Arbeitsrecht

(Erziehungsgeldanspruch – nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer – § 1 Abs 6 BErzGG idF vom 13.12.2006 – Aufenthaltserlaubnis – Beschäftigungserlaubnis – Erwerbsberechtigung – Erwerbstätigkeit – sozialgerichtliches Verfahren – Behörde – Beteiligtenfähigkeit – Prozessführungsbefugnis)

Aktenzeichen  B 10 EG 6/09 R

Datum:
30.9.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2010:300910UB10EG609R0
Normen:
§ 1 Abs 1 BErzGG vom 13.12.2006
§ 1 Abs 6 Nr 2 Halbs 1 BErzGG vom 13.12.2006
§ 1 Abs 6 Nr 2 Buchst c BErzGG vom 13.12.2006
§ 1 Abs 6 Nr 3 BErzGG vom 13.12.2006
§ 4 Abs 2 S 1 AufenthG 2004
§ 4 Abs 2 S 2 AufenthG 2004
§ 4 Abs 3 AufenthG 2004
§ 25 Abs 1 S 4 AufenthG 2004
§ 25 Abs 2 S 2 AufenthG 2004
§ 25 Abs 5 AufenthG 2004
§ 70 Nr 3 SGG
Spruchkörper:
10. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Aachen, 14. Oktober 2008, Az: S 13 EG 1/08, Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 27. Februar 2009, Az: L 13 EG 69/08, Urteil

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Bundeserziehungsgeld (BErzg) für den Teilzeitraum vom 11.5.2007 bis 30.6.2007 des zweiten Lebensjahres seiner am 14.11.2005 geborenen Zwillinge Y. und H. hat.
2
Der 1973 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger. Er reiste Anfang Dezember 2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 2.12.2002 Asyl. Nachdem sein Asylantrag am 3.8.2006 bestandskräftig abgelehnt worden war, wurde sein Aufenthalt ab dem 6.9.2006 geduldet. Am 11.5.2007 wurde ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt mit dem Zusatz “Erwerbstätigkeit nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet”. Dieser Zusatz wurde später dahin geändert, dass eine Beschäftigung jeder Art gestattet sei. Ab dem 1.7.2007 übte der Kläger eine geringfügige Beschäftigung aus.
3
Die Anträge des Klägers auf Gewährung von BErzg für das zweite Lebensjahr seiner am 14.11.2005 geborenen Zwillinge Y. und H. wurden mit der Begründung abgelehnt, der Kläger besitze zwar eine Aufenthaltserlaubnis iS des § 1 Abs 6 Nr 2 Buchst c Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG), er erfülle jedoch nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs 6 Nr 3 Buchst a und b BErzGG (Bescheide des Versorgungsamtes Aachen vom 7.8.2007 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide der Beklagten vom 26.11.2007).
4
Während des nachfolgenden Klageverfahrens wurde dem Kläger im Hinblick auf die ab 1.7.2007 ausgeübte geringfügige Beschäftigung von diesem Zeitpunkt an bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres der Zwillinge BErzg gewährt (Bescheide der Beklagten vom 6.5.2008). Die auf Gewährung von BErzg für den Teilzeitraum vom 11.5.2007 bis 30.6.2007 des zweiten Lebensjahres seiner beiden Kinder gerichteten Klagen hat das Sozialgericht Aachen (SG) zunächst verbunden (Beschluss vom 9.6.2008) und dann abgewiesen (Urteil vom 14.10.2008). Die dagegen eingelegte Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 27.2.2009). Es hat ua ausgeführt:
5
Der Kläger erfülle in dem Zeitraum vom 11.5.2007 bis 30.6.2007 die Voraussetzungen des § 1 Abs 6 Nr 2 BErzGG (idF des Gesetzes vom 13.12.2006 ) schon deshalb nicht, weil ihm mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 11.5.2007 noch nicht die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt gewesen sei. Ausländer dürften nach § 4 Abs 3 Satz 1 AufenthG eine Erwerbstätigkeit nur ausüben, wenn der Aufenthaltstitel sie dazu berechtige. Es bestehe ein gesetzliches Beschäftigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt. Nach § 4 Abs 2 Satz 1 AufenthG berechtige ein Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sofern dies “nach diesem Gesetz” bestimmt sei oder der Aufenthaltstitel dies ausdrücklich erlaube. Aus dem Aufenthaltstitel müsse nach § 4 Abs 2 Satz 2 AufenthG hervorgehen, ob die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt sei.
6
Da eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG nicht schon kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtige, habe der Kläger einer ausdrücklichen Erlaubnis bedurft. Eine solche sei ihm am 11.5.2007 nicht erteilt worden. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit sei zunächst nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet worden. Bis zur Erteilung der Zustimmung habe der Kläger nicht rechtmäßig erwerbstätig sein können. Dementsprechend habe der Kläger auch diese Nebenbestimmung ändern lassen, bevor er am 1.7.2007 tatsächlich eine Beschäftigung angetreten habe. Wann diese Änderung vorgenommen worden sei, sei nicht mehr feststellbar gewesen.
7
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei die tatsächliche Erteilung des Aufenthaltstitels maßgebend, der bereits zu Beginn des Leistungszeitraums vorliegen müsse. Nachdem nunmehr die Ausländerbehörde auch über die Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit entscheide, gälten diese Grundsätze auch für diese Erlaubnis. Die von § 1 Abs 6 Nr 2 BErzGG geforderte Aufenthaltserlaubnis besitze ein Ausländer deshalb erst, wenn tatsächlich in dem Aufenthaltstitel die Ausübung der Erwerbstätigkeit erlaubt werde.
8
Ohne Bedeutung sei, dass dem Kläger schon bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 9 Abs 1 Nr 2 Beschäftigungsverfahrensverordnung (BeschVerfV) eine von der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes unabhängige Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit (BA) hätte erteilt werden können und dass der zuständigen Ausländerbehörde von der BA eine Generalvollmacht erteilt worden sei, in diesen Fällen ohne Einschaltung der BA die Erlaubnis zu erteilen. Ebenso könne dahinstehen, ob die Ausländerbehörde verpflichtet gewesen wäre, eine Erlaubnis zu erteilen. Selbst wenn ein Fehlverhalten der Ausländerbehörde vorgelegen hätte, würde dies nicht zu einem Herstellungsanspruch führen, denn dieses Verhalten müsse sich die Erziehungsgeldbehörde nicht zurechnen lassen.
9
Entgegen der Auffassung des Klägers ergebe sich auch aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6.7.2004 – 1 BvR 2515/95 – (SozR 4-7833 § 1 Nr 4) nicht, dass der Gesetzgeber gehalten gewesen wäre, auf den materiellen Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis und nicht auf den tatsächlichen Besitz abzustellen.
10
Da der Kläger die objektive Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Anspruch auf BErzg trage, gehe die Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen zu seinen Lasten. Auf die verfassungsrechtliche Frage, ob der Gesetzgeber in § 1 Abs 6 Nr 2 Buchst c BErzGG zulässigerweise habe bestimmen dürfen, dass für die dort genannten Aufenthaltstitel die bloße Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht ausreiche und diese Titel nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs 6 Nr 3 BErzGG einen Anspruch auf BErzg begründen könnten, komme es somit nicht an.
11
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er trägt vor:
12
Entgegen der Darstellung des LSG knüpfe das BVerfG in seiner Entscheidung vom 6.7.2004 – 1 BvR 2515/95 – nicht an den tatsächlichen Besitz der Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung an, sondern an die Frage, ob der Ausländer der Erwerbstätigkeit rein rechtlich nachgehen dürfe oder nicht. Angesichts des Sinnes und Zweckes des BErzg, zugunsten des Kindes auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten, müsse die abstrakte rechtliche Möglichkeit eines Arbeitsmarktzugangs als Nachweis des Rechts auf Ausübung einer Beschäftigung ausreichen.
13
Damit bleibe die vom LSG offengelassene Frage zu klären, ob § 1 Abs 6 Nr 2 BErzGG verfassungsgemäß sei. Diese Vorschrift werde den Vorgaben des BVerfG nicht gerecht. Es gebe keinen sachlichen Grund, den Anspruch auf BErzg für Inhaber der in § 1 Abs 6 Nr 2 Buchst c BErzGG aufgeführten Aufenthaltstitel von über den Zugang zum Arbeitsmarkt hinausgehenden, zusätzlichen Voraussetzungen abhängig zu machen. Durch die Einschränkungen in § 1 Abs 6 Nr 3 BErzGG würden große Gruppen mit humanitären Aufenthaltstiteln, die die Voraufenthaltszeiten erfüllten und einen Zugang zum Arbeitsmarkt hätten, in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise von einem Anspruch auf BErzg ausgeschlossen.
14
Die Benachteiligung der Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis nach § 25 Abs 5 AufenthG sei auch nicht im Hinblick auf eine zulässige Typisierung gerechtfertigt, da diese nur hinzunehmen sei, wenn die mit ihr verbundenen Härten nicht besonders schwer wögen und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären. Da das BErzg als Einkommen bei Sozialleistungen unberücksichtigt bleibe, falle der mit der Versagung des Anspruchs auf BErzg verbundene Nachteil in Höhe von monatlich mindestens 300 Euro in jedem Fall ins Gewicht.
15
Der Kläger beantragt,die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Februar 2009 und des Sozialgerichts Aachen vom 14. Oktober 2008 aufzuheben, die Bescheide des Versorgungsamtes Aachen vom 7. August 2007 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide der Beklagten vom 26. November 2007 und der Bescheide der Beklagten vom 6. Mai 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch für den Teilzeitraum vom 11. Mai bis 30. Juni 2007 des zweiten Lebensjahres der am 14. November 2005 geborenen Kinder Y. und H. Bundeserziehungsgeld in Höhe des Regelsatzes, insgesamt weitere 1000 Euro, zu zahlen.
16
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
17
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.


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