Aktenzeichen M 21a K 18.3250
SVG § 55b, § 94b, § 96 Abs. 5
Leitsatz
1. Für den Fall, dass der Ruhegehaltssatz auf der Anwendung des § 94b Abs. 1 SVG beruht, ist § 94b Abs. 5 SVG gegenüber § 96 Abs. 5 SVG die speziellere Regelung mit der Folge, dass für ein Günstigkeitsprinzip wie in § 96 Abs. 5 SVG kein Raum ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 55b Abs. 3 S. 1 SVG in den Fassungen von 1987 und 1989 ist mit dem Grundgesetz vereinbar. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG im engeren Sinne noch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne. Der diese Anträge ablehnende Bescheid der Beklagten vom 17. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juni 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die Voraussetzungen des § 51 VwVfG für das Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne sind nicht erfüllt. Gemäß dem hier allein in Betracht kommenden § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Das ist hier nicht der Fall.
Welche Fassung der für die Versorgung relevanten Vorschriften jeweils Anwendung findet, ergibt sich aus den zum Zeitpunkt der Zurruhesetzung eines Soldaten geltenden Übergangsregelungen des Soldatenversorgungsgesetzes (vgl. BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11, 2 BvL 28/14 – BeckRS 2017, 113913).
Vorliegend ergibt sich das anzuwendende Recht aus § 94b Abs. 5 Satz 2 SVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. April 2002, anwendbar im Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 11. Februar 2009, da der Kläger mit Ablauf des 31. Juli 2004 in den Ruhestand getreten ist. § 94b Abs. 5 Satz 2 SVG ist vorliegend einschlägig, da sich der Ruhegehaltssatz des Klägers nach § 94b Abs. 1 SVG in der Fassung vom 9. April 2002 berechnet.
Nach § 94b Abs. 3 Satz 1 SVG in der Fassung vom 9. April 2002 wird der sich nach § 94b Abs. 1 oder 2 SVG ergebende Ruhegehaltssatz der Berechnung des Ruhegehaltes zugrunde gelegt, wenn er höher ist als der Ruhegehaltssatz, der sich nach diesem Gesetz für die gesamte ruhegehaltsfähige Dienstzeit ergibt. Vorliegend hat die Beklagte ausweislich der Behördenakte berechnet, dass sich für den Kläger nach § 94b Abs. 1 SVG ein Ruhegehaltssatz von 75% ergibt, während sich ohne Anwendung des § 94b Abs. 1 SVG für die gesamte ruhegehaltsfähige Dienstzeit ein Ruhegehaltssatz von 74,21% ergäbe. Berechnungsmängel sind weder ersichtlich noch von den Beteiligten geltend gemacht. Da der Ruhegehaltssatz des Klägers unter Anwendung des § 94b Abs. 1 SVG in der Fassung vom 9. April 2002 mithin höher ist als der sich ohne Anwendung des § 94b Abs. 1 SVG für die gesamte ruhegehaltsfähige Dienstzeit ergebende Ruhegehaltssatz, kommt § 94b Abs. 1 SVG in der Fassung vom 9. April 2002 für die Berechnung des Ruhegehaltssatzes des Klägers zur Anwendung, wovon auch im Bescheid vom 25. Juli 2006 ausgegangen wird.
Für den Fall, dass der Ruhegehaltssatz – wie vorliegend – auf der Anwendung des § 94b Abs. 1 SVG beruht, ist § 94b Abs. 5 SVG gegenüber § 96 Abs. 5 SVG die speziellere Regelung mit der Folge, dass für ein Günstigkeitsprinzip wie in § 96 Abs. 5 SVG kein Raum ist (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 6.11.2018 – 2 B 10/18 – juris). Denn nach § 96 Abs. 5 Satz 3 SVG in der Fassung vom 9. April 2002, anwendbar im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 27. März 2008, bleibt bei Anwendung des § 96 Abs. 5 Satz 2 SVG („Günstigkeitsprinzip“) § 94b Abs. 5 SVG unberührt.
Bei § 94b SVG handelt es sich um eine Bestandsschutzregelung für am 31. Dezember 1991 vorhandene Berufssoldaten. Für sie bleibt zwar der zu diesem Zeitpunkt erreichte Ruhegehaltssatz gewahrt (§ 94b Abs. 1 Satz 1 SVG), jedoch erstreckt § 94b Abs. 5 SVG die Geltung des früheren Rechts auch auf die Kürzungs- und Ruhensvorschriften der §§ 55a und 55b SVG. Die Versorgung dieses Personenkreises soll sich insgesamt nach dem alten Recht richten. § 94b Abs. 5 Satz 4 SVG bezieht ausdrücklich auch die Dienstzeit bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung in dieses Regelungskonzept ein, indem er ihre Berücksichtigung bei der Berechnung des Ruhensbetrags anordnet (BVerwG, B.v. 6.11.2018 – 2 B 10/18 – juris).
Nach § 94b Abs. 5 Satz 2 SVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. April 2002 ist bei Zeiten im Sinne des § 55b Abs. 1 SVG, die bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegt sind, § 55b SVG in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung anzuwenden (Fassung 87). Soweit Zeiten im Sinne des § 55b Abs. 1 SVG nach diesem Zeitpunkt zurückgelegt sind, ist § 55b in der vom 1. Januar 1992 an geltenden Fassung (Fassung 89) mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Hundertsatzes von 1,875 der Satz von 1,0 und an die Stelle des Hundertsatzes von 2,5 der Satz von 1,33 tritt.
Dementsprechend hat die Beklagte den Ruhensbetrag im Bescheid vom 25. Juli 2006 berechnet, wobei in der Folgezeit zudem Anpassungen aufgrund des Versorgungsänderungsgesetzes erfolgten. Berechnungsmängel sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Der hier zu beurteilenden Ruhensregelung liegt folglich § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG in den Fassungen von 1987 und 1989 zugrunde, für die nun in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt ist, dass sie mit dem Grundgesetz vereinbar sind (BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11, 2 BvL 28/14 – BVerfGE 145, 249).
Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Januar 2011 – 2 C 25/09 – sowie das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2016 – 1 A 2021/13 – weiterhin der Auffassung ist, dass ein Endzeitpunkt für das Ruhen zu bestimmen ist und ein Betroffener Anspruch auf Aufhebung des Ruhensbescheids habe, nachdem der Kapitalbetrag aufgezehrt sei, ist diese Auffassung bzw. sind die generellen Bedenken, die gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Ruhensregelung ohne zeitliche Begrenzung erhoben wurden, nach Ergehen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Mai 2017 – 2 BvL 10/11, 2 BvL 28/14 – überholt (vgl. auch BVerwG, B.v. 29.3.2019 – 2 B 50/18 – juris; BayVGH, U.v. 27.8.2018 – 14 B 18.478 – juris, betreffend die entsprechenden Regelungen des Beamtenversorgungsgesetzes; OVG NW, U.v. 20.4.2018 – 1 A 282/07 – juris).
In seinem Beschluss vom 23. Mai 2017 führt das Bundesverfassungsgericht insbesondere aus, dass auch die möglicherweise nachteiligen Konsequenzen einer ohne zeitliche Begrenzung („Deckelung“) ausgesprochenen Ruhensanordnung nicht zu einem Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 5 GG führen. Denn der Gesetzgeber habe davon ausgehen dürfen, dass eine am Ende der Auslandsdienstzeit ausgezahlte Kapitalabfindung im Hinblick auf die damit verbundenen vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten für ihren Empfänger einen wirtschaftlichen Wert aufweisen oder erreichen könne, der bei typischem Verlauf auch durch eine zeitlich nicht eingeschränkte Addition von Ruhensbeträgen nicht überschritten werde und damit die amtsangemessene Alimentation des Versorgungsempfängers nicht gefährde; zusätzlich habe der Betroffene die Wahl, die Abfindung an seinen Dienstherrn auszukehren und sich auf diese Weise einen ungekürzten Versorgungsanspruch zu sichern (BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11, 2 BvL 28/14 – BVerfGE 145, 249). Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Gesetzgeber durch Art. 33 Abs. 5 GG nicht verpflichtet sei, die für eine zwischen- oder überstaatliche Einrichtung geleistete Dienstzeit überhaupt als ruhgehaltfähig einzustufen, werde damit die amtsangemessene Alimentation des Versorgungsempfängers insgesamt nicht gefährdet; auch der Gesichtspunkt der Systemkonformität führe zu keinem anderen Ergebnis (BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11, 2 BvL 28/14 – BVerfGE 145, 249). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege ebenfalls nicht vor. Die Ungleichbehandlung im Vergleich zu Empfängern laufender Versorgungsleistungen sei durch Sachgründe gerechtfertigt. Letztere hätten keine Möglichkeit, vor dem Eintritt in den Ruhestand mit Hilfe des Abfindungsbetrags wirtschaftliche Erträge zu erzielen und das Nutzungspotential der Abfindung auszuschöpfen. Das Fehlen einer Begrenzung der Ruhensanordnung im Falle der Kapitalabfindung stelle eine pauschalierte Kompensation des Nutzungsvorteils dar, während die Gefahr einer Unteralimentierung durch die Ablieferung der Abfindung zuverlässig vermieden und durch eine wirtschaftlich erfolgreiche Verwendung der Abfindung minimiert werden könne; die sofortige Erweiterung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit werde durch eine erweiterte Ruhensregelung kompensiert, aber nicht überkompensiert (BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11, 2 BvL 28/14 – BVerfGE 145, 249).
Die vom Kläger ebenfalls angeführte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2016 – 1 A 2021/13 – befasst sich im Wesentlichen mit der Frage einer ab der Fassung 1994 des § 55b SVG einfachgesetzlich erforderlichen Begrenzung der Ruhensregelung und mit Fragen der Ermessensbetätigung im Falle der Prüfung einer Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes. Der vorliegend in Rede stehende Bescheid vom 25. Juli 2006 beruht aber auf § 55b SVG in den Fassungen von 1987 und 1989 und erweist sich als rechtmäßig.
Die dem Bescheid vom 25. Juli 2006 zugrunde liegende Rechtslage hat sich nicht nachträglich zugunsten des Klägers geändert.
Insbesondere führen ebenso wie der vorliegend einschlägige § 94b Abs. 5 Satz 2 SVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. April 2002 auch § 94b Abs. 5 Satz 2 SVG in der Fassung vom 5. Februar 2009, § 94b Abs. 5 Satz 2 SVG in der Fassung vom 16. September 2009, § 94b Abs. 5 Satz 2 SVG in der Fassung vom 15. März 2012 und § 94b Abs. 5 Satz 2 SVG in der Fassung vom 4. August 2019 zur Anwendung von § 55b SVG in den Fassungen von 1987 und 1989 mit den in § 94b Abs. 5 Satz 2 SVG beschriebenen Maßgaben. § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG in den hier maßgeblichen Fassungen von 1987 und 1989 verweist lediglich auf § 55b Abs. 1 Satz 1 SVG, nicht auch auf § 55b Abs. 1 Satz 3 SVG, nach welchem der Ruhensbetrag die von der zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung gewährte Versorgung nicht übersteigen darf. Weder ist der Wortlaut des § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG in den Fassungen von 1987 und 1989 einer zu einer Anwendung der Begrenzungsregelung des § 55b Abs. 1 Satz 3 SVG in den Fassungen von 1987 und 1989 führenden Auslegung zugänglich (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.2011 – 2 C 25/09 – juris) noch ist eine solche Auslegung vor dem Hintergrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Mai 2017 – 2 BvL 10/11, 2 BvL 28/14 – angezeigt.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne hinsichtlich des Ruhensbescheids vom 25. Juli 2006 nach §§ 51 Abs. 5, 48 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 VwVfG.
Der Ruhensbescheid vom 25. Juli 2006 erweist sich – auch aus heutiger Sicht – als rechtmäßig, sodass § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG bereits tatbestandlich nicht einschlägig ist. Ferner müsste der (rechtmäßige) Ruhensbescheid vom 25. Juli 2006 mit diesem Inhalt erneut erlassen werden (vgl. § 49 Abs. 1 VwVfG), sodass auch ein Widerruf ausscheidet. Insbesondere handelt es sich bei dem Versorgungsrecht der Beamten und Soldaten um eine strikt gesetzesgebundene Materie (vgl. auch BVerwG, B.v. 29.3.2019 – 2 B 50/18 – juris; OVG NW, U.v. 20.4.2018 – 1 A 282/07 – juris). Die dort geregelten Ansprüche mitsamt ihren Einschränkungen dürfen, auch wenn im Einzelfall Besonderheiten vorliegen sollten, prinzipiell nicht über den gesetzlich vorgesehenen Rahmen hinaus gewährt werden (OVG NW, U.v. 20.4.2018 – 1 A 282/07 – juris). Dass im Widerspruchsbescheid fälschlicherweise von der Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27. März 2008 – 2 C 30/06 – beanstandeten Berechnungsmethode für die Ermittlung des Ruhensbetrags und damit von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 25. Juli 2006 ausgegangen wird – was in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten allerdings ohnehin richtiggestellt wurde – kann dem Antrag des Klägers auf Neuverbescheidung seines Antrags vom 10. März 2014 daher nicht zum Erfolg verhelfen.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.