Arbeitsrecht

Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Arbeitgeberkündigung

Aktenzeichen  9 Sa 481/16

Datum:
6.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2016, 126075
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
ArbGG § 64 Abs. 2 u. 6, §§ 66 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
GewO § 106 Satz 1
KSchG § 1 Abs. 2

 

Leitsatz

Die von der beklagten Arbeitgeberin ausgesprochene außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung ist unwirksam, da eine Arbeitsverweigerung der Klägerin nicht vorlag. Da die Versetzung der Klägerin auf den neuen, völlig isolierten und nicht den Anforderungen an die Arbeitssicherheit entsprechenden Arbeitsplatz unbillig und damit unwirksam war, hat die Klägerin ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht verletzt, als sie die im Rahmen der Umsetzung übertragenenen Aufgaben nicht erfüllte. (Rn. 43 – 53)

Verfahrensgang

11 Ca 9344/14 2016-04-28 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 28.04.2016, Az. 11 Ca 9344/14, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 08.08.2014 unwirksam ist.
1. Die außerordentliche Kündigung vom 08.08.2014 ist unwirksam, da ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nicht gegeben ist.
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (BAG 07.07.2005 2 AZR 581/04, Rn. 21).
1.1. Die Klägerin hat ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht dadurch verletzt, dass sie den Arbeitsauftrag vom 02.05.2014 nicht erfüllt bzw. zu diesem Arbeitsauftrag nicht wöchentlich Berichte abgegeben hat, da die Versetzung vom 02.05.2014 in die H-Straße nicht wirksam war.
Das Direktionsrecht der Beklagten zur Änderung des Arbeitsorts folgt aus § 106 Satz 1 GewO. Danach kann der Arbeitgeber den Ort der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Erforderlich ist eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen (BAG 17.08.2010 – 10 AZR 202/10, Rn. 22). Nach diesen Maßstäben ist vorliegend billiges Interesse nicht gewahrt.
Die Beklagte beruft sich darauf, dass die Konfliktsituation am Arbeitsplatz und die Nähe zum Objekt H-Straße die Umsetzung rechtfertigen. Diesen Interessen der Beklagten steht das Interesse der Klägerin gegenüber, ihre Arbeit an einem funktionierenden, sauberen, hinsichtlich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz unbedenklichen Arbeitsplatz mit einer normalen Einbindung in die Betriebsorganisation der Beklagten zu verrichten.
Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgeht, dass eine räumliche Trennung der Klägerin und ihrer ehemaligen Mitarbeiter wegen der anhaltenden Konfliktsituation am bisherigen Arbeitsplatz dringend geboten war, wofür das Schreiben der Mitarbeiter vom 10.02.2014 durchaus spricht, rechtfertigt dies nicht die Umsetzung der Klägerin in die H-Straße.
Zum einen wäre eine räumliche Trennung der Klägerin von ihren ehemaligen Mitarbeitern auch im G. möglich gewesen. Soweit sich die Beklagte hier pauschal auf Raumnot beruft, kann dies nicht überzeugen. Für eine Umsetzung der Klägerin im G. hätte es nicht eines zusätzlichen Büros bedurft. Bei der Zuweisung eines neuen, von ihren bisherigen Mitarbeitern räumlich getrennten Büros hätte die Klägerin ihr bisheriges Büro frei gemacht. Es hätte lediglich ein Zimmertausch erfolgen müssen. Dass dies nicht möglich gewesen wäre, ist nicht dargelegt.
Zum anderen war das der Klägerin zugewiesene Büro kein zumutbarer Arbeitsplatz. Zwar mag es sein, dass auch im Mai und Juni 2014 von den Räumlichkeiten keine unmittelbare und akute Gefahr für Leib und Leben der Klägerin ausgegangen sein mag, ein funktionsfähiger und zumutbarer Arbeitsplatz war gleichwohl nicht vorhanden. Bereits die von der Klägerin vorgelegten Bilder zeigen, dass auch einfachste Büroausstattung nicht vorhanden war. So stand in dem Büro statt eines den Anforderungen an die Arbeitssicherheit und Ergonomie genügenden Schreibtischstuhls ein sichtlich in die Jahre gekommener, hölzerner Küchenstuhl. Darüber hinaus hat das Gewerbeaufsichtsamt mit Schreiben vom 25.06.2014 den Arbeitsplatz durchaus beanstandet. Es hat die Beklagte u. a. aufgefordert, erforderliche Maler-, Reinigungs- und Renovierungsarbeiten durchzuführen und den Arbeitsplatz gemäß den Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung und der Bildschirmarbeitsverordnung einzurichten, eine „Freimessung“ der Raumluft durchzuführen sowie die Maßnahmen umzusetzen, die die Fachkraft für Arbeitssicherheit bei der Begehung proto kolliert hat. Auch der betriebsärztliche Dienst hat mit Schreiben vom 13.05.2014 darauf hingewiesen, dass der Arbeitsplatz vor Aufnahme einer fachspezifischen Tätigkeit der Mitarbeiterin u. a. zunächst nach ergonomischen Vorgaben einzurichten und zu reinigen sei.
Obwohl die Beklagte nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin – wie auch aus den von der Beklagten an die Klägerin übergebenen Unterlagen (Google Maps-Ausdruck) ersichtlich – bereits seit Februar 2014 plante, sie in die H-Straße umzusetzen, stand im Zeitpunkt der Weisung vom 02.05.2014 ein nutzbarer Arbeitsplatz für die Klägerin nicht zur Verfügung. Erst mit Schreiben vom 10.07.2014 hat die Beklagte ihr mitgeteilt, dass die vom Gewerbeaufsichtsamt aufgegebenen Maßnahmen durchgeführt bzw. warum einzelne Maßnahmen, z. B. die vom Gewerbeaufsichtsamt aufgegebene Raumluftmessung, nicht für erforderlich gehalten wurden.
Durch die Weisung vom 02.05.2014 wurde der Klägerin – obwohl die räumliche Trennung von ihren ehemaligen Mitarbeitern dies nicht erforderte – ein mindestens bis zum 10.07.2014 nicht funktionsfähiger und nicht den Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung und der Bildschirmarbeitsverordnung entsprechender Arbeitsplatz zugewiesen. Darüber hinaus wurde sie durch die Umsetzung völlig isoliert von anderen Mitarbeitern beschäftigt und aus der betrieblichen Organisation ausgegliedert. Auch wenn bereits damals andere Mitarbeiter der Beklagten in den Räumen in der H-Straße tätig gewesen sein mögen, so handelte es sich jedenfalls nicht um Büroarbeitsplätze, die mit demjenigen der Klägerin vergleichbar gewesen wären und aus deren Vorhandensein sich eine Eingliederung der Klägerin in die Betriebsorganisation der Beklagten ableiten ließe. Dass Mitarbeiter der Beklagten im Zusammenhang mit den dort gelagerten Betriebsmitteln und den auf dem Gelände abgestellten Fahrzeugen die Räumlichkeiten immer wieder aufsuchten, genügt hierfür nicht. Zu einer darüber hinausgehenden Nutzung hat die Beklagte nichts Substan-tiiertes vorgetragen. Sie würde auch mit dem vom betriebsärztlichen Dienst und Gewerbeaufsichtsamt gerügten Zustand (z. B. Verschmutzung infolge mehrjährigen Leerstands, fehlende Kennzeichnung der Toiletten, fehlender Fluchtwegeplan usw.) nicht vereinbar sein. Insgesamt war die Arbeitsplatzsituation jedenfalls so, dass das Gewerbeaufsichtsamt im Schreiben vom 25.06.2014 der Meinung war, dass bei der nächsten ASA-Sitzung das Thema „Prävention psychischer Belastungen bei der Arbeit (einschließlich Mobbing)“ thematisiert werden sollte. Die Zuweisung eines derartigen Arbeitsplatzes entspricht nicht billigem Ermessen.
Die Weisung vom 02.05.2014 entsprach auch nicht deswegen billigem Ermessen, weil der Klägerin mit dieser Weisung aufgetragen wurde, als ersten Teil ihrer neuen Arbeitsaufgabe den eigenen Arbeitsplatz einzurichten. Die Klägerin ist bei der Beklagten als Tarifbeschäftigte in der Entgeltgruppe 11 TV-V beschäftigt. Bei der Einrichtung dieses Arbeitsplatzes, die deutlich mehr erforderte, als nur bei der zuständigen Stelle Bescheid zu geben, welchen Stuhl man gerne hätte, handelt es sich nicht um eine Aufgabe, die dieser Eingruppierung entspricht, sondern vielmehr um eine unterwertige Tätigkeit, die der Klägerin nicht im Rahmen des Direktionsrechts übertragen werden konnte. Die Weisung vom 02.05.2014 war deshalb auch insoweit unwirksam.
Es kann dahinstehen, ob die Weisung vom 02.05.2014 auch hinsichtlich des Auftrags, eine Art Bauwerksbuch zu erstellen, vom Direktionsrecht der Beklagten umfasst war und insbesondere eine Tätigkeit der Wertigkeit Entgeltgruppe 11 TV-V enthielt. Die Beklagte trägt hierzu nichts vor, sondern beruft sich lediglich darauf, dass es sich um eine Tätigkeit im Rahmen des Berufsbilds einer Architektin handelt. Da die Weisung vom 02.05.2014 bereits hinsichtlich der Zuweisung des neuen Arbeitsorts gegen billiges Ermessen verstieß und hinsichtlich der Zuweisung der ersten Arbeitsaufgabe nicht im Rahmen des Direktionsrechts lag, war die Weisung vom 02.05.2014 insgesamt unwirksam. Bei der Versetzung der Klägerin in die H-Straße handelte es sich um eine einheitliche Maßnahme, die wegen des Verstoßes gegen billiges Ermessen insgesamt unwirksam ist. Die neue Aufgabe der Erstellung eines Art Bauwerksbuchs war ihr deshalb nicht wirksam übertragen worden mit der Folge, dass sie ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht verletzt hat, indem sie diese Aufgabe nicht bearbeitet hat.
1.2. Die Klägerin hat ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis auch nicht verletzt, weil sie entgegen der Weisung der Beklagten sich nicht nach Dienstantritt und vor Dienstende per E-Mail im Sekretariat der Abteilungsleitung an- und abgemeldet hat.
Da, wie oben ausgeführt, die Klägerin bereits nicht wirksam in die H-Straße umgesetzt wurde, war sie bereits nicht verpflichtet, dort die Arbeit aufzunehmen und ihren Dienstantritt und ihr Dienstende in der von der Beklagten angeordneten Weise nachzuweisen.
Darüber hinaus verstieß die Weisung bezüglich der An- und Abmeldung per E-Mail gegen die DV-Flex. Dass die DV-Flex auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, ist unstreitig. Die Klägerin wurde von der Beklagten auch auf die Geltung der DV-Flex ausdrücklich hingewiesen. Diese sieht für die Zeiterfassung grundsätzlich die Erfassung durch Zeiterfassungsgeräte vor. Falls die Aufstellung eines Zeiterfassungsgerätes wirtschaftlich nicht vertretbar erscheint, kann das Personal- und Organisationsreferat auch die handschriftliche Aufschreibung zulassen (§ 6 Abs. 2 Satz 4 DV-Flex). Eine Zeiterfassung durch An-und Abmeldung per E-Mail ist in der DV-Flex nicht vorgesehen. Die Möglichkeit der Abweichung von den Regelungen der DV-Flex ist in § 2 DV-Flex lediglich für Abweichungen von Abschnitt III und nur im Zusammenwirken mit den Personalvertretungen vorgesehen. Die Weisung der An- und Abmeldung per E-Mail zum Zwecke der Zeiterfassung ist deshalb von der DV-Flex nicht gedeckt. Die Tatsache, dass die Weisung ein geeignetes Mittel zur Kontrolle der Arbeitszeit gewesen sein mag, ändert daran nichts.
2. Das Arbeitsverhältnis wurde auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 08.08.2014 aufgelöst.
Wie bereits unter Ziff. 1 ausgeführt, hat die Klägerin ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht verletzt. Die von der Beklagten ausgesprochene verhaltensbedingte Kündigung ist deshalb nicht sozial gerechtfertigt i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.
Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen nach § 72 a ArbGG die Beklagte hingewiesen wird, zulassen sollte.
Dr. Förschner Meyer
Berber

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Befristeter Arbeitsvertrag – Regelungen und Ansprüche

Dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einem befristeten Vertrag eingestellt werden, ist längst keine Seltenheit mehr. Häufig taucht der Arbeitsvertrag auf Zeit bei jungen Mitarbeitenden auf. Über die wichtigsten Regelungen und Ansprüche informieren wir Sie.
Mehr lesen