Arbeitsrecht

Jugendamt, Entlassung, Vormund, Vormundschaft, Kind, Sachgrund, Pflegschaft, Voraussetzungen, Mutter, Notwendigkeit, Zusammenarbeit, Ausschluss, Wechsel, Kinder, vertrauensvolle Zusammenarbeit, Sinn und Zweck, Art und Weise

Aktenzeichen  9 WF 1212/21

Datum:
2.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3380
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Ein berufsmäßig tätiger Ergänzungspfleger steht einem ehrenamtlich tätigen Ergänzungspfleger im Rahmen des § 1886 BGB i.V.m. § 1915 BGB gleich.
2. Die Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen Elternteil und Ergänzungspfleger führt nicht per se zur Gefährdung der Interessen des Pfleglings im Sinne des § 1886 BGB i.V.m. § 1915 BGB.

Verfahrensgang

50 F 59/20 2021-09-29 Bes AGAMBERG AG Amberg

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers N wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Amberg vom 29.09.2021 (Az.: 50 F 59/20) aufgehoben.
2. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,– EURO festgesetzt.

Gründe

I.
Der bisherige Ergänzungspfleger N wendet sich mit seiner Beschwerde gegen seine Entlassung durch das Amtsgericht – Familiengericht – A Der allein sorgeberechtigten Mutter des Pfleglings R, geboren am .2005, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Amberg vom 23.01.2020 in einem Hauptsacheverfahren wegen elterlicher Sorge (Az.: 2 F 24/19) wesentliche Teile der elterlichen Sorge entzogen, Ergänzungspflegschaft angeordnet und der Beschwerdeführer zum Ergänzungspfleger für R bestellt. Dies war zuvor bereits im einstweiligen Anordnungsverfahren zur elterlichen Sorge (Az.: 2 F 23/19) mit Beschluss vom 19.03.2019 so angeordnet worden. Der Beschwerdeführer übte die Ergänzungspflegschaft berufsmäßig aus. Der Jugendliche D lebt seit 2018 im W haus in Al f.
Mit Schreiben vom 19.04.2021 beantragte die Mutter von R beim Amtsgericht einen Wechsel des Ergänzungspflegers. Zur Begründung machte sie geltend, dass ein völlig gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen ihr und dem Ergänzungspfleger vorliege, weshalb eine zielführende Zusammenarbeit mit diesem nicht mehr möglich sei. Ihr Antrag werde auch von der bei ihr tätigen Familienhilfe und dem Jugendamt unterstützt. Mit Schreiben vom 21.05.2021 konkretisierte sie gemeinsam mit der Familienhelferin, Kl, ihre Angaben. Wegen der Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.
Der Ergänzungspfleger wies in seiner Stellungnahme die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück und führte aus, dass die Mutter des Pfleglings bis heute nicht akzeptiert habe, dass sie mit ihm zusammenarbeiten und in seinen Aufgabenbereichen akzeptieren müsse, dass er zum Wohl des Kindes auch Entscheidungen treffe, die sie so nicht wünsche. Entscheidungen gegen das Kind habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben. Er arbeite eng mit den Ärzten, den Fachkräften in der Einrichtung zusammen und halte sich an die Vorgaben im Hilfeplan. Der Antrag auf Wechsel des Ergänzungspflegers sei daher abzulehnen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 09.07.2021 verwiesen.
In einer fachlichen Stellungnahme vom 30.07.2021 schilderte das Jugendamt A ebenfalls die aus seiner Sicht schwierige Zusammenarbeit zwischen Mutter und Ergänzungspfleger.
Insbesondere die Kontaktaufnahme mit dem Ergänzungspfleger gestalte sich für Mutter und Familienhelferin als schwierig.
Mit Beschluss vom 29.09.2021 ordnete das Amtsgericht – Familiengericht – A Entlassung des Ergänzungspflegers N an und bestellte die als neue Ergänzungspflegerin Dipl. Soz.-Päd. B . Zur Begründung führte das Amtsgericht an, dass die Entlassung des Ergänzungspflegers nicht auf Grund eines rechtlichen Fehlverhaltens erfolge, sondern zum Wohl der Kinder, dass die anstehenden Aufgaben konstruktiv in deren Sinn gelöst werden könnten. Da eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Ergänzungspfleger und Mutter nicht mehr möglich erscheine und damit zu keiner Verbesserung des Familiensystems führen könne, sei ein Wechsel in der Person des Ergänzungspflegers vorzunehmen.
Mit Schreiben vom 29.10.2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, wandte sich der Beschwerdeführer gegen den ihm am 02.10.2021 zugestellten Beschluss. Mit der am 10.01.2022 eingegangenen Beschwerdebegründung vom 01.01.2022 machte der Beschwerdeführer geltend, dass die Voraussetzungen für seine Entlassung, insbesondere ein Pflichtverstoß, nicht vorgelegen hätten. Wegen der umfangreichen Einzelheiten wird auf das Schreiben verwiesen.
II.
Die nach § 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. 1.
Die Voraussetzungen für die Entlassung von Ni als Ergänzungspfleger für das Kind D R richten sich nach § 1915 Abs. 1 BGB i. V.m. § 1886 BGB.
Der Beschwerdeführer war als Einzelergänzungspfleger tätig und übte die Pflegschaft berufsmäßig aus.
Die Voraussetzungen für die Entlassung eines Einzelergänzungspflegers sind, unabhängig davon, ob dieser die Pflegschaft ehrenamtlich oder berufsmäßig ausübt, der Vorschrift des § 1886 BGB zu entnehmen.
Soweit demgegenüber vertreten wird, dass bei der Entlassung eines Berufsvormunds – und damit infolge von § 1915 Abs. 1 BGB auch bei der eines Einzelergänzungspflegers, der die Pflegschaft berufsmäßig ausübt – nicht § 1886 BGB, sondern § 1887 BGB, der die Entlassung des Jugendamtes oder des Vereins zum Gegenstand hat, zur Anwendung komme (BeckOGK/Wentzell, 1.10.2021, BGB § 1886 Rn 6 -8), kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden (so auch: Grüneberg, BGB, 2022, § 1886 Rn 1; Münchner Kommentar/Spickhoff, BGB, 2020, § 1886 Rn 1).
Zur Notwendigkeit einer Unterscheidung von ehrenamtlich tätigem Vormund und Berufsvormund bei den Entlassungsvoraussetzungen wird dabei angeführt, dass – anders als im Betreuungsrecht – der berufsmäßig tätige Einzelvormund nicht zum gesetzlichen Leitbild gehöre. Die Subsidiarität der Amtsvormundschaft wie auch der Vereinsvormundschaft beziehe das Gesetz nur auf den ehrenamtlichen Einzelvormund. Dies ergebe sich explizit aus § 1791b Abs. 1 S. 1, § 1791a Abs. 1 S. 2 BGB. Auch der Berufsvormund führe die Vormundschaft auf professioneller Grundlage und unterfalle daher § 1887 BGB (BeckOGK/Wentzell, 1.10.2021, BGB, § 1886 Rn. 6-8)
Im Hinblick auf die hier zu klärende Frage der Voraussetzungen für die Entlassung eines berufsmäßigen Ergänzungspflegers ist zunächst zu sehen, dass in diesem Tätigkeitsbereich – im Gegensatz zur Vormundschaft – die berufsmäßige Ausübung des Amtes durch eine Einzelperson die Regel und nicht die Ausnahme ist. Daher kann hier bereits nicht von einem gesetzlichen Leitbild ehrenamtlicher Tätigkeit ausgegangen werden.
Auch nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 1886 BGB spielt es keine Rolle, ob der als Einzelperson tätige Vormund/Ergänzungspfleger seine Aufgabe ehrenamtlich oder berufsmäßig führt. Während der Gesetzgeber bei den Vorschriften zur Bestellung eines Vereins bzw. des Jugendamts zum Vormund in den §§ 1791a und 1791b BGB den institutionell handelnden Vormund ausdrücklich vom ehrenamtlich handelnden Vormund abgrenzt, fehlt dies bei den Entlassungsvorschriften der §§ 1886 und 1887 BGB. Ob es sich dabei um gesetzgeberisches Redaktionsversehen handelt oder nicht, lässt sich nicht abschließend klären. Sicherlich lässt sich aus den Diskrepanzen aber ein Reformbedarf bei den entsprechenden Vorschriften erkennen (s. dazu auch OLG Hamburg, FamRZ 2020, 1842; Staudinger/Veit, BGB, 2020, § 1887 Rn 9).
Mit Blick auf Sinn und Zweck der Vorschriften besteht ebenfalls kein Anlass für einen Ausschluss des berufstätigen Einzelvormunds/Einzelpflegers aus dem Anwendungsbereich des § 1886 BGB.
Die engen Voraussetzungen des § 1886 BGB für einen Einzelvormund/ Einzelergänzungspfleger dienen der Kontinuität im Betreuungsverhältnis. Das über Vormundschaft/ Ergänzungspflegschaft errichtete Betreuungsverhältnis soll soweit wie möglich kontinuierlich ablaufen und ein Wechsel allein aus triftigem Grund erfolgen. Nur so gelingt es, ein individuelles Beziehungsverhältnis zwischen Einzelvormund/Einzelpfleger und Mündel/Pflegling aufzubauen, welches Grundlage einer interessengerechten Wahrnehmung der Aufgaben ist und auf dessen Bestand beide Seiten auch längerfristig vertrauen dürfen sollen.
Ein Sachgrund, im Hinblick auf diese Zielsetzung zwischen einer ehrenamtlich agierenden Einzelperson und dem Berufsvormund/Berufsergänzungspfleger zu unterscheiden, ist nicht ersichtlich. Beide sind keine institutionell handelnde Vormünder/ Ergänzungspfleger und gerade in der Beziehung zum Mündel/Pflegling in gleicher Art und Weise tätig. Beide benötigen zur gewissenhaften Führung ihres Amtes ein persönliches Näheverhältnis zum Mündel/Pflegling. Eine Vergleichbarkeit des Berufsvormunds/Ergänzungspflegers mit institutionell agierenden Einrichtungen wie Jugendamt oder Verein besteht dagegen gerade nicht.
2. 2. Nach § 1886 BGB ist ein Einzelvormund/Pfleger zu entlassen, wenn die Führung des Amtes, insbesondere wegen pflichtwidrigen Verhaltens, das Interesse des Mündels/Pfleglings gefährden würde oder wenn in der Person des Vormunds/Pflegers ein Untauglichkeitsgrund nach § 1781 BGB vorliegt. Dabei reicht bereits eine objektive Gefährdung der Mündelinteressen. Verschulden ist nicht Voraussetzung (Pammler-Klein in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 1886 BGB, Rn 7 (Stand: 15.10.2019). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist zu beachten.
Ein Untauglichkeitsgrund (§ 1781 BGB) liegt hier fraglos nicht vor. Auch ist dem Ergänzungspfleger Ni, wie auch durch das Amtsgericht festgestellt wurde, kein pflichtwidriges Verhalten zur Last zu legen.
Die Frage, ob bei Fortführung des Amtes durch den Beschwerdeführer aufgrund des aus Sicht von Kindsmutter, Jugendamt und Familienhilfe fehlenden Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und der Kindsmutter die Interessen des Jugendlichen D gefährdet werden, ist ebenfalls zu verneinen.
Das Verhältnis zwischen dem Pfleger und der derzeitigen Familienhelferin ist für die hier zu treffende Entscheidung ohne Relevanz. Fraglos besteht keine vertrauensvolle Beziehung seitens der Mutter gegenüber dem Pfleger und hat wohl von Anfang an nicht bestanden. Weniger relevant ist dabei, welche Vorwürfe der Mutter gegenüber dem Pfleger zutreffend sind und welche nicht. Persönliche Anfeindungen, wie vorliegend, sind in ihrem Wahrheitsgehalt weder zu verifizieren noch zu widerlegen.
Für eine Entlassung des Ergänzungspflegers nach § 1886 BGB muss die Gefährdung der Interessen des Pfleglings durch den Verbleib des Pflegers in seinem Amt verursacht werden, d. h. es muss ein kausaler Zusammenhang bestehen. Die Interessen des Mündels sind weit zu verstehen und können materieller wie immaterieller Art sein. Sie sind nach den individuellen Lebensumständen und Bedürfnissen des Mündels zu bestimmen (BeckOGK/Wentzell, 1.10.2021, BGB, § 1886 Rn. 14, 15). Der Vormund/Ergänzungspfleger muss auch in der Lage sein, gegenüber der Kindesmutter die notwendige, professionelle Distanz zu wahren und die Selbstbestimmung des Mündels zu achten. Rein gegensätzliche Ansichten zwischen Pfleger und Gericht oder Angehörigen über Zweckmäßigkeitsfragen, insbesondere beim Umgangsrecht, genügen daher für eine Entlassung regelmäßig nicht. Ebenso wenig rechtfertigen Schwierigkeiten in der Kooperation mit dem Vormund/Ergänzungspfleger für sich genommen dessen Entlassung nach § 1886 BGB. Dass zwischen Kindseltern/einem Elternteil und einem Vormund/Ergänzungspfleger ein gewisses Konkurrenzverhältnis in Bezug auf das Kind besteht, liegt gleichsam in der Natur der Sache und ist hinzunehmen. Einhergehen muss für ein Eingreifen nach § 1886 BGB zugleich eine Gefährdung der Mündelinteressen (BeckOGK/Wentzell, 1.10.2021, BGB, § 1886 Rn. 14, 15).
Eine solche ist vorliegend nicht ersichtlich. Die gegenseitigen Schilderungen lassen zwar ersehen, dass hier viel Energie darauf verwendet wird, das Verhalten des „Gegenparts“ zu beobachten, zu bewerten, zu dokumentieren, dem Gericht zur Kenntnis zu bringen und Vorwürfe zu bestreiten. Deshalb ist aber nicht zu befürchten, dass die Belange von D beeinträchtigt wären. Der Junge ist fast 17 Jahre alt. Er ist seit langer Zeit fremd untergebracht, sodass ein unmittelbares Betroffensein des Jugendlichen durch Unstimmigkeiten zwischen Pfleger und Mutter nahezu auszuschließen ist. D pflegt zwar regelmäßigen Umgang mit der Mutter und auch um dessen Organisation gibt es immer wieder Streit zwischen Mutter und Pfleger. Aber auch mittelbare Auswirkungen der persönlichen Verwerfungen zwischen den Erwachsenen auf den Jungen dürften – wenn überhaupt – nur geringfügig sein, zumal die konkrete Ausgestaltung seiner aktuellen Lebensumstände stets unter Mitwirkung weiterer Fachkräfte wie dem Jugendamt und der Einrichtung erfolgt.
Nicht entscheidungserheblich ist, ob der Beschwerdeführer sein Amt weiterführen will. Er ist durch die vorliegende Entscheidung rückwirkend in sein Amt als Ergänzungspfleger eingesetzt. Es bedarf dazu keiner Neubestellung durch das Familiengericht (Pammler-Klein in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 1886 BGB, Rn 29 (Stand: 15.10.2019). Eine Entlassung der neu bestellten Ergänzungspflegerin ist damit nicht verbunden. Der Beschwerdeführer müsse seine Entlassung beim Familiengericht beantragen (§ 1889 BGB).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S.2 FamFG.
IV.
Der Verfahrenswert beruht auf § 42 FamGKG.
V.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 70 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FamFG). Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar.


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