Arbeitsrecht

Zulässigkeit der Verrechnung von Überstunden mit bestehendem Negativsaldo – Arbeitszeitkonto

Aktenzeichen  3 Ca 38/21

Datum:
29.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
ArbG Gera 3. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:ARBGERA:1922:0329.3CA38.21.00
Normen:
§ 307 Abs 1 S 1 BGB
§ 307 Abs 1 S 2 BGB
§ 611a BGB
Spruchkörper:
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Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 647,02 € festgesetzt.
4. Soweit die Berufung nicht kraft Gesetzes statthaft ist, wird sie nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Bezahlung von 57,62 Stunden, welche die Beklagte zu Unrecht mit Minusstunden verrechnet habe.
Der Kläger war bei der Beklagten vom 01.04.2019 bis zum 30.06.2020 als Pulverer beschäftigt. Wegen der im Einzelnen vereinbarten Arbeitsbedingungen wird auf den Arbeitsvertrag vom 01.04.2019 verwiesen. Die Arbeitszeit sollte gemäß § 3 Abs. 1 im Durchschnitt eines Kalenderjahres 37,5 Stunden pro Woche betragen. Gemäß § 3 Abs. 2 sollten Mehrstunden bis zu einer Höhe von 80 Stunden einem Arbeitszeitkonto zugeführt werden und dem Ausgleich von Minderstunden dienen. Gemäß § 4 betrug der Stundenlohn in den ersten 6 Monaten des Beschäftigungsverhältnisses 9,50 € brutto, nach 6 Monaten 10,50 € brutto, nach 9 Monaten 11,50 € brutto und nach 12 Monaten 12,00 € brutto. Zusätzlich zum Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien die von der Beklagten gestellte Vereinbarung über die Einführung eines Zutritts- und Zeiterfassungssystems. Wegen des Inhalts wird auf Anlage K 4 verwiesen. Ziff. 2.3 lautet:
„Über- bzw. Unterschreitung der SollarbeitszeitDie monatliche Sollarbeitszeit gilt als rechnerische Richtgröße. Zwischen der vereinbarten Sollarbeitszeit und der tatsächlich geleisteten individuellen Arbeitszeit wird ein Saldo gebildet. Ist die IST-Arbeitszeit größer als die Sollarbeitszeit werden maximal 10 Stunden pro Monat dem Arbeitszeitkonto zugeführt. Ist die tatsächlich geleistete Arbeitszeit kleiner als die Sollarbeitszeit erfolgt ein Ausgleich aus dem Arbeitszeitkonto bis zu Höhe der Sollarbeitszeit. Das Saldo des Arbeitszeitkonto beträgt unterjährig maximal 80 Plus- und 20 Minusstunden. (siehe Vereinbarung Arbeitsvertrag). Reichen die Stunden des Arbeitszeitkontos zum Ausgleich der Minderstunden nicht aus, erfolgt eine Anrechnung auf den Jahresurlaub.“
Die Beklagte rechnete dem Kläger monatlich seinen Lohn ab. Auf die Abrechnungen in Anlage K 5 wird verwiesen. Sie zahlte dem Kläger monatlich mindestens Vergütung für die reguläre durchschnittliche Arbeitszeit unter teilweiser Belastung des Arbeitszeitkontos, was sie auf den Lohnabrechnungen jeweils auswies. Der Stand des Arbeitszeitkontos befand sich regelmäßig im Soll. Soweit der Kläger in einem Monat Arbeitsleistungen über die reguläre Arbeitszeit hinaus erbrachte, berechnete die Beklagte diese Stunden in der Lohnabrechnung und zog sie sogleich ab und buchte sie
im Arbeitszeitkonto als Zugang, wodurch der eingetretene Sollstand im Arbeitszeitkonto entsprechend reduziert wurde. Im Monat Juni 2020 glich sie den negativen Saldo des Arbeitszeitkontos von -31,68 Stunden unter Einsatz von Urlaubsansprüchen aus.
Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte habe von ihm insgesamt 57,62 Stunden geleistete und somit entlohnungspflichtige Überstunden zu Unrecht mit Minusstunden aus dem Arbeitszeitkonto verrechnet. Die Beklagte sei nicht berechtigt, das Arbeitszeitkonto des Klägers mit Minusstunden zu belasten. Die Vereinbarung zur Einführung eines Zutritts- und Zeiterfassungssystems sei eine von der Beklagten gestellte allgemeine Geschäftsbedingung. Sie sei in Ziff. 3 unklar und benachteilige den Kläger unangemessen, weil sie die Ursache etwaiger Minderarbeit, welche zu Minusstunden führe, nicht berücksichtige.
Im Einzelnen macht er folgende Beträge geltend:

Monat 
Monatlicher Endstand der Stunden im Arbeitszeitkonto
Anzahl der Plusstunden, die mit Minusstunden verrechnet wurden
Stundenlohn in €
Betrag in €
August 2019
-55,03
September 2019
-50,53
4,50   
10,00 
 45,00
Oktober 2019
-40,67
9,86   
10,00 
 98,60
November 2019
-37,09
3,58   
10,00 
 35,80
Dezember 2019
-34,98
2,11   
10,00 
 21,10
Januar 2020
-39,96
–       
Februar 2020
-32,22
2,22   
10,00 
 22,20
März 2020
-35,32
2,35   
12,00 
 28,20
April 2020
-33,01
–       
–       
Mai 2020
-31,68
1,33   
12,00 
 15,96
Juni 2020
0       
31,68 
12,00 
380,16
Summe 
647,02

Nach Teilklagerücknahme beantragt der Kläger nunmehr,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag i. H. v. 647,02 € brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.08.2020 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

I. Die Zahlungsklage ist zulässig, aber in der Sache unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bezahlung derjenigen, über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleisteten Überstunden, welche die Beklagte zum Abbau des negativen Saldos des Arbeitszeitkontos genutzt hat.
1. Die Parteien haben wirksam die Führung eines Arbeitszeitkontos vereinbart. Das Arbeitszeitkonto ist bereits in § 3 des Arbeitsvertrages angelegt und über die Zusatzvereinbarung über die Einführung eines Zutritts- und Zeiterfassungssystems ab dem 01.01.2013, welche beide Parteien unterzeichnet haben, konkretisiert. Diese von der Beklagten gestellte allgemeine Geschäftsbedingung unterliegt der Kontrolle gemäß §305 ff BGB. Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Regelung in § 3 des Arbeitsvertrages in Verbindung mit Ziff. 2.3 der Zusatzvereinbarung nicht intransparent und deshalb unwirksam gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Nach der Regelung kommt es nicht darauf an, weshalb die Minusstunden entstanden sind, ob der Arbeitnehmer seine Arbeit nicht vertragsgemäß angeboten oder aber der Arbeitgeber angebotene Arbeit nicht vollständig abgenommen hat. Dies macht die Regelung nicht intransparent. Die Arbeitszeitflexibilisierung unter Ausgleich von Überstunden mit Minderstunden ist gerade regelmäßiger Zweck eines Arbeitszeitkontos. Auch ist eine unangemessene Benachteiligung nicht zu erkennen, da im Arbeitsleben regelmäßig Überstundenansprüche durch Freizeitausgleich ausgeglichen werden können und der Kläger seine regelmäßige Vergütung unabhängig davon, ob er gearbeitet hat, erhalten hat.
Zwar hat der Negativsaldo des Arbeitszeitkontos unterjährig die in der Zusatzvereinbarung festgelegte maximale Grenze von 20 Minusstunden regelmäßig unterschritten. Das Arbeitszeitkonto wies in den streitgegenständlichen Monaten einen Minusstand von ca. -51 bis -31 Stunden auf. Aber ein Verstoß gegen eine vertragliche Regelung führt nicht zu deren Unwirksamkeit selbst.
2. Der Verstoß hat sich auch nicht nachteilig auf die Rechte des Klägers ausgewirkt, da die Beklagte dem Kläger quasi in Vorleistung die regelmäßige Vergütung gezahlt hat.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Bezahlung von 380,16 € brutto für den Austrittsmonat Juni 2020. In dieser Höhe hat die Beklagte zum Ausgleich des negativen Saldos des Arbeitskontos von – 31,68 Stunden Urlaubsansprüche eingesetzt. Die Vereinbarung über die Einführung eines Zutritts- und Zeiterfassungssystems ist insoweit in Ziff.3.3 Abs. 1 Satz 6, welcher lautet: “Reichen die Stunden des Arbeitszeitkontos zum Ausgleich von Minderstunden nicht aus, erfolgt eine Anrechnung auf den Jahresurlaub“ unwirksam. Sie verstößt das Bundesurlaubsgesetz, welches für Individualparteien gemäß § 13 Abs. 1 BurlG nicht abdingbar ist. Das Urlaubsrecht sieht keine Verrechnungsmöglichkeit mit Urlaubsansprüchen vor, da der Urlaub primär in natura gewährt werden soll.
Ein möglicher Verstoß durch Verrechnung mit Urlaubsansprüchen führt jedoch nicht zum Erfolg der Klage. Der Kläger hat nicht dargetan, im Juni 2020 über die abgerechneten Stunden hinaus im Umfang von 31,68 Stunden der Beklagten Arbeitsleistung erbracht zu haben.
Einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn hat er mit der Klage nicht erhoben. Es handelt sich um einen seinen Anspruchsvoraussetzungen nach gänzlich anderen Anspruch.
Er hat auch keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung möglicherweise zu Unrecht verrechneter 4 Urlaubstage erhoben.
II. Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen und richtet sich nach dem Wert der zuletzt zur Entscheidung gestellten Forderung.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO und § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
IV. Die Berufung war mangels Zulassungsgründen gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG nicht gemäß § 64 Abs. 2 a ArbGG zulassen. Unberührt von dieser Entscheidung ist die Statthaftigkeit der Berufung für den Kläger nach dem Wert der Beschwer gemäß § 64 Abs. 2 b ArbGG.


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