Arbeitsrecht

Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers – Verpflichtung zur Rücksichtnahme gilt auch außerdienstlich

Aktenzeichen  6 Sa 76/17

Datum:
11.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 241, § 314, § 323 Abs. 2, § 626
KSchG KSchG § 1 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses außerordentlich und hilfsweise ordentlich führt nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte hat dem Kläger bereits in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass sie politische Aktivitäten im Rahmen des Arbeitsverhältnisses nicht duldet und solches mit ihrer Aufgabenstellung und Verantwortung in der Öffentlichkeit nicht in Einklang zu bringen ist. Diese Verpflichtung zur Rücksichtnahme besteht nicht nur während des Dienstes, sondern auch für außerdienstliches Verhalten von Mitarbeitern, wenn Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt werden. Mit dem sichtbaren Tragen des Dienstausweises hat der Kläger daher gegen seine Loyalitätspflichten gegenüber der Beklagten verstoßen. Er hat durch das sichtbare Tragen des Dienstausweises auf einer Kundgebung „Die Rechte“ die Beklagte mit den Ansichten und Parolen dieser Gruppierung in Verbindung gebracht. (Rn. 61)
2. Diese außerdienstliche Pflichtverletzung genügt aber nicht für den Ausspruch einer Kündigung. Als vorrangiges und milderes Mittel wäre die Erteilung einer Abmahnung ausreichend und zumutbar gewesen, um künftiges ähnliches oder gleichgelagertes Fehlverhalten des Klägers zu unterbinden. Es lag auch keine wirksame einschlägige Abmahnung vor, die die Prognose gerechtfertigt hätte, der Kläger würde sich künftig nicht loyal gegenüber der Beklagten verhalten. (Rn. 62)
3. Nach Ansicht des Gerichts ist das Arbeitsverhältnis auch nichtgegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Sein Verhalten im Prozess und während des Prozesses wie auch sein Vorbringen in den Schriftsätzen ist teilweise nicht mehr durch das Recht auf freie Meinungsäußerung oder durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen – notfalls in scharfer Form – gerechtfertigt. Dies gilt insbesondere für seine unstreitige Äußerung in der Güteverhandlung, die Vorstände der Beklagten hätten ihn erschießen lassen, „wenn wir in einem anderen Land leben würden“. (Rn. 73 – 74)
4. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt aber nur in Betracht, wenn eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist. Das Gericht erachtet darin zusammen mit der Pflichtverletzung des Klägers keine derartige Störung des erforderlichen Vertrauens, die der weiteren wechselseitigen Erfüllung der Vertragspflichten und dem Zusammenwirken zum Wohl des Betriebes entgegenstünden; zumindest hat sich solches nicht in greifbaren Tatsachen niedergeschlagen. (Rn. 74)

Verfahrensgang

2 Ca 4610/16 2017-01-25 Urt ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 25.01.2017, Az. 2 Ca 4610/16, wird zurückgewiesen.
2. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 c ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO). Dies gilt auch für den erstmalig zweitinstanzlich hilfsweise gestellten Auflösungsantrag, da ein solcher gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden kann.
II.
Die Berufung ist in der Sache nicht begründet und der Auflösungsantrag zurückzuweisen.
Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen Bezug genommen und von einer wiederholenden Darstellung abgesehen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Im Hinblick auf die Berufung sind folgende Ergänzungen veranlasst:
Es bleibt festzustellen, dass der Kläger an der Demonstration der Organisation „Die Rechte“ am 27.08.2016, bei der er auch als Redner auftrat, teilnahm. Dabei ist zeitweise sein am Hosenbund befestigter Ausweis der Beklagten sichtbar gewesen. Darauf ist die Beklagte von dritter Seite hingewiesen worden, wie auch zur Stellungnahme zu diesem Vorgang aufgefordert worden. Dies ist auch von verschiedenen Presseorganen aufgegriffen worden, weshalb die Beklagte auch diesen gegenüber Stellung beziehen musste.
Das erkennende Gericht geht mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, dass eine Kündigung im Sinne von § 626 BGB bzw. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit insbesondere auch nicht sozial ungerechtfertigt ist, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann eine Kündigung rechtfertigten. Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits im Vorhinein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist.
Bei dem festgestellten Verhalten des Klägers kann nicht angenommen werden, dass er dies absichtlich und vorsätzlich getan hätte, insbesondere um die Beklagte mit den Inhalten der Demonstration in Zusammenhang zu bringen. Solches hat die Beklagte nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich. Es kann daher schon nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bewusst und damit auch schuldhaft seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten verletzt hätte. Zu berücksichtigen ist auch, dass diese Verletzung von arbeitsvertraglichen Nebenpflichten sich nicht während seiner dienstlichen Tätigkeit zugetragen hat, sondern zutreffender Weise dem außerdienstlichen Verhalten zuzurechnen ist.
Für den Kläger bestand auch für sein außerdienstliches Verhalten die vertragliche Nebenpflicht, auf die erkennbaren berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sich diesem gegenüber loyal zu verhalten. Dies gilt zwar grundsätzlich nur für sein Verhalten im Dienst, aber auch für sein außerdienstliches Verhalten, wenn dies ausnahmsweise Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hat. Mit dem sichtbaren Tragen seines Dienstausweises auf einer politischen Demonstration hat der Kläger gegen die ihm obliegenden Loyalitätspflichten verstoßen. Die Beklagte hatte ihm gegenüber insbesondere auch mit dem Schreiben vom 19.05.2014 verdeutlicht, wenn auch unmittelbar nur für seine dienstliche Tätigkeit, dass sie mit politischen Aktivitäten einzelner Mitarbeiter nicht in Verbindung gebracht werden will. Sie hat insbesondere verdeutlicht, dass sie politische Aktivitäten im Dienst nicht dulden werde. Die Rücksichtnahmepflicht verbietet es dabei nicht, sich im privaten Bereich zu engagieren, verpflichtete den Kläger aber, die Beklagte nicht in Zusammenhang mit seinem politischen Engagement und seinen Ansichten zu bringen. Dies hat der Kläger aber mit dem sichtbaren Tragen seines Ausweises auf der Kundgebung getan und damit auch gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen.
Die Verletzung dieser seiner arbeitsvertraglichen Nebenpflicht führt aber nicht zur Wirksamkeit der hilfsweise ordentlichen Kündigung oder gar der fristlosen Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung, wie das Arbeitsgericht unter entsprechender Angabe der Rechtsprechung zutreffend herausgearbeitet hat. Zu berücksichtigen ist aber insbesondere, dass es sich um eine Pflichtverletzung nicht in Wahrnehmung der Arbeitsaufgaben handelt, sondern um ein rein außerdienstliches Verhalten, das ausnahmsweise auch Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hat. Dies hat nicht die Bedeutung, wie die Begehung von Straftaten gegen den Arbeitgeber, Mitarbeiter oder Kunden, insbesondere im Dienst, und stellt auch keine Verletzung der Hauptpflicht des Arbeitnehmers dar. Als milderes Mittel gegenüber dem Ausspruch einer Kündigung wäre eine Abmahnung ausreichend gewesen, um künftige ähnliche Verstöße zu unterbinden. Dies wäre der Beklagten auch zumutbar gewesen. Wie die Vorgänge aus den Jahren 2012 und 2014 zeigen, sind nach entsprechenden Hinweisen des Arbeitgebers bzw. der ausgesprochenen Abmahnung gleichgelagerte Fälle nicht mehr vorgekommen, der Kläger hat sich an die Vorgaben des Arbeitgebers gehalten. Vorliegend hat er sich zumindest nicht bewusst über die Vorgaben des Arbeitgebers hinweggesetzt. Es ist daher nicht ersichtlich, dass der Kläger sich auch hinsichtlich des nunmehr zu Recht beanstandeten Verhaltens über die zulässigen Vorgaben des Arbeitgebers im Falle einer Abmahnung wieder hinwegsetzen würde. Daraus, dass in 14 Dienstjahren drei Vorgänge aktenkundig geworden sind, lässt sich keinesfalls entnehmen, der Kläger würde sich über Vorgaben des Arbeitgebers künftig – auch nach einer Abmahnung – hinwegsetzen.
Es liegt auch keine Störung des Betriebsfriedens im Sinne des Kündigungsrechtes vor, da solches als Kündigungsgrund nur dienen kann, wenn solche Störungen konkret im Betrieb auftreten oder aufgetreten sind. Die Beklagte hat keinerlei konkreten Beeinträchtigungen des Betriebsablaufes in den Beziehungen der Betriebsangehörigen darlegen können.
Es liegt auch keine einschlägige kündigungsrelevante Abmahnung bereits vor, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat. Die Abmahnung aus dem Jahr 2014 war zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Geschehens bereits aus der Personalakte zu entfernen und damit für eine Kündigung nicht mehr von Bedeutung. Dieser Abmahnung lässt sich zwar noch nach wie vor der Hinweis entnehmen, dass eine politische Äußerung im Dienst nicht geduldet werden könne, auch wenn vorrangig ein Verstoß gegen die Betriebsvereinbarung gerügt worden ist. Dies bedeutete für den Kläger aber nur die Vorgabe der Beklagten, wie er seinen Dienst zu versehen hat und wie er sich zu verhalten hat, wie oben dargelegt.
Da es für den Ausspruch einer Kündigung an der vorherigen notwendigen einschlägigen Abmahnung fehlt, konnte weder die außerordentliche noch die ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis beenden, diese waren wegen des Vorrangs der Abmahnung unverhältnismäßig. Auch die hilfsweise ordentliche Kündigung ist daher sozial nicht gerechtfertigt.
Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht einem schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist. Durch eine bloße Bezugnahme auf nicht ausreichende Kündigungsgründe genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast nicht. Man muss vielmehr im Einzelnen vortragen, weshalb die nicht ausreichenden Kündigungsgründe einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen sollen. Dabei ist zu Lasten des Klägers auch zu berücksichtigen, dass er mit seinem Auftritt die Beklagte in Zusammenhang gebracht hat mit der Ideologie und den Parolen der Gruppierung „Die Rechte“, und damit ein Imageschaden einherging.
Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist trotz sozial ungerechtfertigter Kündigung nur dann gerechtfertigt, wenn eine weitere, den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit der Vertragsparteien nicht zu erwarten ist. Die Bestimmung dient damit ebenso wie die übrigen Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes dem Ausgleich der wechselseitigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer an einer Fortsetzung bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Auch polemische und unhöfliche Formulierungen einer Partei oder des Bevollmächtigten im Kündigungsschutzprozess sind durch Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt, solange sie einen sachlichen, nachvollziehbaren Bezug zu den maßgeblichen rechtlichen Fragen haben und die Grenze zu persönlicher Schmähung, Gehässigkeit und bewusster Wahrheitswidrigkeit nicht übertreten. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Erklärung aber noch nicht zur Schmähung. Hinzukommen muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in der Person herabsetzen soll.
In der Abwägung für die Auflösungsgründe ist das Fehlverhalten des Klägers, das zur Kündigung führte, mit zu berücksichtigen. Als außerdienstliches Fehlverhalten hat es aber geringere Bedeutung als dienstliches Fehlverhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger die Beklagte mit dem sichtbaren Tragen des Dienstausweises öffentlich in Verbindung mit den Ansichten der „Die Rechte“ gebracht hat, die extrem ausländerfeindlich sind.
Soweit die Beklagte für ihren Auflösungsantrag vorbringt, der Kläger habe den Aufsichtsratsvorsitzenden als Mann mit zwei Gesichtern bezeichnet, es handele sich um ein rein politisches Manöver und der Aufsichtsratsvorsitzende habe die V.-Führung gewaltig unter Druck gesetzt, bezieht sich der Kläger ersichtlich auf Presseberichte bzw. Inhalte des Internets. Dort ist zum einen angegeben, dass die Beteiligten den Vorgang klären müssten, andererseits aber, dass der Aufsichtsratsvorsitzende den Personalvorstand gebeten habe, alle arbeitsrechtlichen Schritte zu prüfen. Dabei sind die Einschätzungen des Klägers über das eingeleitete Verfahren vom Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt, die angegebenen Grenzen sind nicht überschritten. Soweit die Beklagte hierzu auch auf ein Flugblatt der BIA Bezug nimmt, zeichnet für die dortigen Angaben nicht der Kläger, sondern der weitere Stadtrat O. verantwortlich.
Mit der Angabe der Fotomontage deutet der Kläger zwar an, dass er sich nach wie vor keiner Schuld, keiner vorsätzlichen Verfehlung bewusst ist. Der Vorwurf der möglichen Fotomontage richtet sich aber erkennbar nicht gegen die Beklagte, sondern allenfalls gegen den Urheber der Fotos, denn es ist unstreitig und war niemals Thema, dass diese von der Beklagten selbst gefertigt worden wären. Insofern richtet sich ein möglicher nicht gerechtfertigter Vorwurf nicht gegen die Beklagte. Ein Vorwurf des Klägers gegenüber der Beklagten, sie würde wahrheitswidrig vortragen oder Täuschungsversuche im Prozess unternehmen, ist darin nicht zu sehen.
Der Kläger hat darauf abgestellt, dass die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat mitgeteilt hat, der Kläger habe das Tragen des Dienstausweises eingeräumt (aber gleichzeitig ein Bild gezeigt, in dem der Dienstausweis in seine Tasche gesteckt war) und andererseits vorgetragen, dass der Kläger dabei bestritten habe, dass er den Dienstausweis getragen habe. In diesem Zusammenhang warf der Kläger der Beklagten vor, an einer fairen Auseinandersetzung nicht sonderlich interessiert zu sein und nicht davor zurückzuschrecken, dem Gericht gegenüber unrichtige Behauptungen vortragen zu lassen. Dabei hat der Kläger übersehen, dass es der Beklagten dabei nicht nur um das Tragen des Ausweises, sondern um das sichtbare Tragen des Ausweises gegangen ist. Der Kläger hat dabei nicht direkt den Vorwurf des Täuschens bzw. des Aufstellens unwahrer Behauptungen erhoben, sondern, wie die Worte „lässt vermuten“ zeigen, seine Meinung geäußert, dass das prozessuale Verhalten der Beklagten für ihn nicht fair sei. Er hat hier in der Sache zwar letztlich unzutreffend Stellung bezogen, aber auch damit nicht die oben genannten Grenzen überschritten.
Die Äußerung des Klägers in der Güteverhandlung überschreitet den Bereich der Wahrnehmung berechtigter Interessen und stellt nicht nur eine polemische oder unhöfliche Formulierung dar. Daran ändert nichts der Vortrag des Klägers, dass er den Vergleich gewählt habe, da dies seiner persönlichen Situation nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung, den geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt und der Bedrohung seiner wirtschaftlichen Existenz nahekomme. Denn er hat damit den Boden eines sachlichen, nachvollziehbaren Bezugs zu rechtlichen Fragen verlassen und seinen Arbeitgeber (insbesondere den Aufsichtsratsvorsitzenden), persönlich geschmäht, indem er ihn mit einer solchen möglichen Tat überhaupt in Verbindung gebracht hat. Die Einlassung des Klägers, es habe sich um eine von vornherein irreale Fiktion gehandelt, kann hierfür keine Rechtfertigung oder Entschuldigung darstellen. Die Äußerung mag in dem Gefühl der Bedrohung in der wirtschaftlichen Existenz nach den Angaben des Klägers ihren Ursprung haben. Sie war aber deutlich auf Herabwürdigung des Aufsichtsratsvorsitzenden ausgerichtet. Der Ausspruch des Klägers ist ersichtlich nicht wörtlich zu nehmen, sondern ist bildhaft zu sehen und enthält den Vorwurf, ihn ruinieren zu wollen oder zumindest zum Schweigen zu bringen. Dies allerdings nicht mehr in einer Form der Wahrnehmung berechtigter Interessen.
Die Frage der Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist zukunftsbezogen zu beantworten. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers setzt die Prognose einer schweren Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses voraus. All die genannten Umstände lassen aber nur geringe negative Rückschlüsse auf das Arbeitsverhältnis und das gedeihliche Zusammenwirken der Parteien, insbesondere für die Tätigkeit des Klägers als Straßenbahn- bzw. Omnibusfahrer zu. Die Beklagte hat insbesondere nicht ansatzweise dargelegt, inwiefern sich die Prozessführung, soweit sie sie beanstandet hat, auf den Leistungsaustausch im Arbeitsverhältnis negativ auswirken soll. Auch wenn die Beklagte das Verhalten des Klägers als Fahrer nur in geringem Maße kontrollieren kann, sind andererseits kaum Berührungspunkte des Klägers in der Zusammenarbeit desselbigen mit dem gescholtenen Aufsichtsratsvorsitzenden zu erkennen. Dabei reicht nicht jede Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus, sondern nur die Prognose einer schweren Beeinträchtigung. Davon kann hier nach dem Vortrag der Beklagten und nach der Einschätzung des erkennenden Gerichts keine Rede sein. Störungen des erforderlichen Vertrauens, die der weiteren wechselseitigen Erfüllung der Vertragspflichten und dem Zusammenwirken zum Wohl des Betriebes entgegenstünden, sind letztlich nicht ersichtlich, zumindest haben sie sich nicht in greifbaren Tatsachen niedergeschlagen.
Nach alldem hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben, der Auflösungsantrag der Beklagten ist nicht gerechtfertigt. Die Berufung ist daher zurückzuweisen, wie auch der Auflösungsantrag des Arbeitgebers.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 72 Abs. 2 ArbGG).


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