Arbeitsrecht

Wartezeitkündigung im öffentlichen Dienst, Personalrat, Mitteilungspflichten, sonstige, Unwirksamkeitsgründe

Aktenzeichen  3 Sa 284/21

Datum:
9.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28941
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BayPVG Art. 72 Abs. 3 und 4
BGB § 242

 

Leitsatz

Verfahrensgang

17 Ca 2507/20 2021-03-08 Urt ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

I. Auf Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 08.03.2021 – 17 Ca 2507/20 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
I.
Die nach § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520, 222 Abs. 2 ZPO, und damit zulässig.
II.
Die Berufung ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung vom 13.02.2020 beendet worden. Die Kündigung ist wirksam.
1. Die Kündigung ist nicht nach Art. 77 Abs. 4 BayPVG unwirksam.
a) Nach Art. 77 Abs. 4 BayPVG ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Für eine Probezeitkündigung bestimmt Art. 77 Abs. 3 S. 1 BayPVG, dass vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit der Personalrat anzuhören ist. Für die Anhörung des Personalrats gelten die zu § 102 BetrVG in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze (vgl. BAG, Urteil vom 22.04.2010 – 6 AZR 828/08 – Rn. 24). Hinsichtlich der Anforderungen an die Unterrichtung des Personalrats über die Gründe einer Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Wartezeit der beiderseitigen Überprüfung der Arbeitsvertragsparteien dient. Der Inhalt der Mitteilungspflicht des Arbeitgebers richtet sich daher nicht nach den objektiven Merkmalen der Kündigung des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG, sondern nach den Umständen, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleitet. Es reicht deshalb bei einer solchen Kündigung aus, wenn der Arbeitgeber, der keine auf Tatsachen gestützten oder durch Tatsachen konkretisierbaren Kündigungsgründe benennen kann, der Personalvertretung nur seine subjektiven Wertungen, die ihn zur Kündigung des Arbeitnehmers veranlassen, mitteilt (vgl. BAG, Urteil vom 22.04.2010 – 6 AZR 828/08 – Rn. 26). Dabei können dem subjektiven Werturteil des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis nicht über die Wartezeit fortsetzen zu wollen, nach Zeit, Ort und Umständen konkretisierbare Tatsachenelemente zugrunde liegen. Auch in diesem Fall genügt es für eine ordnungsgemäße Anhörung, wenn der Arbeitgeber allein den eigentlichen Kündigungsgrund und damit das Werturteil selbst als das Ergebnis seines Entscheidungsprozesses mitteilt. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn in Wirklichkeit nicht das Werturteil, sondern bestimmte konkrete Verhaltensweisen oder Tatsachen den eigentlichen Kündigungsgrund bilden (vgl. BAG, Urteil vom 12.09.2013 – 6 AZR 121/12 – Rn. 23 u. 27 m. w. N.).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze begegnet die Anhörung des Personalrats keinen rechtlichen Bedenken.
aa) Es spricht bereits Vieles dafür, dass die Beklagte ihren Kündigungsentschluss jedenfalls auch auf ein subjektives, nicht durch objektivierbare Tatsachen begründetes Werturteil gestützt hat. Denn die Beklagte begründet ihre Kündigungsentscheidung damit, dass angesichts der hohen Fehlzeiten der Klägerin seit 01.09.2019 eine Erprobung nicht habe erfolgen können und die Bewährung nicht bestätigt werden könne. Die Annahme, die Beklagte habe eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen oder aus verhaltensbedingten Gründen aussprechen wollen, wird zudem dadurch in Frage gestellt, dass die Beklagte nicht allein die krankheitsbedingten Fehlzeiten, sondern auch die wegen Urlaubs ausgefallenen 13 Arbeitstage nennt. Urlaubsbedingte Abwesenheit einer Arbeitnehmerin hat aber für einen Kündigungsgrund keine Relevanz. Die Beklagte hat diese Tage nur angeführt, um zu erklären, warum aufgrund der Abwesenheiten der Klägerin seit dem 01.09.2019 „von einer Nichtbewährung in der Probezeit auszugehen“ ist, nämlich, weil diese insgesamt zu umfangreich waren, um die Klägerin noch beurteilen zu können.
bb) Umstände einer Vorbeschäftigung als Leiharbeitnehmerin sind für den Kündigungsentschluss eines sich daran anschließenden Arbeitsverhältnisses während der Probezeit zudem nicht zu berücksichtigen und deshalb dem Personalrat nicht mitzuteilen. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Zeiten, die der Arbeitnehmer als Leiharbeitnehmer in dem Betrieb des Entleihers eingegliedert war, in einem späteren Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Entleiher bei der Berechnung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG keine Berücksichtigung finden (vgl. BAG, Urteil vom 20.02.2014 – 2 AZR 859/11 -) schließt dies aus. Die Erwägungen, die das Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung angestellt hat, gelten auch für die Umstände einer solchen Vorbeschäftigung. Dafür spricht zunächst der Wortlaut des § 1 Abs. 1 KSchG, der für den allgemeinen Kündigungsschutz an ein Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber als Betriebsinhaber anknüpft und nicht an eine tatsächliche Beschäftigung im dessen Betrieb oder Unternehmen (vgl. BAG, Urteil vom 20.02.2014 – 2 AZR 859/11 – Rn. 24). Das Kündigungsschutzgesetz betrifft damit nach seinem persönlichen Geltungsbereich allein die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien eines Arbeitsverhältnisses (vgl. BAG, Urteil vom 24.01.2013 – 2 AZR 140/12 – Rn. 14). Für ein solches Verständnis spricht zudem der Sinn und Zweck der Wartezeitregelung, die den Parteien des Arbeitsverhältnisses die Prüfung ermöglichen soll, ob sie sich auf Dauer binden wollen. Dieser Zweck kann typischer Weise nur erreicht werden, wenn der Arbeitgeber während des Bestands des Arbeitsverhältnisses nicht nur die Arbeitsleistung, sondern auch das sonstige Verhalten des Arbeitnehmers zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung aus eigener Kenntnis beurteilen kann (vgl. BAG, Urteil vom 20.02.2014 – 2 AZR 859/11 – Rn. 25; vgl. auch Urteil vom 12.09.2013 – 6 AZR 121/12 – Rn. 24). Da der Entleiher lediglich einen Teilbereich der Arbeitgeberbefugnisse wahrnimmt, kann er nicht beurteilen, ob der als Leiharbeitnehmer bei ihm Beschäftigte seine Mitwirkungs- und Nebenpflichten beispielsweise bei der Entgeltfortzahlung bei Krankheit und bei der Urlaubsgewährung ordnungsgemäß erfüllt. Der erst nach Ablauf der Wartezeit eintretende Kündigungsschutz darf durch die Anforderungen, die an eine Anhörung nach Art. 77 Abs. 3 BayPVG (bzw. § 102 BetrVG) gestellt werden, nicht vorverlagert werden (vgl. BAG, Urteil vom 12.09.2013 – 6 AZR 121/12 – Rn. 26; vgl. auch LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.08.2020 – 5 Sa 66/20 – Rn. 27 f.).
cc) Der Personalrat hatte im Übrigen Kenntnis davon, dass die Klägerin vor ihrer Anstellung bei der Beklagten als Leiharbeitnehmerin auf demselben Arbeitsplatz beschäftigt worden war und sich dort bewährt hatte. In der Einstellungsverfügung vom 05.07.2019, der der Personalrat gemäß Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3a BayPVG zugestimmt hatte, war unter „einschlägige und förderliche berufliche Tätigkeit“ die Zeitarbeit und der Einsatz der Klägerin im Kommunalreferat der Beklagten angegeben worden. In der Begründung der Einstellungsverfügung hieß es: „Sie ist seit 12.12.2018 als Mutterschutzaushilfe im Rahmen eines Zeitarbeitsverhältnisses beim Kommunalreferat, Abteilung Immobiliendienstleistungen, Zentraler Verwaltungsservice, wo jetzt die oben genannte Stelle zu besetzten ist, beschäftigt“ (vgl. Anl. BB 2 = Bl. 248 d. A.). Darüber hinaus hat die Klägerin in ihrer Email vom 06.02.2020 auf diese Vorbeschäftigung verwiesen und hervorgehoben, dass sie „zum 01.09.2019 aufgrund meiner guten Leistung unbefristet übernommen wurde.“ Diese Stellungnahme der Klägerin war für den Personalrat ohne Weiteres aufgrund der Anhörung bekannt. Ein „Durchforsten“ der Unterlagen war entgegen der Auffassung der Klägerin nicht erforderlich. Denn die Beklagte hat in der Anhörung unter Ziff. 6 ausdrücklich auf die Stellungnahme der Klägerin Bezug genommen. Darüber hinaus war die Stellungnahme der Klägerin im Übersichtsblatt „Anlagen“ unter Ziffer 6 mit genauer Angabe der Blattzahl im Anhörungskonvolut aufgelistet worden (vgl. Anl. B 3 = Bl. 64 d. A.).
c) Die Kündigung ist auch nicht deshalb gemäß Art. 77 Abs. 4 BayPVG unwirksam, wenn der Kündigungsberechtigte die Kündigung bereits vor Abschluss des Anhörungsverfahrens unterzeichnet hätte, wovon die Klägerin ausgeht. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Kündigung der Klägerin erst am 15.02.2020 und damit nach den abschließenden Äußerungen des Personalrats vom 12.02.2020, die im Personalreferat der Beklagten am 13.02.2020 eingingen, zugegangen ist. Dies ist ausreichend (vgl. BAG, Urteil vom 22.04.2010 – 6 AZR 828/08 – Rn. 31).
2) Die Kündigung ist nicht wegen treuwidrigen oder widersprüchlichen Verhaltens der Beklagten unwirksam, § 242 BGB.
a) Gegen § 242 BGB verstößt eine Kündigung und ist unwirksam, wenn sie aus Grün den, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Dies gilt jedenfalls für eine Kündigung, auf die wegen der Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 KSchG das KSchG keine Anwendung findet. Typische Tatbestände einer treuwidrigen Kündigung sind insbesondere ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers, der Ausspruch einer Kündigung zu Unzeit oder in ehrverletzender Form und eine Kündigung, die den Arbeitnehmer diskriminiert. Die Darlegungs- und Beweislasst für das Vorliegen von Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt beim Arbeitnehmer. Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Arbeitnehmers wird durch die Anwendung des Grundsatzes der abgestuften Darlegungs- und Beweislasst gewährleistet. In einem ersten Schritt muss der Arbeitnehmer einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB indiziert. Der Arbeitgeber muss sich sodann nach § 138 Abs. 2 ZPO qualifiziert auf diesen Vortrag einlassen, um ihn zu entkräften (vgl. LAG München, Urteil vom 04.10.2005 – 6 Sa 97/05 – unter 3. der Entscheidungsgründe m. w. Nachw.).
b) Die Kündigung ist danach nicht wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unwirk sam.
aa) Die Klägerin hat nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass die Beklagte in den Richtlinien, auf die sich die Klägerin beruft, eine Selbstbindung nach außen eingegangen ist. Ebenso wenig hat die Klägerin dargelegt, dass eine Kündigung nach diesen Richtlinien nicht ausgesprochen werden darf, wenn das vorgeschriebene Verfahren nicht eingehalten wird (vgl. auch LAG Köln, Urteil vom 16.08.2002 – 11 Sa 487/02 -). Darüber hinaus ist der „Checkliste für die Vorbereitung und Dokumentation eines Zwischengesprächs zur Probezeit von Tarifbeschäftigten“ zu entnehmen, dass die Einschätzung der Probezeitbewährung von der Anwesenheitszeit des Beschäftigten abhängt und insbesondere Fehltage montags und freitags in die Beurteilung einfließen (vgl. Anl. K 4 = Bl. 14 d. A.). Da die Checkliste im Intranet der Beklagten für die Klägerin einsehbar war, konnte die Klägerin kein schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, ihre Abwesenheitszeiten würden nicht zum Anlass genommen werden, ihre Probezeitbewährung kritisch zu betrachten.
bb) Der Klägerin ist Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Probezeitkündigung gegeben worden. Dies ergibt sich schon aus ihrer Email vom 06.02.2020, die die Klägerin mit dem Satz einleitet: „zu Ihrem Angebot eines Aufhebungsvertrages bzw. der Probezeitkündigung möchte ich mich wie folgt äußern“. Die Klägerin hätte jedenfalls dann die besonderen Umstände, die nach ihrer Meinung gegen die Probezeitkündigung sprechen, offenlegen können und müssen. Dass die Beklagte diese Umstände kannte, behauptet auch die Klägerin nicht.
cc) Die Kündigung ist nicht zu Unzeit erfolgt. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass der Beklagten die psychische Erkrankung der Mutter sowie die Anfang 2020 (drohende) Obdachlosigkeit der Mutter und Klägerin bekannt waren oder auch nur den Umständen nach hätten bekannt sein können, wie es für einen Treueverstoß vorauszusetzten ist (vgl. BAG, Urteil vom 05.04.2001 – 2 AZR 185/00 – II. 3. der Gründe). Vielmehr gab die Klägerin erstinstanzlich an, sich niemandem außer ihrem Lebensgefährten anvertraut zu haben (vgl. Schriftsatz vom 03.08.2020, S. 3 = Bl. 70 d. A.).
dd) Schließlich begründet die Einladung zum BEM mit Schreiben vom 12.02.2020 kein widersprüchliches Verhalten der Beklagten, da es automatisch versandt worden ist. Zudem ist ein unterbliebenes oder nicht ordnungsgemäß durchgeführtes BEM während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ohne Bedeutung (vgl. ErfK/Rolfs, 21. Aufl. 2021, § 167 SGB IX. Rn. 11 m. w. N.). Der Arbeitgeber ist hierzu nicht verpflichtet, § 173 Abs. 1 S. 1 SGB IX.
3. Da die Kündigung wirksam ist, hat die Klägerin keinen Anspruch auf vorläufige Wei terbeschäftigung.
III.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.
IV.
Es bestand kein Grund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.


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