Arbeitsrecht

Sperrzeit wegen verhaltensbedingter Arbeitgeberkündigung

Aktenzeichen  S 22 AL 167/21

Datum:
8.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 19082
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III § 159
SGB X § 20

 

Leitsatz

1. Eine Sperrzeit nach Kündigung wegen Zeiterfassungsbetrugs ist rechtswidrig, wenn die Bundesagentur den Sachverhalt pflichtwidrig nicht ermittelt hat. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem wird ein kurzer Telefonanruf beim ehemaligen Arbeitgeber zu vom Versicherten bestrittenen Tatsachen nicht gerecht. (Rn. 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Sperrzeitbescheid vom 19.04.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2021 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.

Gründe

Die Klage hat vollumfänglich Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Sperrzeitbescheid vom 19.04.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2021, mit dem die Beklagte für den Zeitraum 19.12.2020 bis 12.03.2021 das Ruhen des Arbeitslosendgeldanspruches für 12 Wochen wegen des Eintritts einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe sowie die Minderung der Anspruchsdauer um 112 Tage festgestellt hat. Weiter einbezogen ist auch der Bewilligungsbescheid vom 19.04.2021, mit dem die Beklagte für den Zeitraum (erst) ab 13.03.2021 Alg bewilligt hat. Beide Bescheide bilden eine einheitliche rechtliche Regelung (vgl. grundlegend: BSG, Urteil vom 05.08.1999, B 7 AL 14/99 R).
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 und 92 SGG). Statthafte Klageart ist die isolierte Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Klage ist begründet, weil der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Die Beklagte hat den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt und stützt die Sperrzeit alleine auf nicht näher belegte Angaben des (ehemaligen) Arbeitgebers, obwohl der Kläger den vorgeworfenen Sachverhalt bestritten hat.
Rechtsgrundlage für die Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit ist § 159 SGB III. Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit. Versicherungswidriges Verhalten liegt nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III dann vor, wenn die oder der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe). Bei einer Sperrzeit wegen verhaltensbedingter Arbeitgeberkündigung sind im Einzelfall die Umstände zu ermitteln, die die Rechtmäßigkeit dieser Kündigung stützen (Schmitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 159 SGB III, Stand: 30.12.2020, Rn. 79). Für das Vorliegen von versicherungswidrigem Verhalten ist die Beklagte beweisbelastet. Auf ein Bestreiten kommt es indes nicht an, die Beklagte hat von Amts wegen die Voraussetzungen von § 159 SGB III zu ermitteln. Es geht zu Lasten der Beklagten, wenn sich nach Erschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen die für die Rechtfertigung der Kündigung erheblichen Tatsachen nicht aufklären lassen (BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, Rn. 107). Nach § 20 Abs. 1 und Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.
Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen konnte die Beklagte bei Bescheiderlass nicht davon ausgehen, dass sich der Kläger versicherungswidrig verhalten hat, weil sie die zugrundeliegenden Tatsachen nicht ausreichend ermittelt hat.
Aus der vorgelegten Arbeitslosengeldakte ergibt sich, dass der ehemalige Arbeitgeber am 16.04.2021 den Kündigungsgrund lediglich mit einem „Zweizeiler“ mitgeteilt hat. Weitere Ermittlungen hat die Beklagte vor Erlass des Ausgangsbescheides unterlassen. Den Kläger hat sie gefragt, wie der Arbeitsgerichtsprozess ausgegangen sei. Nachdem er angegeben hatte, dass noch keine Entscheidung vorliege, hat man – ohne irgendwelche Nachweise in der Akte zu haben – den Angaben des Arbeitgebers geglaubt und einen Sperrzeitbescheid erlassen. Im Widerspruchsverfahren hat der Kläger das ihm vorgeworfene versicherungswidrige Verhalten sodann ausdrücklich bestritten. Die Beklagte wendet zwar ein, dass dies nicht der Fall sei. Dem kann das Gericht allerdings nicht folgen. Zum einen liegt schon in der Erhebung des Widerspruchs gegen den Sperrzeitbescheid sowie in der Erhebung der Kündigungsschutzklage konkludent ein Bestreiten des zugrundeliegenden Kündigungssachverhalts. Zum anderen hat der Kläger im Widerspruchsschreiben ausdrücklich und unmissverständlich deutlich gemacht, dass man ihm seiner Meinung nach zu Unrecht Arbeitszeitbetrug vorwerfe. Die Beklagte hätte daraufhin im Widerspruchsverfahren den Sachverhalt weiter aufklären müssen, insbesondere auch den Kläger zur Stellungnahme und ggf. Vorlage von Unterlagen auffordern müssen. Der kurze Telefonanruf beim (ehemaligen) Arbeitgeber am 27.04.2021 war jedenfalls nicht geeignet, die vom Kläger bestrittenen Tatsachen zu untermauern. So hat dieser – was zu erwarten war – seine zuvor gemachten schriftlichen Ausführungen mündlich noch einmal bestätigt. Nachweise, die seine Angaben belegen, hat die Beklagte jedoch auch im Widerspruchsverfahren nicht angefordert, obwohl der Arbeitgeber sogar ausdrücklich angegeben hatte, dass es zu dem angeblichen Arbeitszeitbetrug Unterlagen (Arbeitszeitkonten etc.) und Schriftverkehr mit einem beauftragten Rechtsanwalt gebe. Die Beklagte hat Umstände, die für den Kläger günstig sind (§ 20 Abs. 2 SGB X), schon gar nicht ermittelt.
Das versicherungswidrige Verhalten des Klägers war im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung demzufolge nicht nachgewiesen. Es standen sich allenfalls die schlichten Aussagen des Arbeitgebers und des Klägers gegenüber – jeweils ohne durch irgendetwas Schriftliches belegt zu sein. Die beweisbelastete Beklagte hätte in dieser verwaltungsprozessualen Lage zu Gunsten des Klägers davon ausgehen müssen, dass ein versicherungswidriges Verhalten nicht nachgewiesen ist.
Demzufolge war der angegriffene Sperrzeitbescheid rechtswidrig und aufzuheben (vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 20 SGB X, Stand: 11.05.2021, Rn. 43.2 und Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. Juni 2020 – L 7 KA 22/16, juris-Rn. 48). Das Gericht hatte die versäumten Ermittlungen der Beklagten nicht im Rahmen des Klageverfahrens nachzuholen, weil es bei der isolierten Anfechtungsklage auf die Rechtmäßigkeit im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung und nicht – wie bei der Leistungsklage – auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt (Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 54 SGG, Stand: 30.06.2020, Rn. 49).
Im Ergebnis war die Klage somit erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gegen dieses Urteil findet gemäß § 143 SGG die Berufung an das Bayerische Landessozialgericht nach Maßgabe der beigefügten Rechtsmittelbelehrungstatt.


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