Arbeitsrecht

Kostentragungspflicht – Rücknahme der Anschließung der Berufung

Aktenzeichen  4 Sa 6/20

Datum:
18.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landesarbeitsgericht 4. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LAGTH:2022:0118.4SA6.20.00
Normen:
§ 92 Abs 1 ZPO
§ 516 Abs 3 ZPO
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Bei einer eigenständigen von einer etwaigen Berufungsrücknahme oder -verwerfung unabhängigen Rücknahme der Anschließung trägt die sich anschließende Partei die Kosten ihrer Anschließung selbst entsprechend § 516 Abs. 3 ZPO.(Rn.4)

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Gera, 29. November 2019, 3 Ca 354/17, Urteil

Tenor

Der Kläger wird des Rechtsmittels der Berufung für verlustig erklärt.
Die Rechtsbeschwerde wird für die Beklagte zugelassen.

Gründe

I.
Der Kläger wehrte sich gegen insgesamt sieben Kündigungen. Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 29.11.2019 den Kündigungsschutzklagen stattgegeben mit der Begründung, diese seien sozialwidrig bzw. erfüllten nicht die Voraussetzungen an die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Es hat auf Antrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung zum 30.6.2018 ausgehend von der Kündigung vom 27.11.2017 aufgelöst mit der Begründung, diese ordentliche Kündigung sei ausschließlich wegen ihrer Sozialwidrigkeit unwirksam, denn der Kläger sei nicht nur leitender Angestellter im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes, sondern auch im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Deshalb habe es weder einer Betriebsratsanhörung noch eines Auflösungsgrundes bedurft. Hiergegen richtete sich die Berufung des Klägers. Die Beklagte hat sich der Berufung innerhalb der verlängerten Berufungsbeantwortungsfrist angeschlossen und die Anschließung damit begründet, durch die vorgetragenen Gründe sei eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass der Kläger die Anforderungen an seine Stellung nicht mehr erfülle, er habe Vorgaben nicht umgesetzt, erforderliche Organisationsmaßnahmen (Arbeitsschutz) unterlassen und beharrlich die Arbeit verweigert. Jedenfalls die erneute Kündigung sei gerechtfertigt, weil der Kläger mit falschen Behauptungen Prozessbetrug begangen habe.
In der mündlichen Verhandlung haben zunächst die Beklagte die Anschließung und sodann der Kläger seine Berufung zurückgenommen.
II.
Nach Rücknahme der Anschließung und der Berufung war noch über die Kosten zu befinden. Diese waren nach § 92 Abs. 1 ZPO zu quoteln.
Zwar trägt grundsätzlich ein*e Rechtsmittelkläger*in auch die Kosten einer Anschließung, wenn das Rechtsmittel zurückgenommen wird, weil die Anschließung kein Rechtsmittel, sondern ein Antrag innerhalb des Rechtsmittels des*der Gegners*in ist (ganz h.M. vgl. BGH 27. Mai 2020, VII ZR 192/18, NJW-RR 2020, 1136 zur Revision; BGH 26.1.2005, XII ZB 163/04, NJW-RR 2005, 727 mwN.; OLG Koblenz 10.7.2014 – 3 U 1415/13, NJW-RR 2014, 1212 mwN. zur Berufung). Von diesem Grundsatz gibt es jedoch Ausnahmen. So sind nach früherer Rechtsprechung einer sich anschließenden Partei die Kosten der Anschließung entsprechend § 516 Abs. 3 ZPO aufzuerlegen, wenn diese*r die Anschließung vor Rechtsmittelrücknahme selbst zurücknimmt (BGH 17.12.1951 – GSZ 2/51, NJW 1952, 384
zum damaligen inhaltsgleichen § 515 Abs. 3 ZPO) oder auch bei Unzulässigkeit der Anschließung, die nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO genügend begründet war  (BGH aaO; OLG Köln 17.1.2003, 5 U 5/03, NJW 2003, 1879).
Obwohl hier gravierende Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der Anschließung mangels einer den Anforderungen des § 524 Abs. 3 i.V.m. § 520 Abs. 3 ZPO genügenden Begründung vorliegen, kann offenbleiben, ob für diesen Fall eine Ausnahme von der allgemeinen Kostentragungspflicht zu machen ist (so OLG Köln 17.1.2003, 5 U 5/03, NJW 2003, 1879), auch wenn wegen der Rücknahme der Anschließung über deren Zulässigkeit keine Entscheidung ergeht (unklar speziell zu der Frage, ob eine inhaltliche Entscheidung über die Unzulässigkeit der Anschließung für die Ausnahme notwendig ist z.B. OLG Koblenz 10.7.2014 – 3 U 1415/13, NJW-RR 2014, 1212; von einer Entscheidung über die Anschließung für die Ausnahme von der Kostentragungspflicht des Hauptrechtsmittelklägers ausgehend BGH 26.1.2005, XII ZB 163/04, NJW-RR 2005, 727 in Rn. 6 unter Bezugnahme auf Rechtspr, des RG).
Jedenfalls bei einer eigenständigen Rücknahme der Anschließung unabhängig von einer etwaigen Rücknahme des (Haupt-)Rechtsmittels trägt die sich anschließende Partei die Kosten ihrer zurückgenommenen Anschließung auch nach Änderung des Anschließungsrechts 2002, was gegebenenfalls durch Bildung einer Kostenquote zu gewährleisten ist.
Das ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 516 Abs. 3 ZPO.
Die Frage, wer die Kosten bei selbstständiger vom Schicksal der Hauptberufung unabhängiger Rücknahme der Anschließung trägt, ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Es handelt sich um eine unbewusste Regelungslücke. Die Regelung über die Anschließung in § 524 ZPO enthält keine Bestimmungen über die Rücknahme der Anschließung. §524 Abs. 3 ZPO verweist nur auf Bestimmungen über die Einlegung, Begründung und Zustellung der Berufung. § 516 ZPO spricht nur die Rücknahme der Berufung, also des Hauptrechtsmittels an. Wie § 516 Abs. 3 ZPO deutlich macht, soll die Vorschrift nur die Rücknahme eines Rechtsmittels regeln; die Anschließung ist jedoch kein Rechtsmittel, sondern ein Antrag innerhalb eines fremden Rechtsmittels. Mit der Neuregelung des Berufungsrechts 2002 wollte der Gesetzgeber die selbstständige Anschlussberufung abschaffen, weil die Partei unter denselben Voraussetzungen wie die Gegenpartei selbst Berufung einlegen kann und ein Bedürfnis für eine selbstständige Anschlussberufung nicht gesehen wurde; im Übrigen wollte der Gesetzgeber die Rechtslage ausdrücklich unverändert lassen (BT-Drs. 14/4722 S. 98 re. Spalte). Die Frage der Kostentragungspflicht bei einer durch Berufungsrücknahme hinfälligen Anschließung neuen Rechts hat der Gesetzgeber ausdrücklich bei § 516 Abs. 3 ZPO diskutiert und für klärungsbedürftig angesehen, obwohl er in der Gesetzesbegründung ausdrücklich erwähnt, dass es zahlreiche Rechtsprechung dazu gibt (BT-Drs. 14/4722, S. 95 li. Spalte). Dass sich die Frage einer Kostentragungspflicht bei eigenständiger vom Hauptrechtsmittel unabhängiger Rücknahme der Anschließung regelungsbedürftig ist, hat er schlicht nicht gesehen und nicht geregelt.
Die Gesetzeslücke ist durch Anwendung des Rechtsgedankens aus § 516 Abs. 3 ZPO zu schließen.
Hintergrund der Kostentragungspflicht der rechtsmittelführenden Partei auch für eine Anschließung bei Rücknahme des eigenen Rechtsmittels ist der Umstand, dass die Anschließung durch die Rechtsmittelrücknahme gegenstandslos wird (§ 524 Abs. 4 ZPO). Damit verhindert allein die Rechtsmittelklagepartei einen etwaigen inhaltlichen Erfolg der Anschließung mit entsprechender für den*die Anschließende*n günstiger Kostenfolge. Das rechtfertigt neben dem strukturellen Argument, dass die Anschließung ein Antrag innerhalb eines fremden Rechtsmittels ist, die Kostentragung durch den*die Rechtsmittelkläger*in gem. § 516 Abs. 3 ZPO. Ausnahmen gelten dann, wenn der*die Anschluss“rechtsmittel“kläger*in selbst daran mitwirkt, sein*ihr unselbstständiges „Rechtsmittel“ zu Fall zu bringen (seit BGH 17.12.1951 – GSZ 2/51, NJW 1952, 384; BGH 26.1.2005, XII ZB 163/04, NJW-RR 2005, 727 Rn. 6).
Hier hat die Beklagte ihre Anschließung zunächst zurückgenommen, bevor der Kläger seine Berufung zurück genommen hat. Damit führte nicht die Berufungsrücknahme gem. § 524 Abs. 4 ZPO zur Wirkungslosigkeit der Anschließung, sondern die Rücknahme durch die Beklagte. Es ist gerechtfertigt, dies wie bei sonstigen Antragsrücknahmen mit einer Kostenlast zu verbinden. Ist die Anschließung ein (kostenrelevanter) Antrag innerhalb des gegnerischen Rechtsmittels, kann sie behandelt werden wie (kostenrelevante) Anträge im Übrigen auch. Damit ist die Interessenlage bei der vom Schicksal der Berufung unabhängigen Rücknahme der Anschließung vom Kostenstandpunkt aus gesehen vergleichbar mit der bei Rücknahme der Berufung selber.
Die Kostenquote ergibt sich daraus, dass das Gericht den gesondert in der Berufung zur Entscheidung gestellten Auflösungsantrag mit einem Bruttovierteljahresverdienst bewertet hat und die vor dem Auflösungszeitpunkt liegenden und wirkenden Kündigungen nicht als werterhöhend betrachtet und lediglich den Streit über die Folgekündigung vom 10.7.2018 mit ebenso einem Bruttovierteljahresverdienst als werterhöhend ansieht. Das gilt aufgrund der Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung insoweit unabhängig von der Frage, ob das Arbeitsgericht bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 30.6.2018 überhaupt eine Entscheidung hierüber hätte treffen dürfen (§ 308 Abs. 1 ZPO); es hatte entschieden und die Frage war Streitgegenstand der Anschließung.
Die Rechtsbeschwerde war für die Beklagte zuzulassen, weil aus Sicht des Gerichts die Frage der Kostentragung im Falle der Rücknahme einer Anschließung unabhängig vom Schicksal der Berufung nach der ZPO-Reform 2002 (wieder) klärungsbedürftig (geworden) ist.


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