Arbeitsrecht

Zahlungsanspruch setzt sozialrechtliches Dreiecksverhältnis voraus

Aktenzeichen  M 18 K 14.5809

Datum:
27.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII SGB VIII § 35a

 

Leitsatz

Eine Therapeutin hat für die von ihr erbrachten Therapieleistungen keinen Zahlungsanspruch gegen den öffentlichen Jugendhilfeträger, wenn die privatrechtlichen Verträge mit den Leistungsberechtigten nicht mit ihr, sondern nach dem Rechtsinstitut des Geschäfts für den, den es angeht, mit ihrem Arbeitgeber geschlossen wurden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Der geltend gemachte Zahlungsanspruch steht der Klägerin nicht zu.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch würde voraussetzen, dass zwischen ihr, der Beklagten und dem jeweiligen Hilfeberechtigten ein sozialrechtliches Dreiecksverhältnis vorlag.
Das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis beschreibt die verschiedenen Beziehungen zwischen dem Leistungserbringer, dem jeweiligen Leistungsberechtigten und dem öffentlichen Jugendhilfeträger. Die erste Seite des Dreiecks macht das Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten unter dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe aus, im Rahmen dessen der Leistungsberechtigte nicht nur auf eine Sachleistung beschränkt ist, sondern auch Kostenübernahme für bestimmte Leistungen, soweit ein jugendhilferechtlicher Anspruch dafür besteht, verlangen kann. Für dieses Rechtsverhältnis ist das Leistungsrecht des SGB VIII maßgeblich. Die zweite Seite des Dreiecks regelt die Rechtsbeziehungen zwischen dem Leistungsträger und dem Leistungserbringer. Die dritte Seite des Dreiecks schließlich wird durch die Bezie hungen zwischen dem Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer gekennzeichnet. Zwischen diesen besteht regelmäßig ein privatrechtlicher Vertrag, der auf der einen Seite die vom Leistungserbringer zu leistende Hilfe, auf der anderen Seite das von dem Hilfeempfänger zu entrichtende Entgelt regelt (vgl. HessLSG v. 19.03.2008 AZ: L 9 SO 1/08 B ER – juris, Rn. 19).
Die erste Seite des Dreiecks wird vorliegend durch die mit den o.g. Bescheiden der Beklagten bewilligten Eingliederungshilfemaßnahmen nach § 35a SGB VIII gebildet.
Voraussetzung für den geltend gemachten Zahlungsanspruchs ist dann weiter, dass auf der dritten Seite des Dreiecks privatrechtliche Therapieverträge zwischen der Klägerin und den jeweils von ihr therapierten Kindern, vertreten durch die Sorgeberechtigten, zustande gekommen sind. Die gegenüber dem Leistungserbringer bestehende Zahlungsverpflichtung der Leistungsberechtigten ist dann der Bedarf, den der Jugendhilfeträger im Grundverhältnis – durch Vergütungsübernahme – decken muss (vgl. BGH v. 31.03.2016 AZ: III ZR 267/15 – juris, Rn. 17, m.w.N.). Rechtlich geschieht dies – bei unverändert fortbestehender Verpflichtung des Hilfeempfängers aus dem im Erfüllungsverhältnis geschlossenen privatrechtlichen Vertrag – in Form eines Schuldbeitritts des Jugendhilfeträgers (kumulative Schuldübernahme). Der Jugendhilfeträger tritt der Zahlungsverpflichtung des bedürftigen Hilfeempfängers aus dessen zivilrechtlichen Vertrag mit dem Leistungserbringer und somit einer privatrechtlichen Schuld gegenüber dem Leistungserbringer bei (BGH, a.a.O., Rn. 20; vgl. auch BSG v. 23.07.2015 AZ: B 8 SO 15/14 R – juris, Rn. 14, m.w.N.). Der Schuldbeitritt hat einen unmittelbaren Zahlungsanspruch des Leistungserbringers gegen den Jugendhilfeträger zur Folge (vgl. BGH v. 21.03.2016 a.a.O., Rn. 21); dieser Anspruch bildet dann die zweite Seite des Dreiecks.
Ein solcher Zahlungsanspruch der Klägerin für die von ihr tatsächlich erbrachten Therapieleistungen ist vorliegend jedoch nicht entstanden, da nach Überzeugung des Gerichts die zugrunde liegenden Verträge nicht mit der Klägerin, sondern nach dem Rechtsinstitut des Geschäfts für den, den es angeht, mit ihrem früheren Arbeitgeber geschlossen wurden.
Ein Geschäft für den, den es angeht, ist dadurch gekennzeichnet, dass der handelnde Bevollmächtigte nicht zu erkennen gibt, ob er für sich oder einen anderen handelt, aber für einen anderen aufgrund einer erteilten Vollmacht handeln will und es dem Geschäftsgegner gleichgültig ist, mit wem das Geschäft zustande kommt. Anerkannt ist dieses durch teleologische Reduktion des Offenheitsgrundsatzes (§ 164 Abs. 2 BGB) entwickelte Rechtsinstitut insbesondere bei Bargeschäften des täglichen Lebens, und zwar vor allem bei dinglichem Rechtserwerb. Bei schuldrechtlichen Geschäften finden die Grundsätze des Geschäfts für den, den es angeht, nur in Ausnahmefällen Anwendung, da dem Vertragschließenden die Person seines Geschäftspartners in der Regel nicht gleichgültig ist (BGH v. 25.03.2003 AZ: XI ZR 224/02 – juris, Rn. 13, m.w.N.).
Bei den streitgegenständlichen Therapieverträgen handelt es sich zwar um schuldrechtliche Geschäfte; es liegen ausnahmsweise aber gleichwohl Verträge für den, den es angeht, vor.
Die Klägerin hat beim Abschluss der jeweiligen Therapievereinbarung mit den Sorgeberechtigten nicht zu erkennen gegeben, ob sie für sich selbst oder für ihren damaligen Arbeitgeber auftrat. Der Umstand, dass sie als einzige Person für den Leistungserbringer gegenüber den Sorgeberechtigten auftat, steht dieser Annahme nicht entgegen. Keiner der gehörten Zeugen hat ausgesagt, dass die Klägerin ausdrücklich erwähnt habe, sie handle im eigenen Namen.
Nach dem Anstellungsvertrag vom … Juni 2000 war die Klägerin berechtigt, bei den Vertragsabschlüssen für ihren früheren Arbeitgeber tätig zu werden. Nach § 1 Satz 2 Nr. 2 des Anstellungsvertrags umfasste der der Klägerin übertragene Aufgabenkreis auch die Tätigkeit der Aufnahme der Schüler.
Dass die Klägerin bei den jeweiligen Vertragsabschlüssen nicht für sich, sondern für ihren damaligen Arbeitgeber handeln wollte, ergibt sich für das Gericht aus dem Schreiben, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 14. Oktober 2015 vorgelegt hat. Dieses Schreiben ist zur Überzeugung des Gerichts der Klägerin zuzurechnen. Zwar trägt es keine Unterschrift, im Briefkopf ist jedoch die Formulierung „Forum … – Institut für Lerntherapie – … …“ genannt. Unter Ziffer 3. dieses Schreibens ist ausgeführt: „In der Vergangenheit fand der Unterricht statt auf der Grundlage einer vertraglichen Beziehung mit dem Kooperationspartner von … … …, weshalb es in der Regel dazu unbefristete Verträge gibt, welche aber ihrerseits bei Angabe entsprechender Gründe mit sofortiger Wirkung und damit auch noch zum 30. Juni 2014 gekündigt werden können“. Dies zeigt, dass die Klägerin selbst davon ausgeht, dass die vertragliche Beziehung der Leistungsberechtigten in der Vergangenheit mit ihrem vormaligen Arbeitgeber zustande kam. Auf die Frage, ob dieses Schreiben den angehörten Zeugen auch tatsächlich zuging, kommt es damit nicht mehr an (wenn auch die Befragung der Zeugen danach vom weit gefassten Beweisthema „Legasthenietherapievertrag für das Kind…“ umfasst war).
Das Gericht geht auch davon aus, dass für die Sorgeberechtigten zwar die Person der Therapeutin, nicht aber auch der Vertragspartner ausschlaggebend war.
Es ist davon auszugehen, dass die sorgeberechtigten Eltern der betroffenen Kinder eine Therapieerbringung durch die Klägerin persönlich wollten. Die Zeugin … hat insofern ausgesagt, sie habe sich die Klägerin als Therapeutin nicht selbst ausgesucht, diese sei aber vom Sozialbürgerhaus empfohlen worden. Die Zeugin … hat angegeben, auf sämtlichen Bescheiden des Jugendamtes sei immer und ausschließlich die Klägerin als Therapeutin genannt worden. Die Zeugin … hat angegeben, sie habe sich die Klägerin als Therapeutin selbst ausgesucht und gegenüber dem Jugendamt den Wunsch geäußert, dass die Therapie bei der Klägerin stattfinden solle. Auch die Zeugin … hat vorgebracht, sie habe sich die Klägerin als Therapeutin selbst ausgesucht, da diese ihr bekannt gewesen sei. Die Zeugin … hat angegeben, sie habe sich die Klägerin als Therapeutin nicht selbst ausgesucht, diese sei vielmehr von einer Sozialarbeiterin an der Schule, die ihr Sohn damals besucht habe, empfohlen worden. Die Zeugin … hat ausgeführt, sie sei auf die Klägerin über die …schule, die ihr Sohn damals besucht habe, aufmerksam geworden. Der Zeuge … hat erklärt, wie genau der Kontakt mit der Klägerin zustande gekommen sei, wisse er nicht mehr. Die Zeugin … hat ausgeführt, der Kontakt zur Klägerin habe bereits wegen der älteren Tochter bestanden. Die Zeugin … hat angegeben, sich die Klägerin selbst ausgesucht zu haben. Der Zeuge … hat ausgeführt, er wisse nicht mehr, wie genau die Wahl auf die Klägerin gefallen sei. Die Zeugin … hat ausgesagt, bereits ihre älteren Kinder seien bei der Klägerin in Therapie gewesen. Die Zeugin … hat ausgesagt, die Schule habe ihr die Klägerin als Therapeutin empfohlen. Die Zeugin … hat angegeben, sie habe sich die Klägerin als Therapeutin selbst ausgesucht.
Aus den vorgenannten Zeugenaussagen kann jedoch nur gefolgert werden, dass die Erziehungsberechtigten eine Therapieerbringung durch die Klägerin wollten. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der Vertragsabschluss im Rahmen des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses stattfand, so dass im Rahmen der Auslegung auch die anderen Seiten des Dreiecks heranzuziehen sind. Hier war es so, dass in sämtlichen Bewilligungsbescheiden der Beklagten die Klägerin als Therapeutin ausdrück lich genannt war. Für die vertragsschließenden Sorgeberechtigten bestand also kein Anlass, eine Leistungserbringung durch die Klägerin durch einen Vertragsabschluss mit ihr in Person sicherzustellen. Aus den Zeugenaussagen kann also nicht geschlossen werden, dass der Wille der Erziehungsberechtigten darauf gerichtet war, die Klägerin als Vertragspartnerin zu haben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch eine Leistungserbringung durch die Klägerin als Angestellte ihres früheren Arbeitgebers ausreichend war. Der Umstand, dass einige Zeugen (* … … … … … …*) ausgesagt haben, sie hätten mit der Klägerin einen Behandlungsvertrag geschlossen, steht dem nicht entgegen. Nach Auffassung des Gerichts kann aus diesen Aussagen lediglich gefolgert werden, dass im Rahmen der Vereinbarung über die Therapieerbringung Kontakt ausschließlich mit Klägerin bestand, nicht jedoch, dass diese und nicht etwa ihr damaliger Arbeitgeber Vertragspartner war. Es ist also davon auszugehen, dass ausschlaggebend für die Leistungsberechtigten bzw. deren Eltern war, dass die Therapie der Kinder durch die Klägerin in Person erbracht wurde, nicht aber, dass diese auch Vertragspartnerin wurde.
Nach alledem kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass die maßgeblichen Behandlungsverträge, aus denen sich im Weg des Schuldbeitrittes ein Anspruch gegen die Beklagte ergeben könnte, nicht mit der Klägerin, sondern mit deren vormaligem Arbeitgeber zustande kamen.
Selbst wenn man aber davon ausgehen wollte, dass als offen anzusehen ist, ob die Klägerin Vertretergeschäfte oder Eigengeschäfte abgeschlossen hat, steht ihr der geltend gemachte Anspruch nicht zu. In der dann gegebenen Non-Liquet-Situation ginge die Nichtnachweisbarkeit eines Eigengeschäfts zu Lasten der Klägerin, da das Vorliegen eines Eigengeschäfts eine anspruchsbegründende Tatsache ist und die Klägerin damit beweisbelastet ist.
Es kommt damit nicht mehr auf die Frage an, ob – unterstellt die Klägerin wäre doch Vertragspartei gewesen – die Beklagte schuldbefreiend an den vormaligen Arbeitgeber der Klägerin leisten konnte. Das Arbeitsgericht München hatte im Teilurteil vom … Februar 2015 (** … …*) festgestellt, dass nicht der Klägerin, sondern deren vormaligem Arbeitgeber die von öffentlichen Stellen gewährte Eingliederungshilfe zustand. Dieses Urteil ist allerdings nicht rechtskräftig geworden. Im Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht (* … …*) wurde vielmehr ein verfahrensbeendender Vergleich geschlossen, der allerdings keine Regelung hinsichtlich der auch im streitgegenständlichen Verfahren geltend gemachten Ansprüche gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe enthält. Ob gleichwohl neben dieser vergleichsweisen Regelung noch ein Rechtsschutzbedürfnis für die streitgegenständliche Klage besteht oder ob mit diesem Vergleich auch (inzindent) die Frage entschieden wurde, wem die streitgegenständlichen Ansprüche zustehen, wenn auch die Beklagte nicht Partei des arbeitsgerichtlichen Verfahrens war, muss ebenfalls nicht mehr entschieden werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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