Arbeitsrecht

Höhe einer Sozialplanabfindung – Einzelfallentscheidung

Aktenzeichen  1 AZR 764/14

Datum:
13.10.2015
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2015:131015.U.1AZR764.14.0
Normen:
§ 77 Abs 4 S 1 BetrVG
§ 112 Abs 1 S 3 BetrVG
Spruchkörper:
1. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Düsseldorf, 6. Dezember 2013, Az: 1 Ca 5183/13, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 20. Oktober 2014, Az: 9 Sa 97/14, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. Oktober 2014 – 9 Sa 97/14 – insoweit aufgehoben, als es die Beklagte zur Zahlung eines über 2.550,05 Euro brutto hinausgehenden Betrages nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. März 2013 verurteilt hat.
2. Die weitergehende Revision der Beklagten und die des Klägers gegen das vorgenannte Urteil des Landesarbeitsgerichts werden zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 77/100 und die Beklagte zu 23/100 zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Berechnung einer Sozialplanleistung.
2
Der am 17. April 1966 geborene und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 8. November 1993 bei der Beklagten in deren Betriebsstätte in Düsseldorf beschäftigt. Ihm war ein Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen. Die Beklagte bringt eine Firmenwagenrichtlinie zur Anwendung, die Company Benefit Car Policy (Car Policy). Diese legt in ihrer Fassung vom Februar 2012 unter „2. Company Car Eligibility“ ua. fest, dass die Anspruchsberechtigung auf einen Firmenwagen auf dem „Job Grade“ – dem Grad der Verantwortung der Tätigkeit – basiert. Außerdem ist in ihrem Prefix bei Rückgabe des Firmenwagens unter näher geregelten Voraussetzungen eine monatliche Barzulage (monthly cash allowance) in Höhe von 750,00 Euro brutto vorgesehen. Der dem Kläger für August 2012 erteilte Entgeltnachweis weist ua. einen „PKW-Wert gw. Vorteil“ iHv. 351,45 Euro und einen „PKW-KM gw. Vorteil“ iHv. 339,30 Euro aus.
3
Bei der Beklagten ist der für den Betrieb Düsseldorf zuständige Betriebsrat Region West gebildet. Mit diesem vereinbarte die Beklagte, welche bis zum 11. September 2013 unter Nokia Siemens Networks GmbH & Co. KG (NSN) firmierte, am 13. August 2012 anlässlich einer Restrukturierungsmaßnahme einen Sozialplan (SP 2012). Dieser sieht den Übergang der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer in die NSN Transfergesellschaft mbH (NSN TG) vor und lautet im Übrigen:
        
„…    
        
§ 5     
        
MINDESTBEDINGUNGEN DER TRANSFERARBEITSVERHÄLTNISSE
        
Der Übertritt in die Transfergesellschaft erfolgt auf Basis eines dreiseitigen Vertrages (= drei Vertragsparteien), der die Beendigung des mit NSN bestehenden Arbeitsvertrages und die Begründung eines befristeten Transferarbeitsverhältnisses bei der NSN Transfergesellschaft mbH beinhaltet.
        
Wesentliche Bestandteile dieses dreiseitigen Vertrages sind:
        
…       
        
        
(3)     
Die Beschäftigten erhalten innerhalb der BeE – unter Anrechnung der Zahlungen der Agentur für Arbeit – ein BeE-Monatsentgelt von monatlich 75 Prozent ihres Bruttomonatseinkommens. Das Bruttomonatseinkommen umfasst alle tariflichen sowie alle sonstigen individuellen monatlichen Entgeltbestandteile. Es ist das 13,5-fache des bisherigen Bruttomonatsgehaltes dividiert durch zwölf.
        
…       
        
        
(8)     
Die vermögenswirksamen Leistungen (AVWL) werden in der beE fortgeführt.
        
…       
        
        
(15     
In dem Dreiseitigen Vertrag ist der Anspruch auf die Abfindung und deren Fälligkeit festzuhalten.
        
…       
        
§ 7     
        
ABFINDUNG
        
(1)     
Alle vom Geltungsbereich dieses Sozialplanes erfassten Beschäftigten haben mit Unterzeichnung des dreiseitigen Vertrages (Zustimmung zum Eintritt in die beE) einen Anspruch auf eine aus dem individuellen Bruttomonatsentgelt errechnete Abfindung.
        
(2)     
Abfindung = Abfindungsbetrag X 0,7
           
        
        
Der errechnete Abfindungsbetrag wird mit dem Faktor 0,7 multipliziert. Der Faktor von 0,7 ergibt sich aus dem Angebot einer Transfergesellschaft mit den in § 5 des Sozialplans geregelten Konditionen.
        
        
Abfindungsbetrag =
        
        
        
Anzahl der Beschäftigungsjahre (Dienstjahre) x Bruttomonatseinkommen x Faktor
        
        
(2.1) Der Faktor ergibt sich aus Lebensalter und Dienstalter:
        
        
        
…       
        
        
Stichtag für die Ermittlung des Lebensalters und der Betriebszugehörigkeit ist das Austrittsdatum aus NSN. Es gelten die bis zu diesem Zeitpunkt vollendeten Jahre.
        
        
Unter Bruttomonatseinkommen sind feste regelmäßige monatliche Einkommensbestandteile auf Basis der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit zu verstehen. Ausgenommen sind Teile, die Aufwandsersatz darstellen, Einmalzahlungen sowie Mehrarbeitsvergütungen.
        
        
Bei Mitarbeitern, die Anspruch auf ein Incentive gem. der NSN GBV 2011/18 haben, wird der Bruttomonatsverdienst zusätzlich um 1/12 der zu beanspruchenden Incentives (BRM=1,0, Zielerreichung 100%) erhöht.
        
        
(2.2) Zuschlag pro Kind: Mitarbeiter mit unterhaltsberechtigten Kindern erhalten zusätzlich zu der Abfindung für jedes unterhaltsberechtigte Kind einen Betrag von 2.500,00 € brutto. Maßgeblich sind die bei NSN zum 31.08.2012 aufgrund der Angaben auf der Lohnsteuerkarte bekannten oder bis dahin vom Mitarbeiter mitgeteilten und nachgewiesenen Unterhaltsberechtigungen. Alleinerziehende erhalten einen zusätzlichen Betrag von einmalig 5.000,00 € brutto.
        
        
Sofern beide Ehepartner betroffen sind, wird der Zuschlag nur einmal fällig.
        
        
(2.3) Zuschlag für Schwerbehinderte: Zum Zeitpunkt der Kündigung oder des Abschlusses eines dreiseitigen Vertrages schwerbehinderte Menschen sowie schwerbehinderten Menschen Gleichgestellte (gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX), erhalten bei Vorlage eines entsprechenden Nachweises einen Zuschlag von 750,00 Euro brutto je 10 Grad der Behinderung.
        
        
(2.4) Mitarbeiter ab dem 35. bis zum 46. Lebensjahr erhalten zusätzlich einen Zuschlag in Höhe von 3.000,00 €; ab dem 47. Lebensjahr einen Zuschlag von 6.000,00 € brutto.
        
(3)     
Die Abfindung ist mit dem Ausscheiden aus der beE zur Zahlung fällig. Die Auszahlung erfolgt mit der Entgeltabrechnung im Monat nach dem Ausscheiden aus der beE.
        
(4)     
Beschäftigte können abweichend davon die Zahlung der Abfindung bereits mit Ausscheiden aus der NSN verlangen.
        
(5)     
Abfindungsansprüche sind nach dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen und vor Fälligkeit vererbbar, jedoch nicht abtretbar.
        
(6)     
Der Anspruch auf Abfindung und deren Fälligkeit ist in den dreiseitigen Vertrag aufzunehmen.
        
(7)     
Ein Anspruch auf Abfindung besteht nicht, wenn …“
4
Unter den Daten 16./27. August 2012 vereinbarten die Parteien und die NSN TG einen „dreiseitigen Vertrag“, nach dem das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Ablauf des 30. September 2012 endete und er zum 1. Oktober 2012 in die NSN TG eintrat. Der Kläger gab den Firmenwagen an seinem letzten Arbeitstag bei der Beklagten zurück.
5
Die Beklagte ermittelte die Sozialplanleistung nach der Rechenoperation:
        
Anzahl der Beschäftigungsjahre (Dienstjahre) x Bruttomonatseinkommen x individueller (Matrix-)Faktor nach § 7 (2.1) SP = Abfindungsbetrag;
        
(Abfindungsbetrag + Zuschläge nach § 7 [2.2] bis [2.4] SP 2012) x 0,7 = Zahlbetrag.
6
Bei der Höhe des in die Rechnung eingestellten Bruttomonatseinkommens berücksichtigte sie weder die monatliche Barzulage anstelle eines Firmenwagens nach der Car Policy noch die (steuerpflichtigen) geldwerten Vorteile des zur privaten Nutzung überlassenen Dienstwagens. Auch die monatlich abgerechnete und gezahlte Kontoführungsgebühr brachte sie nicht in Ansatz.
7
Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung mit Schreiben vom 22. November 2012 unter Fristsetzung für eine Nachzahlung von zehn Werktagen hat der Kläger mit seiner Klage die Zahlung der Differenz geltend gemacht, die sich ergibt, wenn bei der Bemessung der Abfindung von einem höheren Bruttomonatseinkommen – unter Berücksichtigung der Kontoführungsgebühr und der monatlichen Barzulage nach der Car Policy, jedenfalls aber der geldwerten Vorteile für die Privatnutzung des Firmenwagens – ausgegangen wird, und entgegen der Berechnung der Beklagten die Zuschläge des § 7 (2.2) bis (2.4) SP 2012 nicht mit dem Faktor 0,7 multipliziert werden. Des Weiteren hat der Kläger gemeint, die Abfindungszahlung sei am 1. Oktober 2012 fällig gewesen. Entsprechend hat er unter Berücksichtigung der von der Beklagten gezahlten Beträge Verzugszinsen in gestaffelter Höhe beansprucht.
8
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
        
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.582,56 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 108.458,36 Euro vom 1. Oktober 2012 bis zum 31. Oktober 2012, aus 12.682,56 Euro vom 1. November 2012 bis zum 27. Dezember 2012 und aus 10.582,56 Euro seit dem 28. Dezember 2012 zu zahlen.
9
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, ihre Berechnung der Sozialplanleistung folge zwingend aus der Regelungssystematik des Sozialplans.
10
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger – unter Berücksichtigung der ungekürzten Zuschläge und der Positionen „PKW-Wert gw. Vorteil“ sowie „PKW-KM gw. Vorteil“ – einen Betrag von 9.947,98 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. März 2013 zugesprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 6.314,09 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. März 2013 zu zahlen. Dabei hat es neben den ungekürzten Zuschlägen allein die Position „PKW-Wert gw. Vorteil“ berücksichtigt. Die weitergehende Berufung der Beklagten hat es ebenso wie die vom Kläger eingelegte Anschlussberufung zurückgewiesen. Aus den Gründen ergibt sich, dass es die Anschlussberufung für unzulässig gehalten hat. Mit ihren Revisionen verfolgen beide Parteien ihre bisherigen Anträge weiter.


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