Arbeitsrecht

Zugang des Absageschreibens an Postfachadresse – Einhaltung der Geltendmachungfrist – Sekundäre Beweislast des Arbeitgebers

Aktenzeichen  6 Ca 7/21

Datum:
8.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
ArbG Erfurt 6. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:ARBGERF:2021:0708.6CA7.21.00
Normen:
§ 15 Abs 4 S 1 AGG
§ 15 Abs 1 AGG
§ 15 Abs 2 AGG
§ 15 Abs 4 S 2 AGG
Spruchkörper:
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Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreites werden dem Kläger auferlegt.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf 10.070,67 €.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung wegen Benachteiligung aus Gründen einer Behinderung, anknüpfend an die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch.
Der am 08.11.1987 geborene, ledige Kläger beendete seine Schulausbildung im Juli 2007 mit dem Abitur in der Fachrichtung Informations- und Kommunikationstechnologie. Nach Ableistung des Grundwehrdienstes nahm er am 01.09.2008 eine Laufbahnausbildung im gehobenen Dienst der Bundespolizei auf. Im August 2011 bestand er die Laufbahnprüfung des gehobenen Polizeivollzugsdienstes in der Bundespolizei mit der Note „befriedigend“ und erwarb den akademischen Grad „Diplom-Verwaltungswirt (FH)“. Anschließend war er bis zum 13.05.2012 als Polizeikommissar bei der Bundespolizeiinspektion Flughafen M. tätig. Vom 14.05.2012 bis zum 31.12.2012 arbeitete er im Straßenverkehrsamt des Landkreises Z. als Sachbearbeiter Großraum-/Schwerverkehr. Am 01.10.2012 nahm er an der Universität K., Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, ein Studium zum Master of Public Administration auf. Vom 01.01.2013 bis zum 30.06.2014 war der Kläger als Sachbearbeiter für Personalangelegenheiten beim Vogtlandkreis beschäftigt. Dem folgte ab 01.07.2014 eine befristete Tätigkeit als Organisator im kommunalen Bereich. Im Mai 2015 bestand der Kläger die Masterprüfung zum Master of Public Administration. Vom 21.03.2016 bis zum 07.07.2017 war er sodann befristet als Leiter des Bürgerbüros tätig und vom 08.07.2017 bis zum 31.01.2018 als Wirtschaftsförderer. Die letzten Arbeitgeber sind im Lebenslauf nicht namentlich benannt. Mittlerweile ist der Kläger als Mitarbeiter im Wachdienst tätig.
Die beklagte Stadt schrieb im März 2020 in Vollzeit eine Stelle als „Sachgebietsleiter- (m/w/d) im historisch-technischen Museum/Stadtarchiv“ öffentlich aus (vergl. Bl. 4-6 der Akte).
Die dort enthaltene Stellenbeschreibung weist u.a. Folgendes aus:
Das Aufgabengebiet umfasst insbesondere:
– Leitung, Entwicklung und Organisation für folgende Einrichtungen:
– Historisch-Technisches Museum im Dreyse-Haus
– Salzmann-Haus
– Schau-Depot
– Stadtarchiv
– verantwortlich für die Gesamtkonzeption sowie die Präsentation und den Ausbau der Sammlung des Museums
– Besucher Betreuung und Organisation von Führungen sowie museumspädagogische Angebotserstellung und Durchführung
– Erarbeitung von Konzepten für die Gestaltung der Dauer- und Sonderausstellungen sowie für Veranstaltungen …“
Die Anforderungen an die Bewerbenden sehen folgendes vor:
– Mindestens abgeschlossenes Bachelor-Studium in einem museums-, geschichts- und archivbezogenen Studiengang oder abgeschlossene Fortbildung Verwaltungsfachwirt (FL II), Fachwirt für Medien- und Informationsdienste oder vergleichbare Abschlüsse
– Verwaltungs- und Berufserfahrung …“
In seinem Bewerbungsschreiben (Bl. 8 der Akte) vom 02.04.2020 hat der Kläger u.a. auf folgendes hingewiesen: „Meine Gleichstellung mit Schwerbehinderten hat keinen Einfluss auf meine Arbeitsleistung bei dieser Stelle. Auf eine persönliche Vorstellung freue ich mich sehr und verbleibe …“
Das Bewerbungsschreiben nebst Anlagen wurde vom Kläger unter der Adresse, Postfach …; PLZ, Ort abgegeben.
Bereits in den Jahren 2017 und 2018 hatte sich der Kläger bei der beklagten Stadt auf die Stellen Abteilungsleiter/in Kultur, Tourismus und Jugendarbeit und Abteilungsleiter/in Personal bei der Beklagten beworben. In diesen beiden Bewerbungsverfahren wurde der Kläger zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Er sagte jeweils durch E-Mail Schreiben vom 07.11.2017 und 18.05.2018 (Blatt 231/233 der Akte) die Teilnahme an den Vorstellungsgesprächen mit gleichem Wortlaut ab:
„Vielen Dank für die Einladung. Leider muss ich ihnen aber mitteilen, dass ich am besagten Tag dienstliche Verpflichtungen habe, die ich nicht verschieben kann. Daher ziehe ich meine Bewerbung zurück und möchte das vorgeschlagene Vorstellungsgespräch absagen. Ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg und vielleicht klappt es bei der nächsten Ausschreibung.“
Die beklagte Stadt hat den Kläger im vorliegenden Bewerbungsverfahren nicht mehr zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Unter dem Datum vom 03.06.2020 existiert ein Schreiben der beklagten Stadt an den Kläger an seine Postfachadresse gerichtet in Bezug auf das hier streitgegenständliche Bewerbungsverfahren (vergl. Bl. 225 der Akte).
Es lautet u.a.:
Wir danken ihnen nochmals für ihre Bewerbung als Sachgebietsleiter/in im historisch-technischen Museum / Archiv bei der Stadtverwaltung Sömmerda und das damit verbundene Interesse einer Tätigkeit in unserer Behörde.
Das Auswahlverfahren ist abgeschlossen und eine Entscheidung wurde getroffen. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass sie für diese Stelle nicht berücksichtigt werden konnten. Wir bedauern ihnen keine positive Rückantwort geben zu können. …“
Aus dem Postbuch der Beklagten Stadt vom 03.06.2020 (vergl. Auszug des Postbuches Bl. 233 der Akte) ist ersichtlich, dass an die Postfachadresse des Klägers das Absageschreiben versandt worden ist.
Der Zugang dieses Schreibens (der Kläger behauptet er habe dieses Schreiben nie erhalten) ist zwischen den Parteien höchst streitig.
Mit E-Mail Schreiben vom 07.08.2020 des Klägers an die Beklagte Stadt wandte sich der Kläger u. a. mit folgendem Wortlaut:
„Ich hatte mich mit E-Mail vom 02.04.2020 auf die von ihnen ausgeschriebene Stelle als SGL im historisch-technischen Museum / Archiv beworben. Mit Schreiben vom 22.04.2020 erhielt ich eine Eingangsbestätigung. Bedingt durch Corona gehe ich von einer Verzögerung des Auswahlverfahrens aus und möchte den aktuellen Stand meiner Bewerbung erfragen“ (vergl. Bl. 15 der Akte).
Bereits am selben Tag erhielt der Kläger ein E-Mail-Antwort-Schreiben. Dies lautet u.a.:
„Das Auswahlverfahren für die ausgeschriebene Stelle als SGL im historisch-technischen Museum / Archiv ist bereits abgeschlossen.
Mit Schreiben vom 03.06.2020 und Postausgang vom 03.06.2020 teilten wir ihnen mit, dass wir sie für die oben genannte Stelle nicht berücksichtigen konnten …“
Unter dem Datum vom 06.10.2020 (vergl. Blatt 18 der Akte) wurden seitens des Klägers Entschädigungsansprüche wegen Diskriminierung nach § 15 AGBG geltend gemacht. Er verwies bereits in diesem Schreiben darauf, dass er die Stellenanforderungen im Auswahlverfahren erfüllen würde und dass die Beklagte als Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes den schwerbehinderten Bewerber nach § 165 S. 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen habe. Die Nichteinladung stelle für ihn eine Benachteiligung im Sinne des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes dar. In diesem Schreiben forderte er eine Entschädigung in Geld i.H.v. 10.000 €.
Der Kläger vertritt auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach wie vor die Rechtsauffassung, dass die beklagte Stadt verpflichtet sei ihm eine Entschädigung nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zu zahlen. Er verweist insbesondere nochmals auf die Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers einen schwerbehinderten Menschen zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Dies stelle das Indiz bzw. den Nachweis für eine Ungleichbehandlung dar. Er verweist insoweit auf einschlägige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes. Im Hinblick auf die Einhaltung der Geltendmachungsfrist des § 15 Abs. 4 S. 1 AGG verweist der Kläger auf Rechtsprechung zum Nachweis von Postsendungen (u.a. BGH Urteil vom 17.02.1964 – II ZR 87/61) und auf ein Urteil des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg – L8 AS 5579/07. Die beklagte Stadt habe den Zugang des Ablehnungsschreibens nicht nachgewiesen.
Im Hinblick auf die Rüge der ladungsfähigen Anschrift durch die Beklagte (der Kläger hat den Klageschriftsatz unter der Adresse …, PLZ Ort eingereicht) verweist der Kläger darauf, dass sein Vater unter der angegebenen Adresse der Hauseigentümer sei und der Kläger dort eine abgeschlossene, in sich wirtschaftlich selbstständige Wohneinheit besäße. Er verweist auch auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 07.01.2020, 5 Sa 128/19, das sich auch in einem von ihm geführten Verfahren mit der Problematik dieser Adresse für ihn im Ergebnis positiv auseinandergesetzt habe.
Im Hinblick auf die Argumentation der beklagten Stadt, dass er bereits zwei Vorstellungsgespräche abgesagt habe, verweist der Kläger in seinem Klageerwiderungsschriftsatz auf 17 Seiten, dass er Einladungsgespräche in unterschiedlichsten Bewerbungsverfahren angenommen und an diesen teilgenommen habe. Er verweist auch auf das Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern (a.a.O. dass die Absage eines Vorstellungstermins aufgrund verschiedener nachvollziehbarer Gründe beruhen könnte und dementsprechend aus der Absage bezüglich eines Bewerbungsverfahrens nicht abgeleitet werden kann, dass der Bewerber im weiteren Bewerbungsverfahren diese Vorstellungsgespräche nicht annehmen würde.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine angemessene Entschädigung in Geld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem Zugang der Klageschrift zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich insbesondere in der mündlichen Verhandlung vom 08.07.2021 nochmals darauf berufen, dass der Kläger nach Sichtung aller Bewerbungsunterlagen für die ausgeschriebene Stelle grundsätzlich nicht geeignet gewesen sei.
Der Kläger habe sich mit fast identischen Bewerbungsschreiben für die beiden Stellen im Jahr 2017 und 2018 und nunmehr auf die hier streitgegenständliche Stelle beworben. Die beklagte Stadt habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Aufgabenbereiche die die angebotene Stelle beinhalte ausschließlich für die Bereiche Museum und Stadtarchiv vorgesehen sei. Unter anderem habe man auch im Anforderungsprofil darauf hingewiesen dass u.a. mindestens ein abgeschlossenes Bachelor-Studium in einem museums-, geschichts- oder archivbezogenen Studiengang gefordert würde. Der Kläger habe ausschließlich auf seine Verwaltungskenntnisse und dementsprechend vorliegende Ausbildung und Berufserfahrung hingewiesen. Aus diesem Grund habe man sich entschlossen den Kläger nicht zum Bewerbungsgespräch einzuladen.
Des Weiteren verweist die Beklagte auf die Nichteinhaltung der Geltendmachungsfrist im allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und darauf dass dem Kläger an seine Postfachadresse am 03.06.2020 das Absageschreiben übermittelt wurde. Die Beklagte verweist auch darauf, dass der Kläger in einigen ähnlich gelagerten Verfahren auch dahingehend argumentierte, dass er Absageschreiben bzw. Schreiben zur Einladung zum Bewerbungsgespräch nicht erhalten habe.
Des Weiteren beruft sich die beklagte Stadt darauf, dass der Kläger bereits zwei angebotene Vorstellungsgespräche in anderen Bewerbungsverfahren nicht angenommen habe. Die Absageschreiben sein identisch lautend. Demzufolge musste die beklagte Stadt davon ausgehen, dass der Kläger auch dieses Mal an dem Vorstellungsgespräch nicht teilnehmen würde.
Im Übrigen wird verwiesen auf die gegenseitigen Schriftsätze der Parteien und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig aber nicht begründet und daher abzuweisen.
Durch sein Geltendmachungsschreiben vom 06.10.2020 hat der Kläger die gesetzliche Frist des § 15 Abs. 4 S. 1 AGG nicht eingehalten. Danach muss ein Anspruch nach § 15 Abs. 1 oder 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Die Frist beginnt nach § 15 Abs. 4 S. 2 im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.
Der Kläger ist beweisbelastet für die Tatsache, dass er diese Frist der Geltendmachung eingehalten hat. Er hat behauptet, dass er das Absageschreiben der Beklagten, adressiert an seine von ihm angegebene Postfachadresse, nicht erhalten hat. Das Gericht folgt insoweit der Rechtsauffassung für den Zugang von arbeitgeberseitigen Schreiben, wie sie im Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 07.01.2020, 5 Sa 95/19 zum Ausdruck gebracht wurde. Insoweit war in diesem Verfahren vom Kläger des hiesigen Verfahrens vorgetragen worden, dass er das Einladungsschreiben zum Bewerbungsgespräch nicht erhalten habe.
Das Landesarbeitsgericht weist dabei auf folgendes hin:
„Dem Arbeitgeber stehen verschiedene Möglichkeiten offen, wie er den Bewerber einlädt, sei es schriftlich, telefonisch, per E-Mail oder in sonstiger Weise. Er muss die Einladung allerdings so aussprechen, dass der Bewerber nach dem herkömmlichen Verlauf hiervon rechtzeitig und zuverlässig Kenntnis nehmen kann. Welche der vom Bewerber genannten Kontaktmöglichkeiten der Arbeitgeber nutzt, bleibt grundsätzlich ihm überlassen. Er hat, sofern er schriftlich einlädt, für eine korrekte Adressierung und einen baldigen Versand zu sorgen, so dass eine rechtzeitige Kenntnisnahme zu erwarten ist. Hat der öffentliche Arbeitgeber das hierfür nötige veranlasst, gibt es kein Anzeichen für ein mangelndes Interesse an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen und damit kein Indiz für eine Benachteiligung.
Der Kläger hat zwar in seinem Bewerbungsschreiben ausreichend deutlich auf seine Gleich- stellung mit den schwerbehinderten Menschen hingewiesen. Er hat jedoch keine Indizien bewiesen, die eine Benachteiligung wegen dieser Gleichstellung vermuten lassen. Er hat nicht bewiesen, dass die Beklagte ihn nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat.
Der Beweis einer negativen Tatsache, wir er vom Kläger zu führen ist, begegnet im allgemeinen besonderen Beweisschwierigkeiten, doch ändert dies noch nicht die Beweislast. Den Schwierigkeiten, denen sich die Partei gegenübersieht, die das Nichtvorliegen einer Tatsache beweisen muss, ist im Rahmen des zumutbaren regelmäßig dadurch zu begegnen, dass sich der Prozessgegner seinerseits nicht mit bloßen Bestreiten begnügen darf, sondern darlegen muss, welche tatsächlichen Umstände für das Vorliegen des Positiven sprechen… Dem Prozessgegner der primär darlegungsbelastete Partei trifft in der Regel eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem Prozessgegner nähere Angaben dazu ohne weiteres möglich und zumutbar sind. …
Der Beweispflichtige genügt dann der ihm obliegenden Beweispflicht, wenn er die gegnerische Tatsachenbehauptung widerlegt oder ernsthaft infrage stellt. …“
Dieser sekundären Darlegungslast ist vorliegend die Beklagte insoweit nachgekommen, dass sie durch Übermittlung des Auszuges des Postbuches dargelegt hat, dass am 03.06.2020 das Ablehnungsschreiben an den Kläger an seine Postfachadresse übermittelt wurde. Mit einer weiteren Darlegung, insbesondere das an diese Postfachadresse tatsächlich zugestellt wurde, ist die beklagte Stadt nicht mehr beweisbelastet. Es ist gerichtsbekannt, dass insbesondere Sendungen an eine Postfachadresse tatsächlich zugestellt werden, oder bei fehlerhafter Adressierung u. ä. eine Rücksendung an den Absender erfolgt. Die beklagte Stadt hat dieses Bewerbungsschreiben nicht zurückerhalten. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass dem Kläger an seine Postfachadresse das Absageschreiben übermittelt wurde. Der Kläger hat keine weitergehenden Tatsachen vorgetragen, die gegen diese Annahme sprechen. Demzufolge ist durch das Geltendmachungsschreiben des Klägers vom 06.10.2020 die Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 S. 1 AGG nicht eingehalten. Es ist bei einem 2-3-tägigen Zustellzeitraum davon auszugehen, dass das Ablehnungsschreiben vom 03.06.2020 dem Kläger spätestens am 06.06.2020 erreicht hat.
Des Weiteren war festzustellen, dass die beklagte Stadt im vorliegenden Bewerbungsverfahren unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände nicht verpflichtet gewesen ist, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Zwar folgt die Kammer grundsätzlich der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes dass die Verletzung der in § 164 S. 3 SGB IX geregelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, regelmäßig die Vermutung begründet, dass dieser wegen der Behinderung benachteiligt wird. Diese Pflichtverletzung ist nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an einer Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein (BAG-Urteil vom 11.08.2016 – 8 AZR 375/15; BAG Urteil vom 22.10.2015 – 8 AZR 384/14). Der Kläger hatte an einer Stelle seines Bewerbungsschreibens auf die Gleichstellung eines schwerbehinderten Menschen in seiner Person hingewiesen. Dies reicht nach weitergehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes für die Kenntnis des Arbeitgebers der Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers aus. Die Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung zu einem Bewerbungsgespräch eines schwerbehinderten Menschen ist dann im Sinne des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes unbeachtlich, wenn der Bewerber augenscheinlich für die vorgeschriebene Stelle nicht geeignet ist.
Hierauf hat die beklagte Stadt hingewiesen. Der Kläger hatte sich bereits im Vorfeld im Jahr 2017 und 2018 mit fast gleich lautenden Bewerbungsschreiben unter Bezugnahme seines Lebenslaufes, seiner Ausbildung und seiner Berufserfahrung auf Stellen der beklagten Stadt beworben. Im hiesigen Bewerbungsverfahren ist zu beachten, dass die Beklagte explizit darauf hingewiesen hat (und zwar in der Stellenbeschreibung) das Hauptbestandteil der ausgeschriebenen Stelle die Übernahme von Leitungsaufgaben im Bereich historisch
technisches Museum und dem Stadtarchiv liegen würden. Damit war erkennbar, dass diese Funktion über eine rein verwaltungs- bzw. verwaltungstechnische Führungsaufgabe hinausgeht. In seinem in seinem Bewerbungsschreiben hat der Kläger diesbezüglich keinerlei Ausführungen gemacht. Eine besondere Eignung über den Verwaltungsbereich hinaus für die besonderen Aufgaben Museum / Stadtarchiv war deshalb seitens der Beklagten nicht festzustellen. Dementsprechend ist nachvollziehbar, dass die beklagte Stadt von der Einladung zu einem Bewerbungsgespräch abgesehen hat. Des Weiteren war auch entscheidungserheblich festzustellen, dass die Beklagte auch deshalb Abstand von der Einladung zu einem Bewerbungsgespräch genommen hatte, weil der Kläger bereits im Vorfeld die Angebote für zwei Vorstellungsgespräche im Hinblick auf anderweitige Stellen im Jahr 2017 und 2018 nicht wahrgenommen hat. Der Kläger beruft sich insoweit auf die Ausführungen des Landesarbeitsgerichtes Mecklenburg-Vorpommern das Gericht führt insoweit aus:
„Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass der Kläger in einem anderen Fall ein Vorstellungsgespräch abgesagt und die Bewerbung auf die Stelle eines Standesbeamten zurückgezogen hat, ergeben sich daraus keine Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit der hier streitgegenständlichen Bewerbung. Die Absage eines Vorstellungstermins kann verschiedene, nachvollziehbare Gründe haben, beispielsweise eine Terminkollision. Gleiches gilt für die Rücknahme der Bewerbung. Diese kann damit zusammenhängen, dass die Aussichten auf eine Einstellung nur als gering zu bewerten sind, oder nur ein geringeres Interesse an dieser konkreten Tätigkeit besteht (vergl. Urteil des Landesarbeitsgerichtes Mecklenburg-Vorpommern; 07.01.2020; 5 Sa 128/19).“
Im vorliegenden Fall war jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger in den Jahren 2017 und 2018 in zwei unterschiedlichen Bewerbungsdurchgängen jeweils mit gleich lautenden Schreiben das Vorstellungsgespräch abgesagt und seine Bewerbung zurückgezogen hat. Es waren demnach sehr starke Indizien vorhanden, dass der Kläger auch vorliegend ein Vorstellungsgespräch nicht wahrnehmen würde und seine Bewerbung zurückzieht. Die Hinweise des Klägers darauf, dass er in den vergangenen Jahren an zahlreichen Bewerbungsgesprächen unterschiedlicher Arbeitgeber teilgenommen hat, ändert im Einzelfall in Bezug auf die hier beklagte Stadt nichts.
Dementsprechend steht dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt der geltend gemachte Entschädigungsanspruch zur Seite.
Als unterlegene Partei des Rechtsstreits hat der Kläger gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO die Kosten zu tragen.
Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG mit den vermeintlichen drei Bruttomonatsverdiensten festzusetzen.


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