Arbeitsrecht

Wirksamkeit einer ordentlichen Änderungskündigung nach Fehlverhalten einer Pflegedienstleiterin im Brandfall

Aktenzeichen  5 Sa 990/15

Datum:
13.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 120774
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
KSchG § 1, § 2 S. 1, S. 2, § 6
BGB § 314 Abs. 2, § 323 Abs. 2
MAVO § 30 Abs. 5

 

Leitsatz

1 In einem Alten- und Pflegeheim als vorgesetzte Pflegedienstleiterin ein Feuer unbeaufsichtigt und andere bettlägerige Mitbewohner im Stockwerk zurückzulassen ist angesichts weiterer Umstände (u.a. Wegtragen eines Bewohners) keine schwere Pflichtverletzung, die ohne Abmahnung zu einer Kündigung berechtigen würde. (Rn. 76 – 80) (red. LS Ulf Kortstock)
2 Eine Abmahnung war nicht entbehrlich, weil eine Verhaltensänderung nicht zu erwarten gewesen wäre, wofür u.a. spricht, dass im vorhandenen Notfallplan Unklarheiten zu finden sind. (Rn. 72 – 75) (red. LS Ulf Kortstock)

Verfahrensgang

8 Ca 997/15 2015-09-24 Endurteil ARBGREGENSBURG ArbG Regensburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 24. September 2015 – 8 Ca 997/15 – abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Änderungskündigung des Beklagten vom 21.04.2015 rechtsunwirksam ist.
II. Der Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.
A.
Die Berufung ist zulässig.
Die Berufung ist statthaft gem. § 64 Abs. 1 und 2 lit. c) ArbGG. Sie ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 Sätze 1 und 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO.
B.
Die Berufung ist begründet.
Das Arbeitsgericht Regensburg hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Änderungskündigung des Beklagten vom 21.04.2015 ist rechtsunwirksam.
I. Die Klage ist zulässig.
Das Feststellungsinteresse für den punktuellen Änderungsschutzantrag ergibt sich aus der Regelung des § 4 Satz 2 KSchG (vgl. BAG 14.01.2015 – 7 AZR 2/14 – NZA 2016, 39, 41 Rn. 18 zur Drei-Wochen-Frist des § 17 Satz 1 TzBfG).
II. Die Klage ist begründet.
Die Änderungsschutzklage (§ 4 Satz 2 KSchG) ist begründet. Das mit der Kündigung des Beklagten vom 21.04.2015 verbundene Änderungsangebot war hinreichend bestimmt. Die Änderung der Arbeitsbedingungen aufgrund der Änderungskündigung ist jedoch sozial ungerechtfertigt und daher rechtsunwirksam, § 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 KSchG.
1. Die Änderungskündigung ist ein aus zwei Willenserklärungen zusammengesetztes Rechtsgeschäft. Zu der auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Kündigungserklärung tritt als zweites Element das Angebot zu seiner Fortsetzung unter geänderten vertraglichen Bedingungen hinzu. Es muss sich um ein bestimmtes, zumindest bestimmbares und somit den Voraussetzungen des § 145 BGB entsprechendes Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen handeln (BAG 17.02.2016 – 2 AZR 613/14 – Rn. 18 zitiert nach Juris). Auch wenn die Änderungskündigung im Ergebnis lediglich auf eine Änderung der Vertragsbedingungen zielt, handelt es sich bei ihr doch – wegen der mit ihr verbundenen Kündigungserklärung – um eine „echte“ Kündigung. Diese unterliegt allen formalen Anforderungen, die an die Wirksamkeit einer Kündigung zu stellen sind. Die jeweiligen Vorgaben muss der Arbeitgeber vor Zugang der Kündigungserklärung und unabhängig von einer Ablehnung oder (Vorbehalts-)Annahme des Änderungsangebots beachten. Werden die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Kündigung missachtet, ist dies auch bei Annahme des Änderungsangebots rechtlich von Bedeutung, wenn die Annahme unter Vorbehalt erfolgt. Auch der Arbeitnehmer, der das Angebot auf Änderung seiner Arbeitsbedingungen gem. § 2 Satz 1 KSchG unter Vorbehalt angenommen hat, kann sich im Änderungsschutzprozess darauf berufen, die Änderung der Vertragsbedingungen sei schon aus einem anderen Grund als dem ihrer Sozialwidrigkeit unwirksam (BAG 20.02.2014 – 2 AZR 346/12 – BAGE 147, 237, 246 f. Rn. 38).
Wenn bei Ablehnung des Änderungsangebots die Kündigung aus „anderen Gründen“ unwirksam wäre und das Arbeitsverhältnis schon deshalb unverändert fortbestünde, soll diese Rechtsfolge vielmehr auch dann eintreten, wenn der Arbeitnehmer die ihm mit Hilfe einer Kündigung „aufgezwungenen“ Änderungen der Arbeitsbedingungen vorläufig akzeptiert. In diesem Sinn muss ein Arbeitgeber, gedacht als sorgfältiger Erklärungsempfänger, den Vorbehalt in der Regel verstehen (§§ 133, 157 BGB). Ein Verzicht darauf, „andere Gründe“ i. S.v. § 4 Satz 2 Alt. 2 KSchG geltend zu machen, müsste ausdrücklich oder doch nach den Umständen eindeutig erklärt sein (vgl. BAG 28.05.1998 – 2 AZR 615/97 -BAGE 89, 48, 52 f. zu II 3 b) der Gründe). Nur wenn sich aus einer entsprechenden Beschränkung des Vorbehalts oder dem Vorbringen des Arbeitnehmers im Prozess ergibt, dass die Wirksamkeit der Kündigungserklärung als solche nicht in Frage gestellt werden soll, ist Streitgegenstand gem. § 4 Satz 2 Alt. 1 KSchG allein der Inhalt der für das Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitsbedingungen (BAG 22.05.2015 – 2 AZR 124/14 – NZA 2016, 225, 228 Rn. 30).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Änderungskündigung nicht unwirksam gem. § 30 Abs. 5 MAVO. Insofern folgt die Kammer den Gründen der angefochtenen Entscheidung des Arbeitsgerichts (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Im Übrigen hat die Klägerin ausweislich des Sitzungsprotokolls auf Nachfrage des Gerichts diesen Unwirksamkeitsgrund zuletzt nicht mehr gerügt. Die Regelung des § 6 KSchG besagt, dass der Arbeitnehmer über die Einführung der Unwirksamkeitsgründe frei entscheiden und den Prozessstoff insoweit von vornherein begrenzen kann (BAG 24.05.2012 – 2 AZR 206/11 – NZA 2013, 137, 142 Rn. 50). Den Parteien bleibt es somit auch unbenommen, einen Unwirksamkeitsgrund nicht mehr weiterzuverfolgen und fallen zu lassen.
3. Die Änderung der Arbeitsbedingungen ist sozial nicht gerechtfertigt (§ 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG).
a) Das Schreiben des Beklagten vom 21.04.2015 enthält eine Änderungskündigung. Das im Zusammenhang mit der Kündigungserklärung unterbreitete Angebot i. S. d. § 145 BGB ist insbesondere hinreichend bestimmt (vgl. hierzu BAG 17.02.2016 – 2 AZR 613/14 – Rn. 18 aaO).
b) Die Klägerin hat das Angebot fristgerecht unter Vorbehalt angenommen. Der Vorbehalt ist nicht erloschen.
aa) Gemäß § 2 Satz 2 KSchG muss der Arbeitnehmer den Vorbehalt innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erklären. Im Falle einer nicht fristgerechten Änderungsschutzklage erlischt dieser gem. § 7 Hs. 2 KSchG.
bb) Die Klägerin hat den Vorbehalt rechtzeitig erklärt; er ist nicht erloschen.
(1) Mit Schreiben an den Beklagten vom 24.04.2015 nahm die Klägerin das Änderungsangebot und damit innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigungserklärung am 21.04.2015 fristgerecht an.
(2) Der erklärte Vorbehalt der Annahmeerklärung ist nicht nach § 7 Hs. 2 KSchG erloschen, da die Klägerin rechtzeitig innerhalb der drei Wochen Änderungsschutzklage nach § 4 Satz 2 KSchG erhoben hat. Die Kündigung ist zugegangen am 21.04.2015. Der Fristlauf begann als Ereignisfrist gem. § 187 Abs. 1 BGB am 22.04.2015 und endete am 12.05.2015 (Dienstag) gem. § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB. Die Klage ging per Telefax am 24.04.2015 beim Arbeitsgericht ein, wurde dem Beklagten am 28.04.2015 zugestellt und ist somit rechtzeitig erhoben (§ 253 Abs. 1 ZPO).
c) Das Kündigungsschutzgesetz findet im vorliegenden Fall unstreitig Anwendung gem. § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG.
d) Die Änderung der Arbeitsbedingungen ist sozial ungerechtfertigt gem. § 2 Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.
aa) Eine Änderungskündigung ist dann sozial gerechtfertigt, wenn der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen personenbedingte, verhaltensbedingte oder dringende betriebliche Gründe i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG entgegenstehen und die angebotenen geänderten Bedingungen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen (vgl. KR-Kreft 11. Aufl. § 2 KSchG Rn. 171 m. w. N.).
Auch bei einer ordentlichen Änderungskündigung bedarf es regelmäßig einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die angebotenen Vertragsänderungen dürfen sich dabei nicht weiter von deren Inhalt entfernen, als es zur Erreichung des angestrebten Zwecks erforderlich ist {KR-Kreft 11. Aufl. § 2 KSchG Rn. 171; LAG Nürnberg 06.08.2012 – 2 Sa 643/11 – NZA-RR 2012, 631, 633). Ebenso wie bei einer Beendigungskündigung bedarf es auch bei einer verhaltensbedingten Änderungskündigung grundsätzlich einer Abmahnung (KR-Kreft § 2 KSchG Rn. 171a m. w. N.; ErfK/Oefker 16. Aufl. § 2 KSchG Rn. 46; NK-GA/Nübold § 2 KSchG Rn. 85; APSIKünzl 4. Aufl. § 2 KSchG Rn. 244; BAG 21.11.1985 – 2 AZR 21/85 – NZA 1986, 713; 18.11.1986 – 7 AZR 674/84 – NZA 1987, 418; LAG Nürnberg 06.08.2012 – 2 Sa 643/11 – NZA-RR 2012, 631, 633 Rn. 58; LAG Hessen 15.11.1999 – 11 Sa 2570/98 -Rn. 57zitiert nach Juris; LAG Hamm 10.05.1983- 11 Sa 1462/82-ZIP 1983, 985). Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (vgl. BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – NZA 2015, 294, 296 Rn. 22). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – aaO; 25.10.2012-2 AZR 495/11 – NZA 2013, 319, 320 Rn. 16).
Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich (BAG 19.04.2012 -2 AZR 186/11 – NZA 2013, 27, 29 Rn. 22; grundlegend 04.06.1997 – 2 AZR 526/96 -BAGE 86, 95, 102 zu II 1 d) der Gründe unterteilweise Aufgabe der bisherigen Rspr. u. a. 04.04.1974 – 2 AZR 452/73 – BAGE 26, 116, 129: grundsätzliche Entbehrlichkeit der Abmahnung). Auch bei einem solchen Fehlverhalten bedarf es dann einer vorherigen erfolglosen Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (BAG 18.11.1986-7 AZR 674/84 – NZA 1987, 418zu II 5 der Gründe).
bb) Ein verhaltensbedingter Grund für die Änderung der Arbeitsbedingungen (§ 2 Satz 1 KSchG i. V. m. § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 KSchG) liegt zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Zugangs der Änderungskündigung (APSIKünzl § 2 KSchG Rn. 125) nicht vor. Die Änderungskündigung erweist sich im vorliegenden Fall bei der gebotenen umfassenden einzelfallbezogenen Interessenabwägung als unverhältnismäßig.
Das Arbeitsgericht hat in seiner Entscheidung zwar sehr sorgfältig und richtig die Grundsätze dargestellt. Die Kammer ist jedoch bei der Subsumtion des Sachverhalts im Rahmen der konkreten einzelfallbezogenen Interessenabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie aufgrund der gesamten Umstände des Streitfalls i. S. v. § 286 Abs. 1 ZPO zu dem Ergebnis gekommen, dass – den Vortrag des Beklagten zur behaupteten Pflichtverletzung unterstellt – eine Abmahnung als Reaktion ausgereicht hätte (vgl. BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – NZA 2015, 295, 296 Rn. 30). Sie wäre als milderes Mittel nicht nur erforderlich, sondern auch geeignet gewesen (vgl. AR/Fischer-meierl. Aufl. § 626 BGB Rn. 170/171).
Die Klägerin ist bisher nicht abgemahnt worden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Eine negative Prognose ohne einschlägige Abmahnung lässt sich nicht bejahen. Dem Beklagten ist es daher zuzumuten, die Klägerin auf ihrer bisherigen fachlichen Position als Pflegedienstleiterin weiterzubeschäftigen.
(1) Eine Abmahnung war nicht deshalb verzichtbar, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach der Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten war. Die negative Prognose ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer bereits ausdrücklich erklärt oder unmissverständlich konkludent zum Ausdruck gebracht hat, sein Fehlverhalten nicht ändern zu wollen oder wenn er die Vertragsverletzung hartnäckig und uneinsichtig begangen hat (AR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 170).
Es handelt sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung. Die Klägerin hat nicht ex ante zum Ausdruck gebracht, zukünftig nicht willens zu sein, eine genaue Reihenfolge bei der Beachtung der Abläufe in zeitlicher Hinsicht zu beachten. Sie gab keinen Anhaltspunkt für ein hartnäckiges, unbelehrbares Verhalten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine ordnungsgemäße Abmahnung Erfolg gehabt hätte. Zwingende Anhaltspunkte für das Gegenteil sind jedenfalls nicht ersichtlich (BAG 21.11.1985 – 2 AZR 21/85 – Rn. 25 zitiert nach Juris).
Auch das Verhalten nach dem Vorfall und vor Ausspruch der Kündigung lässt keine andere Bewertung zu. Die Klägerin fertigte am 09.04.2015 ein Erinnerungsprotokoll an. In diesem schilderte sie nüchtern ihre, d. h. subjektive Sicht der Dinge und verstieg sich nicht in Vorwürfen gegenüber dem Beklagten. Sie versuchte ihr Verhalten zu erklären. In dem Schreiben bringt sie zudem zum Ausdruck, dass sie den Brand irrig für eine Brandschutzübung hielt. Die Klägerin trug unwidersprochen (§ 138 Abs. 3 ZPO) vor, sich mehrfach beim Personalleiter Herrn B. für die Fehleinschätzung entschuldigt zu haben. Dies wertet die Kammer indes nicht als entlastend. Die Klägerin trug nicht substanziiert vor, wann die Entschuldigungen außer am 16.07.2015 (Zeitpunkt nach Ausspruch der Kündigung) konkret stattgefunden haben. Zudem wirkt sich „Nachtatverhalten“ vor Zugang der Kündigung nur schwach entlastend aus (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – NZA 2015, 294, 297 Rn. 31; 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 – NZA 2011, 1342, 1345 Rn. 39).
Eine Abmahnung wäre auch nicht ungeeignet gewesen. Das vorhandene Notfallkonzept verdeutlicht nicht, ob darin eine strikt abzuarbeitende zeitliche Reihenfolge zu sehen ist. So ist beim Punkt 1.13 unter „Feuer“ erst in der sechsten Zeile von eventuellen Löschversuchen die Rede, in der vierten Zeile steht jedoch bereits die Vorgabe, Personen in Sicherheit zu bringen. Vor dem Hintergrund der Abmahnung hätte der Klägerin der nach Ansicht des Beklagten richtige Weg für die Zukunft aufgezeigt werden können. Ihr wäre damit auch die Möglichkeit eingeräumt worden, diese Fragen mit ihren Vorgesetzten konkret durchzusprechen, diese ggf. schriftlich abzufassen und damit für die Zukunft gewappnet zu sein. Eine Abmahnung wäre für eine Sensibilisierung und Schärfung des Gefahrbewusstseins im Zusammenhang mit diesem Thema geeignet gewesen. Optimierungspotential im Sinne einer klaren und verbindlichen Regelung unter Fixierung der zeitlichen Abläufe bestand auch auf Seiten des Beklagten. So ist bspw. beim Punkt „Bewohner nicht auffindbar“ im Notfallplan anders als beim Punkt „Feuer“ eine klare Nummerierung mit den Ziffern 1.-6. vorgegeben.
(2) Eine Abmahnung war auch nicht deshalb ausnahmsweise entbehrlich, weil es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelte, dass dem Beklagten nach objektiven Maßstäben selbst deren erstmalige Hinnahme unzumutbar war.
Die Kammer teilt bei der gebotenen Abwägung nicht die Auffassung des Erstgerichts, dass es sich angesichts des konkreten Sachverhalts bei den im Raum stehenden Vorwürfen, nämlich insbesondere das Feuer unbeaufsichtigt und andere bettlägerige Mitbewohner im Stockwerk zurückgelassen zu haben, um eine schwere, eine Abmahnung entbehrlich machende Pflichtverletzung handelte.
Die Klägerin nimmt unstreitig eine Vorgesetztenstellung ein. Der Beklagte muss ihr daher unbedingtes Vertrauen entgegenbringen können. Er muss sich auf sie verlassen können und kann ein souveränes und umsichtiges Verhalten in dieser Funktion berechtigterweise voraussetzen. Die Klägerin zeigte bei dem Vorfall jedoch keinerlei Schädigungsabsicht und handelte ohne Vorsatz. Sie entfernte sich nicht alleine von der Gefahrenstelle. Sie packte vielmehr sofort an, indem sie den Bewohner E. auf dem Rücken in das Erdgeschoss trug. Selbst zu Gunsten des Beklagten unterstellt, die Flammenhöhe wäre zeitweise 30 – 40 cm hoch gewesen – wie seitens des Beklagten vorgetragen -, dann wäre das Vorgehen der Klägerin noch verständlicher gewesen, um den Mitbewohner aus der Gefahrenzone zu transportieren. Dieser war aufgrund seiner Demenzkrankheit besonders auf ihre Hilfe angewiesen. Die Tatsache der Flammenhöhe (Beweisangebot Frau Hö.) ist daher nicht beweisbedürftig. Dasselbe gilt für die Frage, ob sich noch andere Bewohner zum Zeitpunkt des Brandes im 2. Obergeschoss aufgehalten hatten (Beweisangebot Frau Hö.). Die Klägerin musste rasch Entscheidungen treffen und sich für eine erste Maßnahme entscheiden. Zu Gunsten des Beklagten unterstellt, es hätten sich noch andere, auch bettlägerige Mitbewohner auf ihren Zimmern befunden, so hätte selbst eine falsche Prioritätensetzung der Klägerin nach Ansicht der Berufungskammer nicht den Schweregrad, um eine Abmahnung entbehrlich zu machen. Es war für sie nicht erkennbar ausgeschlossen, dass er es nicht zumindest gebilligt hätte, dass sie den Bewohner E. zunächst in Sicherheit bringt. Zu berücksichtigen ist bei der Abwägung der Positionen der Parteien auch, dass die Klägerin, nachdem sie Herrn E. in Sicherheit gebracht hatte, in den zweiten Stock zurückkehrte, an dem sich der Brandherd befand. Sie verhielt sich somit nicht egoistisch, sondern durchaus verantwortungsvoll, mag sie auch nach Auffassung des Beklagten die Prioritäten falsch gesetzt und die Situation falsch eingeschätzt haben.
Der Notfallplan des Beklagten stellt keinen verbindlichen Rahmen dar. Im Übrigen ist dort auch nur von eventuellen Löschversuchen die Rede. Nach seinem unwidersprochenen Vortrag (§ 138 Abs. 3 ZPO) gibt es bei ihm kein festes Brandkonzept. Auch wurde in letzter Zeit nach seinem unwidersprochenen Vortrag keine Brandschutzübung durchgeführt. Ein – unterstelltes – vertragswidriges Verhalten der Klägerin erscheint unter diesen Umständen in einem deutlich milderen Licht (vgl. BAG 25.10.2012 – 2 AZR 495/11 – NZA 2013, 319, 321 Rn. 33 betr. Handynutzung eines Arztes im Operationssaal zu privaten Zwecken).
Auch die Erklärungsversuche der Klägerin, wonach es sich ihrer Ansicht nach nur um eine Brandschutzübung gehandelt habe, führen nicht zu einem anderen Ergebnis. Selbst wenn man darin – so die Auffassung des Beklagten – ein taktisches Verhalten sähe, handelte die Klägerin im Brandfall umgehend und übernahm Verantwortung gegenüber einem Mitbewohner. Die Kammer sieht daher im konkreten Fall keine irreparable Zerstörung des Vertrauens (vgl. BAG 19.04.2012 – 2 AZR 156/11 – NZA 2012, 1274, 1276 Rn. 19) in ihre geschuldete Funktion als Pflegedienstleiterin. In der Anhörung der Mitarbeitervertretung spricht der Beklagte auch nur davon, dass das Vertrauensverhältnis „nachhaltig gestört“ sei. Die behauptete Nachhaltigkeit kann die Kammer nicht nachvollziehen, da bis zum Ausspruch der Änderungskündigung aufgrund dieses Vorfalls Störungen im Vertrauensbereich (vgl. zum eingeschränkten Wert der Abgrenzung nach Störbereichen BAG 04.06.1997 – 2 AZR 526/96 – BAGE 86, 95) nicht aufgezeigt worden sind (vgl. auch zum Aspekt der Nachhaltigkeit im Falle einer beharrlichen Arbeitsverweigerung BAG 05.04.2001 – 2 AZR 580/99 – Rn. 23 zitiert nach Juris). Unter den gegebenen Umständen musste die Klägerin nicht davon ausgehen, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Arbeitsbedingungen gefährdet wäre, wenn sie zunächst einen demenzkranken Mitbewohner in das Erdgeschoss transportiert.
(3) Auch die abschließende Interessenabwägung (vgl. BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – NZA 2015, 294, 297 Rn. 32) führt zu einem überwiegenden Interesse der Klägerin am Fortbestand ihres bisherigen Arbeitsplatzes.
Für das Interesse des Beklagten an der Änderung der Arbeitsvertragsbedingungen spricht, dass es sich bei der Funktion einer Pflegedienstleitung um eine verantwortungsvolle Aufgabe handelt. Für ihn ist ein ungestörtes Vertrauensverhältnis besonders wichtig (vgl. BAG 05.04.2001 – 2 AZR 159/00 – NZA 2001, 954, 957 B I 2 c) der Gründe zu einem leitenden Angestellten). Bei fehlerhaftem Handeln in einer Leitungsfunktion gerade in einem Brandfall können große Schäden für Leib und Leben der Bewohner eintreten (vgl. Schwarze/Eylert/Schrader/Scftwarze KSchG § 2 Rn. 30: insbesondere schuldhafte Fehlleistung mit Schadensfolge). Einer Arbeitnehmerin mit Vorgesetztenfunktion kommt stets eine gewisse Vorbildrolle zu. Mit fünf Jahren ist die Klägerin zudem nicht übermäßig lange beschäftigt.
Für die Klägerin spricht hingegen, dass sie alleinerziehend und Mutter eines nunmehr 18% Jahre alten Sohnes ist, der noch die Fachoberschule besucht. Durch die künftige Stelle würde sie eine erhebliche finanzielle Verschlechterung erfahren, die nicht allein durch die veränderte Position im Sinne einer „Vergütungsautomatik“ bedingt wäre. Nach dem Vortrag des Beklagten würde auch in die Besitzstandszulage in Höhe von 207,- € der Klägerin eingegriffen. Sie ist zudem im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung 57 Jahre alt gewesen und daher auch diesbezüglich schutzwürdig im Bestand ihres bisherigen Arbeitsplatzes. Ihr Verhalten war zudem allenfalls fahrlässig, sie wollte nicht bewusst gegen ihre Pflichten – einen Pflichtverstoß unterstellt – verstoßen. Zudem ist kein Schaden eingetreten.
Aus den genannten Gründen ist die ausgesprochene Änderungskündigung unverhältnismäßig und lässt das Interesse der Klägerin an dem Bestand ihrer bisherigen Arbeitsvertragsbedingungen gegenüber dem Änderungsinteresse des Beklagten überwiegen.
cc) Ein personenbedingter Änderungsgrund (§ 2 Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 KSchG) scheidet ebenfalls aus.
(1) Im Arbeitsverhältnis stehen dem Arbeitgeber zur Reaktion auf Störungen des Austauschverhältnisses, soweit sie aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammen, im Wesentlichen die Vorschriften über die personenbedingte Beendigungskündigung oder Änderungskündigung zu Gebote (vgl. Stahlhacke/Pre/’s 11. Aufl. 2015 Rn. 1218). Die Abgrenzung zwischen personen- und verhaltensbedingtem Kündigungsgrund kann bisweilen schwierig sein. Sie schließen sich im Prüfprogramm nicht von vornherein aus (vgl. BAG 20.06.2013 – 2 AZR 583/12 – NZA 2013, 1345 ff.; 20.12.2012 – 2 AZR 32/11 – NZA-RR 2013, 627; BAG 24.02.2011 – 2 AZR 636/09 – NZA 2011, 1087 ff.; Stahlhacke/Pre/s aaO Rn. 1218: bei Vertragspflichtverletzung verhaltensbedingter Grund als spezieller Kündigungsgrund). Eine personenbedingte Kündigung wegen Minderleistungen setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer gegen die subjektiv zu bestimmende Leistungspflicht verstößt. Es kommt darauf an, ob die Arbeitsleistung die berechtigte Gleichwertigkeitserwartung des Arbeitgebers in einem Maße unterschreitet, dass ihm ein Festhalten an dem (unveränderten) Arbeitsvertrag unzumutbar wird. Auch im Falle einer personenbedingten Kündigung scheidet aber das Abmahnungserfordernis nicht a priori aus (vgl. zum Abmahnungserfordernis BAG 15.08.1984 – 7 AZR 228/82 – BAGE 46, 163, 166 zu II 1 der Gründe; 04.06.1997 – 2 AZR 526/96 – BAGE 86, 95, 102 zu III 1 d) der Gründe; zur Krankheit vgl. auch LAG Hessen 18.03.2014 – 13 Sa 1207/13 – BB 2014, 2942; aA Stahlhacke/Pre/s aaO Rn. 1219).
(2) Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Beklagte hat seine Änderungskündigung auf das in seinen Augen pflichtwidrige Verhalten der Klägerin gestützt. Tatsachen zum Kündigungsgrund „an sich“, der ein nicht steuerbares Verhalten beinhaltet, sind nicht vorgetragen. Er hat nicht – jedenfalls nicht substanziiert -dargestellt, dass der Klägerin aufgrund ihres nach ihrer Ansicht inakzeptablen Vorgehens anlässlich des Brandes künftig die Eignung fehlen würde, ihre Aufgabe als Pflegedienstleitung auszuüben. Im Übrigen wird bezüglich der einzelfallbezogenen Interessenabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die obigen Ausführungen verwiesen.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und Satz 2, 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO.
Die Kosten der Berufung hat der unterlegene Beklagte zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO). Im Streit stand nur die Änderungsschutzklage. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sind gegeneinander aufzuheben, §§ 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Die Klägerin hat gem. § 54 Abs. 2 Satz 1 ArbGG die Klage teilweise wirksam zurückgenommen. Der allgemeine Feststellungsantrag wurde dabei nicht streitwerterhöhend berücksichtigt (vgl. LAG Sachsen-Anhalt 04.02.2013 – 1 Ta 125/12 – Arbeitsrecht Aktuell 2013, 188; LAG Thüringen 03.06.1999 – 8 Ta 76/96 – zitiert nach Juris), die anderen drei Streitgegenstände wurden jeweils mit einem Bruttomonatsgehalt, insgesamt also mit drei Bruttomonatsgehältern angesetzt (§ 3 Hs. 1, § 5 Hs. 1 ZPO). Der Änderungsschutzantrag wurde mit drei Bruttomonatsgehältern angesetzt (§ 3 Hs. 1 ZPO, § 42 Abs. 2 Hs. 1 GKG entspr.). Somit tragen der Beklagte und die Klägerin die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens jeweils zur Hälfte (§ 92 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
D.
Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 ArbGG.
E.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen, § 72a Abs. 1 ArbGG.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben