Arbeitsrecht

Nettolohnoptimierung: Internetzuschuss

Aktenzeichen  S 3 BA 30/18

Datum:
20.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 17924
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 14 Abs. 1, § 17 Abs. 1, § 28p
SvEV § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
EStG § 8 Abs. 4, § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 5,

 

Leitsatz

1. Zuschüsse des Arbeitgebers für die Internetnutzung, die zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gezahlt werden zählen nicht zum beitragspflichtigen Arbeitsentgelt.(Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird ein solcher Zuschuss für die Zukunft vereinbart in Verbindung mit einem gleichzeitigen teilweisen Gehaltsverzicht, ist das sozialversicherungsrechtliche das Zusätzlichkeitserfordernis erfüllt (s. aber BSG BeckRS 2021, 2509).(Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid vom 17.02.2017 und der Widerspruchsbescheid vom 01.03.2018 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die Sache kann durch Gerichtsbescheid entschieden werden, die Voraussetzungen nach § 105 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGG liegen vor.
Die erhobene Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG ist zulässig.
Die Klage ist begründet, die Nachforderungsverfügung der Beklagten nach § 28 p Abs. 1 Satz 5 SGB IV ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte ist nicht berechtigt, für den streitgegenständlichen Zeitraum von der Klägerin für ihre beigeladenen Beschäftigten Beiträge zur Sozialversicherung nachzuerheben.
Anknüpfungspunkt für die sozialrechtlichen Forderungen ist das Arbeitsentgelt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, das sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (vgl. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V, § 57 Abs. 1 SGB XI, § 162 Nr. 1 SGB VI, § 342 SGB III).
Der von der Klägerin monatlich gezahlte Internetzuschuss ist als laufende Einnahme der Beigeladenen, auf die aus einer Beschäftigung ein unmittelbarer arbeitsvertraglicher Rechtsanspruch besteht, ohne Zweifel Arbeitsentgelt. Im Verordnungswege nach § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB IV kann allerdings bestimmt werden, dass laufende Einnahmen, die arbeitgeberseits zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, ebenso wie steuerfreie Einnahmen, ganz oder teilweise nicht als Arbeitsentgelt gelten. Dabei ist nach dem gesetzgeberischen Willen eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen, § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB IV.
Für Einnahmen nach § 40 Abs. 2 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) bestimmt § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (SvEV), dass sie dem Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen sind. Zu solchen Einnahmen gehören nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG Zuschüsse des Arbeitgebers für die Internetnutzung, die zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gezahlt werden.
Darum handelt es sich hier. In ihrer Stellungnahme vom 11.06.2018 hat die Beklagte ausgeführt, dass der von der Klägerseite an die Beigeladenen gezahlte monatliche Internetzuschuss, weil arbeitsrechtlich zulässig, für die Zukunft vereinbart in Verbindung mit einem gleichzeitigen teilweisen Gehaltsverzicht, sozialversicherungsrechtlich das Zusätzlichkeitserfordernis erfüllt, steuerrechtlich aber keine Zusätzlichkeit vorliegen würde, weil Änderungsverträge mit Umwandlung von Arbeitsentgelt in steuerfreie oder pauschal besteuerte Entgeltbestandteile nicht anerkannt würden.
Diese steuerrechtliche Einschätzung der Beklagten ist allerdings nicht zutreffend. Die Ansicht, dass (steuerrechtlich) zusätzlich nur eine freiwillige Arbeitgeberleistung sein kann, auf die Arbeitnehmer keinen Anspruch haben (vgl. BFH, Urteil vom 19.09.2012, VI R 54/11) ist überholt (vgl. BFH, Urteil vom 01.08.2019, VI R 32/18), hatte keinen Anknüpfungspunkt im Gesetz und wurde selbst von der Finanzverwaltung nicht vertreten (vgl. den Nichtanwendungserlass des BMF vom 22.05.2013, BStBl 2013 I, Seite 728). Der Gesetzgeber hat dies mit dem mit Wirkung vom 29.12.2020 eingeführten § 8 Abs. 4 Satz 2 EStG bestätigt. Der von der Finanzverwaltung (weiterhin) vertretenen Auffassung, dass (steuerrechtlich) keine Zusätzlichkeit vorliegen soll, wenn mit der Arbeitgeberleistung eine Verringerung des Barlohnanspruchs einhergeht (vgl. o.a. sowie den weiteren Nichtanwendungserlass des BNF vom 05.02.2020, BStBl. 2020 II Seite 106), hat der BFH in seinem Urteil vom 01.08.2019 eine Absage erteilt.
Das Zusätzlichkeitserfordernis bezieht sich danach (steuerrechtlich) gemäß dem gesetzlich als allgemeinem Grundsatz verankerten Zuflussprinzip (vgl. § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 4, § 38 a Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG) auf den Zeitpunkt der Lohnzahlung, also auf das, was der Arbeitgeber gegenwärtig schuldet, nicht darauf, was er ursprünglich bzw. bisher geschuldet hat. Ein arbeitsvertraglich vereinbarter Lohnformenwechsel ist deshalb nicht begünstigungsschädlich für Steuertatbestände, die zur Steuerfreiheit bzw. Steuerpauschalierung führen. Setzen Arbeitnehmer und Arbeitgeber den „ohne geschuldeten Arbeitslohn“ für künftige Zeiträume arbeitsrechtlich wirksam herab, kann der Arbeitgeber diese Minderung durch Zusatzleistungen steuerbegünstigt ausgleichen. Diese treten nunmehr zum Zahlungszeitpunkt zum ohnehin – nur noch in geminderter Höhe – geschuldeten Lohn hinzu und werden somit „zusätzlich“ zu diesen erbracht (im Sinne von § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG). Zu beachten ist lediglich, dass der steuerreduzierte bzw. -begünstigte Lohnanteil verwendungs- bzw. zweckgebunden sein muss, im Gegensatz zum verwendungs- und zweckbindungsfreien ohnehin geschuldeten Arbeitslohn.
Beim Internetzuschuss wurde dessen entsprechende Verwendung so zwischen der Klägerin und den Beigeladenen vereinbart. Nach dem Vortrag der Klägerseite erfolgte bei der Lohnsteuer auch eine pauschalierte Versteuerung in Anwendung des § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG. Gegenteiliges ist weder vorgetragen, noch ersichtlich.
Mit der Steuervergünstigung wollte und will der (Steuer-)Gesetzgeber die verwendungsgebundenen Zwecke fördern. Dafür, dass solche Begünstigungstatbestände nur von Beginn des Arbeits-(Vertrags) Verhältnisses an in Anspruch genommen können werden sollten, ist nichts ersichtlich, zumal die steuerrechtliche Maßgeblichkeit des Zuflusszeitpunkts unangetastet blieb und Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung in der Verfahrensvereinfachung sowie der Förderung der verwendungsgebundenen Zwecke zu finden ist – und nicht im vermeintlich richtigen Gestaltungszeitpunkt oder gar in der Begrenzung der Privatautonomie von Arbeitgeber und Arbeitnehmer (BFH, Urteil vom 01.08.2019 a.a.O. m.w.N., insbesondere auch aus der Gesetzesbegründung).
Eine Rechtsmissbräuchlichkeit nach § 42 der Abgabenordnung (AO) bei arbeitsvertraglich wirksamen Lohnformenwechsel hielt der BFH für so fernliegend, dass er nur in ein paar dürren Worten vor der Kostenentscheidung darauf hinwies, dass damit lediglich von einer gesetzlich eingeräumten Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wird. Angesichts der vom Gesetzgeber absichtlich geschaffenen steuerrechtlichen Vergünstigung und des zugrundeliegenden Lenkungswillens wäre es auch widersprüchlich, den Zugang zu diesen Vergünstigungen nur für neu abgeschlossene Arbeitsverträge oder über Lohn-/Gehaltserhöhungen bei bestehenden Verträgen zu ermöglichen. Dies zumal § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 EStG gerade auch der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens dienen soll und nicht dazu, für die Inanspruchnahme der steuerlichen Möglichkeiten kaum erfüllbare Anforderungen zu stellen (vgl. Vogelpoth, BB 20/21, 727).
An dieser steuerrechtlichen Einordnung ändert auch der mit Wirkung vom 29.12.2020 eingeführte § 8 Abs. 4 Satz 1 EStG nichts. Darin definiert der (Steuer-)
Gesetzgeber nun, was unter zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn bei Arbeitgeberleistungen zu verstehen ist. Danach darf die Leistung nicht auf den Arbeitslohn angerechnet, nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt werden und bei ihrem Wegfall den Arbeitslohn nicht erhöhen (§ 8 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 EStG). Dies alles ist hier der Fall. Bei richtigem zeitlichen Bezug nach dem Zuflussprinzip wird der Arbeitslohn auch nicht zugunsten des Internetzuschusses herabgesetzt im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG. Denn Arbeitslohn ist bei einvernehmlicher und wirksamer Lohnumwandlung durch die Parteien des Arbeitsvertrags danach nur noch das, was der Arbeitgeber nach dem neu gestalteten Regelwerk schuldet, nicht aber das, was er zuvor geschuldet hat. Die Auffassung, dass ohnehin geschuldet ist, was seit jeher geschuldet ist, ist reine Fiktion, wird Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck des Gesetzes nicht gerecht und würde einen gewollten Eingriff des Staates in die Vertragsfreiheit voraussetzen (vgl. BFH, Urteil vom 01.01.2019 a.a.O., Thomas, Steuererleichterungen bei Zusätzlichkeit oder Freiwilligk…, DStR 2018 1342 m.w.N.). Auch unter der nunmehrigen Geltung von § 8 Abs. 4 Satz 1 (Nr. 2) EStG kann sich der (Steuer-)Gesetzgeber nicht durch sein quasi natürliches Anliegen, Steuerminderungen zu vermeiden (vgl. BFH, Urteil vom 01.08.2019 a.a.O. mit Hinweisen auf die Gesetzesbegründung zu § 40 Abs. 2 EStG) zu sich selbst im Widerspruch setzen (wollen), in dem er von ihm absichtlich geschaffene Vergünstigungen nur für „neue Arbeitsverträge“ zugänglich macht, für bestehende aber zukunftsgerichtete ändernde Gestaltungen letztlich dauerhaft ausschließt (vgl. Vogelpoth, a.a.O.). Eine steuerrechtliche Unbeachtlichkeit bzw. Schädlichkeit der Barlohnumwandlung hat der Gesetzgeber nicht angeordnet (vgl. Thomas, Steuervorteile durch Barlohnumwandlung, DStR 1997, 1642) – er könnte sie wohl auch nicht verfassungskonform anordnen.
Nach dem eigenen Vorbringen im Schriftsatz vom 11.06.2018, dass der Internetzuschuss der Klägerin an die Beigeladenen zwar, weil arbeitsrechtlich zulässige(r) Entgeltumwandlung (bzw. Entgeltverzicht), das sozialrechtliche, nicht aber das steuerrechtliche Zusätzlichkeitserfordernis erfüllen würde, ist nicht recht nachvollziehbar, warum die Beklagte an ihren streitgegenständlichen Verfügungen festgehalten hat, obwohl mit der o.a. Entscheidung des BFH vom 01.08.2019 die steuerrechtliche Problematik nunmehr geklärt war.
Im Schriftsatz der Beklagten vom 15.01.2021 wird ausgeführt, dass die Sozialversicherungsträger dem BFH nicht folgen würden, da es sich um Einzelfallentscheidungen handele und selbst das Bundesministerium für Finanzen unter dem 05.02.2020 einen Nichtanwendungserlass veröffentlicht habe. Im Schreiben vom 11.02.2021 merkt die Beklagte an, sie gehe weiter davon aus, dass die Internetzuschüsse nicht zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn gezahlt worden seien, weil sie gemeinsam mit dem Lohnverzicht erklärt worden seien. Es sei somit davon auszugehen, dass die Internetpauschale anstelle des bisherigen geschuldeten Lohnes gezahlt worden sei.
Abgesehen davon, dass grundsätzlich alle Urteile, auch wenn sie in ihrem Anwendungsbereich darüber hinausgehen, Einzelfallentscheidungen sind, denn das ist die verfassungsmäßig für die Judikative vorgesehene Aufgabe, verbindlich darüber zu entscheiden, welches Recht im konkreten Einzelfall gilt, spricht aus dem Vorbringen der Beklagten ein erstaunliches Selbstverständnis der Behördenseite. Mit dem Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) und dem daraus abzuleitenden Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dürfte es jedenfalls schwerlich vereinbar sein, höchstgerichtliche Entscheidungen gleichsam zu ignorieren. Es steht der Exekutive nicht zu, verbindlich darüber zu entscheiden, ob die Gesetze eingehalten wurden, also „Recht getan“ wurde.
Unabhängig davon gibt es, soweit ersichtlich, kein Urteil des BFH, das eine Barlohnumwandlung im Hinblick auf die pauschalierte Lohnsteuer als begünstigungsschädlich angesehen hätte. Im Gegenteil führt der BFH in ständiger Rechtsprechung aus, dass maßgeblich für die Beurteilung der Arbeitslohn ist, auf den im Zeitpunkt der Zahlung ein verbindlicher Rechtsanspruch besteht (Nachweise siehe bei Thomas, DStR 2018, 1342). Damit ist logischerweise ausgeschlossen, bei arbeitsvertraglich wirksamer Herabsetzung des geschuldeten Barlohnes (weiter bzw. unverdrossen) darauf abzustellen, welcher Barlohn früher einmal geschuldet war. Es ist eine Selbstverständlichkeit, bei der Rechtsanwendung vom aktuellen Sachverhalt des Streitfalles auszugehen und nicht von einem früher einmal verwirklichten Sachverhalt. Die verwaltungsseits angenommene Schädlichkeit der Barlohnumwandlung basiert auf der Fiktion, dass (quasi auf ewig) geschuldet ist, was (nach dem ursprünglichen Arbeitsvertrag einmal) geschuldet war (Thomas a.a.O.). Für diese Fiktion gibt es keinen Anhaltspunkt im Gesetz.
Dies hebt auch der BFH in seinem Urteil vom 01.08.2019 in der Sache VI R 32/18 hervor, wenn er ausführt, dass das Recht auf den gegenwärtigen und nicht auf einen vergangenen oder fiktiven Sachverhalt anzuwenden ist (m.w.N.). Deshalb ist insoweit nur auf das, was der Arbeitgeber gegenwärtig schuldet, nicht aber (vergleichend) darauf abzustellen, was er bisher, d.h. vor dem Lohnformenwechsel, geschuldet hat.
Über das, was Arbeitslohn ist und in welcher Lohnform (ohnehin geschuldet oder zusätzlich) er geleistet wird, entscheidet originär weder der Steuergesetzgeber noch die Steuerverwaltung (oder gar die Rentenversicherung). Dies festzulegen ist im Rahmen ihrer zivilrechtlichen Vertragsfreiheit Sache der Parteien des Arbeitsvertrages. Die zivilrechtliche Vertragsfreiheit ist Ausprägung des Verfassungsgrundsatzes der Privatautonomie als Bestandteil des Rechts auf allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Artikel 2 Abs. 1 GG, hier, da es um berufliche Belange geht, verstärkt durch die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. Sie gestattet es den Vertragsparteien, Verträge in jeder Hinsicht frei zu gestalten und jederzeit auch abzuändern (vgl. BVerfGE 95, 267). Ein öffentlich-rechtliches (steuerrechtliches) Festhalten der Arbeitsvertragsparteien am ursprünglich einmal zwischen ihnen Vereinbarten unter Ausblendung zivil-/arbeitsrechtlich wirksam erfolgter Änderungen wäre eine nicht gerechtfertigte Begrenzung der „beruflichen Privatautonomie“ (vgl. BFH, Urteil vom 01.08.2019, a.a.O., Thomas, DStR 2018, a.a.O. fragt: Und warum sollte der Gesetzgeber in die Vertragsfreiheit eingreifen wollen?).
Hinzu kommt, dass ein solches Festhalten auch nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Artikel 3 Abs. 1 GG vereinbar wäre. Denn die Gewährung der steuerrechtlichen (und in der Folge der sozialversicherungsrechtlichen) Vergünstigung hinge dann allein von dem Zufall (vgl. Thomas, DStR 1997, a.a.O.) ab, was die Arbeitsvertragsparteien irgendwann in der Vergangenheit einmal vereinbart haben, obwohl sich eine arbeitsrechtlich wirksame Abänderung (Lohnformenumwandlung) für die Zukunft nicht von einer quasi in dieser Zukunft erstmals arbeitsrechtlich wirksam vereinbarten Neugestaltung mit ohnehin geschuldeten und zusätzlichen Lohnanteilen unterscheiden lässt, die verwaltungsseits begünstigend anerkannt würde. Das „böse Wort“ für einen solchen Zufall ist Willkür. Ein Beleg für einen solchen naheliegenden Gleichheitsverstoß (vgl. Thomas, DStR 2018, a.a.O.) mag auch die kleine Bastelei des Gerichts im Erörterungstermin vom 31.03.2021 sein (sh. Anlage). Sie zeigt zwei mit transparentem Klebeband zusammengefügte Papierbögen im Format DIN A 4, die je etwa zu 3/4 aus gelben und zu etwa 1/4 aus weißen Papierstreifen bestehen. Der gelbe Streifen steht für ohnehin geschuldeten Lohn, der weiße für zusätzlichen, verwendungsgebundenen Lohn (z.B. in Form eines Internetzuschusses). Bei einem Papierbogen wurde der weiße 1/4-Streifen zum gelben 3/4-Streifen hinzugeklebt, beim anderen vom usprünglichen ganz gelben 4/4-Blatt zunächst ein 1/4 Streifen abgeschnitten und danach durch einen weißen 1/4-Streifen ersetzt. Im Erörterungstermin war es dem Beklagtenvertreter nicht möglich, zu unterscheiden, welcher Bogen die aus seiner Sicht nachträgliche begünstigungsschädliche Lohnumwandlung symbolisiert und welcher die begünstigte Neugestaltung. Wie auch, da beide Bögen im Ergebnis gleich sind?
Der mit Wirkung vom 29.12.2020 eingeführte § 8 Abs. 4 EStG mit nunmehriger negativer gesetzlicher Definition von Leistungen des Arbeitgebers als zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, kann die Position der Beklagten nicht stützen.
Zum einen ist streitgegenständlich der Betriebsprüfungszeitraum von 2012 bis 2015, zu dem es diesen § 8 Abs. 4 EStG noch nicht gab, auch noch nicht zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Bescheide.
Zum anderen kann er, will er konform mit dem steuerrechtlichen Zuflussprinzip und den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Artikel 12 Abs. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG sein, auch insbesondere in § 8 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2, nur so verstanden und ausgelegt werden, dass er mit „Anspruch“ (auf Arbeitslohn) denjenigen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zuflusses meint, also unter Beachtung etwaiger arbeitsrechtlich wirksamer Barlohnumwandlungen und nicht denjenigen, wie er irgendwann einmal in der ursprünglichen Fassung des Arbeitsvertrages geregelt war (vgl. zurückhaltender Vogelpoth, a.a.O.).
Aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht ergibt sich nichts Anderes. Der steuerrechtlichen Ausgangslage folgt die beitragsrechtliche Betrachtung gleichlautend nach, so wie es dem gesetzgeberischen Auftrag aus § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB IV entspricht, dass eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen (nicht den exekutiven Nichtanwendungserlässen) des Steuerrechts sicher zu stellen ist (vgl. hierzu auch z.B. § 15, § 16 SGB IV). Die Internetpauschale der Beigeladenen ist steuerrechtlich eine Einnahme gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG in Form eines Zuschusses des Arbeitgebers, der zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn zu den Aufwendungen der Arbeitnehmer für die Internetnutzung gezahlt wurde. Hierauf wird die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 25% erhoben. Einnahmen nach § 40 Abs. 2 EStG sind gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SVEV dem Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen; Beiträge fallen deshalb insoweit nicht an.
Ob § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV (neben dem steuerrechtlichen des § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG und angesichts der gesetzgeberischen Anordnung, eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicher zu stellen nach § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB IV) ein eigenständiges sozialrechtliches Zusätzlichkeitserfordernis statuiert, kann hier im Grunde dahinstehen. Die Beklagte selbst geht in den streitgegenständlichen Bescheiden von sozialversicherungs-/beitragsrechtlicher Zusätzlichkeit aus. Sie weist zu Recht darauf hin, dass im Beitragsrecht der Sozialversicherung ein arbeitsrechtlich zulässiger Entgeltverzicht bzw. eine arbeitsrechtlich zulässige Entgeltumwandlung das Zusätzlichkeitserfordernis erfüllen.
Gründe für eine arbeitsrechtliche Unzulässigkeit der Vereinbarungen zwischen der Klägerin und den Beigeladenen vom 29.06.2011, in denen die Arbeitsvertragsparteien für die Zeit ab 01.08.2011 im Rahmen ihrer privatautonomen Vertragsfreiheit einerseits auf einen gewissen Teil des bisherigen Arbeitslohns verzichtet und andererseits über den dann geltenden Lohn hinaus die Zahlung eines pauschalen Zuschusses für die Internetnutzung vereinbart haben, sind weder vorgetragen, noch ersichtlich.
Insbesondere stellen die Vereinbarungen nicht nur steuerwie sozialrechtlich unbeachtliche Lohnverwendungsabreden zu den ursprünglichen Arbeitsverträgen dar, sondern sind auf eine echte Änderung der bisherigen vertraglichen Grundlagen ausgerichtet. In den „Ergänzenden Vereinbarungen“ verzichten die Beigeladenen gegenüber der Klägerin bedingungslos auf einen betragsmäßig bezifferten Teil ihres Bruttogehalts, in der „Vereinbarung über Zusatzbausteine“ gewährt die Klägerin den Beigeladenen einen pauschalen monatlichen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Internetnutzung. Dies stellt bei Auslegung nach den Grundsätzen von § 133, § 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eine echte Novation der vertraglichen Verhältnisse zwischen Klägerin und Beigeladenen dar (vgl. BSG, Urteil vom 14.07.2004, B 12 KR 10/02 R, Thomas, DStR 2018 a.a.O.).
Die Zusätzlichkeit folgt somit den rechtswirksamen Gestaltungsabreden des Arbeitsrechts über das jeweilige geschuldete Arbeitsentgelt und steht solchen für zukunftsgerichtete Änderungen nicht entgegen. Ausgeschlossen sind lediglich rückwirkende Lohnumwandlungen (vgl. Werner in: Schlegel/Völzke, juris PK – SGB IV, 3. Auflage, § 17 Rn. 8 f m.w.N.).
In gleicher Weise entscheidet das Bundessozialgericht. Im Urteil vom 14.07.2004 hat es (zu pauschal versteuerten Direktversicherungsprämien) erkannt, dass zusätzlich zum Arbeitsentgelt und damit beitragsfrei eine Arbeitgeberleistung ist, die neben dem geschuldeten Arbeitsentgelt oder aufgrund einer für die Zukunft getroffenen Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien an Stelle bisher gezahlter Entgeltbestandteile gezahlt wird (Entgeltumwandlung). Ebenso hat das BSG in der Sache B 12 R 5/09 R am 02.03.2010 geurteilt, dass, wenn statt der bisherigen Vergütung arbeitsrechtlich wirksam die Zahlung eines reduzierten Barlohns sowie die Gewährung eines Sachbezugs vereinbart wird, entsprechend der Gehaltsumwandlung Gesamtsozialversicherungsbeiträge lediglich hieraus zu erheben sind. Die Wirksamkeit einer Entgeltumwandlung ist allein danach zu beurteilen, ob sie arbeitsrechtlich zulässig und wirksam ist. Zusätzliche Erfordernisse für deren Beachtlichkeit im Beitragsrecht der Sozialversicherung dürfen nicht aufgestellt werden. Die Minderung der Beiträge zur Sozialversicherung durch die günstige(re) Bewertung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und Folge der Wertung des Gesetzgebers.
Auf die(se) Rechtsprechung des BSG bezieht sich auch der BFH in seiner systemgleichen Rechtsprechung zur steuerrechtlichen Zulässigkeit, wonach dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer den ohnehin geschuldeten Arbeitslohn für künftige Zeiträume arbeitsrechtlich wirksam herabsetzen, der Arbeitgeber diese Minderung (trotzdem) durch verwendungsgebundene Zusatzleistungen steuerbegünstigt ausgleichen kann. Die entgegenstehende Auffassung der Finanzbehörden wird ausdrücklich abgelehnt (BFH, Urteil vom 01.08.2019, VI R 32/18 m.w.N., vgl. auch oben).
Aus dem erst als Terminsbericht bekannten Urteil des BSG vom 23.02.2021 in der Sache R 21/18 R drängt sich keine andere Bewertung der hiesigen Fallgestaltung auf. Das BSG hat entschieden, dass im Zuge eines Lohnverzichts mitvereinbarte Leistungen des Arbeitgebers an Arbeitnehmer in Form von bezifferten Tankgutscheinen und Mietzahlungen für Werbeaufkleber auf den privaten Kraftfahrzeugen der Arbeitnehmer neue Gehaltsanteile sind, die als Surrogat für den Entgeltverzicht geleistet werden und diesen ausgleichen. Als Geldsurrogat seien die auf einen bestimmten Betrag begrenzten Tankgutscheine keine Sachbezüge, die bei Unterschreitung der steuerlichen Bagatellgrenze beitragsfrei wären. Die Werbeflächenentgelte würden in Zusammenhang mit der Beschäftigung erzielt und seien als neue Gehaltsanteile im Gegenzug zum Lohnverzicht vereinbart. Weder Tankgutscheine noch Entgelt für Werbeflächen seien zusätzliche Leistungen (vgl. SGb 2021, 229).
Dass Tankgutscheine über einen bestimmten Geldbetrag weder steuerrechtlich, noch sozialrechtlich Sachbezüge sind, ist keine Neuigkeit (vgl. etwa BFH, Urteil vom 11.11.2010, VI R 27/09, Werner in: Schlegel/Völzke, juris PK-SGB IV, 3. Auflage, § 14 Rn 74 m.w.N.). Sie unterfallen damit nicht der gegenüber Geldleistung günstigeren Berechnung von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen. „Zusätzlichkeitsfragen“ stehen insoweit nicht im Vordergrund. Ob im konkreten Einzelfall ein Sachbezug oder ein Geld-/Barzuschuss vorliegt, ist steuerwie sozialversicherungsrechtlich zunächst Tat-, dann Rechtsfrage (vgl. Thomas, DStR 2017 a.a.O.).
Das gilt im Grunde auch für die Werbeflächenentgelte. Steuerrechtlich gilt es hier, den wirtschaftlichen Schwerpunkt zu klären (Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung, vgl. § 21 Abs. 3 EStG, sh. z.B. BFH, Urteil vom 16.09.2004, VI R 25/02, sozialversicherungsrechtlich die Frage, ob ein solcher Geldbezug (noch) in Zusammenhang mit der Beschäftigung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV a.e.) erzielt wird (vgl. etwa BSG, Urteil vom 01.12.2009, B 12 R 8/08 R). Interessant wird sein, wie das BSG den Entlohnungscharakter des „Mietzinses“ begründet, der aus dem Bezug zur Beschäftigung im Sinne von § 7 SGB IV vorauszusetzen ist (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 29.01.2004, B 4 RA 19/03 R, Urteil vom 28.01.1999, B 12 KR 6/98). Auch verfassungsrechtlich relevante Fragen im Hinblick auf Privatautonomie, Vertrags- und Eigentumsfreiheit sowie Gleichbehandlungsgebot werden zu beantworten sein.
Grundlegend neue oder abweichende Erkenntnisse gegenüber den schon vorliegenden Entscheidungen des BSG vom 02.03.2010 und des BFH vom 01.08.2019 (a.a.O.) zur Zusätzlichkeit sind mangels Relevanz kaum zu erwarten. Deswegen sollte auch nach vorliegender Begründung die Entscheidung des BSG nicht zu weiterer Unsicherheit führen (so aber Kastenbauer, Tankgutschein und Werbeflächenentgelt zur Nettolohnoptimierung, NWB 2021, 849).
Im vorliegenden Fall stellen sich keine Tat- oder Rechtsfragen zur Abgrenzung zwischen Geld- und Sachleistungen oder solche zum Entlohnungscharakter.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG, § 154 Abs. 1 VwGO.


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