Arbeitsrecht

Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs

Aktenzeichen  L 10 AL 75/16

Datum:
21.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III SGB III § 158 Abs. 1 S. 3
BGB BGB § 626
SGB VI SGB VI § 236b

 

Leitsatz

1. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht bei der Gewährung einer Entlassungsentschädigung nicht, wenn im Aufhebungsvertrag für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Frist für eine ordentliche Kündigung eingehalten worden ist und die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist bei einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer eingehalten worden ist. Zum Vorliegen eines Einzelfalles, in dem ein sog. sinnentleertes Arbeitsverhältnis vorliegen würde. (amtlicher Leitsatz)
Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer anderenfalls trotz vollständigen Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für erhebliche Zeiträume vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

L 10 AL 75/16 2016-03-08 Urt LSGBAYERN LSG München

Tenor

I.
Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer I. des Tenors des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 08.03.2016 wie folgt gefasst wird: Der Bescheid vom 25.11.2014, mit dem die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 01.12.2014 bis 17.04.2015 festgestellt hat, wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 25.11.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 08.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2014 Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 01.12.2014 bis 17.04.2015 zu zahlen.
II.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG), aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Beklagte verurteilt, Alg auch für die Zeit vom 01.12.2014 bis 17.04.2015 zu zahlen. Insoweit sind die Bescheide vom 25.11.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 08.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2014 rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Streitgegenstand ist vorliegend die Zahlung von Alg für die Zeit vom 01.12.2014 bis 17.04.2015, die die Beklagte mit Bescheid vom 25.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2014 abgelehnt und insofern mit Bescheid vom 25.11.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 08.12.2014 für diesen Zeitraum kein Alg bewilligt hat. Da der „Bewilligungsbescheid“ vom 25.11.2014 mit dem „Ruhensbescheid“ vom 25.11.2014 eine Einheit bildet – er setzt das festgestellte Ruhen des Anspruchs auf Alg leistungsrechtlich um -, ist auch dieser Gegenstand des Verfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 05.08.1999 – B 7 AL 14/99 R – BSGE 84, 225; Urteil vom 12.05.2012 – B 11 AL 6/11 R – SozR 4-4300 § 144 Nr. 23; Urteil des Senats vom 22.04.2015 – L 10 AL 168/14). Damit war zur Klarstellung der Tenor des Urteils des SG vom 08.03.2016 entsprechend abzuändern und der „Bewilligungsbescheid“ vom 25.11.2014 mit einzubeziehen. Nicht Streitgegenstand ist dagegen der „Sperrzeitbescheid“ vom 25.11.2014, mit dem das Ruhen des Anspruchs auf Alg für die Zeit vom 18.04.2014 bis 10.07.2014 und die Minderung der Anspruchsdauer um 180 Tage festgestellt wurden, da dieser bereits mit Bescheid vom 08.12.2014 wieder aufgehoben worden ist.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Alg (auch) für die Zeit vom 01.12.2014 bis 17.04.2015. Ein Anspruch auf Alg setzt nach § 137 Abs. 1 SGB III Arbeitslosigkeit (Nr. 1), eine Arbeitslosmeldung (Nr. 2) und die Erfüllung der Anwartschaftszeit (Nr. 3) voraus. Diese Voraussetzungen hat der Kläger für die Zeit ab dem 01.12.2014 dem Grunde nach unbestrittenermaßen erfüllt. Insofern hat die Beklagte auch Alg im Hinblick auf das am 01.12.2014 entstandene Stammrecht ab 18.04.2015 bewilligt.
Für die Zeit vom 01.12.2014 bis 17.04.2015 hat der Anspruch auf Alg nicht geruht. Ein Anspruch auf Alg ruht, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen hat und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist, von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte (§ 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Nach § 158 Abs. 1 Satz 2 2. Alternative SGB III beginnt die Frist mit dem Tag der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ist die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, so gilt bei (1.) zeitlich unbegrenztem Ausschluss eine Kündigungsfrist von 18 Monaten, (2.) zeitlich begrenzten Ausschluss oder Vorliegen der Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund die Kündigungsfrist, die ohne den Ausschluss – sofern hier in der bis zum 31.07.2016 geltenden Fassung von „Abschluss“ die Rede war, handelte es sich um ein Redaktionsversehen, vgl. jetzt auch § 158 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB III in der Fassung vom 18.07.2016 – der ordentlichen Kündigung maßgebend gewesen wäre (§ 158 Abs. 1 Satz 3 SGB III). Sofern dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden kann, so gilt nach § 158 Abs. 1 Satz 4 SGB III eine Kündigungsfrist von einem Jahr.
Vorliegend fehlt es an einer für ein Ruhen des Alg-Anspruchs erforderlichen vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 158 Abs. 1 SGB III. Für das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und K galt der Manteltarifvertrag für die Bayerische Metall- und Elektroindustrie, nach dem die Kündigungsfrist für Arbeitnehmer nach 20 Beschäftigungsjahren sieben Monate zum Monatsende betrug (§ 8 Ziffer 2 Abs. II MTV). Ausgehend vom 17.04.2014, dem Zeitpunkt des Aufhebungsvertrages, hätte das Arbeitsverhältnis demnach unter Einhaltung dieser Frist zum 30.11.2014 beendet werden können. Diese Frist ist auch maßgeblich, weil vorliegend die Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund im Sinne von § 158 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 2. Alt. SGB III vorlagen.
Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer anderenfalls trotz vollständigen Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für erhebliche Zeiträume vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde (vgl. dazu mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des BAG: BSG, Urteil vom 17.12.2013 – B 11 AL 13/12 R – SozR 4-4300 § 143a Nr. 2). Das SG ist in seiner Entscheidung zutreffend vom Vorliegen der Voraussetzungen dafür ausgegangen, dass K im Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages am 17.04.2014 zu einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist in diesem Sinne berechtigt gewesen ist und eine solche dem Kläger konkret gedroht hätte. Der Senat folgt insofern den Gründen der angefochtenen Entscheidung – mit Ausnahme der unten angesprochenen Dauer von Maßnahmen zur Weiterbeschäftigung, die dem Arbeitgeber zumutbar sind und eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ausschließen können – und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist auszuführen, dass seitens K für den Senat konkret, substantiiert und nachvollziehbar vorgetragen worden ist, dass ein auf Dauer unzumutbares, sinnentleertes Arbeitsverhältnis vorgelegen hätte, wäre das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nicht beendet worden. Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist wäre vorliegend durch K möglich gewesen. Sie muss zwar regelmäßig das letzte Mittel darstellen und kommt deshalb nur in den Fällen des sog. sinnentleerten Arbeitsverhältnisses in Betracht, wenn also der Arbeitnehmer im Betrieb überhaupt nicht mehr mit sinnvoller Arbeit beschäftigt werden kann (vgl. dazu BAG, Urteil vom 20.06.2013 – 2 AZR 379/12; Urteil vom 27.06.2002 – 2 AZR 367/01; Urteil vom 05.02.1998 – 2 AZR 227/97; Hexel/Bork in Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag, 2. Auflage 2016, Teil 5 Nr. 21 Rn. 16). Sie kann aber auch nicht durch Tarifvertrag ausgeschlossen werden (BAG, Urteil vom 20.06.2013 – 2 AZR 379/12 – m. w. N.). Mit dem tarifvertraglichen Sonderkündigungsschutz wird nicht die Freiheit des Arbeitgebers eingeschränkt, Umstrukturierungen vorzunehmen, mit denen der Verlust von Arbeitsplätzen verbunden ist, er erhöht allerdings erheblich die Anforderungen an die Bemühungen, gleichwohl die – anderweitige – Beschäftigung des Arbeitnehmers zu ermöglichen (vgl. BAG, Urteil vom 18.06.2015 – 2 AZR 480/14 – m. w. N.).
Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wäre mit der Pflicht der K zur Gehaltszahlung bis zum Erreichen des Renteneintrittsalters verknüpft gewesen, ohne dass dem in den nächsten Jahren eine entsprechende Arbeitsleistung gegenübergestanden hätte (vgl. hierzu auch BAG, Urteil vom 08.04.2003 – 2 AZR 355/02). Dies wären – selbst bei Annahme der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Rente nach § 236b Sechstes Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) für besonders langjährig Versicherte mit 63 Jahren und acht Monaten – mehr als fünf Jahre gewesen. Nachvollziehbar und für den Senat überzeugend wurde von K dargestellt, wie es zu der unternehmerischen Entscheidung in Bezug auf die Stellenanpassungen im Rahmen des Konzernumbaus bzw. Restrukturierungsprogramms 2013 gekommen war. Auch nach einem Vermerk der Beklagten vom 14.04.2014 wird im Rahmen der Darstellung der Ausgangssituation dargelegt, dass von den 1.800 Arbeitsplätzen bei K in B-Stadt bzw. T-Stadt 530 Stellen wegfallen sollten. So ist nach den Ausführungen der K auch die Stelle des Klägers als Vorarbeiter ersatzlos entfallen, da die Personaleinsatzplanung nunmehr dem Meister übertragen wurden und operative Wareneingangstätigkeiten von der reduzierten Wareneingangsmannschaft erledigt werden. Neben der Stelle des Klägers sind im Bereich Wareneingang und innerbetrieblicher Transport weitere fünf Stellen weggefallen, wobei K in einem Fall eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen hat.
Zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bestanden auch keine der K zumutbaren Möglichkeiten im Hinblick auf eine Umschulung des Klägers für andere Tätigkeitsbereiche. Bei einer außerordentlichen Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers bestehen insoweit verschärfte Anforderungen an die Pflicht des Arbeitgebers, mit allen zumutbaren Mitteln eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb bzw. im Unternehmen zu versuchen (vgl. dazu BAG, Urteil vom 05.02.1998 – 2 AZR 227/97; Quecke in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 7. Auflage 2016, § 1 KSchG Rn. 284). Dabei sind dem Arbeitgeber im Falle eines tariflich unkündbaren Arbeitnehmers in erheblich weiterem Umfang andere Maßnahmen zur Vermeidung der Kündigung zumutbar als bei einer ordentlichen Kündigung (vgl. BAG, Urteil vom 08.04.2003 – 2 AZR 355/02). Sofern irgendeine anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ggf. auch nach entsprechender Umschulung besteht, ist es dem Arbeitgeber regelmäßig zumutbar, diese andere Möglichkeit zu wählen (BAG a. a. O.). Zumutbar kann dabei auch die Dauer solcher Maßnahmen von mehr als einem Jahr sein. Die vom SG in Bezug genommenen Nachweise für dessen Auffassung (z. B. Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Auflage 2012, § 1 KSchG Rn. 620), eine Zumutbarkeit für den Arbeitgeber sei nur bei Maßnahmen mit einer Dauer von längstens einem Jahr gegeben, beziehen sich auf eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung. Im Rahmen der außerordentlichen Kündigung werden diese Maßstäbe aber zulasten des Arbeitgebers vorschoben, da der besondere Kündigungsschutz des grundsätzlich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist. Allerdings sind auch hier alle weiteren Umstände des Einzelfalls mit maßgeblich, insbesondere die bisherige und restliche Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers, dessen Lebensalter, seine persönlichen und fachlichen Eignungen, Kosten des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts und der Umschulung sowie, ob der Arbeitgeber Rationalisierungsmaßnahmen ergreift, um einen schon beträchtlichen Gewinn weiter zu steigern oder weil eine Verlustsituation abgewendet werden muss (vgl. dazu Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Auflage 2012, § 1 KSchG Rn. 620 im Zusammenhang mit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung, wobei diese Kriterien auch für die vorliegend zu prüfende außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist gelten, allerdings sich der Zumutbarkeitsmaßstab zulasten des Arbeitgebers verschiebt. Siehe dazu bereits obige Ausführungen).
Der Kläger hatte zwar ursprünglich eine Berufsausbildung als Universalfräser absolviert, aufgrund seiner Beschäftigungen in der Vergangenheit war er aber nicht ohne weiteres in anderen Bereichen, insbesondere der Produktion, einsetzbar. Er war seit 1981 in der Fertigungskontrolle und seit 1999 in der Abteilung Wareneingang und innerbetrieblicher Transport eingesetzt. Im Fertigungsbereich selbst hat er daher seit über 30 Jahren nicht mehr gearbeitet. Es ist nicht ersichtlich, dass es insofern auch mit einem kurzen Anlernen möglich gewesen wäre, den Kläger entsprechend einzusetzen. So geht auch der Senat davon aus, dass eine nachvollziehbare Umschulungszeit von zwei Jahren alleine nicht ausreichend gewesen wäre, um den Kläger entsprechend für eine neue Stelle zu qualifizieren. Nach dem Vortrag von K hätte eine entsprechende Berufsausbildungszeit dreieinhalb Jahre in Anspruch genommen. Zwar mag der Kläger aufgrund seiner Berufserfahrung nicht mit einem Lehrling vergleichbar sein, was für eine kürzere Umschulungszeit sprechen könnte. Nicht außer Acht gelassen werden darf aber auch, dass der Kläger im Zeitpunkt des Aufhebungsvertrages bereits 58 Jahre alt gewesen ist. Seine ursprüngliche Ausbildung als Universalfräser liegt so weit zurück, dass es überzeugend erscheint, wenn K ausführt, dass für eine Tätigkeit im Bereich der Fertigung und Montage das zwingend notwendige spezialisierte Fachwissen fehlt und mangels vorhergehenden Einsatzes entsprechende technische Fortentwicklungen vom Kläger nicht nachvollzogen worden sind. Selbst wenn man daher davon ausginge, die notwendige Umschulungszeit im Falle des Klägers betrüge nur zwei Jahre, so wäre darüber hinaus in jedem Fall noch von einer gewissen Einarbeitungszeit – diese bemisst K mit bis zu einem Jahr – auszugehen. Mithin wäre eine Zeitdauer von fast drei Jahren notwendig, um den Kläger so vorzubereiten, dass er eine entsprechende Tätigkeit in der Fertigung hätte vollständig ausüben können. Unter der vorliegend gegebenen Möglichkeit des Klägers, eine Rente nach § 236b SGB VI für besonders langjährig Versicherte mit 63 Jahren und acht Monaten in Anspruch nehmen zu können – der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25.03.2014 (BT-Drs. 18/909) lag im Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages am 17.04.2014 bereits vor und der Kläger hätte 2019 bei Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses bei K in jedem Fall auch die notwendigen 45 Beitragsjahre erreicht, weshalb K mit einem entsprechenden Ausscheiden des Klägers im November 2019 bereits bei Abschluss des Aufhebungsvertrages hätte rechnen müssen – oder ggf. einen Altersteilzeitvertrag im Blockmodell zu schließen, verbliebe eine geringere Zeitspanne im Vergleich zur Umschulungs- und Anlernzeit, die der Kläger dann noch voll einsetzbar gewesen wäre. So wäre bei einem Renteneintritt im November 2019 und bei einer Umschulungs- und Einarbeitungszeit von drei Jahren nur noch eine Einsatzzeit von etwa 2 1/2 Jahren verblieben. Dies ist nach Einschätzung des Senats dem Arbeitgeber evident nicht zumutbar. Die Annahme, eine Umschulungs- und Einarbeitungszeit von bis zu fünf Jahren wäre einem Arbeitgeber stets zumutbar, was ggf. aus der Entscheidung des BAG vom 06.10.2005 (2 AZR 362/04) gefolgert werden könnte, bei dem das BAG andeutet, eine Gehaltsfortzahlung von bis zu fünf Jahren ohne Gegenleistung könnte hinzunehmen sein (vgl. dazu auch Krause, RdA 2016, 57; Bröhl, RdA 2010, 170), kann vorliegend nicht erfolgen. Vielmehr sind auch hier alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu würdigen. So muss der Arbeitgeber zunächst während der Umschulung und Einarbeitung – neben den hierfür anfallenden Kosten – dem Arbeitnehmer dessen Gehalt ohne eine entsprechende Gegenleistung fortzahlen. Weiter ist vorliegend zu berücksichtigen, dass K den massiven Stellenabbau nicht zur Steigerung eines bereits hohen Gewinns sondern aufgrund erheblicher Verluste vornahm. Im Jahr vor dem Abschluss des Aufhebungsvertrages wurde ein negatives Betriebsergebnis von 130,7 Mio. Euro und ein negatives Konzernergebnis von 138,1 Mio. Euro erwirtschaftet. Es ist folglich nicht auszuschließen, dass eine fehlende Möglichkeit der Kündigung der tarifvertraglich unkündbaren Arbeitnehmer dazu hätte führen können, dass die wirtschaftlichen Probleme für die Existenz und den Fortbestand der K nicht hätten beseitigt werden können, womit nicht nur eine Insolvenz hätte eintreten können, sondern weitaus mehr Arbeitsplätze verloren gegangen wären. Sofern der (zusätzliche) Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen in § 13 Abs. 1 der tariflichen Sonderregelung vom 13.12.2012 hier Berücksichtigung finden sollte, könnte dies allenfalls dazu führen, dass sich die zeitliche Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Klägers (vgl. dazu BAG, Urteil vom 20.06.2013 – 2 AZR 379/12) und damit die Auslauffrist für die Kündigung nicht an der Frist des § 8 Ziff. 2 Abs. II MTV (entsprechend auch § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB) orientieren würde, sondern an der Ausschlussfrist des § 13 Abs. 1 der tariflichen Sonderregelung vom 13.12.2012. Die Kündigung wäre demnach zum 30.06.2015 möglich gewesen, was allerdings nach § 158 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 2. Alt. SGB III zu keiner Änderung führen würde, da auch in diesem Fall dem Gesetz nach auf die für eine ordentliche Kündigung maßgebliche Frist abzustellen wäre.
Im Übrigen hat die Beklagte die Stellungnahme der K im Berufungsverfahren nicht hinreichend konkret entkräften können. Weder hat sie substantiiert dazu vorgetragen, geschweige denn anderweitige Nachweise vorgelegt. Es kann damit davon ausgegangen werden, dass K – entsprechend ihrer Stellungnahmen im gerichtlichen Verfahren – alle zumutbaren, eine Weiterbeschäftigung ermöglichenden Mittel geprüft, sich aber eine zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht ergeben hat. Ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis wäre damit im Falle der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses die Folge gewesen. Dies steht nach obigen Ausführungen zur Überzeugung des Senates fest. Dabei kommt es wegen des im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes nicht auf die erhöhten prozessualen Darlegungsverpflichtungen des Arbeitgebers – der vorliegend auch nicht Prozessbeteiligter ist – an, wie sie im arbeitsgerichtlichen Verfahren gelten (vgl. zum arbeitsgerichtlichen Verfahren: BAG, Urteil vom 18.06.2015 – 2 AZR 480/14). Im Übrigen muss dort der Arbeitgeber nur dann ggf. unter Vorlegung der Stellenpläne substantiiert darlegen, weshalb das Freimachen eines geeigneten Arbeitsplatzes oder dessen Schaffung durch eine entsprechende Umorganisation nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sein soll, wenn der Arbeitnehmer darlegt, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt (vgl. zu den Anforderungen: BAG, Urteil vom 17.09.1998 – 2 AZR 419/97).
Ohne weitere Bedeutung bleibt vorliegend auch die tarifliche Sonderregelung vom 13.11.2012 als solche. Nach dessen § 13 Abs. 1 wurden betriebsbedingte Kündigungen bis zum 30.06.2015 ausgeschlossen. Dabei handelte es sich um einen zeitlich befristeten Ausschluss einer ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber, so dass nach § 158 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 1. Alt. SGB III ebenfalls die Frist gelten würde, die ohne den Ausschluss der ordentlichen Kündigung maßgeblich gewesen wäre, so dass wiederum auf die Frist von sieben Monaten abzustellen gewesen wäre (so auch BSG, Urteil vom 15.12.1999 – B 11 AL 29/99 R; Düe in Brand, SGB III, 7. Auflage 2015, § 158 Rn. 20). Weiter kann dahinstehen, ob dem Kläger im Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages nur noch gegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung hätte gekündigt werden können, da sich auch in diesem Fall die Frist des § 158 Abs. 1 Satz 4 SGB III auf die ordentliche Kündigungsfrist, die nach § 158 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 2.Alt. SGB III – mithin die oben genannten sieben Monate – beschränken würde (vgl. auch BSG, Urteil vom 29.01.2009 – B 7 AL 62/99 R; Düe a. a. O. Rn. 23).
Dem Anspruch auf Zahlung von Alg für den streitgegenständlichen Zeitraum stehen auch keine anderweitigen Hinderungsgründe entgegen. Insbesondere ist keine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe nach § 159 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB III eingetreten. Die ursprüngliche Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit wegen der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses für die Zeit vom 18.04.2014 bis 10.07.2014, deren Zeitrahmen damit bereits vor dem streitgegenständlichen Zeitraum gelegen hätte, hat die Beklagte mit Bescheid vom 08.12.2014 wieder aufgehoben.
Dem Kläger steht daher ein Anspruch auf Zahlung von Alg für die Zeit vom 01.12.2014 bis 17.04.2015 zu. Die Berufung der Beklagten war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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