Arbeitsrecht

Tarifliche Stufenzuordnung – stufengleiche Höhergruppierung – Überleitung

Aktenzeichen  2 Sa 47/19

Datum:
2.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landesarbeitsgericht 2. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LAGTH:2021:1202.2SA47.19.00
Normen:
§ 17 Abs 4 TVöD
§ 29a TVÜ-VKA
§ 29b TVÜ-VKA
Spruchkörper:
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Verfahrensgang

vorgehend ArbG Suhl, 14. Dezember 2018, 3 Ca 180/18, Urteil

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 14.12.2018 – 3 Ca 180/18 – wir auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die tarifliche Stufenzuordnung des Klägers.
Der Kläger wurde zum 01.02.2007 als Sachbearbeiter Sozialhilfe/Systemverantwortung bei der Beklagten eingestellt. Ab dem 01.08.2007 war er als Sachbearbeiter zentraler Ermittlungsdienst (Änderungsvertrag vom 21.06.2007, Bl. 9 d. A.) mit einer Vergütung nach Entgeltgruppe 6 Stufe 2 TVöD beschäftigt. Die Beklagte übertrug dem Kläger ab 01.09.2008 zusätzliche Aufgaben für das Jobcenter, was mit einer Höhergruppierung nach BAT-O und gemäß § 17 Abs. 7 TVÜ-VKA einer Zuordnung zu einer höheren Entgeltgruppe, der Entgeltgruppe 8 Stufe 2 TVöD, verbunden war. Die Beklagte nahm die Höhergruppierung jedoch erst zum 01.03.2009 (Änderungsvertrag vom 11.09.2009, Bl. 11 d. A.) vor. Zum 01.01.2017 trat die Entgeltordnung (VKA) als Anlage 1 zum TVöD in Kraft. Der Kläger erhielt zu diesem Zeitpunkt Vergütung nach Entgeltgruppe 8 Stufe 4 TVöD i.H.v. 2.974,36 € brutto. Er wurde auf seinen Antrag vom 11.08.2017 nach § 29b TVÜ-VKA mit Wirkung zum 01.01.2017 in Entgeltgruppe 9a TVöD-VKA, die sich bei gleichbleibender Tätigkeit nach Inkrafttreten der neuen Entgeltordnung (§ 12 TVöD-VKA) zutreffend ergab, höhergruppiert und nach § 29b Abs. 2 TVÜ-VKA i.V.m. § 17 Abs. 4 TVöD i. d. F. bis zum 28.02.2017 (Zuordnung zu der Stufe mit mindestens dem bisherigen Tabellenentgelt) Stufe 3 mit einer Vergütung i.H.v. 3.071,16 € brutto zugeordnet.
Seit dem 01.03.2017 sieht § 17 Abs. 4 TVöD (nF) die Mitnahme der bisherigen Stufe bei Höhergruppierungen vor.
Der Kläger hat mit der am 14.02.2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Feststellungsklage Vergütung nach Entgeltgruppe 9a Stufe 4 TVöD-VKA geltend gemacht. Er begehrt eine stufengleiche Höhergruppierung gemäß § 17 Abs. 4 TVöD in der ab 01.03.2017 geltenden Fassung.
Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 129 ff. d. A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, die sich aus der ab 01.03.2017 geltenden stufengleichen Höhergruppierung ergebende Schlechterstellung der zuvor höhergruppierten Arbeitnehmer verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und führe nicht zur Unwirksamkeit der tariflichen Norm. Die Arbeitnehmer, die bei gleichbleibender Tätigkeit nach § 29b TVÜ-VKA i.V.m. § 17 Abs. 4 TVöD in der bis zum 28.02.2017 geltenden Fassung höhergruppiert worden seien, seien nicht
mit den Arbeitnehmern, deren Höhergruppierung auf Grund der Übertragung einer neuen Tätigkeit erfolgt sei, vergleichbar.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 129 ff. d. A.) verwiesen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 02.01.2019 zugestellte Urteil am 30.01.2019 Berufung eingelegt und die Berufung begründet. Er ist der Auffassung, ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liege vor, da Höhergruppierungen bereits beschäftigter Arbeitnehmer ab dem Stichtag 01.03.2017 von der Stufenzuordnung her wesentlich anders behandelt würden. Ein sachlicher Grund hierfür sei nicht denkbar. Die Akquise von neuen Arbeitnehmern komme nicht in Betracht, da es sich um bereits beschäftigte Arbeitnehmer handle. Nach § 17 Abs. 4 TVöD nF sollten nach dem Stichtag sowohl Höhergruppierungen bei gleichbleibender Beschäftigung auf demselben Arbeitsplatz, als auch Höhergruppierungen nach Übertragung einer anderen Tätigkeit gleich behandelt werden. Das gelte auch für Höhergruppierungen im Rahmen der Überleitung.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Suhl vom 14.12.2018, Az. 3 Ca 180/18, wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.01.2017 Vergütung gem. Entgeltgruppe 9a Stufe 4 TVöD-AT, Anlage 1 Entgeltordnung (VKA) Bereich 3, Entgeltgruppen 2 – 12 (Büro-, Buchhalterei -, sonstige Innendienst und Außendienst) zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus den jeweils rückständigen Bruttodifferenzbeträgen zwischen den Entgeltgruppen 9a Stufe 4 und Stufe 3 für die Monate Januar 2017 bis einschließlich Dezember 2017 und für die Monate ab Januar 2018 ab dem ersten der jeweiligen Folgemonate zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf den Inhalt der im Berufungsrechtszug zur Akte gereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes an sich statthafte, form- sowie fristgerecht
eingelegte und damit insgesamt zulässige Berufung ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das Arbeitsgericht hat die Klage zurecht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe 9a Stufe 4 TVöD-VKA ab dem 01.01.2017.
I. Ein solcher Anspruch lässt sich nicht aus den Regelungen des unstreitig auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden TVöD herleiten. Der Kläger wurde zutreffend von Entgeltgruppe 6 in Entgeltgruppe 8 Stufe 2 TVöD-VKA höhergruppiert. Dabei ist unerheblich, dass die Beklagte die Höhergruppierung unzutreffender Weise erst zum 01.03.2009 und nicht bereits zum 01.08.2008 vornahm, denn in beiden Fällen war der Kläger zum hier maßgeblichen Zeitpunkt 01.01.2017 Stufe 4 der Entgeltgruppe 8 zuzuordnen.
II. Der Kläger wurde zutreffend zum 01.01.2017 in Entgeltgruppe 9a TVöD-VKA höhergruppiert und Stufe 3 zugeordnet.
1. Die neue Entgeltordnung trat zum 01.01.2017 in Kraft. Die Überleitung der Beschäftigten in die Entgeltordnung erfolgte gem. § 29a Abs. 1 Satz 1 TVöD-VKA unter Beibehaltung der Eingruppierung, die sich aus den von der Entgeltordnung abgelösten Vergütungssystemen nach dem Grundsatz der Tarifautomatik ergaben. Diese blieben grundsätzlich auch dann maßgeblich, wenn die unverändert ausgeübte Tätigkeit in der neuen Entgeltordnung anders bewertet war. Die §§ 29a ff. TVÜ-VKA setzten nur mit Wirkung für die Zukunft die Tarifautomatik außer Kraft, die erst durch eine Änderung der Tätigkeit oder einen fristgerecht gestellten Höhergruppierungsantrag nach § 29b Abs. 1 TVÜ-VKA wiederhergestellt wurde. Für die vorhandenen Beschäftigten sollten durch die neue Entgeltordnung keine Veränderungen, insbesondere keine Verschlechterungen eintreten (BAG 25. März 2021 -6 AZR 41/20 – ZTR 2021, 329 – 332 mwN). Die Stufenzuordnung in der höheren Entgeltgruppe richtete sich gem. § 29b Abs. 2 TVÜ-VKA nach den Regelungen für Höhergruppierungen und damit nach § 17 Abs. 4 TVöD in der bis zum 28.02.2017 geltenden Fassung, der eine sogenannte betragsmäßige Höhergruppierung vorsieht.
2. Der Kläger wurde hiernach auf seinen Antrag vom 11.08.2017 zum 01.01.2017 bei unveränderter Tätigkeit in Entgeltgruppe 9a höhergruppiert. Die Stufenzuordnung erfolgte nach § 17 Abs. 4 TVöD in der bis zum 28.02.2017 geltenden Fassung zutreffend zu Stufe 3.
III. § 17 Abs. 4 TVöD-AT nF, der eine stufengleiche Höhergruppierung vorsieht, kommt nicht
zur Anwendung. Die Neuregelung trat gem. § 3 i.V.m. § 4 des Änderungstarifvertrages Nr. 12 zum TVöD vom 29.04.2016 erst zum 01.03.2017 in Kraft. Seitdem wurde der Kläger nicht höhergruppiert. Eine Rückwirkung der mit § 17 Abs. 4 TVöD-AT nF eingeführten stufengleichen Höhergruppierung haben die Tarifvertragsparteien nicht vorgesehen.
IV. Die Beschränkung des Anspruchs auf stufengleiche Höhergruppierung auf Höhergruppierungen ab dem Inkrafttreten der Neuregelung verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dies gilt auch bei Berücksichtigung des Umstands, dass es zu einer Besserstellung der von § 17 Abs. 4 TVöD-AT nF erfassten Beschäftigten gegenüber denjenigen kommen kann, die bereits vor dem 1. März 2017 höhergruppiert wurden.
1. Die Tarifvertragsparteien als Normgeber sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Ihnen steht aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Darüber hinaus verfügen sie über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt (BAG 19. Dezember 2019 – 6 AZR 59/19 – BB 2020, 1215-1216 mwN).
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen verstößt die hier bezüglich des Inkrafttretens von § 17 Abs. 4 TVöD-AT nF gewählte Stichtagsregelung nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
a) Stichtagsregelungen sind „Typisierungen in der Zeit“. Obwohl jeder Stichtag unvermeidlich Härte mit sich bringt, sind solche Regelungen aus Gründen der Praktikabilität zur Abgrenzung der begünstigten Personenkreise grundsätzlich zulässig, wenn sich die Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiert und demnach sachlich vertretbar ist. Stellen Tarifvertragsparteien ein Vergütungssystem, hier die Regelungen für eine Stufenzuordnung nach Höher- oder Herabgruppierungen, um, dann ist dafür ein Stichtag unabdingbar. Einen solchen Stichtag dürfen die Tarifvertragsparteien in den Grenzen des Vertrauensschutzes frei aushandeln und auch autonom bestimmen, für welche Personenkreise und ab welchem Zeitpunkt es Übergangs- oder Besitzstandsregelungen geben soll. Im Ergebnis ist bei solchen Stichtagsregelungen lediglich eine Willkürkontrolle durchzuführen. Dies entspricht dem stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (BAG
19. Dezember 2019 – 6 AZR 59/19 – aaO, mwN).
b) Willkür ist hier offenkundig nicht ersichtlich. Die Neufassung des § 17 Abs. 4 TVöD-AT
wurde mit Änderungstarifvertrag Nr. 12 zum TVöD zum 29.04.2016 vereinbart. Auf Grundlage dieses Tarifvertrages traten Änderungen des TVöD-VKA zum 01.01.2017, zum 01.02.2017 und zum 01.03.2017 in Kraft. Die Geltung des neugefassten § 17 Abs. 4 TVöD-AT ab dem 01.03.2017 ist dabei Teil eines tariflichen Gesamtkompromisses im Rahmen der Neustrukturierung des Vergütungssystems mit einer Umstellung der für die Stufenzuordnung nach einer Höhergruppierung geltenden Regelungen sowie der Einführung einer neuen Entgeltordnung, die zahlreiche Höherbewertungen von Stellen vorsah, zum 01.01.2017. Mit den §§ 29a und 29b TVÜ-VKA wurde ein spezifisches Überleitungsrecht geschaffen, welches in § 29b Abs. 2 Satz 1 TVÜ-VKA auf § 17 Abs. 4 TVöD-AT aF Bezug nimmt. Hinsichtlich der Einführung der stufengleichen Höhergruppierung wurde der Einschnitt für Beschäftigte, deren Höhergruppierung kurz vor dem Stichtag 01.03.2017 erfolgte, durch eine nochmalige Erhöhung des Garantiebetrags zum 01.02.2017 abgemildert. Dies verdeutlicht, dass die Tarifvertragsparteien den Stichtag nicht willkürlich gewählt haben, sondern ein ausgewogenes Gesamtkonzept vor Augen hatten. Die ausschließlich zukunftsbezogene Umstellung der Regelungen der Stufenzuordnung nach einer Höhergruppierung ist als Teil des gefundenen Gesamtkompromisses daher rechtlich nicht zu beanstanden (BAG 19. Dezember 2019 – 6 AZR 59/19 aaO).
Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Die Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


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