Bankrecht

Außerordentliche Kündigung der Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mitglieds

Aktenzeichen  7 U 860/18

Datum:
10.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZInsO – 2018, 2753
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 13, § 14, § 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 355 Abs. 2
GenG § 17 Abs. 2, § 65 Abs. 3
ZPO § 256

 

Leitsatz

Der Insolvenzverwalter kann die Mitgliedschaft des Insolvenzschuldners in einer Wohnungsgenossenschaft wegen dessen wirtschaftlicher Verhältnisse nur außerordentlich kündigen, wenn dem Insolvenzschuldner ein weiterer Verbleib bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist. Dazu muss das wirtschaftliche Interesse des Insolvenzschuldners an der möglichst frühzeitigen Beendigung seiner monatlichen Zahlungsverpflichtung das Interesse der Genossenschaft an der möglichst langfristigen Erhaltung ihres Mitgliederbestands durch die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist im Falle von Kündigungen durch Genossen überwiegen. (Rn. 22 – 26) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

34 O 12069/17 2018-02-22 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 22.02.2018, Az. 34 O 12069/17, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 genannte Endurteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Die Parteien streiten um die Feststellung der Beendigung einer Mitgliedschaft des Insolvenzschuldners in der Beklagten.
Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Marburg/Lahn vom 30.03.2016, Az. 22 IK 79/16 (25) (Anl. K 1) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners, Herrn Manfred K., bestellt.
Die Beklagte ist eine Wohnungsgenossenschaft, deren Zweck „die Förderung ihrer Mitglieder, vorrangig durch eine gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung“ ist (§ 2 Abs. 1 der Satzung der Beklagten laut Anl. K 4).
§ 7 Abs. 2 der Satzung der Beklagten lautet wie folgt:
„Die Kündigung (i.e. der Mitgliedschaft) erfolgt gemäß § 38 (1) stets zum Schluss eines Geschäftsjahres. Die Kündigungserklärung bedarf der Schriftform und hat mit einer Frist von fünf Jahren vorher zu erfolgen.“
Mit Erklärung des Insolvenzschuldners vom 31.08.2009 (Anl. K 2) und nach deren Annahme durch die Beklagte trat der Insolvenzschuldner der Beklagten bei. Der vom Insolvenzschuldner in 144 Monatsraten zu jeweils 50,00 € zu erbringende Einzahlungsbetrag sollte sich auf 7.200,00 € belaufen.
Bis zur Stellung des Insolvenzantrags zahlte der Insolvenzschuldner 2.879,80 € an die Beklagte.
Mit Schreiben vom 11.05.2016 kündigte der Kläger die Mitgliedschaft des Insolvenzschuldners in der Beklagten außerordentlich, nachdem die Beklagte am 14.04.2016 einen Betrag von 4.320,20 € zur Insolvenztabelle des Insolvenzschuldners angemeldet hatte.
Mit Faxschreiben vom 04.07.2017 erklärte der Kläger den Widerruf der Beitrittserklärung des Insolvenzschuldners (Anl. K 8).
Der Kläger trägt vor, dass dem Insolvenzschuldner nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ein weiteres Verbleiben in der Beklagten bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31.12.2021 nicht zumutbar sei und deshalb ein Recht zur außerordentlichen Kündigung der Mitgliedschaft bestehe.
Im Übrigen habe der Kläger die Beitrittserklärung des Insolvenzschuldners widerrufen können, da diese am Arbeitsplatz des Insolvenzschuldners und damit in einer Haustürsituation abgegeben worden sei und die Widerrufsfrist infolge einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung nicht zu laufen begonnen habe.
Der Kläger beantragte,
festzustellen, dass die Mitgliedschaft des Insolvenzschuldners, Mitglieds-Nr. …706, durch die von dem Kläger mit Schreiben vom 11.05.2016 erklärte Kündigung zum 31.12.2016 geendet hat;
hilfsweise,
festzustellen, dass durch den mit Schreiben vom 04.07.2017 durch den Kläger erklärten Widerruf, der Beklagten per Telefax am 05.07.2017 zugegangen, die Mitgliedschaft des Insolvenzschuldners, Mitglieds-Nr. …706, mit Ablauf des 31.12.2017 endet.
Die Beklagte beantragte
Klageabweisung.
Mit Endurteil vom 22.02.2018, Az. 34 O 12069/17, wies das Landgericht München I die Klage ab, da die Klage mangels Feststellungsinteresses unzulässig sei. Der Kläger hätte die gegenüber der Feststellungsklage vorrangige Leistungsklage auf Auszahlung des Abfindungsguthabens erheben müssen.
Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Feststellungsziel unter gleichzeitiger hilfsweiser Erweiterung der Klage um einen Zahlungsantrag weiter.
Der Kläger beantragt nunmehr,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 22.02.2018 zu Az. 34 O 12069/17 festzustellen, dass die Mitgliedschaft des Insolvenzschuldners, Mitglieds-Nr. …706, durch die von dem Kläger mit Schreiben vom 11.05.2016 erklärte Kündigung zum 31.12.2016 geendet hat;
hilfsweise,
1.die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Auskunft über sein Abfindungsguthaben aus der Beteiligung an der Beklagten, die unter der Mitgliedsnummer …706 geführt wird, bezogen auf den 31.12.2016 zu erteilen und eine Abrechnung zu erstellen;
2.die Beklagte zu verurteilen, das sich aus Ziff. 1 des Klageantrages ergebende Abfindungsguthaben an ihn auszuzahlen;
3.festzustellen, dass er seit dem 31.12.2016 nicht verpflichtet ist, weitere Zahlung auf die bei der Beklagten unter Mitglieds-Nr. 28706 geführte Beteiligung zu leisten.
Die Beklagte beantragte die kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung.
Das Gericht hat am 10.10.2018 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2018, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze, die vom Gericht erteilten Hinweise sowie den sonstigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
B.
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
I.
Zwar ist entgegen der Meinung des Landgerichts die Klage nicht schon unzulässig. Dem Kläger geht es nämlich nicht um die Zahlung eines Abfindungsguthabens durch die Beklagte an die Insolvenzmasse, sondern vorrangig um die Feststellung der Beendigung der Mitgliedschaft des Schuldners in der Beklagten zum 31.12.2016, damit der Schuldner nicht über diesen Zeitpunkt hinaus Genossenschaftsanteile erwerben muss. Dies begründet ein hinreichendes besonderes Feststellungsinteresse iSd. § 256 ZPO.
II.
Jedoch ist die Klage unbegründet, da die Mitgliedschaft des Insolvenzschuldners in der Beklagten weder durch die Kündigung des Klägers vom 11.05.2016 zum 31.12.2016 noch zu einem späteren Zeitpunkt durch den Widerruf vom 04.07.2017 endete.
1. Die Kündigung des Klägers vom 11.05.2016 führte nicht zur Beendigung der Mitgliedschaft des Insolvenzschuldners in der Beklagten, da kein hinreichender Grund für eine vorzeitige Kündigung der Mitgliedschaft iSd. § 65 Abs. 3 GenG vorliegt.
a. Auf die gesundheitliche Situation des Insolvenzschuldners kommt es nicht an. Diese würde nämlich nur dann eine Rolle spielen, wenn der Insolvenzschuldner einen Beitrag zur Genossenschaft leisten müsste, der nicht in der Zahlung von Geld besteht, aber von seinem zum Kündigungszeitpunkt möglicherweise geminderten körperlichen oder geistigen Leistungsvermögen abhängt. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
b. Da der Insolvenzschuldner gegenüber der Beklagten nur zur Zahlung des monatlichen Beitrags in Höhe von 50,00 € verpflichtet ist, ist auch nur entscheidungserheblich, ob seine wirtschaftlichen Verhältnisse dem Insolvenzschuldner einen weiteren Verbleib in der Beklagten bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31.12.2021 unzumutbar machen. Dies ist nach Überzeugung des Senats nicht der Fall.
Der Insolvenzschuldner verfügt nämlich über monatliche Einnahmen in Höhe von insgesamt 1.127,39 € (Erwerbsminderungsrente in Höhe von 1.068,21 € laut Anl. BK 4 und Betriebsrente in Höhe von 59,18 € laut Anl. BK 5), denen nach dem unstreitig gebliebenen Vortrag des Klägers im Schriftsatz des Klägervertreters vom 24.05.2018 (dort S, 5, Bl. 74 d.A.) wiederkehrende monatliche Verpflichtungen in Höhe von insgesamt 272,40 € (Miete 220,00 €, Mittagsverpflegung 25,20 €, Rundfunkbeitrag 17,50 € und Sterbegeldversicherung 9,70 €) gegenüberstehen, sodass dem Insolvenzschuldner monatlich 795,81 € verbleiben. Das frei verfügbare Einkommen des Insolvenzschuldners mindert sich daher durch den Genossenschaftsbeitrag von 50,00 € um lediglich um etwas mehr als sechs Prozent. Auch unter Berücksichtigung, dass der Insolvenzschuldner von dem ihm sodann noch zur freien Verfügung verbleibenden Betrag von 745,81 € die Kosten für seine (restliche) Verpflegung sowie die Bekleidung zu tragen hat, ist nicht ersichtlich, weshalb die Tragung des monatlichen Genossenschaftsbeitrags in Höhe von 50,00 € für den Insolvenzschuldner eine unzumutbare Härte darstellen soll. Der Insolvenzschuldner wird dadurch auch nicht zur Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen gezwungen. Darüber hinaus hat der Kläger des weiteren unwidersprochen vortragen lassen, dass das Girokonto des Insolvenzschuldners zum 02.05.2018 einen Habenstand von 3.684,48 € auswies (vgl. Anl. BK 6), sodass – was nach den obigen Berechnungen ohnehin naheliegt – davon auszugehen ist, dass der Insolvenzschuldner seine Lebenshaltungskosten vollständig durch seine laufenden Einnahmen decken und sogar noch einen Überschuss erwirtschaften kann. Dass dieses Haben sozialrechtlich möglicherweise als Schonvermögen anzusehen ist, spielt für die Frage der Unzumutbarkeit schon deshalb keine Rolle, weil der Insolvenzschuldner sein Guthaben zur Zahlung der Beiträge zur Beklagten noch nicht einmal angreifen muss.
Das wirtschaftliche Interesse des Insolvenzschuldners an der möglichst frühzeitigen Beendigung seiner monatlichen Zahlungsverpflichtung überwiegt damit nicht das Interesse der Genossenschaft an der möglichst langfristigen Erhaltung ihres Mitgliederbestands durch die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist im Falle von Kündigungen durch Genossen. Das Gericht bewertet dabei das Erhaltungsinteresse der Beklagten hoch, da sich – wie sich dem dem Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 07.08.2018 beigefügten Jahresabschluss der Beklagten für 2013 (Bl. zu 85/88 d.A.) entnehmen lässt – der Mitgliederbestand der Beklagten allein im Jahr 2016 um 681, das heißt bei einem Jahresanfangsstand von 6.198 um rund 11% verminderte und dies bei unverminderter Fortsetzung für die Beklagte existenzgefährdend werden kann.
2. Die Mitgliedschaft des Insolvenzschuldners endete auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt durch den Widerruf der Beitrittserklärung durch den Kläger mit Fax vom 04.07.2017.
Zwar hat der Kläger behauptet, die Erklärung des Beitritts zur Beklagten vom 31.08.2009 laut Anl. K 2 sei am Arbeitsplatz des Schuldners bei der Firma M. & S. erfolgt, was gemäß § 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 1. Alt. BGB in der vom 01.01.2002 bis 10.06.2010 geltenden Fassung ein Widerrufsrecht des Schuldners begründen würde, da es sich bei dem Beitritt um einen Vertrag zwischen der Beklagten als Unternehmerin, die als Genossenschaft gem. § 17 Abs. 2 GenG Kaufmann und damit auch Unternehmer iSd. § 14 BGB ist, und dem Schuldner als Verbraucher iSd. § 13 BGB handelt und die laut Anl. K 2 verwendete Widerrufsbelehrung nicht den Anforderungen des § 355 Abs. 2 BGB a.F. genügte. Denn die Widerrufsbelehrung entsprach nicht vollständig der Anl. 2 zu § 14 BGB-InfoV in der vom 04.08.2009 bis 10.06.2010 geltenden Fassung und war auch ansonsten nicht ordnungsgemäß. Sie enthielt keinen Hinweis auf die rechtlichen Folgen des Widerrufs der Genossenschaftsbeteiligung, nämlich dass kein Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge besteht, sondern nur ein Abfindungsanspruch. Allein dies führt zur Fehlerhaftigkeit der Widerrufsbelehrung (vgl. BGH, Urteil vom 18.03.2014, Az. II ZR 109/13, Rdnr. 11). Da der Kläger mit Schriftsatz vom 04.07.2017 (Anl. K 8) die Beitrittserklärung des Schuldners widerrief, wäre die Mitgliedschaft, wenn auch noch nicht – wie beantragt – zum 31.12.2016, so doch zumindest mit Zugang dieser Erklärung bei der Beklagten beendet.
Da die Beklagte jedoch den Vertragsabschluss durch mündliche Verhandlung am damaligen Arbeitsplatz des Schuldners bestritten hat, hätte der Kläger insoweit Beweis erbringen müssen, worauf der Senat mit Beschluss vom 17.04.2018 (S. 3 und 4, Bl. 62, 63 d.A.) hingewiesen hat. Der Kläger hat aber mit Rücksicht auf den aktuellen Gesundheitszustand des Insolvenzschuldners auf die ursprünglich angebotene Vernehmung des Insolvenzschuldners als Zeugen verzichtete (Berufungsbegründung S. 2, Bl. 71 d.A.) und auch sonst keinen Nachweis erbracht. Er ist damit insoweit beweisfällig geblieben. Es ist daher nicht nachgewiesen, dass der Widerruf vom 04.07.2017 zu einer Beendigung der Mitgliedschaft des Insolvenzschuldners führte.
III.
Da nach dem oben unter II. 1 Ausgeführten die Kündigung des Klägers vom 11.05.2016 die Mitgliedschaft des Insolvenzschuldners nicht zum 31.12.2016 beendete, besteht auch kein Anspruch des Insolvenzschuldners auf Zahlung eines Abfindungsguthabens und ist der Insolvenzschuldner weiter zur Zahlung der monatlichen Beiträge verpflichtet, sodass auch die Hilfsanträge nicht begründet sind.
C.
1. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
2. Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vorliegend nur die Umstände des Einzelfalles.

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