Arbeitsrecht

Neuerteilung der Fahrerlaubnis, Fahreignungsgutachten nicht vorgelegt, Medizinal-Cannabis, illegaler Cannabiskonsum in der Vergangenheit, Arzneimittelprivileg, Grunderkrankung, Psoriasis, medizinische Indikation, fortbestehende Fahreignungszweifel

Aktenzeichen  W 6 K 21.638

Datum:
1.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51205
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 2 Abs. 4 S. 1
FeV § 11 Abs. 1
FeV § 20 Abs. 1
FeV § 11 Abs. 8

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierauf verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Kläger hat im maßgeblichen Entscheidungszeitpunk der Entscheidung des Gerichts keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), da seine Fahreignung – unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der Begutachtungsanordnung vom 24. November 2020 – nicht nachgewiesen ist (§ 20 Abs. 1 FeV, § 2 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV).
1. Der Kläger hat mit Erklärung vom 9. März 2017 nach vorheriger Anhörung (Schreiben des Landratsamts vom 1.3.2017) auf seine Fahrerlaubnis verzichtet. Gemäß § 20 Abs. 1 FeV gelten im Verfahren auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenen Verzicht die Vorschriften über die Ersterteilung. Bewerber um die Fahrerlaubnis müssen deshalb gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StVG zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Dies ist gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV der Fall, wenn sie die körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt.
Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen, kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen und Auflagen die Beibringung eines ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Gutachtens durch den Bewerber anordnen (§ 11 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 und 2 FeV). Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war und die Nichtvorlage des geforderten Gutachtens ohne berechtigten Grund erfolgte (st.Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017,1765 Rn 19 m.w.N.). Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Eignung nachzuweisen, denn es besteht keine Eignungsvermutung zu seinen Gunsten. Vielmehr muss die Eignung bei der (Neu-)Erteilung der Fahrerlaubnis positiv festgestellt werden (Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, StVG § 2 Rn. 7).
Der Kläger hat das mit Schreiben des Landratsamts vom 24. November 2020 angeforderte medizinisch-psychologische Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung nicht innerhalb der gesetzten Frist beigebracht. Das Landratsamt hat deshalb gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen und den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis vom 25. Oktober 2017 abgelehnt. Hierauf war im Anordnungsschreiben gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV hingewiesen worden. Auch wenn im Hinblick auf die Frage 3 der Gutachtensanforderung vom 24. November 2020 (Trennvermögen) Bedenken an deren materieller Rechtmäßigkeit bestehen, da deren Formulierung aus objektivem Empfängerhorizont zu Missverständnissen Anlass geben kann, so liegen die Voraussetzungen für eine Begutachtung im Übrigen vor und der Kläger hat – unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung – im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung seine Fahreignung nicht nachgewiesen, so dass die Klage keinen Erfolg haben konnte. Im Einzelnen:
1.1 Vorliegend bestand hinreichender Anlass für die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Abklärung von weiterhin bestehenden Bedenken gegen die Fahreignung des Klägers für die beantragten Fahrerlaubnisklassen. Zwar ist die beim Kläger diagnostizierte Erkrankung (Psoriasis) per se nicht fahreignungsrelevant, jedoch ergaben und ergeben sich weiterhin im Zusammenhang mit der ärztlich verordneten Cannabis-Medikation nach vorherigem illegalen Cannabis-Konsum Fahreignungszweifel.
Im vorliegenden Fall hatte das Landratsamt zunächst zur Abklärung von Zweifeln an der Fahreignung des Klägers im Zusammenhang mit dem 2-maligen Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung von (illegal erworbenem) Cannabis (am 30.6.2016 mit 5,40 ng/ml THC; am 17.11.2016 mit 2,3 ng/ml THC) und dem illegalen Besitz von Marihuana (964,40 g am 15.12.2016) sowie der im Verfahren auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis geltend gemachten Dauerbehandlung einer Psoriasis-Erkrankung mit Medizinal-Cannabis nach zwei eingeholten ärztlichen Gutachten von Begutachtungsstellen für Fahreignung (Gutachten des TÜV S.. in W. … vom 8.8.2018 und des TÜV H. … in F. … vom 18.6.2019) die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens mit Schreiben vom 24. November 2020 angefordert. Diese Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erfolgte hier zurecht auf der Grundlage des § 11 Abs. 3 Nr. 1 FeV, da durch die beiden vorhergehenden vorgelegten ärztlichen Gutachtens (vom 8.8.2018 und insbesondere vom 18.6.2019) die Zweifel an der Fahreignung des Klägers nicht abschließend geklärt werden konnten und nach den Ausführungen in den genannten Gutachten hierfür, vor allem im Hinblick auf die Adhärenz (Compliance) des Klägers, nicht nur eine (weitere) medizinische, sondern auch eine psychologische Begutachtung des Klägers erforderlich war. Bereits dies war nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 FeV als hinreichender Anlass zu sehen, ein medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV kann die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) zur Klärung von Eignungszweifel für die Zwecke nach Abs. 1 und 2 (Eignungsüberprüfung) angeordnet werden, wenn nach Würdigung des Gutachtens gemäß Abs. 2 (ärztliches Gutachten) ein medizinisch-psychologisches Gutachten zusätzlich erforderlich ist. Dies war vorliegend der Fall, da sich aus dem zuletzt vorgelegten Gutachten des TÜV H. … vom 18. Juni 2019 nachvollziehbar ergab, dass die bisher vorgelegten ärztlichen Befunde des die Cannabinoid-Therapie verordnenden Arztes Prof. Dr. D. noch nicht als ausreichend anzusehen waren (S. 15 des Gutachtens vom 18.6.2021) und die weitere Klärung, ob die Fahreignung durch einen von früher möglichen fortgesetzten Drogenmissbrauch auszuschließen sei und wegen der begründeten medizinischen Behandlung notwendig und ohne Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zu verantworten wäre, nur im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) beantwortet werden könne (S. 16 des Gutachtens vom 18.6.2021). Hierauf hatte auch das bereits vorgelegte Gutachten des TÜV S.. vom 8. August 2018 hingewiesen (s. dort S. 16). Vor dem Hintergrund der Dauermedikation mit Medizinal-Cannabis wurde im Gutachten des TÜV H. … vom 18. Juni 2020 auch zurecht darauf verwiesen, dass zur Abklärung von Fahreignungszweifel nicht nur eine medizinische, sondern auch eine psychologische Begutachtung erforderlich ist.
Gegen diese in den ärztlichen Vorgutachten im Einzelnen dargelegten Bewertungen bestehen seitens des Gerichts keine Bedenken.
Mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 (BGBl I S. 403) wurde Cannabis in die Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz – BtMG – aufgenommen, wodurch seine Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit hergestellt wurde. Es ist im Hinblick hierauf rechtlich geboten, den Konsum von Medizinal-Cannabis aus dem Anwendungsbereich der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung auszuklammern. Denn bei der Einnahme von ärztlich verordnetem Medizinal-Cannabis entfällt die Fahreignung grundsätzlich nicht schon nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV wegen regelmäßigem Cannabiskonsum, wenn es sich um die bestimmungsgemäße Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels im Sinne der Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung vom 27. Januar 2014 (Begutachtungs-Leitlinien, VkBl. S. 110; Stand: 31.12.2019), die nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sind) handelt (sog. Arzneimittelprivileg, Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 2 StVG Rn. 65a). Insoweit definieren Nr. 9.4 und Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV speziellere Anforderungen für Eignungsmängel, die aus dem Gebrauch von psychoaktiven Arzneimitteln resultieren (vgl. Dauer, a.a.O., Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 11 FeV Rn. 51).
Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis im Sinne von Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies somit voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist und im Rahmen der Behandlung einer Erkrankung erfolgt (Schubert/Huetten/ Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 303). Dies setzt voraus, dass das Medizinal-Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird; hierbei ist stets eine einzelfallorientierte Betrachtung erforderlich (BayVGH, B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – juris unter Verweis auf: Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien [StAB] zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, aktualisierte Fassung vom August 2018, abgedruckt in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O., S. 440 ff. – nachfolgend: Handlungsempfehlung Cannabismedikation – S. 443; vgl. auch OVG NW, B.v. 5.7.2019 – 16 B 1544/18 – Blutalkohol 56, 342 = juris Rn. 4 ff.; VGH BW, B.v. 31.1.2017 – 10 S 1503/16 – VRS 131, 207 = juris Rn. 8 f.).
Das Landratsamt hat somit in der Anordnung vom 24. November 2020 die Wertungen des ärztlichen Gutachters des TÜV H. … zurecht aufgegriffen und hinreichenden Anlass für ein medizinisch-psychologisches Gutachten gesehen. Der Gutachtensanlass wurde in der Anordnung vom 24. November 2021 auch hinreichend dargelegt. Der Kläger hatte sich mit dieser Vorgehensweise auch zunächst einverstanden erklärt (siehe Schreiben vom 10.8.2020 und 14.10.2020), dann jedoch weder die Einverständniserklärung noch das angeforderte Gutachten vorgelegt.
1.2 Die Gutachtensanordnung vom 24. November 2021 lässt – vorbehaltlich von Bedenken gegen Frage 3 (siehe hierzu unten) – keine formellen und materiellen Mängel erkennen. Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob auch die (missverständliche) Fragestellung unter Ziffer 3 (Trennvermögen) der Anordnung vom 24. November 2021 rechtens ist, da in jedem Fall die Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis weiterhin Eignungszweifel aufwirft, die entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten auch nicht durch die bisher vorgelegten ärztlichen Unterlagen im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ausgeräumt sind, sodass unabhängig von einer evt. Rechtswidrigkeit der Gutachtensanforderung im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt weiterhin erhebliche Eignungszweifel wegen der Dauerbehandlung des Klägers mit Medizinal-Cannabis bestehen. Da der Kläger im Erteilungsverfahren für seine Fahreignung darlegungs- und beweisbelastet ist, konnte sein Antrag letztlich keinen Erfolg haben. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Begutachtungsanordnung vom 24. November 2020 ist nicht zu beanstanden, soweit unter Ziffer 1 nach einer ausreichenden Adhärenz (Compliance, insbesondere bestimmungsgemäße Medikamenteneinnahme) und unter Ziffer 2 nach dem Bewusstsein einer erhöhten Verantwortlichkeit im Straßenverkehr, die sich aufgrund der medikamentösen Behandlung mit Medizinal-Cannabis und den damit verbundenen Einschränkungen (unter anderem kein Beigebrauch anderer psychoaktivwirkender Stoffe, keine missbräuchliche Einnahme, kein illegaler Beigebrauch) und Auswirkungen (unter anderem Beeinträchtigung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit nach Einnahme) ergeben, gefragt wird. Aus Sicht der erkennenden Kammer ist gerade hinsichtlich der zuverlässigen Einnahme des Medizinal-Cannabis nur nach der ärztlichen Verordnung und damit der Compliance bzw. Adhärenz ein besonderer Schwerpunkt zu setzen, der je nach der konkret zu beurteilenden Sachverhaltsgestaltung aus verschiedenen Perspektiven ausgeleuchtet werden muss. Dies gilt zum einen, weil gerade auch Patienten mit Medizinal-Cannabis behandelt werden, die bereits eine Vorgeschichte mit illegalem Cannabiskonsum haben. Nach vorliegender Literatur fällt auf, dass obwohl es sich bei der Behandlung mit Medizinal-Cannabis aufgrund unzureichender Studienlage stets um einen individuellen Heilversuch handelt, dennoch bereits im Jahr 2017, d.h. dem Jahr der Gesetzesänderung, eine erstaunlich hohe Zahl an Anträgen bei den Krankenkassen verzeichnet wurde (ohne Erfassung von Privatrezepten); es liegt daher nahe, dass auch cannabisaffine Personen versuchen, über den Weg einer ärztlichen Verschreibung den Gebrauch zu legalisieren (vgl. Mußhoff/Graw, Blutalkohol 2019, 73). Da Patienten mit einer Sucht- oder Missbrauchsvorgeschichte sich von den Patienten, die aus rein medizinischen Gründen erstmalig Cannabis in einem Therapiekontext erhalten, unterscheiden, differenziert folglich die Handlungsempfehlung Cannabismedikation drei verschiedene Fallgruppen abhängig von der Cannabisvorerfahrung: 1) Patienten, bei denen der Arzt die Indikation stellt und Cannabis als Medikament verschreibt, 2) Patienten, die in der Krankheitsvorgeschichte Erfahrungen mit (illegaler) Cannabis-Eigentherapie gemacht haben und nun auf eine Verschreibung durch den Arzt wechseln und 3) Konsumenten, die eine Missbrauchsvorgeschichte und/oder eine drogenbezogene Delinquenz aufweisen und die eine Cannabisverschreibung aus medizinischen Gründen anstreben, um missbräuchlichen Konsum zu legalisieren (Handlungsempfehlung Cannabismedikation, a.a.O., S. 442). Personen vom Typ 3 gilt es nicht mit Cannabis zu versorgen und insbesondere auch von der Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen (Mußhoff/Graw, Blutalkohol 2019, 73, 80 f.).
Diese Differenzierung findet ihre Stütze in § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BtMG und § 31 Abs. 6 SGB V. Aus § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG ergibt sich, dass Medizinal-Cannabis nur im Rahmen einer ordnungsgenäßen Behandlung ärztlich verschrieben, verabreicht oder überlassen werden darf und dies nur dann, wenn die Anwendung am oder im Körper begründet ist, was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Hieraus ist zum einen abzuleiten, dass zwingende Voraussetzung einer medizinischen Indikation eine eigene Untersuchung des Patienten durch den verschreibenden oder die Behandlung veranlassenden Arzt darstellen muss. Auf diese Weise soll den Anforderungen an die Sicherheit und Kontrolle des legalen Betäubungsmittelverkehrs Genüge getan und die Eignung und Erforderlichkeit einer Behandlung mit Betäubungsmitteln sichergestellt werden (Bohnen/Schmidt in BeckOK, Stand 15.9.2019, § 13 BtMG Rn. 16). Zudem dürfen Betäubungsmittel immer nur die Ultima Ratio darstellen. Kommen andere Maßnahmen in Betracht, die zur Erreichung des Ziels geeignet sind, wie eine Änderung der Lebensweise, physiotherapeutische Behandlungen, eine Psycho- oder Verhaltenstherapie oder die Anwendung nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegender Arzneimittel, ist diesen der Vorrang zu geben (Bohnen/Schmidt in BeckOK, Stand 15.9.2019, § 13 BtMG Rn. 25; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, § 13 Rn. 20 ff.). Diese Anforderungen ergeben sich auch aus § 31 Abs. 6 SGB V. Danach haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung gegenüber den Krankenkassen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nanilon, wenn eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann. An diesen hohen Hürden wollte auch das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 nichts ändern. Beabsichtigt war mit der Gesetzesänderung ausweislich der Begründung, Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen nach entsprechender Indikationsstellung und bei fehlenden Therapiealternativen zu ermöglichen, das Cannabis-Arzneimittel zu therapeutischen Zwecken in standardisierter Qualität durch Abgabe in Apotheken zu erhalten. Die behandelnden Ärzte haben hierbei insbesondere das Vorliegen der – auch schon nach geltender Rechtslage – für alle übrigen verschreibungsfähigen Betäubungsmittel geltenden Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BtMG zu berücksichtigen (BT-Drs. 18/8965, S. 13).
Soweit der Klägerbevollmächtigte eine unzutreffende Verwendung der Begriffe Adhärenz und Compliance bemängelt, greift dies vorliegend nicht durch. Die Begriffe Compliance und Adhärenz werden mitunter synonym verwendet, der Begriff der Compliance wird zunehmend vom Begriff der Adhärenz abgelöst. Hinter dem Adhärenz-Konstrukt steckt gegenüber dem Gedanken der reinen Befolgung ärztlicher Anordnungen die Idee der aktiveren und verantwortungsbewussteren Rolle des Patienten beim Umgang mit der Erkrankung und bei der Planung, Gestaltung und dem Erreichen des Therapieziels (vgl. Handlungsempfehlung Cannabismedikation, a.a.O., S. 443 – Fn 5). Der diesbezügliche Aufklärungsumfang muss sich unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls auch danach richten, ob der Betroffene bereits in der Vergangenheit in Zusammenhang mit illegalem Cannabiskonsum aufgefallen ist oder dahingehende Vorerfahrung hat. Bejahendenfalls sieht die Handlungsempfehlung Cannabismedikation bei diesen Personen vor, im psychologischen Teil der Untersuchung das Bestehen und Qualifizieren einer etwaigen früheren Drogenproblematik abzuklären (Handlungsempfehlung Cannabismedikation, a.a.O., S. 444), sodass im Rahmen des psychologischen Untersuchungsgesprächs Aspekte eines möglichen missbräuchlichen Umgangs mit dem Medizinal-Cannabis, des Risikos eines Beikonsums sowie des Rückfalls in eine frühere Suchtproblematik geklärt werden können (Handlungsempfehlung Cannabismedikation, a.a.O., S. 446).
In diesem Sinne hat das Landratsamt vorliegend die Begriffe Adhärenz und Compliance verwendet. Dies lässt sich aus den Ausführungen auf S. 3 der Begutachtungsanordnung vom 25. November 2020 erkennen. Dort ist ausgeführt, dass von einem Kraftfahrer, der Medizinal-Cannabis einnimmt, insbesondere eine ausreichende Einsicht in die Zusammenhänge zwischen der Medikamenteneinnahme, der Wirkungsweise des Medikaments und deren Auswirkungen auf seine Teilnahme am Straßenverkehr Verkehr zu fordern ist, ebenso das Einhalten eines größtmöglichen Abstands zwischen Cannabis-Einnahme und Verkehrsteilnahme. Daneben muss vom Betroffenen eine besondere Gewissenhaftigkeit in der kritischen Selbstprüfung seiner Leistungsfähigkeit und eine besonders besonnene Verkehrsteilnahme (besondere Umsicht, defensiver Fahrstil) gefordert werden, da mögliche Leistungsdefizite durch die Medikamenteneinnahme für ihn nicht immer zu erkennen sind. Des Weiteren wird auf die Gutachten verwiesen und ausgeführt, dass nach Würdigung der Gutachten und unter Einbeziehung der obigen Ausführungen zu klären ist, ob beim Kläger eine ausreichende Adhärenz vorliegt und er sich aufgrund der medikamentösen Behandlung seiner erhöhten Verantwortung im Straßenverkehr ausreichend bewusst ist und ausreichende zwischen Cannabis-Einnahme und Führen eines Kraftfahrzeugs trennen kann. Im vorliegenden Fall lässt sich somit aus der Darstellung in der Begutachtungsanordnung vom 25. November 2020 ohne weiteres ersehen, in welchem Sinne das Landratsamt den Begriff Adhärenz in Anknüpfung an die Darlegungen in den Vorgutachten (siehe die Ausführungen im Gutachten des TÜV H. … vom 18.6.2019, S. 9 und 16) verwendet hat.
Nicht zu beanstanden sind auch die Fragen unter Ziffer 4 (ausreichendes Leistungsvermögen zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppen 1 und 2), Ziffer 5 (Auflagen und/oder Beschränkungen) und Ziffer 6 (Nachuntersuchung). Zwar war im Gutachten des TÜV S.. vom 8. August 2018 bereits im Rahmen der ärztlichen Begutachtung eine Psychologische Zusatzuntersuchung hinsichtlich der psycho-physische Leistungsfähigkeit des Klägers erfolgt, ohne dass sich Beanstandungen ergeben hätten, allerdings war im Hinblick auf den seitdem erfolgten Zeitablauf und der vom Kläger fortgesetzten Einnahme von Cannabis eine erneute diesbezügliche Begutachtung nicht als unverhältnismäßig zu betrachten. Auch die Fragen nach evt. erforderlichen Auflagen und/oder Beschränkungen und evt. Nachuntersuchungen sind im Hinblick auf gesteigerte Gefährdungen im Zusammenhang mit dem evt. zusätzlichen Einfluss von Alkohol oder der langfristigen Einnahme von hoch dosierten Cannabisblütensorten als sinnvoll und verhältnismäßig zu betrachten (s. hierzu die Handlungsempfehlungen Cannabis, a.a.O., S. 447).
Vorbehalte ergeben sich allerdings bezüglich der Frage 3 (Trennvermögen zwischen Cannabis-Einnahme und dem Führen eines Kraftfahrzeugs). Zwar lässt sich aus der Darlegung in der Begutachtungsanordnung ersehen, in welchem Sinne diese Frage zu verstehen ist. Der Begutachtungsanordnung ist auf S. 3 zu entnehmen, dass es hierbei im Zusammenhang mit einer zu fordernden besonderen Gewissenhaftigkeit und kritischen Selbstprüfung der Leistungsfähigkeit um die Einhaltung eines größtmöglichen zeitlichen Abstand zwischen Cannabis-Einnahme und Verkehrsteilnahme geht. So verstanden bestehen keine Bedenken gegen die Fragestellung und es ist zu erwarten, dass ein Gutachter aufgrund seiner Expertise diese Fragestellung auch in diesem Sinne verstehen würde. Allerdings erscheint die Fragestellung unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts des Betroffenen insoweit missverständlich, als dies die Assoziation mit Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV (bestehende Fahreignung bei gelegentlicher Cannabis-Einnahme nur dann, wenn Konsum und Fahren getrennt werden können) weckt. Vor dem Hintergrund, dass die Begutachtungsanordnung an den Kläger (als medizinischen und psychologischen Laien) gerichtet ist und dieser durch die Darlegungen und Fragestellungen in der Begutachtungsanordnung nicht in seiner Entscheidungsfreiheit, ob er die Anordnung befolgt oder das Risiko einer evt. Fahrerlaubnisentziehung durch Nichtbefolgen in Kauf nehmen kann, nicht durch irreführende Ausführungen oder Fragen beeinflusst werden soll, hat das Gericht Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Fragestellung unter Ziffer 3. Dies hat zwar zur Folge, dass die gesamte Begutachtungsanordnung als nicht rechtens zu bewerten wäre (Dauer in Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 11 FeV Rn 55).
Hierauf kommt es im vorliegenden Fall jedoch nicht entscheidungserheblich an, da es sich vorliegend nicht um ein Entziehungsverfahren handelt und der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts im Wiedererteilungsverfahren für seine Fahreignung darlegungs- und beweispflichtig ist und diese nicht nachgewiesen hat.
1.3 Entgegen seiner Ansicht hat der Kläger bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts das Bestehen seiner Fahreignung nicht durch die vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen nachgewiesen, sondern es bestehen in diesem Zusammenhang weiterhin noch Fahreignungszweifel, die im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Begutachtung aufzuklären sind, sodass sein Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis keinen Erfolg haben kann. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts hat der Kläger bereits nicht nachgewiesen, dass er bei der Einnahme von Cannabis das Arzneimittelprivileg für sich beanspruchen kann. Folglich ist er als regelmäßiger (Medizinal-)Cannabis-Konsument derzeit nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV fahrungeeignet. In den ärztlichen Unterlagen das behandelnden Arztes Prof. Dr. D., insbesondere auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 3. Dezember 2018, fehlen hinreichende Ausführungen dazu, inwieweit die geltend gemachten Grunderkrankungen (Psoriasis, Gelenkbeschwerden) die Behandlung mit Medizinal-Cannabis rechtfertigen. Hierauf wird auch im Gutachten des TÜV H. … vom 18. Juni 2019 hingewiesen unter Bezugnahme auf einen vorgelegten Widerspruchsbescheid der AOK B. … vom 10. Januar 2018 (S. 14 des Gutachtens). Dieser wird dahingehend zitiert, dass keine lebensbedrohliche Krankheit besteht und mangels fachärztlicher Befunde das Ausmaß des Beschwerdebildes der dermatologischen und rheumatheologischen Krankheiten nicht beurteilt werden kann. Der MDK hält die vorgetragenen Krankheiten mit den (geeigneten schulmedizinischen) Regeltherapien für hinreichend behandelbar, ein Ausnahmefall für die Indikation Cannabis wird nicht gesehen und die geforderten Voraussetzungen für die Kostenübernahme als nicht erfüllt bzw. nachgewiesen beurteilt. Das Vorliegen einer Arthritis wird als nicht belegt gesehen und eine Bestätigung über den Krankheitsverlauf vermisst. Diesen Ausführungen hat sich der Gutachter des TÜV H. … vollinhaltlich angeschlossen (S. 16 des Gutachtens). Diese Ausführungen sind auch nachvollziehbar und plausibel. Ausweislich den Ausführungen auf S. 13 und 14 des Gutachtens das TÜV H. … vom 18. Juni 2019 hat der Kläger lediglich eine ärztliche Bescheinigung des Hautarztes Dr. med. M. aus K. … vom 12. März 2007 vorgelegt, wonach er seit 2002 in hautärztlicher Behandlung war, die Behandlung mit UV-Bestrahlungen, Teershampoos und äußeren Immunsuppressiva in Salben über die Dauer von viereinhalb Jahre erfolgt ist und sich im Verlaufe der Therapie bereits 2004 ein Fortschritt ergeben habe („Befund viel besser, noch rote Plaque“), wenn auch 2007 wieder ein Rezidiv erfolgte. Weitere Unterlagen über hautärztliche Behandlungen wurden nicht vorgelegt. Aus den vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen des behandelnden Arztes Prof. Dr. D., der kein Dermatologe ist, ergeben sich keine ausreichenden Hinweise, die diese Feststellungen entkräften könnten. Unabhängig von der Frage, ob in der diagnostizierten Psoriasis grundsätzlich eine schwerwiegende Erkrankung gesehen werden kann, die eine Cannabinoid-Therapie dem Grunde nach bzw. im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt noch rechtfertigt, wird in dem Antrag zur Kostenübernahme einer Cannabinoid-Therapie vom 12. Juli 2017 neben der diagnostizierten Erkrankung lediglich pauschal dargestellt, dass die Möglichkeiten der Behandlung mittels Standardtherapien ausgeschöpft seien bzw. mit einer weiteren erheblichen Einschränkung der Lebensqualität und der Arbeitsfähigkeit des Patienten verbunden seien und die Therapie mit Cannabinoiden beim Kläger schon früher zum Behandlungserfolg geführt habe, ohne im Einzelnen darzustellen, welche Therapien bisher (insbesondere nach 2007) erfolgten und mit welchem Ergebnis. Die Ausführungen vermitteln den Eindruck, dass lediglich die Angaben des Klägers ungeprüft übernommen wurden. Im Gutachten des TÜV S.. vom 8. August 2018 wurden die fehlenden ärztlichen Informationen im Einzelnen dargestellt (s. Kursivdruck S. 13-17 des Gutachtens), auf die der verordnende Arzt Prof. Dr. D. dann in seiner Stellungnahme vom 3. Dezember 2018 geantwortet hat. Das ärztliche Gutachten des TÜV H. … vom 18. Juni 2019 stellt allerdings zutreffend fest, dass auch das ergänzende ärztliche Schreiben des Arztes Prof. Dr. D. vom 3. Dezember 2018 die aufgeworfenen offenen Fragen nicht in ausreichendem Maße beantworten konnte (s. S. 15 und 16 des Gutachtens). Der Gutachter führt aus, dass hinsichtlich der fehlenden Befunde einer erforderlichen aktuellen dermatologischen und reumathologischen fachärztlichen schulmedizinischen Diagnostik und Therapie die isolierte Therapieempfehlung des verordneten Arztes Prof. Dr. D. nicht weiter beurteilt werden könne. Unter Verweis auf den Ablehnungsbescheid der Kostenübernahme der AOK B. … schließt sich der Gutachter den dortigen Vorbehalten gegen die Therapieempfehlung an. Diese Ausführungen sind im Hinblick auf die vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. D. vom 3. Dezember 2018 nachvollziehbar. Die dortigen Ausführungen unter Ziffer 1 wiederholen nur die bisherigen pauschalen Ausführungen im Antrag auf Kostenübernahme vom 12. Juli 2017. Zwar wird nunmehr angegeben, dass andere Behandlungsmethoden (z. B. Medikamente, Salben oder Bestrahlungen) keine Symptomlinderung zeigten, sondern zum Teil zu schweren Nebenwirkungen führten, es fehlen jedoch Angaben, inwieweit diese Erkenntnisse auf eigenen Untersuchungen und Überprüfungen beruhen, insbesondere Angaben zur zeitlichen Einordnung und der Benennung von Auswirkungen konkreter Therapien, zumal es sich bei Prof. Dr. D. nicht um einen Dermatologen, sondern um einen Internisten und Onkologen handelt. Unter Ziffer 2 des Schreibens vom 3. Dezember 2018 wird bzgl. der Dosierung ausgeführt, dass der Kläger ca. 0,3 g/d verteilt auf mehrere Inhalationseinheiten inhaliere, die er im Rahmen des Behandlungsplans entsprechend der Symptomatik auswähle. Es wird somit nicht angegeben, in welcher genauen Applikationsform das Cannabis inhaliert wird (z. B. mittels eines Vaporisators). Tatsächlich ergibt sich aus den ärztlichen Gutachten des TÜV H. … vom 18. Juni 2019, dass der Kläger die verordneten Cannabisblüten raucht, was einer ordnungsgemäßen Therapie im Hinblick auf die Gefahren des Tabakrauchens regelmäßig widerspricht (siehe Handlungsempfehlungen Cannabismedikation, a. a. O., S. 445). Zudem widerspricht die angegebene Menge (ca. 0,3 g/d) der in den vorgelegten Rezepten vom 7. Februar 2018 und 12. Mai 2017 verordneten Menge von „3 g/d für 30 d“ bzw. „10 mal 0,3 g/d für 30 d“. Sofern Prof. Dr. D. unter Ziffer 3 ausführt, dass die Symptomatik mit 0,3 g/d fast vollständig verschwunden sei und dass diese Dosis zur Erhaltung beibehalten werden sollte, so stellt sich die Frage, inwieweit dann eine Cannabinoid-Therapie überhaupt noch indiziert ist und weshalb die Dosis nicht zumindest reduziert werden kann. Soweit unter Ziffer 4 ausgeführt wird, dass es selbstverständlich sei, dass in einem Gespräch über eine Therapiemethode alle Risiken und Nebenwirkungen und zu erwartenden Wirkungen besprochen worden seien, wozu natürlich auch gehöre, auf Gefahren bezüglich der Fahrzeugführung hinzuweisen und er mit dem Kläger auch besprochen habe, dass auch bei bestimmungsgemäßen Gebrauch das Reaktionsvermögen beeinträchtigt werden könne, somit das Führen eines Fahrzeugs unterlassen werde, insbesondere in der Eindosierungsphase, in der die optimale Dosis noch nicht gefunden sei, keine Teilnahme am Straßenverkehr stattfinden solle, so erschöpfen sich diese Ausführungen in bloßen Behauptungen und es wird noch nicht einmal dargelegt, wann diese Gespräche bzw. die Eindosierungsphase stattgefunden hat und mit welchen Erkenntnissen. Unter Ziffer 5 werden sodann lediglich die Angaben des Klägers anlässlich seiner ersten Konsultation in der Praxis mitgeteilt, nämlich, dass er 2010 wegen seiner Hauterkrankung in den USA bereits Cannabis verordnet bekommen habe und dies sehr guten Erfolg gezeigt habe. Auch fehlen Ausführungen dazu, ob die Beschwerden des Klägers in den Gelenken (Finger/Kniegelenk) tatsächlich – wie vom ihm behauptet – sich auf eine (schulmedizinische) Behandlung der Psoriasis mit Salben zurückführen lässt oder ob eine rheumatische Erkrankung zugrunde liegt. Das Schreiben des Arztes Prof. Dr. D. vom 3. Dezember 2018 erweckt insgesamt den Eindruck, dass er als behandelnder Arzt die Angaben des Klägers ungeprüft übernommen hat. Eine eigene Anamnese und Diagnose und eine Überwachung der Therapie wird nicht ausreichend erkennbar. Insgesamt ist damit die Einschätzung des ärztlichen Gutachters des TÜV H. … nachvollziehbar, dass die in dem ärztlichen Gutachten des TÜV S.. vom 8. August 2018 dargestellten offenen Fragen nicht in ausreichendem Maße beantwortet werden und sich die Angaben des Arztes Prof. Dr. D. in allgemeinen Ausführungen erschöpfen. Es ist deshalb auch nachvollziehbar, dass der medizinische Gutachter des TÜV H. … feststellt, dass hinsichtlich der fehlenden Befunde einer erforderlichen aktuellen dermatologischen und rheumatheologischen fachärztlichen schulmedizinischen Diagnostik und Therapie die isolierte Therapieempfehlung des verordnenden Arztes Prof. Dr. D. in der Begutachtung nicht weiter beurteilt werden kann und er sich den Vorbehalten im Ablehnungsbescheid der Kostenübernahme der AOK B. … gegen die Therapieempfehlung mit Medizin-Cannabis anschließt sowie, dass die im Vorgutachten aufgeworfenen offenen Fragen auch mit den jetzt vorliegenden Befunden nicht schlüssig beantwortet werden können.
Somit ist festzustellen, dass es bereits an dem Nachweis einer ausreichenden ärztlichen Indikation für die Cannabis-Therapie des Klägers fehlt. Insoweit war es unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt auch eine weitere medizinische und nicht nur eine psychologische Begutachtung zu fordern, anlässlich der dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt worden wäre, die Frage der ärztlichen Indikation der Behandlung der Erkrankung mit Medizinal-Cannabis ggf. durch die Vorlage weiterer aktueller ärztlichen Unterlagen zu substanziieren. Der Kläger konnte durch die vorliegenden Stellungnahmen des behandelnden Arztes Prof. Dr. D., insbesondere durch dessen ergänzende Stellungnahme vom 3. Dezember 2018, bereits nicht nachweisen, dass er das Arzneimittelprivileg für sich beanspruchen kann, da sich aus diesen Stellungnahmen und den Gesamtumständen diesbezüglich weiterhin erhebliche Zweifel ergeben und der Kläger als Bewerber um eine Fahrerlaubnis auch hierfür darlegungspflichtig ist. Kann das Arzneimittelprivileg zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht bejaht werden, ist der Kläger als regelmäßiger Cannabis-Konsument gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV nicht fahrgeeignet. Ungeachtet dessen hat er seine Fahreignung auch deshalb nicht nachgewiesen, da seine psycho-physische Leistungsfähigkeit, die im Rahmen psychologischer Testverfahren (im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Begutachtung bzw. bei ärztlicher Begutachtung unter konsiliarischen Hinzuziehung eines Psychologen) erhoben wird, aktuell nicht überprüft ist und sich insbesondere im Hinblick auf seinen früheren illegalen Cannabiskonsum Eignungszweifel bezüglich der erforderlichen Adhärenz im Hinblick auf die Behandlung mit Medizinal-Cannabis ergeben, die mit den vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen des behandelnden Arztes nicht beantwortet werden können.
Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben und war abzuweisen, da – wie oben ausgeführt – noch erhebliche Fahreignungszweifel der Erteilung der Fahrerlaubnis der beantragten Klassen entgegenstehen. In einem weiteren Verwaltungsverfahren wird daher zu klären sein, ob die Einnahme des Medizinal-Cannabis den Anforderungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG genügt, d.h. medizinisch indiziert und zur Erreichung des Therapieziels erforderlich ist, bejahendenfalls, ob die Leistungsfähigkeit des Klägers im Hinblick auf die Dauermedikation mit Cannabis gegeben ist und insbesondere im Hinblick auf den früheren illegalen Betäubungsmittelkonsum von ausreichender Adhärenz des Klägers ausgegangen werden kann.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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