Arbeitsrecht

Rechtsdienstleistung in Steuersachen und Kindergeld

Aktenzeichen  L 14 KG 5/15

Datum:
8.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NWB – 2019, 392
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 80
StBerG § 1, § 3, § 4 Nr. 1, Nr. 11, § 33
SGB X § 13 Abs. 1 S. 1, Abs. 5
RDG § 2 Abs. 1, § 3, § 13 Abs. 5

 

Leitsatz

Ein Lohnsteuerhilfeverein darf nicht in Verwaltungsverfahren wegen Kindergeld nach dem Bundeskindergesetz als Verfahrensbevollmächtigter tätig werden. (Rn. 36 – 46)

Verfahrensgang

S 32 KG 5/11 2015-11-11 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.11.2015 wird zurückgewiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das Sozialgericht München hat mit Urteil vom 11.11.2015 mit zutreffendem Ergebnis und mit zutreffender Begründung entschieden, dass der Bescheid der Beklagten vom 28.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.02.2011 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Zu Recht hat die Beklagte den Kläger als Bevollmächtigten im Kindergeldverfahren nach dem BKGG zurückgewiesen. Ebenfalls zutreffend hat die Ausgangsinstanz ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bejaht.
Rechtsgrundlage der Zurückweisung ist § 13 Abs. 5 SGB X i.V.m. §§ 2, 3 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG).
1. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann sich ein Beteiligter eines Verwaltungsverfahrens dabei durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Dass das Schreiben vom 23.11.2010 eine Vertretung bzw. Bestellung als Verfahrensbevollmächtigte im Verwaltungsverfahren des Beigeladenen wegen Kindergeld nach dem BKGG und nicht etwa eine bloße Botenhandlung darstellt, ergibt sich aus dessen Inhalt sowie der (rechtlich nicht tragenden) Bezugnahme auf § 80 AO.
Gemäß § 13 Abs. 5 RDG sind Bevollmächtigte und Beistände zurückzuweisen, wenn sie entgegen § 3 RDG sog. „Rechtsdienstleistungen“ erbringen.
2. Das Tätigwerden des Klägers für den Beigeladenen ist als Rechtsdienstleistung zu qualifizieren.
Rechtsdienstleistung ist nach der in § 2 Abs. 1 RDG enthaltenen Legaldefinition jede Tätigkeit in „konkreten fremden Angelegenheiten anzusehen“, sobald sie eine „rechtliche Prüfung des Einzelfalls“ erfordert.
Das Antragsverfahren auf Kindergeld nach dem BKGG stellte eine konkrete fremde Angelegenheit dar. Denn sie erfolgte hier im Einzelfall und lag im wirtschaftlichen Interesse eines Dritten.
Auch war eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erforderlich. Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals hat das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 14.11.2013 (B 9 SB 5/12, Juris), in der das Verwaltungsverfahren wegen Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) im Fokus stand, ausgeführt, dass in Rechtsprechung und Literatur eine einheitliche Beurteilung nicht gegeben sei. Zum Teil werde eine solche erst angenommen, wenn der vertretene Rechtsuchende eine besondere rechtliche Betreuung oder Aufklärung erkennbar erwartet oder nach der Verkehrsanschauung eine besondere rechtliche Prüfung erforderlich sei. Dabei werde darauf verwiesen, dass im ursprünglichen Regierungsentwurf zu § 2 Abs. 1 RDG von einer „besonderen“ rechtlichen Prüfung ausgegangen worden sei (vgl. BT-Drucks 16/3655 S. 7 und 46). Aus eben diesem Umstand werde aber auch geschlossen, dass kein hoher Maßstab zugrunde zu legen sei. Danach seien alle rechtlichen Prüfungstätigkeiten erfasst, wenn sie nur über eine einfache rechtliche Prüfung und Rechtsanwendung hinausgingen und einer gewissen Sachkunde bedürften (zum Meinungsstreit Hinweis auf: BGH, Urteil vom 04.11.2010 – I ZR 118/09, Rn. 28 m.w.N.). Der BGH habe die Frage ausdrücklich offen gelassen, weil die dort relevante Frage ohnehin eine vertiefte Rechtsprüfung erforderte, die über eine einfache oder schematische Rechtsanwendung hinausging (vgl. BGH, a.a.O.). Im Ergebnis wurde das Antragsverfahren zur Feststellung des GdB noch nicht als Rechtsdienstleistung eingestuft, während das evtl. folgende Widerspruchsverfahren sehr wohl eine rechtliche Prüfung des Einzelfalles erfordere.
Der Senat sieht sich im vorliegenden Einzelfall ebenfalls nicht veranlasst, den Begriff der rechtlichen Prüfung abschließend zu klären. Denn die erfolgreiche Vertretung in einem Antragsverfahren nach dem Bundeskindergeldgesetz mit Bezug in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erfordert ganz vertiefte rechtliche Kenntnisse und eine „besondere“ rechtliche Prüfung unter Einbeziehung der koordinierenden europäischen Vorschriften auch zum grenzüberschreitenden Verwaltungsverfahren (EGVO 987/2009). Im Übrigen sind komplizierte sozialversicherungsrechtliche Fragen hinsichtlich der Weitergeltung deutschen Rechts bzw. der Koordination der Rechtsordnungen zu klären.
Zunächst muss der Bevollmächtigte eine Prüfung der persönlichen Anspruchsberechtigung des Vertretenen (§ 1 BKGG) vornehmen. Bei EU-Auslandsberührung bedarf es der verständigen Prüfung der Art. 67 ff. EGVO 883/04, hier insbesondere der Prioritätsregeln bzgl. rumänischer Familienleistungen. Daneben sind die intermitgliedstaatlichen Durchführungsregeln zum grenzüberschreitenden Verwaltungsverfahren u.a. der EGVO 987/2009 in die Prüfung einzubeziehen.
Damit unterscheidet sich das BKGG-Verfahren erheblich vom Verfahren zur Feststellung des GdB, in dem letztlich nur die bestehenden Gesundheitsstörungen/Behinderungen vorzutragen sind, ohne dass eine rechtliche Prüfung erforderlich ist. Die Wertigkeiten für den GdB können in der Liste der einschlägigen Rechtsverordnung nachgelesen werden. Im Widerspruchsverfahren sind bereits wieder verwaltungsverfahrensrechtliche Normen zu beachten.
Demgegenüber erfordert das BKGG-Verfahren mit europarechtlichem Bezug eine vertiefte rechtliche Prüfung, deren Umfang auch über die Voraussetzungen des einkommensteuerrechtlichen Kindergelds, die hinsichtlich der Voraussetzungen in Ansehung des Kindes weitgehend identisch sind, weit hinausreicht.
Soweit der Kläger anklingen ließ, er stelle hier ohne rechtliche Prüfung im Einzelfall schlicht einen Antrag und überlasse die notwendige Prüfung der Beklagten, kann er mit dem Argument nicht durchdringen. Dies würde dazu führen, dass in Verfahren wegen Sozial(-versicherungs)-leistungen eine rechtliche Prüfung nahezu niemals zu bejahen wäre, weil der Bevollmächtigte ohne Prüfung der Voraussetzungen schlicht Anträge stellt, um mit Interesse das positive oder negative Ergebnis der Prüfung der Behörde zur Kenntnis zu nehmen. Vielmehr ist zu fordern, dass der Bevollmächtigte die für einen erfolgreichen Antrag erforderliche rechtliche Prüfung vor Antragstellung selbst vornimmt.
Soweit der Kläger zudem schriftlich vorgetragen hatte, in dem hier zu prüfenden Einzelfall sei er in Ansehung des Schreibens vom 23.11.2010 noch überhaupt nicht substantiiert prüfend tätig geworden, sondern habe nur die Vertretung angezeigt, kann dieses Argument nicht durchgreifen. Die Beklagte hat zwar bereits nach erstem Tätigwerden das weitere Auftreten des Klägers zurückgewiesen. Jedoch hatte der Kläger zuvor mit seinem Schreiben zu erkennen gegeben, das gesamte Verfahren nach dem BKGG für den Beigeladenen führen zu wollen. Nicht anders kann die Bezugnahme auf eine bestehende Bevollmächtigung nach § 80 AO auch für das BKGG-Verfahren sowie das Ansinnen interpretiert werden, demzufolge der gesamte Schriftwechsel wegen Kindergeld nach dem BKGG mit dem Kläger zu führen sei. Wenn die Beklagte den Kläger sofort nach seinem ersten Auftreten zurückweist, kann Letztgenannter nicht erfolgreich geltend machen, man habe ja bisher nur einmal vorgetragen und nicht im gesamten Verfahren vertreten.
Mithin hat der Kläger mit der Erbringung einer Rechtsdienstleistung begonnen.
3. Die selbständige Erbringung der außergerichtlichen Rechtsdienstleistung war nicht zulässig. Nach § 3 RDG ist diese nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch das Rechtsdienstleistungsgesetz oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird, was nicht der Fall ist.
Nach § 4 Nr. 11 Steuerberatergesetz (StBerG) sind zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen Lohnsteuerhilfevereine, soweit sie für ihre Mitglieder Hilfeleistung in Steuersachen leisten, befugt zur Hilfe bei Sachverhalten des Familienleistungsausgleichs im Sinne des Einkommensteuergesetzes.
Die Befugnis erstreckt sich nicht auf Sachverhalte des Familienlastenausgleichs im Sinne des Bundeskindergeldgesetzes (sozialrechtliches Kindergeld). Es ist dem Kläger auch nicht darin zu folgen, dass nur ein einheitlicher Kindergeldanspruch existiert. Vielmehr handelt es sich bei dem sozialrechtlichen und dem steuerrechtlichen Kindergeld um zwei verschiedene, sich wechselseitig ausschließende Anspruchsnormen, wobei einzelne Voraussetzungen gleichlautend geregelt sind.
Eine europarechtliche Vorschrift, wonach der Kläger in Kindergeldangelegenheiten mit grenzüberschreitendem EU-Auslandsbezug Bevollmächtigter im Verwaltungsverfahren sein darf, existiert nicht.
Davon abgesehen erstreckt sich die aktuelle Satzung des Klägers nicht auf Hilfeleistung in BKGG-Kindergeldverfahren. Sie erhebt lediglich Hilfeleistungen in steuerrechtlichen Kindergeldangelegenheiten zum Vereinszweck. Der Kläger vermochte die Frage, ob dies in der im streitigen Zeitraum geltenden, insoweit evtl. abweichenden Fassung der Satzung anders geregelt war, nicht zu bejahen. Damit erscheint auch das weitere Tatbestandmerkmal „soweit sie für ihre Mitglieder Hilfeleistung in Steuersachen leisten“ nicht erfüllt.
Im Ergebnis ist die selbstständige Erbringung der nach § 2 RDG als außergerichtliche Rechtsdienstleistung zu qualifizierende Tätigkeit des Klägers für den Beigeladenen nach § 3 RDG nicht erlaubt.
4. Die Erbringung der außergerichtlichen Rechtsdienstleistung durch den Kläger ist auch nicht ausnahmsweise aufgrund § 5 RDG zulässig.
Als Ausnahme zu § 3 RDG erlaubt § 5 Absatz 1 RDG Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören. Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist nach ihrem Inhalt, Umfang und sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind. Auf diesen Ausnahmetatbestand können sich beispielsweise auch Angehörige der steuerberatenden Berufe stützen, die Rechtsdienstleistungen in einem speziellen Bereich des Rechts als Hauptleistung erbringen, soweit sie darüber hinaus andere Rechtsdienstleistungen als Nebenleistung erbringen. Dabei kommt es auf die Kern- und Haupttätigkeit des Steuerberaters und nicht auf seine Tätigkeit im einzelnen Fall an (vgl. BSG, Urteil vom 05.03.2014, B 12 R 7/12 R, Rn. 27f., zitiert nach juris).
Bei einem Lohnsteuerhilfeverein, wie dem Kläger, ist auf das Berufsbild eines Steuerberaters abzustellen, der entsprechend § 4 Nr. 11 StBerG beschränkt arbeiten darf. Dies ergibt sich aus der Unmöglichkeit, den Lohnsteuerhilfeverein einem anderen Berufsbild zuzuordnen (so z. B. § 4 Nr. 1 StBerG: Notare). Im Übrigen beschränkt sich die Hilfeleistung laut Vereinssatzung auf die Hilfeleistungen nur in steuerrechtlichen Teilbereichen nebst dem steuerrechtlichen Kindergeld.
Die Vertretung in Kindergeldsachen nach dem BKGG ist nicht Nebenleistung der Steuerberatung einschließlich der Hilfe in Kindergeldangelegenheiten nach dem EStG.
Zwar weisen die kindergeldrechtlichen Vorschriften des EStG und des BKGG viele Gemeinsamkeiten auf. Auch benötigen Hilfesuchende – bei Wechsel ins Ausland bzw. Auslandsbezug – Hilfe zu beiden Anspruchsgrundlagen. Indes steht das in § 5 Abs. 1 S. 2 RDG für das Vorliegen einer Nebenleistung aufgestellte Kriterium, dass es dafür „Rechtskenntnisse … (bedarf), die für die Haupttätigkeit erforderlich sind“, entgegen. Um als Nebenleistung zu gelten, muss es sich im Einzelfall um eine Tätigkeit handeln, die ein Steuerberater mit seiner beruflichen Qualifikation ohne Beeinträchtigung des in § 1 RDG genannten Schutzzwecks, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen, miterledigen kann (BSG, Urteil vom 14.11.2013, a.a.O., Rn. 40). Maßgebend ist insoweit nicht die individuelle Qualifikation des Rechtsdienstleistenden, sondern die allgemeine berufstypische juristische Qualifikation des Betroffenen im Rahmen seiner Haupttätigkeit (vgl. BSG a.a.O.; BT-Drucks 16/3655 S. 54). Bleiben dagegen die für die Haupttätigkeit erforderlichen Rechtskenntnisse hinter denjenigen für die Erbringung der (vermeintlichen) Nebenleistung erforderlichen Kenntnisse zurück, kann die Nebenleistung nicht erlaubnisfrei erbracht werden. Dies gebieten der zentral in § 1 RDG angesprochene Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung.
Über die im EStG enthaltenen steuerrechtlichen Kindergeldnormen hinaus erfordert die Vertretung in BKGG-Sachen vertiefte sozial(-versicherungs)-rechtliche Kenntnisse. Nicht nur der Entsendebegriff und die Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach dem SGB III müssen beherrscht werden. Vielmehr sind zumeist die einschlägigen koordinationsrechtlichen EU-Vorschriften nebst den dazu erlassenen Verfahrensvorschriften zu prüfen und anzuwenden. Insoweit bleiben die für die Haupttätigkeit erforderlichen Kenntnisse des berufstypisch qualifizierten Steuerberaters hinter denjenigen zurück, die für die Nebenleistung benötigt werden.
Damit ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Senat hat wegen Grundsätzlichkeit die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Es war der sog. Auffangstreitwert von 5.000,00 Euro festzusetzen.


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