Arbeitsrecht

Unzulässige Differenzierung im Stundenlohn

Aktenzeichen  10 Sa 582/21

Datum:
19.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5556
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
TzBfG § 4 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Differenzierung im Stundenlohn (€ 17 / € 12) zwischen “hauptamtlichen” (Voll- und Teil-zeit) und “nebenamtlichen” Beschäftigten (geringfügige Beschäftigung) im Rettungsduienst ist nicht sachlich gerechtfertigt.Die Tatsache, dass die “hauptamtlich” Beschäftigten von der Arbeitgeberin in den Dienstplan eingeteilt werden und die “nebenamtlich” Beschäftigten mit-teilen, welche angebotenen Dienst sie übernehmen bzw. wann sie Zeit haben, rechtfertigt die unterschiedliche Bezahlung nicht, da hierfür keine objektiven Gründe gegeben sind, die ei-nem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen, zur Zielerreichung geeignet und erfor-derlich sind und die Unterscheidung nicht dem Zweck der Leistung entspricht.

Verfahrensgang

36 Ca 9963/20 2021-07-28 Urt ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 28.07.2021, Az. 36 Ca 9963/20 wird abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.732,32 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.09.2020 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 238,73 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sei 01.01.2021 zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 489,83 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.03.2021 zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 825,00 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.06.2021 zu zahlen.
6. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits.
7. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf einen Stundenlohn von € 17,00 brutto.
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).II.
Die Berufung ist jedoch begründet. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ist die Klage begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Bezahlung eines Stundenlohns von € 17,00 brutto und damit auf die eingeklagte Differenzvergütung.
1. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf einen Stundenlohn von € 17,00 brutto ergibt sich als übliche Vergütung (§ 612 Abs. 2 BGB) entsprechend den Regeln, die die Beklagte für ihre vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer anwendet. Die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien über die niedrigere Stundenvergütung ist wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 TzBfG nach § 134 BGB nichtig. Die Praxis der Beklagten, teilzeit- und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, die von der Beklagten zur Arbeitsleistung eingeteilt werden, einen Stundenlohn von € 17,00 zu zahlen, während den von der Beklagten nicht zur Arbeitsleistung eingeteilten Arbeitnehmern wie dem Kläger nur ein Stundenlohn von € 12,00 gezahlt wird, verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG.
a) Nach dieser Bestimmung darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teil zeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Auch tarifliche Regelungen müssen mit § 4 TzBfG vereinbar sein. Die in dieser Vorschrift geregelten Diskriminierungsverbote stehen gemäß § 22 TzBfG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien (BAG, 10. Februar 2015, 9 AZR 53/14 (F), Rn. 16 m.w.N, juris).
b) Eine Ungleichbehandlung wegen der Teilzeitarbeit liegt vor, wenn die Dauer der Ar beitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft. § 4 TzBfG schützt dabei vor einer unmittelbaren Benachteiligung ebenso wie vor einer mittelbaren. Die unterschiedliche Behandlung einer Gruppe teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer gegenüber den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern entfällt nicht dadurch, dass der Arbeitgeber eine andere Gruppe teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer nicht benachteiligt (BAG, 19.01.2016, 9 AZR, 564/14, Rn. 15, juris).
Das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG betrifft nach dem Wortlaut dieser Bestimmung das Verhältnis von teilzeitzu vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern. Das Verbot gilt allerdings auch dann, wenn teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer untereinander unterschiedlich behandelt werden, sofern eine Gruppe der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer wie vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer behandelt und die andere Gruppe der Teilzeitbeschäftigten von einzelnen Leistungen ausgeschlossen wird. Die unterschiedliche Behandlung einer Gruppe teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer gegenüber den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern entfällt nicht, weil der Arbeitgeber eine bestimmte Gruppe Teilzeitbeschäftigter nicht benachteiligt. Verglichen werden damit nicht die unterschiedlichen Gruppen Teilzeitbeschäftigter, sondern eine bestimmte Personengruppe teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer mit Vollzeitbeschäftigten (BAG, 25.04.2007, 6 AZR 746/06, Rn. 22, juris).
c) Daran gemessen liegt eine Ungleichbehandlung wegen der Teilzeitarbeit vor.
Zwar differenziert die Beklagte hinsichtlich der Höhe des von ihr gezahlten Stundenlohnes nicht zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten. Sie differenziert vielmehr zwischen einer Beschäftigungsgruppe, die sie als „hauptamtlich“ und einer Beschäftigungsgruppe, die sie als „nebenamtlich“ bezeichnet. Die „hauptamtlich“ Beschäftigten, die entweder in Vollzeit oder in Teilzeit tätig sind, werden von der Beklagten in ihre Dienstpläne eingeteilt. Die „nebenamtlich“ Beschäftigten, i.d.R. geringfügig Beschäftigte, teilen sich selbst ein. Dass es bei der Beklagten auch Vollzeitbeschäftigte gibt, die nicht von der Beklagten in die Dienstpläne eingeteilt werden, behauptet auch die Beklagte nicht. Die Beklagte vergütet somit die Arbeitnehmergruppe der „nebenamtlich“ Teilzeitbeschäftigten anders als die Arbeitnehmergruppe der Vollzeitbeschäftigten. Somit liegt eine unterschiedliche Behandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten vor, der den Anwendungsbereich von § 4 Abs. 1 TzBfG eröffnet. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Beklagte hinsichtlich des unterschiedlichen Stundenlohns nicht direkt an das Kriterium der Arbeitszeit anknüpft. Es liegt jedenfalls eine mittelbare Anknüpfung vor, da die Praxis der „Nichteinteilung“ lediglich bei den „nebenamtlich“ Teilzeitbeschäftigten d. h. bei geringfügig Beschäftigten angewandt wird.
d) Diese Ungleichbehandlung ist nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt.
aa) Eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeitbeschäftigten kann nur gerechtfertigt sein, wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lässt (BAG, 24.09.2003, 10 AZR 675/02, Rn. 43, juris). Allein das unterschiedliche Arbeitspensum rechtfertigt die unterschiedliche Behandlung nicht. Die Sachgründe müssen anderer Art sein, etwa auf Arbeitsleistung, Kommunikation, Berufserfahrung, unterschiedlichen Arbeitsplatzanforderungen oder der „sozialen Lage“ beruhen (BAG, 25.10.1994, 3 AZR 149/94, Rn. 31, juris). Die getroffene Unterscheidung muss auch dem Zweck der jeweiligen Leistung entsprechen (a.a.O. Rn. 37). Die Ungleichbehandlung ist nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn hierfür objektive Gründe gegeben sind, die einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen und für die Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind. Geeignet ist eine Maßnahme, wenn mit ihr das angestrebte Ziel erreicht werden kann. Sie ist erforderlich, wenn sie das mildeste Mittel zur Zielerreichung darstellt, also kein anderes, gleich wirksames Mittel zur Verfügung steht, das gar nicht oder weniger nachteilig für die benachteiligte Arbeitnehmergruppe wäre.
bb) Unstreitig unterscheidet sich die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit nicht von der, die die „hauptamtlich“ beschäftigten Rettungsassistenten ausüben. Die Art der Tätigkeit ist somit nicht geeignet den unterschiedlichen Stundenlohn zu rechtfertigen.
cc) Auch die Tatsache, dass der Kläger im Gegensatz zu den „hauptamtlich“ Beschäftigten nicht von der Beklagten zur Arbeit eingeteilt wird, sondern selbst mitteilt welche von der Beklagten angebotenen Dienste er übernimmt bzw. Wunschtermine benennt, ist nicht geeignet den unterschiedlichen Stundenlohn zu rechtfertigen, da hierfür keine objektiven Gründe gegeben sind, die einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen, zur Zielerreichung geeignet und erforderlich sind und die Unterscheidung nicht dem Zweck der Leistung entspricht.
Die Beklagte führt hier aus, durch die Einteilung der „hauptamtlich“ Beschäftigten entstehe für sie eine größere Planungssicherheit und ein deutlich geringerer Planungsaufwand. Beides sei wichtig, insbesondere da die Beklagte eine „staatliche Vorhalteverpflichtung“ habe und daher die Dienste besetzen müsse. Um dieses Ziel zu erreichen, um kurzfristige Ausfälle zu kompensieren und um den Arbeitnehmern eine Flexibilität in ihrer Arbeitsleistung zu geben, sei von der Beklagten die Wahlmöglichkeit geschaffen worden zwischen einer Diensteinteilung durch die Arbeitgeberin verknüpft mit einem höheren Stundenlohn und dem Modell „freie Dienstwahl verknüpft mit einem niedrigeren Stundenlohn“. Der Kläger müsse sich diesem Dienstplanregime nicht unterwerfen, sondern habe die Möglichkeit für ihn passende Dienste zu wählen, die den Bedürfnissen seines sonstigen (Arbeits-)Lebens entsprächen. Dies rechtfertige die unterschiedliche Vergütungshöhe.
Letztlich trägt die Beklagte also vor, bei ihr bestehe ein Bedürfnis nach Planungssicherheit und geringem Planungsaufwand, was dadurch befriedigt werden könne, dass den Arbeitnehmern ein höherer Stundenlohn bezahlt wird, die vom Arbeitgeber in den Dienstplan eingeteilt werden. Die Beklagte übersieht hier, dass es dem Normalbild eines Arbeitsverhältnisses entspricht, dass der Arbeitnehmer dem Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich der Zeit der Arbeitsleistung gemäß § 106 GewO unterliegt. Warum es notwendig sein soll Arbeitnehmern, die entsprechend dieser gesetzlichen Regelung tätig werden, eine höhere Vergütung zu zahlen, erschließt sich nicht.
Diese Argumentation der Beklagten vernachlässigt weiterhin die Tatsache, dass die Flexibilität in der Wahl der konkreten Arbeitszeiten keineswegs ausschließlich oder überwiegend im Interesse des Klägers liegt. Der Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eine freie Entscheidung darüber, wann Arbeitsleistung zu erbringen ist, einen nicht zu unterschätzenden Wert darstellt; dies insbesondere dann, wenn das Arbeitsverhältnis neben einem weiteren Arbeitsverhältnis besteht oder die Notwendigkeit besteht es mit einem Studium oder einer Betreuungssituation zu verbinden. Der geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer hat in einem solchen Fall den großen Vorteil, nicht die Anforderungen von zwei verschiedenen Arbeitsverhältnissen bzw. von Arbeitsverhältnis und Studium/Betreuungssituation fremdbestimmt in Übereinklang bringen zu müssen, sondern kann entsprechend seinen eigenen Wünschen und Präferenzen die Arbeitsleistung erbringen. Auf der anderen Seite ist das von der Beklagten angebotene flexible Arbeitszeitmodell für geringfügig Beschäftigte aber auch für die Beklagte von nicht unerheblichen Vorteil. Es enthebt sie einerseits der Mühe einen Dienstplan zu gestalten, der die diversen individuellen Arbeitszeitbedürfnisse der Mitarbeiter entsprechend § 106 GewO berücksichtigt. Gerade wenn eine höhere Anzahl von Mitarbeitern nur mit einem geringen Teilzeitkontingent tätig wird, ist eine mittel- oder langfristige Dienstplangestaltung häufig mühsam und mit einem ständigen Anpassungsbedarf verbunden. Die feste Einteilung bedeutet keineswegs einen deutlich geringeren Planungsaufwand und eine größere Planungssicherheit. Andererseits ermöglicht es das flexible System der Beklagten kurzfristig Lücken im Dienstplan aufzufüllen und auf diese Art und Weise ihrer „staatlichen Vorhalteverpflichtung“ nachzukommen, wie sie selbst zugesteht, wenn sie ausführt, das verwendete Modell ermögliche ihr kurzfristige Ausfälle zu kompensieren.
e) Sogar wenn man mit der Beklagten davon ausgehen wollte, dass es grundsätzlich gerechtfertigt sein kann, sich den Verzicht auf die Ausübung des Weisungsrechts nach § 106 GewO durch die Zahlung eines geringeren Stundenlohns aufwiegen zu lassen, so rechtfertigt dies keinen Unterschied von nahezu 43% des Stundenlohns.
2. Ob sich der Anspruch des Klägers auch aus dem allgemeinen Gleichbehandlungs grundsatz ergeben würde, bedarf keiner Erörterung mehr.
3. Ausgehend von einem Stundenlohn von € 17,00 brutto hat der Kläger für den Zeit raum Januar 2020 bis April 2021 Anspruch auf einen rechnerisch unstreitigen Differenzlohn von € 3.285,88 brutto.
4. Dieser Anspruch ist nicht verfallen gemäß § 15 des Arbeitsvertrages, da diese Klau sel gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam ist.
Eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel, die entgegen § 3 S. 1 MiLoG auch den gesetzlichen Mindestlohn erfasst, verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB und ist insgesamt unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31.12.2014 abgeschlossen wurde (BAG, 18.09.2018, 9 AZR 162/18, Rn. 27, juris). Der streitgegenständliche Arbeitsvertrag wurde am 08.02.2015 abgeschlossen, die Verfallklausel ist somit unwirksam.
5. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288, 291 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 91 Abs. 1 ZPO.
IV.
Gegen dieses Urteil kann die Beklagte Revision einlegen. Im Einzelnen gilt:


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