Arbeitsrecht

Nichtigkeit einer Aufsichtsratswahl bei unklarem Hauptversammlungsprotokoll

Aktenzeichen  5 HK O 17731/19

Datum:
27.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
AG – 2021, 246
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AktG § 130 Abs. 2, § 241, § 246 Abs. 2 S. 2, § 249

 

Leitsatz

1. Die Tatsache, dass mit der Klage die Nichtigkeit der Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats geltend gemacht wird, steht weder der Prozessfähigkeit noch der Wirksamkeit der Zustellung und damit der Rechtshängigkeit der Klage entgegen. Wenn das Gesetz ausdrücklich die Doppelvertretung anordnet, dann muss daraus zwingend die Schlussfolgerung gezogen werden, dass bei einer sich gegen die Wahl des Aufsichtsrats richtenden Nichtigkeitsfeststellungsklage die Gesellschaft dennoch im Verfahren vom Vorstand und vom Aufsichtsrat vertreten werden muss – anderenfalls würde die Verweisung keinen Sinn ergeben. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kann dem Protokoll im Wege der Auslegung ein eindeutiger Inhalt des Beschlusses nicht entnommen werden, so ist der Beschluss wegen eines Verstoßes gegen § 130 Abs. 2 S. 1 AktG nichtig.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.10.2019 zu Tagesordnungspunkt 10 über die Neuwahl von Herrn … Wa… als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat der Beklagten nichtig ist.
II. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.10.2019 zu Tagesordnungspunkt 12 über die Neuwahl von Herrn … W… als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat der Beklagten nichtig ist.
III. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.10.2019 zu Tagesordnungspunkt 14 über die Neuwahl von Herrn … M… als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat der Beklagten nichtig ist.
IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
VI. Der Streitwert wird auf € 50.000,- festgesetzt.

Gründe

I.
Die im Hauptantrag erhobene Nichtigkeitsfeststellungsklage ist zulässig und begründet.
1. Die Klage ist zulässig, wobei namentlich die Prozessfähigkeit der Beklagten im Sinne des § 51 Abs. 1 ZPO zu bejahen ist. Nach dieser Vorschrift bestimmt sich die Vertretung nicht prozessfähiger Parteien durch andere Personen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nachdem §§ 51 ff. ZPO keine davon abweichende Regelung enthalten. Dies bedeutet, dass die Beklagte in diesem Verfahren aufgrund von §§ 250 Abs. 3 Satz 1, 246 Abs. 2 Satz 2 AktG durch den Vorstand und den Aufsichtsrat vertreten wird und demnach prozessfähig ist. Die Tatsache, dass mit der Klage die Nichtigkeit der Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats geltend gemacht wird, steht weder der Prozessfähigkeit noch der Wirksamkeit der Zustellung und damit der Rechtshängigkeit der Klage entgegen. Wenn das Gesetz ausdrücklich die Doppelvertretung anordnet, dann muss daraus zwingend die Schlussfolgerung gezogen werden, dass bei einer sich gegen die Wahl des Aufsichtsrats richtenden Nichtigkeitsfeststellungsklage die Gesellschaft dennoch im Verfahren vom Vorstand und vom Aufsichtsrat vertreten werden muss – anderenfalls würde die Verweisung keinen Sinn ergeben (vgl. LG München I ZIP 2004, 853 = WM 2004, 880; Hüffer-Koch, AktG, 14. Aufl., § 250 Rdn. 14, Stilz in: BeckOGK, Aktiengesetz, Stand 1.7.2020, § 250 Rdn. 27).
2. Die Klage ist begründet, weil die Beschlüsse der Hauptversammlung zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 aufgrund von §§ 250 Abs. 1, 241 Nr. 2 AktG nichtig sind. Aufgrund der über die Verweisungsnorm des § 250 Abs. 1 AktG anwendbaren Vorschrift des § 241 Nr. 2 AktG ist ein Beschluss der Hauptversammlung nichtig, wenn er nicht nach § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG beurkundet ist. Aufgrund dieser Vorschrift sind in der Niederschrift unter anderem die Art und das Ergebnis der Abstimmung sowie die Feststellungen des Vorsitzenden über die Beschlussfassung anzugeben. Hiergegen wurde mit der Folge der Nichtigkeit der angegriffenen Beschlüsse verstoßen, weil unter Berücksichtigung des Normzwecks von § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG der notariellen Niederschrift der Inhalt des Beschlusses nicht mit der erforderlichen Klarheit zu entnehmen ist.
a. Die notarielle Protokollierung soll eine zweifelsfreie Dokumentation der Willensbildung der Hauptversammlung gewährleisten. Es liegt dabei im Interesse der Gesellschaft, der künftigen Aktionäre und der Gläubiger, dass dies in ordnungsgemäßer und Streitigkeiten ausschließender Weise geschieht (vgl. BGHZ 216, 110, 129 = NJW 2018, 52, 56 f. = NZG 2017, 1374, 1379 = AG 2018, 28, 33 = ZIP 2017, 2245, 2251 = WM 2017, 2263, 2269 = DB 2017, 2794, 2799 = BB 2017, 2889, 2894 = DNotZ 2018, 382, 393; Drescher in: BeckOGK, AktG, a.a.O., § 130 Rdn. 191). Demgemäß ist beim Ergebnis der Abstimmung auch die Feststellung eines Beschlusses mit einem bestimmten Inhalt zwingender Bestandteil des Protokolls; er muss mit seinem konkreten Inhalt aus Gründen der Rechtssicherheit klar festgehalten sein. Demgemäß muss das Protokoll den vom Versammlungsleiter festgestellten Inhalt wiedergeben (vgl. BGHZ 127, 107, 113 = NJW 1994, 3094, 3095 = AG 1994, 559, 561 = ZIP 1994, 1597, 1599 = BB 1994, 2091, 2092; BGHZ 216, 110, 123 = NJW 2018, 52, 55 = NZG 2017, 1374, 1377 = AG 2018, 28, 31 = ZIP 2017, 2245, 2248 = WM 2017, 2263, 2267 = DB 2017, 2794, 2797 = BB 2017, 2889, 2892 = DNotZ 2018, 382, 389; Drescher in: BeckOGK, AktG, a.a.O., § 130 Rdn. 195; Heidel in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 241 AktG Rdn. 7; Drinhausen in: Hölters, AktG, 3. Aufl., § 130 Rdn. 34; Noack/Zetzsche in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 130 Rdn. 4).
b. Unter Zugrundelegung dieses Normzwecks von § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG muss von Nichtigkeit der Beschlussfassungen ausgegangen werden, weil ein eindeutiger Inhalt des festgestellten Beschlusses nicht angenommen werden kann. Zwar wird die Niederschrift einer Auslegung zugänglich sein. Da dabei aber der Inhalt der gefassten Beschlüsse wiedergegeben wird, müssen dieselben Grundsätze zur Auslegung herangezogen werden wie für den Beschluss selbst.
(1) Bei dem Beschluss einer Hauptversammlung handelt es sich um ein mehrseitiges, aber nicht vertragliches Rechtsgeschäft eigener Art (vgl. Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., § 133 Rdn. 3; Spindler in: Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 133 Rdn. 2; Rieckers in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. § 133 Rdn. 3; Tröger in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 133 Rdn. 40; Dürr in: Wachter, AktG, 3. Aufl., § 133 Rdn. 2), weil die Aktionäre ihre Rechtsverhältnisse und die der Aktiengesellschaft durch eine verbindliche kollektive Willensbildung privatautonom regeln wollen, wobei die bloße Innenwirkung dem nicht entgegensteht. Demgemäß gelten die Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre auch hier, sofern nicht das Aktiengesetz Spezialregelungen enthält oder die Eigenart des Beschlusses etwas anderes gebietet. Dies bedeutet indes, dass die allgemeinen Vorschriften der §§ 133, 157 BGB über die Auslegung von Willenserklärungen keine Anwendung finden können. Es kommt daher weder auf den wirklichen Willen des Abstimmenden noch auf den objektiven Empfängerhorizont an der Hauptversammlung teilnehmenden Aktionäre an. Die Auslegung eines Hauptversammlungsbeschlusses richtet sich vielmehr nach dem Willen der Hauptversammlung, der – nachdem die subjektiven Vorstellungen einzelner Aktionäre nicht relevant sein können – durch eine objektive, aus der Sicht eines Dritten vorzunehmenden Auslegung zu bestimmen ist (vgl. OLG München AG 2008, 864, 869 = ZIP 2008, 1916, 1922 = WM 2008, 1971, 1977; LG München I AG 2015, 639, 640 = Der Konzern 2015, 453, 455; AG 2020, 448, 450 = ZIP 2020, 915, 917; Hüffer/Koch, AktG, a.a.O., § 133 Rdn. 4; Rieckers in: Spindler/Stilz, AktG, a.a.O., § 133 Rdn. 5; Tröger in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 133 Rdn. 53; Dürr in: Wachter, AktG, a.a.O., § 133 Rdn. 3; Spindler in: Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 133 Rdn. 2).
(2) Aus der Niederschrift sind unterschiedliche Beschlussinhalte zu entnehmen. Namentlich auf Seiten 21/22 wurde jeweils auf einen klargestellten Gegenantrag des Aktionärs … S… gemäß Anlage 3 hingewiesen, der nach dem Inhalt der Niederschrift zur Abstimmung gestellt wurde. Diese Aussage ist allerdings bereits deshalb unklar, weil objektiv über den Gegenantrag des Aktionärs T… abgestimmt wurde. Ganz entscheidend ist aber, dass bei der Feststellung der Abstimmungsergebnisse in Anlage 5 bei der erforderlichen Wiedergabe der Stimmenzahlen auch ausgeführt wurde, die Hauptversammlung habe zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 jeweils den Beschlussvorschlag des Aktionärs … S… entsprechend der Veröffentlichung im Bundesanzeiger vom 8.10.2019 mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. Dies bedeutet indes einen unauflösbaren Widerspruch zu dem Beschlussvorschlag, der zur Abstimmung gestellt wurde. Allein der Umstand, dass der Versammlungsleiter zunächst ausführte, was auch in der Niederschrift enthalten ist, den ursprünglichen Beschlussvorschlag von Herrn S… nicht zur Abstimmung stellen zu wollen, führt indes nicht dazu, dass die künftigen Aktionäre und die Gläubiger der Gesellschaft zwingend ermitteln können, welcher Beschluss in der Hauptversammlung gefasst wurde, nachdem die beiden Fassungen auch unterschiedlich lange Laufzeiten aufwiesen. Anders als in dem Urteil des II. Zivilsenats des BGH vom 10.10.2017, Az. II ZR 375/15 (BGHZ 216, 110, 129 f. = NJW 2018, 52, 57 = NZG 2017, 1374, 1379 = AG 2018, 28, 34 = ZIP 2018 2245, 2251 = WM 2017, 2263, 2269 = DB 2017, 2794, 2800 = BB 2017, 2889, 2894 = DNotZ 2018, 382, 392) bleiben erhebliche Zweifel darüber, für welche Amtszeit die drei im Gegenantrag benannten Mitglieder des Aufsichtsrats gewählt werden sollten. Der Zweck der eindeutigen Dokumentation der Willensbildung der Gesellschaft ist dann aber nicht zweifelsfrei und in Streit ausschließender Weise dokumentiert. Außerhalb der notariellen Niederschrift liegende Umstände zur Auslegung des Beschlussinhalts regelmäßig nicht herangezogen werden. Daher kann es nicht darauf ankommen, dass zwischen den Parteien dieses Verfahrens unstreitig ist, welcher Beschluss mit welchem Inhalt gefasst wurde.
Aus diesem Grund musste die Nichtigkeitsfeststellungsklage Erfolg haben, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme, inwieweit die weiteren Anfechtungsgründe, die die hilfsweise erhobene Anfechtungsklage stützen sollen, Erfolg haben.
II.
1. Die Entscheidung über die Kosten hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO; als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
3. Der Streitwert war in Anwendung von §§ 247 Abs. 1 AktG, 5 ZPO festzusetzen.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben