Arbeitsrecht

Ergänzende Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auf den BAT

Aktenzeichen  4 AZR 14/09

Datum:
25.8.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 611 Abs 1 BGB
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 20 Abs 1 TV-L
§ 21 Abs 1 TVÜ-L
§ 2 Abs 1 TVÜ-L
TV-Ärzte
TV-Ärzte/VKA
Spruchkörper:
4. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Lübeck, 11. April 2008, Az: ö.D. 4 Ca 1 b/08, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, 12. November 2008, Az: 6 Sa 228/08, Urteil

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 12. November 2008 – 6 Sa 228/08 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Zuwendung für das Jahr 2006 und in diesem Zusammenhang über die Anwendung des Tarifvertrages über eine Zuwendung für Angestellte vom 12. Oktober 1973 idF des Änderungstarifvertrages vom 31. Januar 2003 (nachfolgend TV Zuwendung).
2
Der Kläger ist seit dem 1. April 1977 in der Fachklinik für Psychiatrie, Neurologie und Rehabilitation in Neustadt i. H. beschäftigt. Die Fachklinik wurde bei Vertragsschluss noch als landeseigenes Krankenhaus des Landes Schleswig-Holstein betrieben. Im Arbeitsvertrag des Klägers vom 30. Juni 1976 heißt es in § 2:
        
„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 – (Amtsblatt Schleswig-Holstein S. 155) – und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen.“
3
Mit dem Landesgesetz über die Errichtung öffentlich-rechtlicher psychiatrischer Fachkliniken (Fachklinikgesetz – FKlG) vom 8. Dezember 1995 (GVBl. S. 452) errichtete das Land Schleswig-Holstein ua. die Fachklinik Neustadt/Holstein als Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR), auf die nach § 11 Abs. 1 FKlG zum 1. Januar 1996 die bei dem Landeskrankenhaus bestehenden Arbeitsverhältnisse übergingen. Weiterhin heißt es in § 11 Abs. 2 FKlG:
        
„(2) Für die von Absatz 1 erfaßten Beschäftigten gelten die bis zum Zeitpunkt der Errichtung der Fachklinik maßgeblichen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung weiter. Es gelten ferner die diese Tarifverträge künftig ändernden und ergänzenden Tarifverträge. Das Recht der Fachkliniken, für ihre Beschäftigten Tarifverträge abzuschließen, bleibt hiervon unberührt. …“
4
Mit weiterem Landesgesetz zur Neuordnung der Fachkliniken (FKlNG) des Landes Schleswig-Holstein vom 25. November 2002 (GVBl. S. 237) wurde das Vermögen der Fachklinik Neustadt i. H. – AöR -, einschließlich der dort bestehenden Arbeitsverhältnisse auf die Fachklinik Heiligenhafen – AöR – übertragen, die nunmehr den Namen „psychatrium GRUPPE“ trug. § 10 FKlNG lautet:
        
„(1) Für die Beschäftigten der Fachklinik Schleswig und der psychatrium GRUPPE gelten die bisherigen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung weiter. Sie sind gleichfalls bei der Einstellung Beschäftigter anzuwenden. Das Recht der Fachklinik Schleswig und der psychatrium GRUPPE, Tarifverträge abzuschließen, bleibt unberührt. …“
5
Die psychatrium GRUPPE wurde durch Art. 1 des Gesetzes zur Umwandlung psychiatrischer Einrichtungen und Entziehungsanstalten (PsychE-UmwG) vom 24. September 2004 (GVBl. S. 350) und der hierzu erlassenen Landesverordnung über den Formwechsel und die Veräußerung der psychatrium GRUPPE vom 13. Oktober 2004 (GVBl. S. 407) in eine GmbH umgewandelt, die am 4. Januar 2005 in das Handelsregister eingetragen wurde. Das Land Schleswig-Holstein hielt zunächst alle Gesellschaftsanteile. Nach Art. 3 Abs. 3 PsychE-UmwG trat § 10 FKlNG am Tag nach der Verkündung des Gesetzes am 30. September 2004 außer Kraft. In einer zwischen dem Land Schleswig-Holstein und den Gesamtpersonalrat der psychatrium GRUPPE abgeschlossenen Sicherungsvereinbarung vom Oktober 2004 ist in § 2 Abs. 1 Unterabs. 1 ua. bestimmt, „dass für die gem. § 1 gesicherten Mitarbeiterinnen die gegenwärtig für sie bei der AöR Anwendung findenden Tarifverträge bei den neuen Gesellschaften als dynamischer Besitzstand vereinbart werden“. Die Gesellschaftsanteile der GmbH wurden anschließend vom Land weiterveräußert und die GmbH in die jetzige Beklagte umfirmiert. Weder die Fachklinik Neustadt i. H. – AöR – noch die psychatrium GRUPPE und noch die beklagte GmbH waren und sind tarifgebunden.
6
Seit Beginn des Jahres 1996 wendeten die Arbeitgeberin und ihre Rechtsvorgänger die jeweiligen Regelungen des BAT und der ihn ergänzenden Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis des Klägers an. Entsprechend dem zum 1. November 2006 in Kraft getretenen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (vom 12. Oktober 2006 – TV-L) nach § 20 Abs. 1 TV-L iVm. § 21 Abs. 1 des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (vom 12. Oktober 2006 – TVÜ-L) zahlte die Beklagte an den Kläger eine Jahressonderzahlung in Höhe von 35 vH der Monatsvergütung für den Monat September 2006. Mit Schreiben vom 17. April 2007 und vom 17. Juli 2007 machte der Kläger gegenüber der Beklagten „für die Laufzeit des BAT im Jahr 2006 (Januar – Oktober) die anteilsmäßige Nachzahlung des 13. Monatsgehalts“ erfolglos geltend.
7
Mit seiner Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Im Verlauf des Rechtsstreits vereinbarten die Parteien anlässlich von Tarifvertragsverhandlungen der Beklagten mit dem Marburger Bund, die nicht zum Abschluss eines Tarifvertrages führten, mit Änderungsvertrag vom 6. Februar 2008 die Anwendung des zwischen dem Marburger Bund und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) geschlossenen Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30. Oktober 2006 (TV-Ärzte/TdL) auf das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis ab dem 1. Januar 2007. Der Kläger meint, zumindest bis zum 31. Dezember 2006 seien der BAT und der TV Zuwendung für sein Arbeitsverhältnis maßgebend gewesen. Eine Ablösung durch den TV-L habe nicht stattgefunden und für sein Arbeitsverhältnis gelte nach dessen § 2 nichts anderes. Die vertragliche Abrede nehme nur die ergänzenden und ändernden Tarifverträge in Bezug, nicht aber die ersetzenden. Der TV-L sei kein ergänzender oder ändernder Tarifvertrag zum BAT. Bei der Bezugnahmeklausel handele es sich um eine Gleichstellungsabrede iSd. früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Nach Wegfall der gesetzlichen Anordnung der Geltung des BAT auf das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund des FKlNG habe der BAT einschließlich der diesen ergänzenden Tarifverträgen wieder kraft statischer arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis Anwendung gefunden. Sein Anspruch ergebe sich auch aufgrund der Nachwirkung der tariflichen Normen und der geschlossenen Sicherungsvereinbarung.
8
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
        
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.349,14 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Dezember 2006 zu zahlen.
9
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Eine Geltung oder Anwendbarkeit des BAT über den 31. Oktober 2006 hinaus sei nicht gegeben. § 2 des Arbeitsvertrages beinhalte keine statische Verweisung auf den BAT, sondern eine dynamische. Die Klausel erfasse als ändernden Tarifvertrag auch denjenigen, der den BAT vollständig ändere.
10
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.


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