Arbeitsrecht

XI ZB 17/19

Aktenzeichen  XI ZB 17/19

Datum:
6.10.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:061020BXIZB17.19.0
Normen:
§ 85 Abs 2 ZPO
§ 238 Abs 2 S 1 ZPO
Spruchkörper:
11. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG Stuttgart, 16. Juli 2019, Az: 6 U 95/19vorgehend LG Stuttgart, 22. Januar 2019, Az: 25 O 89/18

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Kläger gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. Juli 2019 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert beträgt bis 110.000 €.

Gründe

I.
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss zweier Verbraucherdarlehensverträge gerichteten Willenserklärungen der Kläger.
2
Das Landgericht hat ein klageabweisendes Versäumnisurteil durch Urteil vom 22. Januar 2019, das den Klägern am 28. Januar 2019 zugestellt worden ist, aufrechterhalten. Dagegen haben die Kläger am 21. Februar 2019 Berufung eingelegt. Eine Berufungsbegründungsschrift ist bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 28. März 2019 nicht bei dem Berufungsgericht eingegangen.
3
Auf einen entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts, der den Klägern am 4. April 2019 zugestellt worden ist, haben diese am 18. April 2019 die Berufung begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags haben die Kläger im Wesentlichen ausgeführt, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten bestehe die laufend stichprobenartig überprüfte Anweisung, bei jedem eingehenden fristauslösenden Schriftstück alle beginnenden Fristen in den Fristenkalender einzutragen, die Fristenden auf dem Schriftstück zu vermerken und dann dort als im Fristenkalender notiert abzuhaken. Danach seien die Schriftstücke dem Prozessbevollmächtigten der Kläger vorzulegen, der jeweils kontrolliere, ob die Fristen auf dem Schriftstück vermerkt und als im Fristenkalender notiert abgehakt seien. Im vorliegenden Fall habe es jedoch die von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger sorgfältig ausgewählte, seit Jahren zuverlässig und fehlerfrei arbeitende Rechtsanwaltsfachangestellte M.   versäumt, neben der Berufungsfrist auch die Berufungsbegründungsfrist in den Fristenkalender einzutragen. Dies habe der Prozessbevollmächtigte der Kläger nicht bemerken können und müssen, weil Frau M.   auf der Urteilsausfertigung beide Daten vermerkt und als im Fristenkalender notiert abgehakt habe.
4
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kläger hätten die Berufungsbegründungsfrist nicht ohne ein ihnen gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten versäumt. Ein solches Eigenverschulden ergebe sich hier aus einer mangelhaften Büroorganisation. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehöre zur ordnungsgemäßen Organisation einer Anwaltskanzlei die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordere, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall sei, neben dem Datum des Fristablaufs eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren, die eine zusätzliche Fristensicherung biete. Vorliegend sei weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass im Büro des Prozessbevollmächtigten der Kläger die allgemeine Anweisung bestanden habe, für die Rechtsmittelbegründung eine Vorfrist zu notieren.
5
Das Unterlassen einer solchen Anordnung zur Notierung einer Vorfrist sei ursächlich für das Fristversäumnis. Wäre im Fristenkalender eine Vorfrist eingetragen worden, hätte der Prozessbevollmächtigte der Kläger nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten die Berufungsbegründungsfrist gewahrt, obwohl die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist versehentlich unterblieben sei. Es könne nicht unterstellt werden, dass Frau M.   bei bestehender Anweisung versehentlich auch die Vorfrist nicht eingetragen hätte. Im Übrigen wäre die Wiedereinsetzung auch dann zu versagen, wenn offen sei, ob die Berufungsbegründungsfrist auch bei Erteilung der geforderten Anweisung versäumt worden wäre.
6
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.
II.
7
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (Senatsbeschluss vom 9. November 2004 – XI ZB 6/04, BGHZ 161, 86, 87 mwN), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) erforderlich. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht vielmehr im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und verletzt nicht den Anspruch der Kläger auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen. Die Kläger haben nicht glaubhaft gemacht, dass sie ohne Eigenverschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das ihnen nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, an der Einhaltung der Frist zur Begründung ihrer Berufung gehindert waren.
8
1. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei erkannt hat, die Fristenkontrolle schuldhaft mangelhaft organisiert. In dem Unterlassen der Weisung, eine Vorfrist zu notieren, liegt ein nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger.
9
a) Ein Rechtsanwalt darf zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 1994 – VIII ZB 26/94, NJW 1994, 2551, vom 12. September 2012 – XII ZB 528/11, NJW-RR 2013, 304 Rn. 10, vom 4. September 2018 – VIII ZB 70/17, NJW-RR 2018, 1325 Rn. 14, vom 12. Mai 2020 – XI ZB 19/19, juris Rn. 11 und vom 18. Juni 2020 – IX ZB 17/18, NJW-RR 2020, 1002 Rn. 9). Er hat aber durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 1994, aaO S. 2551 f. mwN, vom 24. Januar 2012 – II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rn. 9, vom 27. März 2013 – III ZB 84/12, juris Rn. 7, vom 13. September 2018 – V ZB 227/17, NJW-RR 2018, 1451 Rn. 7, vom 20. November 2018 – XI ZB 31/17, juris Rn. 9, vom 12. September 2019 – IX ZB 13/19, WM 2020, 855 Rn. 16 und vom 12. Mai 2020, aaO Rn. 11 f.).
10
b) Diese Vorgaben hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger bei der Organisation seiner Kanzlei nicht eingehalten. Eine Vorfrist war nicht notiert. Die Kläger haben weder in der Berufungsinstanz noch mit der Rechtsbeschwerde vorgetragen, dass dies versehentlich – entgegen einer anderslautenden Anordnung – unterblieben sei. Es ist daher mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, dass eine allgemeine Anweisung, bei der Notierung des Fristendes für Berufungsbegründungen auch eine Vorfrist zu notieren, im Büro des Prozessbevollmächtigten der Kläger nicht bestand.
11
2. Der Organisationsmangel des Prozessbevollmächtigten der Kläger war für die Fristversäumnis ursächlich.
12
a) Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn die Ursächlichkeit des Organisationsmangels für das Versäumen der Frist nicht ausgeräumt ist (BGH, Beschlüsse vom 10. April 1991 – XII ZB 28/91, NJW-RR 1991, 1150, 1151, vom 9. Juni 1992 – VI ZB 9/92, NJW-RR 1992, 1277, 1278, vom 11. Oktober 2000 – IV ZB 17/00, NJW 2001, 76, 77, vom 27. März 2012 – II ZB 10/11, NJW-RR 2012, 745 Rn. 12, vom 5. September 2012 – VII ZB 25/12, NJW 2012, 3516 Rn. 12 und vom 7. Januar 2015 – IV ZB 14/14, juris Rn. 12). Hat ein Rechtsanwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Berufungsbegründungsfrist ergriffen, geht es zu seinen Lasten, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. März 2013 – I ZB 67/12, NJW-RR 2013, 1011 Rn. 8, vom 18. Juli 2013 – V ZB 173/12, juris Rn. 12, vom 14. September 2017 – IX ZB 81/16, FamRZ 2017, 1946 Rn. 10, vom 23. Oktober 2018 – III ZB 54/18, NJW-RR 2018, 1529 Rn. 14, vom 20. November 2018 – XI ZB 31/17, juris Rn. 20 und vom 12. September 2019 – IX ZB 13/19, NJW 2019, 3234 Rn. 21).
13
b) Vorliegend ist nicht auszuschließen, dass im Fall der Eintragung einer Vorfrist in den Fristenkalender die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden wäre.
14
Bei auf die Vorfrist bezogen unterstellt ordnungsgemäßem Vorgehen wären die Akten dem Prozessbevollmächtigten der Kläger rechtzeitig vorgelegt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2014 – II ZB 11/13, juris Rn. 13; Senatsbeschluss vom 20. November 2018 – XI ZB 31/17, juris Rn. 19). In diesem Fall hätte der Prozessbevollmächtigte der Kläger rechtzeitig bemerkt, dass eine Berufungsbegründung noch nicht erstellt war. Ein Rechtsanwalt hat eine ihm aufgrund einer Vorfrist vorgelegte und damit in seinen persönlichen Verantwortungsbereich (zurück-)gelangte Fristsache rechtzeitig zu bearbeiten und für die Weiterleitung der bearbeiteten Sache in der Weise Sorge zu tragen, dass der entsprechende Schriftsatz fristgerecht bei Gericht eingeht. Dieser Pflicht wird er nicht durch eine weitere, auf den Tag des Fristablaufs notierte Frist enthoben (BGH, Beschlüsse vom 27. März 2013 – III ZB 84/12, juris Rn. 11 und vom 27. Juni 2013 – III ZB 84/12, juris Rn. 3; Senatsbeschluss vom 20. November 2018, aaO). Hätte mithin der Prozessbevollmächtigte der Kläger nach Vorlage der Akten zur Vorfrist die Berufungsbegründung fristgerecht fertiggestellt und einer Büroangestellten mit der Weisung übergeben, sie bei Gericht einzureichen, wäre die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden (Senatsbeschluss vom 20. November 2018, aaO).
15
Auch das Vorbringen der Rechtsbeschwerde ist nicht geeignet, die Kausalität der fehlenden Anordnung, eine Vorfrist zur Berufungsbegründungsfrist zu notieren, für das Fristversäumnis auszuschließen. Die Rechtsbeschwerde macht geltend, auch wenn die Akte dem Prozessbevollmächtigten bei Ablauf der Vorfrist vorgelegt worden wäre, hätte die Berufungsbegründung nicht sogleich an das Berufungsgericht übermittelt werden dürfen. Vielmehr hätte sie zuvor den Klägern zur Unterrichtung und der Rechtsschutzversicherung zur Abstimmung zugeleitet werden müssen, was bedingt hätte, dass die fertiggestellte Berufungsbegründung erst zum Zeitpunkt des Ablaufs der – hier jedoch ohne Verschulden des Rechtsanwalts nicht notierten – Frist aus der Handakte hervorgeholt worden wäre, um sie alsdann an das Berufungsgericht zu übermitteln. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist es aber durchaus möglich, dass bei einem solchen Vorgehen die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt worden wäre. Zwar hätte der Prozessbevollmächtigte der Kläger nach Fertigstellung der Berufungsbegründung die Sache im Hinblick auf den Abstimmungsbedarf mit der Rechtsschutzversicherung für den letzten Tag wieder auf Frist legen können. Im Fall der Erteilung einer solchen Weisung wäre aber möglicherweise aufgefallen, dass das Ende der Berufungsbegründungsfrist nicht notiert war (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 1999 – IX ZB 32/99, VersR 2000, 789).
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