Arbeitsrecht

Schadenersatz aufgrund unterbliebener Entgeltfortzahlung

Aktenzeichen  4 Sa 223/19

Datum:
9.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landesarbeitsgericht 4. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LAGTH:2022:0209.4SA223.19.00
Normen:
§ 611a Abs 2 BGB
§ 273 BGB
§ 823 Abs 2 BGB
§ 1 MiLoG
§ 20 MiLoG
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Spruchkörper:
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Verfahrensgang

vorgehend ArbG Gera, 12. Juni 2019, 1 Ca 66/18, Urteilanhängig BAG, kein Datum verfügbar, 8 AZR 120/22

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 12.6.2019 – 1 Ca 66/18 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagten als Geschäftsführer seiner ehemaligen Arbeitgeberin gesamtschuldnerisch auf Schadenersatz aufgrund unterbliebener Entgeltfortzahlung für den Juni 2017 in Höhe des Mindestlohns in Anspruch.
Der Kläger war seit dem 18.3.1996 bei der … GmbH (fortan kurz: Schuldnerin) zuletzt zu einer monatlichen Bruttovergütung von 1.780,00 € bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt. Die Beklagten waren Geschäftsführer der Schuldnerin.
Aufgrund teilweiser monatelang verspätet gezahlter Vergütungen machte der Kläger im Jahr 2017 ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung geltend. Im Juni 2017 hätte der Kläger an 22 Arbeitstagen 8 Stunden arbeitstäglich arbeiten müssen, mithin 176 Stunden. Für den Juni 2017 zahlte die Schuldnerin kein Entgelt.
Am 1.11.2017 eröffnete das Amtsgericht Gera das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin.
Der Kläger ist der Ansicht gewesen, die Beklagten hätten aufgrund der Vorschriften des Mindestlohngesetzes ihm gegenüber die Pflicht gehabt, die Vergütung für den Monat Juni 2017 mindestens in Höhe des Mindestlohns zu zahlen. § 21 Abs. 1 Nummer 9 MiLoG stufe die Nichtzahlung des Mindestlohns als Ordnungswidrigkeit ein. Täter der Ordnungswidrigkeit seien die Organe einer Gesellschaft und könnten hierfür in Anspruch genommen werden. Insofern sei die Vorschrift als Schutzgesetz zu seinen, des Klägers, Gunsten. Ein Verstoß der Beklagten hiergegen führe daher zu einem Anspruch auf Schadenersatz ihm gegenüber. Für die im Juni 2017 angefallenen 176 Arbeitsstunden ergäbe sich daher aufgrund der damaligen Mindestlohnhöhe von 8,84 € brutto pro Stunde ein Schadenersatzbetrag in Höhe von 1555,84 Euro brutto.
Wegen der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Blatt 44 der Akte) Bezug genommen.
Mit Urteil vom 12.6.2019 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Ansprüche, auch Schadensersatzansprüche, könnten nur gegen die juristische Person und nicht auch gegen deren Geschäftsführer persönlich geltend gemacht werden.
Gegen dieses ihn am 1.7.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 30.7.2019 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und gleichzeitig begründet.
Das Arbeitsgericht habe sich nicht hinreichend mit der Rechtslage auseinandergesetzt und eine Durchgriffshaftung auf die Beklagten als Geschäftsführer nicht einmal erwogen. Eine Differenzierung zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen habe es nicht vorgenommen. Das Mindestlohngesetz diene dem Schutz von Arbeitnehmern vor unangemessen niedrigeren Löhnen. Damit habe es mindestens auch drittschützenden Charakter und diene auch dem Schutz der Arbeitnehmer. In diesem Sinne sei es Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Zwar verpflichte das Mindestlohngesetz in erster Linie den Arbeitgeber als Vertragspartner; die nicht oder nicht rechtzeitige Zahlung des Mindestlohns sei jedoch eine Ordnungswidrigkeit und nach § 9 OWiG sei bei der Handlung eines vertretungsberechtigten Organs einer juristischen Person auch auf die Person des Vertreters abzustellen. Insofern hätten die Geschäftsführer, die Beklagten, in Person selbst den Tatbestand der Verletzung eines Schutzgesetzes verwirklicht und hafteten daher direkt. Anhaltspunkte dafür, dass ihnen die Zahlung nicht möglich gewesen sei oder dass sie gerechtfertigt oder schuldlos gehandelt hätten, seien nicht vorgetragen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 12. Juni 2019, 1 Ca 66/ 18, aufzuheben und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 1.555,84 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.7.2017 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bestreiten, vorsätzlich oder auch nur fahrlässig gehandelt zu haben. Im Übrigen sind Sie der Ansicht, dass Mindestlohngesetz sei kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB und verpflichte überdies lediglich den Arbeitgeber und nicht bei juristischen Personen für diesen handelnde Organe. Wegen der Einzelheiten des Sachvortrages hierzu wird auf die Berufungsbeantwortung vom 21.9.2019 (Blatt 68-71 der Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist unbegründet, weil die Klage unbegründet ist.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Zahlung von 1.555,84 € brutto.
Ein Anspruch ergibt sich nicht aus § 611a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 273 BGB. Ein solcher vertraglicher Anspruch verpflichtet nur die Schuldnerin als Arbeitgeberin und für deren Schulden haften weder die Gesellschafter noch die Geschäftsführer, sondern nur das Gesellschaftsvermögen (§ 13 Abs. 2 GmbH-Gesetz).
Eine Haftung der Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin kommt nur in Betracht, wenn eine besondere Sie persönlich verpflichtende Haftungsgrundlage vorliegt.
Als Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagten als Gesamtschuldner kommt hier lediglich § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 1, 20, 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG in Betracht.
Die Voraussetzungen für einen solchen Schadenersatzanspruch sind hier nicht erfüllt. Die Verletzung reiner Organpflichten, welche den Geschäftsführern einer juristischen Person im Innenverhältnis obliegen, führt nicht zu einer Haftung im Außenverhältnis (dazu unten I.). Selbst bei anderer Auffassung hierzu, wäre der hier konkret eingetretene Schaden nicht vom Schutzzweck der §§ 1, 20, 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG umfasst (dazu unten II.), weshalb insoweit keine Schutzgesetzverletzung vorliegt (dazu II.1.), es jedenfalls aber an der haftungsausfüllenden Kausalität fehlt (dazu II.2). Abgesehen davon ist der Kläger darlegungspflichtig für Tatsachen, welche hier konkret die Möglichkeit der Beklagten belegt hätten, die Forderungen aus dem Gesellschaftsvermögen zu bedienen (BGH 25. 9. 2006 – II ZR 108/05 Rn 8); auf diesen Gesichtspunkt stützt die Kammer ihre Entscheidung allerdings nicht, weil der hierfür notwendige vorherige Hinweis auf die Verteilung der Darlegungslast, welche der Kläger anders sieht, unterblieben ist.
I.
Für eine Haftung der Geschäftsführer*innen einer GmbH im Außenverhältnis gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz ist danach zu differenzieren, ob die vom Schutzgesetz erfassten Verhaltenspflichten von jedermann zu beachten sind oder eine*n Geschäftsführer*in nur und gerade in dieser Eigenschaft verpflichten, denn in letzterem Falle ist die Außenhaftung noch einmal besonders zu begründen (vgl. MüKo-GmbHG/Fleischer § 43 Rn 352).
Die Haftung von GmbH Geschäftsführer*innen bei Pflichtverletzungen ist grundsätzlich in § 43 Abs. 2 GmbHG als Innenhaftung konzipiert (ähnlich MüKo-GmbhG/Fleischer § 43 GmbHG Rn 339). Die Pflichten aus der Organstellung zur ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte der Gesellschaft aus § 43 Abs. 1 GmbHG, zu denen auch die Pflicht gehört, für die Rechtmäßigkeit des Handelns der Gesellschaft Sorge zu tragen, bestehen grundsätzlich nur dieser gegenüber und lassen bei ihrer Verletzung Schadensersatzansprüche grundsätzlich nur der Gesellschaft entstehen (BAG 23.2.2016, 9 AZR 293/15, NZA 2016, 703; BGH 5.12.1989, VI ZR 335/88, NJW 1990, 976; 10.7.2012, VI ZR 341/10, NJW 2012, 3439). Auch soweit es um Pflichtverletzungen von Geschäftsführer*innen bei der Erfüllung von Pflichten geht, die die GmbH gegenüber Dritten zu erfüllen hat, trifft die Einstandspflicht hierfür gegenüber den betroffenen Dritten prinzipiell nur die Gesellschaft, nicht ihr Organ (BAG 23.2.2016, 9 AZR 293/15, NZA 2016, 703; BGH 5.12.1989, VI ZR 335/88, NUW 1990, 976).
Allerdings kommt eine persönliche Haftung von Geschäftsführer*innen in Betracht, wenn mit den Pflichten aus der Organstellung gegenüber der Gesellschaft Pflichten einhergehen, die von den Geschäftsführer*innen nicht mehr nur für die Gesellschaft als deren Organ zu erfüllen sind, sondern die sie aus besonderen Gründen persönlich gegenüber Dritten treffen (BGH 5.12.1989, VI ZR 335/88, NJW 1990, 976). Diese besonderen Gründe werden bejaht, wenn eine konkrete Gefahrenlage für das Schutzgut des*der Geschädigten besteht und der*die Geschäftsführer*in des Unternehmens für die Steuerung derjenigen Unternehmenstätigkeit verantwortlich ist, aus der sich die Gefahrenlage ergibt. Die Haftung von Geschäftsführer*innen folgt in diesen Fällen nicht aus ihrer Organstellung als solcher, sondern aus der – von der Rechtsform des Unternehmens unabhängigen – tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beherrschung einer Gefahrenlage für absolut geschützte Rechte Dritter (BGH 15.12.2015, X ZR 30/14, GRUR 2016, 257 Rn 113).
Die Pflicht als Geschäftsführer*in einer GmbH, für die Zahlung des Mindestlohns an die Arbeitnehmer*innen zu sorgen, ist in erster Linie eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Aufgrund der Organstellung ist er*sie dieser gegenüber verpflichtet, deren vertragliche und gesetzliche Verpflichtungen zu erfüllen bzw. durch sein*ihr Handeln dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft rechtmäßig handelt. Die Verpflichtung zur Entgeltzahlung als solche ist eine vertragliche Verpflichtung welche die Gesellschaft gegenüber den Arbeitnehmer*innen hat. Die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohnes ist eine gesetzliche Pflicht, welche ebenso der Gesellschaft als Arbeitgeber*in auferlegt worden ist. Umstände, welche diese Pflichten von Geschäftsführer*innen ins Außenverhältnis projizieren, sieht die Kammer nicht. Weder sind Umstände erkennbar, weshalb Geschäftsführer*innen persönliche Verantwortung für die Zahlung des Mindestlohns an Arbeitnehmer*innen haben sollen, noch weshalb diese für die Gewährleistung des Mindestlohns gegenüber den Arbeitnehmer*innen eine Art Garantenstellung haben sollen. Geschäftsführer*innen einer Gesellschaft haben tatsächlich nur eingeschränkt die Möglichkeit, eine Gefahrenlage für die Zahlung des Mindestlohns, etwa aufgrund von Liquiditätsproblemen zu vermeiden. Rechtlich mag es zu
deren Pflichten auch zu Gunsten von potentiellen Gläubiger*innen gehören, für Liquidität zu sorgen; nicht immer ist dieses tatsächlich möglich und beherrschbar. Dabei kommt es nicht darauf an, dass dies im Einzelfall so war, sondern für die allgemeine Einordnung als über Organpflichten hinausgehende persönliche auch den Arbeitnehmer*innen obliegende Pflicht kommt es auf die abstrakte Feststellung hierzu an. Im Übrigen hat der Kläger selbst in der Klageschrift dargelegt, dass es schon vor Juni 2017 zu verspäteten Lohnzahlungen in einem Maße kam, welche ihn zu der Ansicht führten, von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen zu dürfen.
Eine direkte Verpflichtung von Geschäftsführer*innen persönlich gegenüber den Arbeitnehmer*innen ergibt sich auch nicht aus der Einordnung der nicht oder nicht rechtzeitigen Zahlung des Mindestlohns als Ordnungswidrigkeit gem. § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG. Stellt sich eine Vorschrift zugunsten von Arbeitnehmer*innen als Schutzgesetz dar und ist als Ordnungswidrigkeit eingeordnet, so bedeutet dies aus Sicht der Kammer nicht unmittelbar, dass eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortung von Geschäftsführer*innen über § 9 Abs. 1 OwiG gleichzeitig eine Haftung im Außenverhältnis über § 823 Abs. 2 BGB begründet. Zur Überzeugung der Kammer besteht hier kein Gleichlauf ordnungswidrigkeitenrechtlicher und haftungsrechtlicher Verantwortlichkeit (im Ausgangspunkt anders aber im Ergebnis ähnlich MüKo-BGB/Wagner § 823 Rn 536, der eine persönliche Haftung des Vertretungsorgans darauf begrenzt, dass die Mithaftung dem Zweck des Schutzgesetzes entspricht). Soweit möglicherweise die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (13. 12. 2005 – 9 AZR 436/04 Rn 45) in einem solchen Sinne zu verstehen wäre, läge eine Divergenz vor.
Sinn von § 9 OwiG ist zur Überzeugung der Kammer die Schließung möglicher Strafbarkeitslücken und nicht die Schließung möglicher Haftungslücken. § 9 OwiG soll klarstellen und sicherstellen dass ein Pflichtverstoß ordnungswidrigkeitenrechtlich nicht folgenlos bleibt, wenn ein*e Vertretene*r nicht selbst gehandelt hat, die Ordnungswidrigkeit aber besondere persönliche Voraussetzungen verlangt, welche in der Person des*der handelnden Vertreters*in nicht vorliegen (vgl. zur Zielsetzung und Systematik der Organhaftung im Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht: KK-OWiG/Rogall OWiG § 9 Rn. 1-3). Die Schließung von Strafbarkeitslücken dient der Vermeidung unerwünschten gesellschaftlichen Handelns und nicht der Schließung individualrechtlicher Haftungslücken; individuelle Haftung ergibt sich aus dem Schutzzweck des Schutzgesetzes selbst und der sich aus der Schutznorm selbst abzuleitenden Passivlegitimation, d.h. wen das Schutzgesetz innerhalb des allgemeiner Haftungsdogmatik haftungsrechtlich als Verpflichteten ansieht (so i.E. MüKo-BGB/Wagner § 823 Rn 536).
II.
1.
Eine zum Schadenersatz verpflichtende Verletzung von §§ 1, 20, 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG als Schutzgesetz liegt nicht vor. Mit dem sächsischen LAG (17.9.2019, 1 Sa 77/19) kann davon ausgegangen werden, dass das MiLoG Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist, denn die Normen §§ 1, 20, 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG schützen mindestens auch die einzelnen Arbeitnehmer*innen vor Zahlung unangemessen niedriger Löhne (BT-Drs. 18/1558 S. 26 allgemein und speziell zum MiLoG S. 27 f.). Die Zahlungspflicht in § 20 MiLoG und die daran anknüpfende Bußgeldvorschrift § 21 MiLoG sollen ein Arbeitsentgelt in Höhe des Mindestlohns und damit angemessene Arbeitsbedingungen sicherstellen (BT-Drs. 18/1558 S. 42).
Haftung aus der Verletzung eines Schutzgesetzes ergibt sich jedoch nur, wenn das von der verletzten Person geltend gemachte Interesse spezifisch geschützt ist (BGH 30.5.1963, VII ZR 236/61, BGHZ 39, 366; Jauernig/Teichmann, BGB § 823 Rn 45; ähnlich MüKo-BGB/Wagner § 823 Rn 536, der i.E. den Schutzzweck des Schutzgesetzes auch zur Begrenzung des verpflichteten Personenkreises heranzieht). Das ist hier bei genauer Betrachtung nicht der Fall. Der Kläger macht nicht unangemessene Arbeitsbedingungen geltend, sondern beklagt Lohnausfall. Die Schutzrichtung des MiLoG ist aber nicht, vor Lohnausfall zu schützen, sondern davor, dass ein zu niedriger Lohn vereinbart und gezahlt wird. Das Mindestlohngesetz soll Schutz vor Unterschreitung einer angemessenen Lohnhöhe bieten und keinen Schutz vor Lohnausfall an sich. Spezifische Schutzrichtung ist eine Absicherung der Lohnhöhe nach unten und Sicherstellung einer angemessenen Vergütung, um Arbeitnehmer*innen zu ermöglichen, in einem Arbeitsverhältnis so zu verdienen, dass ihr Lebensunterhalt gesichert ist. Damit soll auch vermieden werden, dass subsidiäre Sozialleistungen in Anspruch genommen werden müssen. Gegen Lohnausfall an sich, etwa auch aufgrund von Insolvenzlagen, schützt hingegen das Mindestlohngesetz nicht. Zwar stellt auch mathematisch das komplette Ausbleiben einer Lohnzahlung die Unterschreitung der Mindestlohnhöhe dar. Konkret haben die Beklagten aber nicht zu wenig Lohn ausgezahlt sondern gar keinen Lohn, was von der Wertung in Bezug auf den Zweck des Gesetzes zur Überzeugung der Kammer einen Unterschied macht.
2.
Auch die haftungsausfüllende Kausalität muss über die sog, Äquivalenz – und Adäquanzformel hinaus vom Schutzzweck der Norm begrenzt werden. Damit ist eine wertende Betrachtung angebracht. Naturwissenschaftlich ist beim Kläger durch die Nichtzahlung des Entgelts für Juni 2017 der geltend gemachte Schaden eingetreten; hätten die Beklagten den Mindestlohn gezahlt, hätte er die nunmehr eingeklagte Summe erhalten. Wie bereits dargelegt ist das jedoch nicht die Schutzrichtung des MiLoG, welches nicht vor Lohnausfall an sich, sondern vor unangemessenen Arbeitsbedingungen schützen soll. Die Arbeitsbedingungen waren hier nicht unangemessen, sie wurden lediglich nicht erfüllt.
Daher kommt es nicht darauf an, ob der Kläger noch genauer hätte darlegen müssen, dass er überhaupt einen Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns im Juni 2017 hatte, denn er hat nicht gearbeitet und die Ausführungen zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechts sind unschlüssig, weil zu oberflächlich.
Es kommt auch nicht darauf an, wer darlegungspflichtig für Tatsachen ist, welche hier konkret die Möglichkeit der Beklagten belegt hätten, die Forderungen aus dem Gesellschaftsvermögen zu bedienen (BGH 25. 9. 2006 – II ZR 108/05 Rn 8).
Der Kläger trägt die Kosten seiner erfolglosen Berufung (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Die Revisionszulassung ergibt sich aus der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage sowie aus Divergenz zu LAG Sachsen Urteil vom 17.9.2019, 1 Sa 77/19, und möglicherweise zu BAG Urteil vom 13. 12. 2005 – 9 AZR 436/04 Rn 45.


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