt der Senat nicht darauf ab, dass es sich bei § 277 StGB um eine unverständliche Privilegierung von Fällen handelt, die in ihrer Mehrzahl (soweit – wie auch hier – nicht nur schriftliche Lügen vorliegen) unter den Tatbestand der Urkundenfälschung des § 267 StGB, mit einer Strafdrohung bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, fallen würden (Heine/Schuster in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 277 Rn. 1 m.w.N.). Vielmehr sind die Fälle der Fälschung von Gesundheitszeugnissen hier neben weiteren Verstößen gegen die Krankmeldepflicht und gegen die Pflicht zum ordnungsgemäßen Nachweis einer Erkrankung zu betrachten. Insoweit ist aufgrund der Variationsbreite der in Frage kommenden Verstöße eine generelle deliktsgruppenbezogene Bestimmung der als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen regelmäßig erforderlichen Disziplinarmaßnahme (Regeleinstufung) nicht möglich, so dass bei der Ahndung der Dienstpflichtverletzungen der gesamte Katalog möglicher Disziplinarmaßnahmen in den Blick zu nehmen und die Entscheidung aus den Umständen des Einzelfalles zu treffen ist (Baunack in Köhler/Baunack, BDG, 6. Aufl. 2016, S. 195). Auch für den Verstoß gegen die Pflicht zu vollem Einsatz und qualifizierter Arbeit gibt es keine Regeleinstufung (Köhler in Köhler/Baunack, a.a.O., S. 220).
4.2 Mit der Fälschung von Gesundheitszeugnissen, der mangelhaften Dienstverrichtung über einen Zeitraum von vier Jahren und den zahlreichen Weisungsverstößen hat der Beklagte ein schweres Dienstvergehen begangen, für das aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis den Ausgangspunkt der disziplinarischen Bewertung bildet. Insoweit sind leicht einsehbare Kernpflichten des Beamtenverhältnisses betroffen, und es ist nicht ersichtlich, aus welchem Umstand sich noch ein Restvertrauen des Dienstherrn in den Beklagten ergeben soll. Innerdienstliche Regelungen werden von diesem schlichtweg negiert, wenn sie ihm lästig sind und Mühe bedeuten. Die Funktionsfähigkeit der Verwaltung verlangt aber eine reibungslose und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten, besonders auch zwischen den Beamten und ihren Vorgesetzten. Wesentliche Voraussetzung dafür ist Offenheit und Wahrhaftigkeit im dienstlichen Umgang. Daran hat es der Beklagte jedoch in zahlreichen Fällen fehlen lassen, ohne dass Gründe hierfür ansatzweise nachvollzogen werden könnten. Die Fälschung von Gesundheitszeugnissen, die als Straftat die Verletzung der Wahrheitspflicht konsumiert, ist insoweit nur besonderer Ausdruck der Persönlichkeit des Beklagten. Die Nichtvorlage von Attesten für weitere wochenlange Abwesenheiten vom Dienst und in weiteren Fällen deren verspätete Vorlage zeigen auf, dass der Beklagten Dienstpflichten keine Bedeutung beimisst, die ihn zur Information über persönliche Umstände verpflichten. Angaben zu seinen Wohnverhältnissen, die für die Einhaltung der Residenzpflicht und für die Bewilligung der Ballungsraumzulage nötig sind, machte er nur sporadisch und teils unzutreffend; dafür suchte er die Schuld bei den Meldebehörden. Die erforderliche Verlustanzeige bezüglich dienstlicher Gegenstände unterließ er ebenfalls so lange wie irgend möglich und machte sich keinerlei Gedanken darüber, welche Folgen ein Missbrauch dieser Gegenstände nach sich ziehen könnte. Eine weitere Zusammenarbeit, die eine vollständige Überwachung des Beklagten im Dienst auch bei einfacher Tätigkeiten erforderte, weil andernfalls die Vernichtung von Aktenbestandteilen zu befürchten stünde, ist dem Dienstherrn aufgrund des eingetretenen vollständigen Vertrauensverlusts nicht zuzumuten.
4.3 Von der danach auszusprechenden Höchstmaßnahme kann – wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat – nicht abgesehen werden. Seine Feststellung, dass der Beklagte die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen nicht im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB begangen hat, macht sich der Senat zu eigen und verweist auf dessen Begründung. Die Einwände des Beklagten im Berufungsverfahren greifen nicht durch. Die erforderliche Sachaufklärung durch Sachverständigengutachten und Befragung der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat stattgefunden. Die Rechtsfrage, ob die festgestellte Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund der schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome und dem Abhängigkeitssyndrom von Alkohol erheblich war, verneint auch der Senat.
Insoweit kann der Grundsatz „in dubio pro reo“ – entgegen dem Berufungsvorbringen – nicht zur Anwendung kommen (vgl. BGH, U.v. 30.8.2006 – 2 StR 198/06 – NStZ-RR 2007, 43/45; BGH, U.v. 2.9.2010 – 3 StR 273/10 – NStZ-RR 2011, 106/107; Eschelbach in BeckOK StGB/ § 21 Rn. 11). Die genannte Rechtsfrage ist ohne Bindung an Wertungen durch Sachverständige zu beantworten (Eschelbach a.a.O. mit zahlreichen Nachweisen auf die Rechtsprechung des BGH). Deshalb geht es auch fehl, wenn der Beklagte meint, das Verwaltungsgericht könne sich nicht ohne weiteres über die Einschätzung der medizinischen Sachverständigen hinwegsetzen. Der Beklagte räumt selbst ein, dass er („gegebenenfalls“) gegen leicht einsehbare Pflichten verstoßen hat. Sein Persönlichkeitsgefüge war bei der Begehung der Pflichtverstöße nicht erschüttert. Die Sachverständige, die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt hat, sie könne keine Aussage zur Erheblichkeit der Verminderung der Steuerungsfähigkeit treffen, weil hierfür zu wenige Unterlagen vorlägen und zum anderen es einer Betrachtung jeder einzelnen Tat bedürfe, sieht im Gutachten (S.47) eine Mischung aus sich einstellender depressiver Verfassung, erhöhtem und regelmäßigem Alkoholkonsum sowie spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen als Erklärung für die Pflichtverstöße. Dabei waren zur Überzeugung des Senats die krankhaften Symptome in der Persönlichkeit des Beklagten nicht führend. In Bezug auf den Alkoholmissbrauch liegen mit den Eigenangaben zum Konsum schon keine Hinweise darauf vor, dass der Beklagte bei der Fälschung der Gesundheitszeugnisse eine relevante Blutalkoholkonzentration erreicht hat. Die vom Alkoholrausch zu unterscheidende chronische Alkoholabhängigkeit kann forensisch relevant werden, wenn sie zu nachhaltigen Wesensveränderungen und hirnorganischem Abbau der Gedächtnisleistungen führt (Eschelbach, a.a.O., § 20 Rn. 22). Dafür ist nichts ersichtlich. Die überlegte und koordinierte Tatbegehung mit der auf Verschleierung zielenden Ablage der Dokumentvorlagen im privaten PC (LKA-Gutachten vom 12.1.2015, S. 12; Disziplinarakte Bl. 256) zeigt, dass auch die schwere depressive Episode nicht im Vordergrund steht, denn diese führt zu einer massiven Antriebsschwäche, die strafbaren Handlungen eher entgegensteht und vor allem bei Unterlassungsdelikten von Bedeutung sein kann (Eschelbach, a.a.O., § 20 Rn. 53). Vielmehr beruht die Tatbegehung überwiegend auf den (nicht krankhaften) akzentuierten ängstlich-vermeidenden, abhängigen und narzisstischen Persönlichkeitszügen des Beklagten. Für die vorsätzlich schlechte Dienstleistung gilt nichts Anderes. Denn auch bei dieser agierte der Beklagte in Abhängigkeit davon, ob er der Überwachung durch anwesende Kollegen ausgesetzt war.
4.4 Die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind auch dann zu berücksichtigen, wenn ihr Ausmaß nicht den Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit erreicht. Gleichwohl hat der Beklagte die negative Lebensphase nicht überwunden. Der Senat ist aus eigener Anschauung in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass die negative Einstellung des Beklagten zum Beamtenberuf keine Veränderung erfahren hat. Darauf, dass es insoweit nicht auf die Frage der Polizeidienstfähigkeit ankommt, wurde bereits oben hingewiesen. Es wurde keinerlei guter Vorsatz des Beklagten für die Zukunft erkennbar und nur der vagen Hoffnung Ausdruck gegeben, womöglich nach Sachsen-Anhalt versetzt werden zu können. Zutreffend hat schon das Verwaltungsgericht auf das ergänzende psychiatrische Gutachten vom 31. Juli 2017 hingewiesen, in dem ausgeführt wurde, dass im Falle erneuter psychosozialer, beruflicher oder persönlicher Belastungen eine depressive Episode oder ein erhöhter Alkoholkonsum nicht ausgeschlossen werden können. Solche Belastungen sind angesichts der Persönlichkeitsakzentuierung, der fehlenden Identifikation mit dem Beruf und der Fixierung auf ein Wohnen im Heimatort absehbar.
5. In der erforderlichen Gesamtschau aller be- und entlastenden Umstände sind zugunsten des Beklagten noch zu berücksichtigen, dass er bislang disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist, sowie zu Lasten des Beklagten, dass der strafrechtliche Verstoß bei einem Polizeibeamten besonders schwer wiegt, weil er als solcher für die Verhütung und Unterbindung strafbarer Handlungen zuständig ist. Nach Ansicht des Senats ist die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis angemessen und geboten. Auch die Dauer des Disziplinarverfahrens ist nicht geeignet, das von dem Beklagten zerstörte Vertrauensverhältnis wiederherzustellen (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2014 – 2 B 66.14 – juris Rn. 7).
Ist durch das Gewicht des Dienstvergehens und mangels durchgreifenden Milderungsgründen das Vertrauen endgültig zerstört und kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Beamte werde dem Gebot, seine Aufgaben pflichtgemäß zu erfüllen, zukünftig Rechnung tragen, erweist sich die Entfernung aus dem Dienst als erforderliche und geeignete Maßnahme, dem Zweck des Disziplinarrechts Geltung zu verschaffen. Abzuwägen sind dabei das Gewicht des begangenen Dienstvergehens und des dadurch eingetretenen Vertrauensschadens einerseits und die mit der Verhängung der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme einhergehende Belastung andererseits. Ist – wie hier – das Vertrauensverhältnis gänzlich zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Dienst als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Die Auflösung des Dienstverhältnisses beruht dann auf der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Beamten und ist diesem als für alle öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnisse eintretende Rechtsfolge für solche Pflichtverletzungen zuzurechnen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 BayDG.
Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG).


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