Arbeitsrecht

Werkvertrag – verdeckte Arbeitnehmerüberlassung

Aktenzeichen  9 AZR 51/15

Datum:
12.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2016:120716.U.9AZR51.15.0
Normen:
§ 1 Abs 1 AÜG
§ 1 Abs 2 AÜG
§ 2 AÜG
§ 4 Abs 1 AÜG
§ 5 Abs 1 AÜG
§ 9 Nr 1 AÜG
§ 10 Abs 1 S 1 AÜG
§ 242 BGB
Spruchkörper:
9. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Stuttgart, 8. April 2014, Az: 16 Ca 8713/13, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 3. Dezember 2014, Az: 4 Sa 41/14, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 3. Dezember 2014 – 4 Sa 41/14 – aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 8. April 2014 – 16 Ca 8713/13 – wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht.
2
Der Kläger ist Entwicklungsingenieur. Er war vom 20. Mai 2011 bis zum 16. Mai 2014 bei der Beklagten, einem Tochterunternehmen der D AG, als sog. Fremdarbeitskraft tätig. Vertragsarbeitgeberinnen des Klägers waren vom 20. Mai 2011 bis zum 31. Dezember 2012 die ES GmbH, vom 1. Januar 2013 bis zum 30. September 2013 die B GmbH und ab dem 1. Oktober 2013 die e AG. Die drei Vertragsarbeitgeberinnen des Klägers waren jeweils im Besitz einer vor dem Jahr 2011 erteilten Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.
3
Dem Einsatz des Klägers lagen als „Einkaufsabschlüsse“ bezeichnete Rahmenverträge zwischen der D AG und der jeweiligen Vertragsarbeitsgeberin des Klägers zugrunde. Darin wurden die zu erbringenden Leistungen größtenteils als im Rahmen eines Werkvertrags zu erbringende Leistungen beschrieben. Das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der ES GmbH wurde begründet, nachdem sich der Kläger mit dem Vorgesetzten der ES GmbH bei einem Mitarbeiter der Beklagten vorgestellt hatte.
4
Der Kläger ist Mitglied der IG Metall. Die Beklagte ist Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V.
5
In dem zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg und der IG Metall geschlossenen Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit vom 19. Mai 2012 (im Folgenden TV LeiZ) heißt es auszugsweise:
        
„4.    
Betriebe ohne Betriebsvereinbarung
        
4.1     
Besteht keine Betriebsvereinbarung gemäß Ziffer 3, gilt Folgendes:
        
        
–       
Nach 18 Monaten Überlassung* hat der Entleiher zu prüfen, ob er dem Leih-/Zeitarbeitnehmer einen unbefristeten Arbeitsvertrag anbieten kann.
        
        
–       
Nach 24 Monaten Überlassung* hat der Entleiher dem Leih-/Zeitarbeitnehmer einen unbefristeten Arbeitsvertrag anzubieten. Dieses kann nach Beratung mit dem Betriebsrat bei akuten Beschäftigungsproblemen entfallen.
        
        
Bei Unterbrechungen von weniger als drei Monaten werden Einsatzzeiten im selben Betrieb addiert.
        
        
*Beschäftigungszeiten nach den obigen Spiegelstrichen zählen ab dem Inkrafttreten des Tarifvertrages, unabhängig vom tatsächlichen Eintrittstermin vor Inkrafttreten des Tarifvertrages.
        
…       
        
8.    
Schlussbestimmungen
        
8.1     
Der Tarifvertrag tritt am 20. Mai 2012 in Kraft …“
6
Der Kläger übte seine Tätigkeit durchgehend im Werk M der Beklagten aus, und zwar in einem Großraumbüro, in dem das Team „Innenausstattung“ untergebracht ist und in dem sowohl Mitarbeiter der Beklagten als auch Fremdarbeitskräfte tätig waren. Die Arbeitsplätze der Fremdarbeitskräfte waren als solche beschildert. Im Organigramm der Beklagten wurden sowohl die Mitarbeiter der Beklagten als auch die Fremdarbeitskräfte namentlich benannt. Der Kläger war hauptsächlich mit der Bearbeitung von Kundensonderwünschen und im Bereich der Neuentwicklung und der Konstruktion diverser Bauteile der Serienfertigung für die Modelle C1 und C2 beschäftigt. Er arbeitete mit Betriebsmitteln der Beklagten. Er verfügte über Berechtigungen, um mit den Systemen der Beklagten zu kommunizieren und auf Konstruktionsprogramme zuzugreifen. Die Arbeitsaufgaben wurden von den jeweiligen Fachabteilungen in das SAP-System unter namentlicher Zuordnung zum Kläger eingegeben. Die Prüfung und Freigabe seiner Arbeitsergebnisse erfolgte durch Mitarbeiter der Beklagten. Der Kläger nahm an Schulungen der Beklagten teil. Im „Urlaubskalender“ der Beklagten waren sowohl die Mitarbeiter der Beklagten als auch die Fremdarbeitskräfte eingetragen. Für Brückentage und Zeiten der Betriebsruhe wurden die Fremdarbeitskräfte von einem Mitarbeiter der Beklagten aufgefordert, Urlaub zu nehmen.
7
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, zwischen ihm und der Beklagten sei ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Er sei vollständig in ihren Betrieb eingegliedert gewesen und habe deren Weisungen unterlegen. Er habe nicht aufgrund eines Werkvertrags, sondern im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung für die Beklagte gearbeitet. Die Überlassungen seien schon wegen eines Verstoßes gegen § 12 AÜG formnichtig. Sie seien auch deshalb unwirksam, weil sie nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer angelegt gewesen seien. Außerdem sei die Arbeitnehmerüberlassung bewusst verdeckt erfolgt, um den über das AÜG vermittelten Sozialschutz der Fremdarbeitskräfte zu umgehen. Die Beklagte betreibe institutionellen Rechtsmissbrauch. Sie könne sich nicht auf die Erlaubnisse zur Arbeitnehmerüberlassung berufen.
8
In der Berufungsinstanz hat der Kläger über die erstinstanzlich gestellten Feststellungsanträge hinaus hilfsweise einen Anspruch auf Unterbreitung eines Angebots zum Abschluss eines Arbeitsvertrags nach Ziff. 4.1 TV LeiZ geltend gemacht. Er hat hierzu die Auffassung vertreten, der Anspruch sei 24 Monate nach Inkrafttreten des TV LeiZ, also am 20. Mai 2014 entstanden. Die Beklagte habe bewusst den Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen vereitelt, indem sie ihn zum 16. Mai 2014, somit vier Tage vor der Entstehung des Anspruchs, ausgegliedert habe. Dies sei treuwidrig, zumal der Rahmenvertrag mit der e AG noch eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 2014 gehabt habe. Die Aufträge würden nunmehr von einer anderen Fremdarbeitskraft weiterbearbeitet.
9
Der Kläger hat zuletzt beantragt
        
1.    
festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis seit dem 20. Mai 2011 besteht;
        
2.    
hilfsweise festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht;
        
3.    
hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, ihm den Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags anzubieten, aufgrund dessen er als Konstruktionsingenieur bei der Beklagten beschäftigt wird.
10
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, eine Arbeitnehmerüberlassung liege nicht vor. Der Kläger sei nicht in ihren Betrieb eingegliedert gewesen. Sie habe keinen Einfluss auf die Personalauswahl gehabt. Selbst wenn Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen hätte, schlössen die erteilten Erlaubnisse zur Arbeitnehmerüberlassung eine Anwendung von § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG aus. Auch dann, wenn ein Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens anzunehmen sei, könne die Rechtsfolge nicht in der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien bestehen. Der Gesetzgeber habe für diese Fallgestaltung gerade kein Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher vorgesehen. Über diesen gesetzgeberischen Willen dürften sich die Gerichte nicht hinwegsetzen. Auch ein Verstoß gegen das Schriftformerfordernis des § 12 AÜG könne eine solche Fiktion nicht begründen. Entsprechendes gelte für einen fehlenden Nutzungswillen der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.
11
Der hilfsweisen Klageerweiterung in der Berufungsinstanz hat die Beklagte nicht zugestimmt. Sie hält diese nicht für sachdienlich. Hinsichtlich der Ausgliederung des Klägers liege kein Rechtsmissbrauch vor. Der Kläger sei ausgegliedert worden, weil das Auftragsvolumen aus dem „Werkvertrag“ mit der e AG vollständig abgearbeitet und der Vertrag damit beendet gewesen sei.
12
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und festgestellt, dass zwischen den Parteien seit dem 20. Mai 2011 ein Arbeitsverhältnis besteht. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben