Arbeitsrecht

Tarifliches Härtegeld – Auslegung eines Haustarifvertrags

Aktenzeichen  10 AZR 196/19

Datum:
24.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2021:240321.U.10AZR196.19.0
Normen:
§ 271 BGB
§ 362 Abs 1 BGB
§ 19 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG
§ 19 Abs 1 S 2 EStG
§ 38a Abs 1 S 3 EStG
§ 23a Abs 1 S 1 SGB 4
§ 64 Abs 6 S 1 ArbGG
§ 308 Abs 1 S 1 ZPO
§ 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO
§ 1 TVG
Spruchkörper:
10. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Würzburg, 19. Februar 2018, Az: 3 Ca 749/17, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Nürnberg, 15. März 2019, Az: 8 Sa 303/18, Urteil

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 15. März 2019 – 8 Sa 303/18 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über ein Härtegeld für die Kalenderjahre 2016 und 2017.
2
Die Beklagte produziert in ihrem Betrieb in Gerolzhofen Teiglinge für sog. Gipfelhörnchen. Der Kläger arbeitet dort seit 1997 in Vollzeit. Er ist Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
3
Bis 2005 zahlte die Beklagte an ihre Arbeitnehmer nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit ein Jubiläumsgeld. Am 13. Juni 2005 schlossen die Beklagte und die NGG den Tarifvertrag zur 7-Tage-Woche in der Gipfelabteilung BA II (Sonder-TV 2005). § 3 Abs. 5 Sonder-TV 2005 sah vor, dass als „Ausgleich für die 7-Tage-Woche … alle Arbeitnehmer … der Gipfelabteilung BA II … eine Zeitgutschrift von 2 Stunden pro Woche auf das Arbeitszeitkonto gutgeschrieben“ erhalten. Im Ergänzungstarifvertrag zum Sondertarifvertrag vom 13. Juni 2005 für die Beschäftigten in der Firma Hiestand Deutschland GmbH in 97447 Gerolzhofen vom 22. Juni 2007 (Erg.-TV 2007) vereinbarten die Beklagte und die NGG die Voraussetzungen für die Fortführung des 7-Tage-Betriebs ab dem 1. Juli 2007. § 3 Buchst. d Erg.-TV 2007 lautete:
        
„Rückwirkend für die Jahre 2005/2006/2007 und mind. für die Laufzeit des 7-Tage-Betriebes wird für alle Beschäftigten des Betriebes ein Härtegeld in Höhe von 600,00 Euro bezahlt. …“
4
Das tarifliche Härtegeld wurde rückwirkend seit dem Jahr 2006 jeweils als Jubiläumszuwendung geleistet, wenn eine zehnjährige Betriebszugehörigkeit erreicht war. Der Kläger erhielt die Zahlung aus diesem Anlass im Jahr 2007.
5
Am 1. Oktober 2008 trat der unter anderem zwischen der Beklagten und der NGG abgeschlossene Haus-Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Firma Hiestand Deutschland GmbH und Hiestand Holding Beteiligungsgesellschaft GmbH & Co. KG in 97447 Gerolzhofen (HMTV) in Kraft. Er enthält auszugsweise die Regelungen:
        
„§ 3 Arbeitszeit
        
…       
        
        
3.    
Die wöchentliche Arbeitszeit ist im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten so zu verteilen, dass zwei Tage der Kalenderwoche arbeitsfrei bleiben (5-Tage-Woche). …
        
        
        
        
§ 6 Allgemeine Entgeltgrundsätze
        
…       
        
        
5.    
Das Arbeitsentgelt wird monatlich bargeldlos zum Anfang des Folgemonats, jedoch spätestens am 5. Arbeitstag des Folgemonats vom Arbeitgeber überwiesen.
        
…       
        
        
§ 10 Jahressonderzuwendung
        
1.    
Die Arbeitnehmer und die Auszubildenden, die per 30.06.05 ein Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen haben, erhalten mit der November-Abrechnung des jeweiligen Kalenderjahres eine Weihnachtsgratifikation als Jahressondervergütung, …“
6
Der von denselben Parteien „in Ergänzung“ zum HMTV abgeschlossene Flexi-Tarifvertrag zur 7-Tage-Woche vom 20. Juli 2012 (Flexi-TV 2012) sah in § 2 Buchst. d vor:
        
„Für die Laufzeit des 7-Tage-Betriebes wird für alle Beschäftigten des Betriebes ein Härtegeld i. H. von 600,- Euro brutto als Einmalzahlung mit der Jahressonderzahlung bezahlt. Teilzeitbeschäftigte erhalten diesen Betrag anteilig. Laufende Rechtsansprüche bleiben hiervon unberührt. Die Bedingungen, die für den Erhalt der Sonderzahlung (Härtegeld) maßgeblich sind, werden zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat einvernehmlich festgelegt.“
7
Am 11. September 2015 vereinbarten die Beklagte, die Hiestand Beteiligungsholding AG (CH) & Co. KG und die NGG den Flexi-Tarifvertrag zur 7-Tage-Woche (Flexi-TV 2015). Darin heißt es ua.:
        
„§ 1 Arbeitszeiten
        
…       
        
        
2)    
Als Ausgleich für die 7-Tage-Woche erhalten alle Arbeitnehmer eine Zeitgutschrift von 2 Stunden pro Woche auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben, wenn im 7-Tage-Rhythmus (18, 19, 21 Schichten) gearbeitet wird. …
        
…       
        
        
§ 2 Weiterführung 7-Tage-Betrieb
        
a.    
Zusätzlich werden für alle Beschäftigten im 7-Tage-Rhythmus gemäß dieses Geltungsbereiches zwei zusätzliche Urlaubstage pro Jahr der Laufzeit gewährt.
        
b.    
Unabhängig von den in Absatz a) erwähnten Urlaubstagen erhalten die Beschäftigten bei einem durchgängigen 6-monatigen Einsatz im 7-Tage-Rhythmus jeweils einen zusätzlichen Guttag gutgeschrieben, bei durchgängigem 12-monatigen Einsatz höchstens jedoch zwei Guttage pro Kalenderjahr.
        
c.    
Für die Laufzeit des 7-Tage-Betriebes wird für alle Beschäftigten des Betriebes ein Härtegeld i. H. von 600,- Euro brutto als Einmalzahlung mit der Jahressonderzahlung bezahlt. Teilzeitbeschäftigte erhalten diesen Betrag anteilig. Laufende Rechtsansprüche bleiben hiervon unberührt. Die Bedingungen, die für den Erhalt der Sonderzahlung (Härtegeld) maßgeblich sind, werden zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat einvernehmlich festgelegt.
        
        
        
        
§ 3 Tankgutscheine
        
a.    
Für alle Beschäftigten wird für jeden gearbeiteten Samstag ein steuerfreier Tankgutschein i. H. von 25,- Euro gezahlt. … Für die sich im 7-Tage-Betrieb befindlichen Beschäftigten gilt während der 7-Tage-Zeit ein maximaler Anspruch von einem Gutschein pro 4-Wochenblock im 7-Tage-Betrieb. …
        
…       
        
        
§ 7 Ampelkonto
        
Spätestens bis zum 31.10.2015 ist mit dem Betriebsrat nach § 87 BetrVG ein Ampelkonto zu vereinbaren. Besteht keine Einigung, ist der Tarifvertrag nicht anwendbar. Danach werden innerhalb von 14 Tagen die Tarifvertragsparteien angerufen, um eine einvernehmliche Lösung zu finden.“
8
Am 29. Dezember 2016 schlossen die Betriebsparteien die Betriebsvereinbarung zu den Bedingungen der Härtegeldzahlung gemäß § 2 c Flexi-TV (BV 2016). Darin ist geregelt:
        
„§ 1   
        
Gegenstand der Betriebsvereinbarung
        
…       
        
        
(2)     
Die für den Erhalt der Sonderzahlung maßgeblichen Bedingungen werden gemäß § 2 c Satz 4 Flexi-TV mit dieser Betriebsvereinbarung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat einvernehmlich geregelt. …
        
…       
        
        
§ 2     
        
Höhe der Sonderzahlung
        
(1)     
Die Sonderzahlung in Höhe von EUR 600 brutto wird jeweils bei Erreichung einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit nach Vollzeittätigkeit von 10, 20, 25 und 30 Jahren gezahlt.
        
…       
        
        
§ 3     
        
Fälligkeit der Sonderzahlung
        
(1)     
Die Sonderzahlung wird als Einmalzahlung mit der Jahressonderzahlung, also derzeit mit dem Gehaltslauf für denjenigen Monat November gezahlt, der der Vollendung der entsprechenden Betriebszugehörigkeit nachfolgt. …“
9
Am 17. Januar 2017 schlossen die Beklagte, die Hiestand Beteiligungsholding AG (CH) & Co. KG und die NGG den Ergänzungstarifvertrag Nr. 1 zum Flexi-Tarifvertrag zur 7-Tage-Woche (Flexi-TV) vom 11. September 2015 (Erg.-TV 2017) ab. Darin heißt es auszugsweise:
        
„§ 3   
        
Flexi-TV
        
Dieser Ergänzungstarifvertrag stellt die einvernehmliche Lösung der Tarifvertragsparteien iSd § 7 Flexi-TV dar. Die Tarifvertragsparteien kommen überein, dass der Flexi-TV ab dem 01.04.2016 in Kraft tritt und anwendbar ist.
        
§ 4     
        
Schlussbestimmungen
        
Dieser Ergänzungstarifvertrag tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Er kann mit einer Frist von 2 Monaten, erstmals zum 31.12.2018, gekündigt werden.“
10
Am Tag darauf unterzeichneten die Betriebsparteien die Betriebsvereinbarung Arbeitszeitkonto & Sonderurlaubskonto (BV 2017). Die Präambel lautet:
        
„Die Tarifvertragsparteien haben im Flexi-Tarifvertrag zur 7-Tage-Woche vom 11.09.2015 (Flexi-TV) sowie im Ergänzungstarifvertrag zum Flexi-TV die verpflichtende Einführung eines ampelgesteuerten Arbeitszeitkontos und eines Sonderurlaubskontos durch die Betriebsparteien vorgesehen. Die Betriebsvereinbarung stellt die Umsetzung dieser tariflichen Verpflichtung dar.“
11
Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 27. Februar 2017 auf, an ihn das Härtegeld 2016 iHv. 600,00 Euro nach § 2 Buchst. c Flexi-TV 2015 zu zahlen. Im November 2017 erhielt er für seine 20-jährige Betriebszugehörigkeit eine Sonderzahlung iHv. 600,00 Euro. Sie wurde als Jubiläumszuwendung abgerechnet. Nach der übereinstimmenden Erklärung der Parteien in der Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 15. März 2019 handelte es sich dabei um das tarifliche Härtegeld.
12
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe das tarifliche Härtegeld in jedem Kalenderjahr zu. Dies folge aus der Verknüpfung „mit der Jahressonderzahlung“ und daraus, dass das Härtegeld die mit dem 7-Tage-Betrieb einhergehenden Belastungen ausgleichen solle. Die BV 2016 sei unwirksam, weil sie das Härtegeld tarifvertragswidrig zur Jubiläumszuwendung verkläre.
13
Der Kläger hat zuletzt – soweit für die Revision von Interesse – beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 600,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2016 zu zahlen;
        
2.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 600,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2017 zu zahlen.
14
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, das Härtegeld nach § 2 Buchst. c Flexi-TV 2015 sei nur einmal während der Laufzeit des 7-Tage-Betriebs zu zahlen. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang der Tarifregelung mit § 2 Buchst. a und Buchst. b Flexi-TV 2015. Die Verknüpfung des Härtegeldes mit der Jahressonderzahlung sei lediglich als Fälligkeitsbestimmung zu verstehen. Das erstmals im Erg.-TV 2007 geregelte Härtegeld habe die bis 2005 ohne tarifliche Grundlage gezahlte Jubiläumszuwendung ersetzt. Daher seien die Tarifvertragsparteien ebenso wie schon bei der wortgleichen Vorgängerregelung in § 2 Buchst. d Flexi-TV 2012 definitiv von einer Einmalzahlung ausgegangen.
15
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers nach Einholung einer schriftlichen Tarifauskunft zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Zahlungsanträge weiter.


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