Arbeitsrecht

Vorgezogenes Altersruhegeld bei Gewährung von Kindergeld – Unechte Rückwirkung

Aktenzeichen  M 12 K 15.3974

Datum:
3.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 103 Abs. 2
Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung § 35 Nr. 2, § 36, § 41 Abs. 1 S. 1, § 91j

 

Leitsatz

Eine Änderung der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung dahingehend, dass nur noch Empfängern von Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit, nicht aber Empfängern von Altersruhegeld und vorgezogenem Altersruhegeld Kindergeld gewährt wird, verstößt nicht gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 10. August 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld im Rahmen seines vorgezogenen Altersruhegelds nach der Satzung der Beklagten in der Fassung vor dem 1. Januar 2010, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
I.
Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 der Satzung in der aktuellen Fassung hat der Kläger keinen Anspruch auf Kindergeld, da er vorgezogenes Altersruhegeld gemäß § 35 Nr. 2 der Satzung, nicht aber Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit gemäß § 36 der Satzung bezieht. Da er das vorgezogene Altersruhegeld erst am … Juli 2015 für den Zeitraum ab 1. August 2015 und damit nicht vor dem 1. Januar 2015 beantragte, greift für ihn die Übergangsregelung des § 91j der Satzung nicht, so dass sich auch hieraus kein Anspruch auf Kindergeld ergibt.
II.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kindergeld aus § 41 Abs. 1 Satz 1 der Satzung in der Fassung vor 1. Januar 2010, da diese auf ihn nicht (mehr) anwendbar ist. Die Satzung wurde durch die Satzung zur Änderung der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung vom 15. Juni 2009 (Bayerischer Staatsanzeiger 2009, Nr. 25 S. 1) mit Wirkung zum 1. Januar 2010 dergestalt geändert, dass nicht mehr sämtliche Empfänger von Ruhegeld, sondern nur noch die Empfänger von Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit einen zusätzlichen Anspruch auf Kindergeld haben.
Entgegen dem klägerischen Vortrag verstößt die geänderte Satzung in ihren §§ 41 und 91j nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere liegt kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) vor. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist gewahrt.
1. Die Anwendung des ab 1. Januar 2010 geltenden § 41 Abs. 1 der Satzung auf den Kläger verstößt nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Es handelt sich allenfalls um eine sog. unechte Rückwirkung. Denn die Anwendbarkeit der Vorschrift knüpft in Verbindung mit § 91j und § 35 Nr. 2 der Satzung an die Antragstellung des Mitglieds nach Vollendung seines 60. Lebensjahrs an. Diese erfolgte am … Juli 2015 und damit nach Inkrafttreten der geänderten Satzung zum 1. Januar 2010, so dass nicht rückwirkend in einen abgeschlossenen Sachverhalt eingegriffen wird. Vielmehr wirkt die Norm im Sinne einer unechten Rückwirkung („tatbestandliche Rückanknüpfung“) auf gegenwärtig noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft ein und entwertet damit zugleich die betroffenen Rechtspositionen (BVerfG, B.v. 26.6.1979 – 1 BvL 10.78 – juris Rn. 28; B.v. 7.7.2010 – 2 BvL 14.02 u. a. – juris Rn.57).
Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der echten Rückwirkung bemisst sich nach anderen Regeln als die der unechten Rückwirkung: Während die echte Rückwirkung als Eingriff in einen abgeschlossenen Sachverhalt – von einigen eng begrenzten Ausnahmefällen abgesehen – nur dann zulässig ist, wenn zwingende, dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnete Gründe des Gemeinwohls die Rückwirkung rechtfertigen, ist im Gegensatz dazu das Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage bei einem unecht rückwirkenden Eingriff in noch nicht abgeschlossene, in der Entwicklung befindliche und noch einem Risiko ausgesetzte Sachverhalte geringer geschützt. Die unechte Rückwirkung bedarf im Gegensatz zur echten Rückwirkung keines besonderen Rechtsfertigungsgrunds, sondern ist auch ohne einen solchen grundsätzlich zulässig (BVerwG, U.v. 7.12.1976 – I C 23.71 – juris Rn.22 m.w.N). Der Vertrauensschutz kann aber je nach Lage der Verhältnisse im einzelnen Fall der Regelungsbefugnis Schranken setzen, also bestimmte Regelungsinhalte ausschließen. Es hängt damit von der verfassungsrechtlichen Beurteilung des einzelnen Regelungsfalls ab, ob die Betroffenen im Vertrauen auf den Bestand einer bestimmten Regelung eine Rücksichtnahme durch den Normgeber billigerweise erwarten dürfen. Bei der Entscheidung über diese Frage ist zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens einerseits und der Bedeutung des Anliegens des Satzungsgebers für das Wohl der Allgemeinheit andererseits abzuwägen (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.1976 a. a. O. m. w. N.; BVerfG, B.v. 7.7.2010 – 2 BvL 14.02 u. a. – juris Rn.57).
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs halten die zum 1. Januar 2010 neu eingefügten §§ 41 und 91j der Satzung der Beklagten einer verfassungsrechtlichen Nachprüfung stand.
2. Die Änderung des § 41 der Satzung zum 1. Januar 2010 stellt einen Eingriff in einen durch diese Norm in ihrer bis zum 1. Januar 2010 gültigen Fassung geschaffenen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand dar. Seit 1. Januar 2010 wird nur noch Empfängern von Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit, nicht aber Empfängern von Altersruhegeld und vorgezogenem Altersruhegeld, Kindergeld gewährt.
Dass die Beklagte noch im Informationsflyer vom November 2008 mit dem Kindergeld für Empfänger von Altersruhegeld und vorgezogenem Altersruhegeld geworben hat, spricht für die generelle Schutzwürdigkeit des Vertrauens ihrer Mitglieder bezüglich des Bezugs von Kindergeld. Es ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass § 41 der Satzung erst durch die Satzung zur Änderung der Satzung vom 15. Juni 2009, also zeitlich nach Herausgabe des Informationsflyers, geändert wurde, so dass sich aus dem vom Kläger vorgelegten Flyer keine besondere, über die allgemeinen Maßstäbe der unechten Rückwirkung hinausgehende Schutzwürdigkeit seines Vertrauens ergibt.
3. Die Ziele, die der Satzungsgeber der Beklagten mit der Änderung des § 41 der Satzung zum 1. Januar 2010 verfolgte, stehen nicht außer Verhältnis zu dem Eingriff in den oben beschriebenen Vertrauenstatbestand. Das Kindergeld für die Empfänger von Altersruhegeld wurde als nicht mehr gerecht empfunden, da überwiegend Männer hiervon profitierten. Sonderleistungen für einzelne Gruppen sollten vor dem Hintergrund vermieden werden, dass die Kosten für den Anstieg der Lebenserwartung von allen Mitgliedern der Beklagten getragen werden müssen. Im Gegensatz zum langfristig planbaren und eigenverantwortlich gestaltbaren Altersruhegeld – dies gilt umso mehr für das vorgezogene Altersruhegeld – tritt eine Berufsunfähigkeit meist in jüngeren Jahren und unvorbereitet ein, so dass das Kindergeld im Fall des Ruhegelds wegen Berufsunfähigkeit nach wie vor als wichtig erachtet wurde. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte als Trägerin autonomer Satzungsgewalt aus Gründen des Allgemeinwohls die Neuregelung des § 41 der Satzung getroffen hat, um gesellschaftspolitischen Veränderungen und den wechselnden Erfordernissen, insbesondere auch im Hinblick auf die Belastbarkeit der Solidargemeinschaft aller Mitglieder, Rechnung zu tragen. U. a. mit der Änderung des § 41 der Satzung beabsichtigte die Beklagte die Verwirklichung einer generationen- und geschlechtergerechten Finanzierung der ansteigenden Lebenserwartung. Diese von ihr verfolgten Ziele rechtfertigen den Eingriff in den oben beschriebenen Vertrauenstatbestand.
Nichts anderes ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers, dass der bei ihm gegebene Tatbestand selten vorkomme und daher der von der Beklagten bezweckte Einspareffekt gering sein dürfte. Es obliegt grundsätzlich der Beklagten, für ihre finanzielle Stabilität zum Zweck der Absicherung des Versorgungssystems zu sorgen. So darf sie – ebenso wie andere Tatbestände auch – faktisch selten vorkommende Tatbestände aus ihrer Versorgung herausnehmen, sofern diese Herausnahme – wie hier – insgesamt angemessen und verhältnismäßig ist. Dass der Einspareffekt für einzelne Tatbestände gering sein mag, bedeutet nicht, dass die Beklagte an den seltene Tatbestände regelnden Normen keine Veränderungen vornehmen dürfte. Vielmehr bedarf es zur Handhabung der Versorgung in der Praxis gerade typisierende und generalisierender Regelungen, die auch seltene Fälle erfassen (können).
4. Durch die Übergangsregelung des § 91j der Satzung ist auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Diese Regelung berücksichtigt ausreichend das bestehende Vertrauen der Mitglieder der Beklagten auf den Fortbestand des § 41 der Satzung.
Nach § 91j der Satzung gelten für Mitglieder, deren Anspruch auf Altersruhegeld oder vorgezogenes Altersruhegeld vor dem 1. Januar 2015 entstanden ist, die §§ 41 und 54 Abs. 4 der Satzung in der am 31. Dezember 2009 geltenden Fassung weiter. Damit wurde den Betroffenen die Möglichkeit gegeben, sich ausreichend an die neue Rechtslage anzupassen und ggf. alternativ vorzusorgen.
Bei der Gestaltung ihrer Leistungen hat die Beklagte einen weiten Spielraum. Sie ist Trägerin autonomer Satzungsgewalt und kann den Kreis der zu Versorgenden und die Art der Versorgung unter Beachtung höherrangigen Rechts autonom festlegen. Sie kann dabei typisierende Bestimmungen treffen, in die nicht alle denkbaren Gerechtigkeitsgesichtspunkte einfließen müssen. Damit eine Vorschrift für die Verwaltung handhabbar bleibt, dürfen zusätzliche denkbare und mögliche Aspekte unberücksichtigt gelassen werden (BayVGH, B.v. 5.5.2004 – 9 ZB 04.134 – juris Rn. 7). Ebenso kann der Satzungsgeber Vertrauensschutz auf unterschiedliche Art und Weise gewährleisten. Es ist eine Vielzahl von Abstufungen und Regelungskombinationen möglich, deren Gestaltung weitgehend in der Autonomie des Satzungsgebers liegt. Insbesondere ist es nicht zwingend erforderlich, dass der Betroffene im Ergebnis so gestellt wird, wie er bei einem Fortgelten der nunmehr geänderten Norm stehen würde (BVerwG, U.v. 7.12.1976 – I C 23.71 – juris Rn. 36). Entscheidend ist, dass die Übergangsregelung insgesamt angemessen ist.
Dies ist hier der Fall. Der Satzungsgeber der Beklagten hat sich dafür entschieden, das Vertrauen seiner Mitglieder durch Einräumung einer Übergangsfrist von fünf Jahren zu berücksichtigen. Dass der Kläger und andere Mitglieder der Beklagten innerhalb dieser Frist keine dem früheren Kindergeld exakt gleichwertige Versorgung aufbauen können, ändert nichts an der Verhältnismäßigkeit der Regelung, da die Übergangsfrist von fünf Jahren hier insgesamt als angemessen erscheint. Es ist gerade nicht erforderlich, dass die Mitglieder der Beklagten so stehen wie sie vor der Normänderung gestanden hätten. Entgegen dem Vortrag des Klägers ist es also für die Verhältnismäßigkeit der Satzungsänderung nicht erforderlich, dass er rechnerisch seinen Nachteil in fünf Jahren Vorlauf hätte ausgleichen bzw. einsparen müssen, um im Ergebnis gleichwertige Leistungen zu erreichen. Im Hinblick darauf, dass allein das zusätzlich zum Ruhegeld bezogene Kindergeld und damit nur ein Bruchteil der Altersversorgung gestrichen wurde, reicht für die Mitglieder der Beklagten ein Übergangszeitraum von fünf Jahren aus, um sich ausreichend auf die neue Rechtslage einzustellen zu können.
Dass der Kläger vom Informationsblatt vom November 2008 – wie er behauptet – keine Kenntnis hatte, ändert nichts an der Angemessenheit der Übergangsregelung. Denn die zum 1. Januar 2010 in Kraft getretene Änderung des § 41 der Satzung wurde bereits Mitte 2009 veröffentlicht, so dass dem Kläger die Änderung der Satzung seitdem bekannt sein hätte können.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 13.127,04 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. dem Streitwertkatalog).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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