Bankrecht

Gerichtliche Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit bei Antragsgegnermehrheit

Aktenzeichen  1 AR 31/19

Datum:
9.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZInsO – 2019, 1072
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Eine Bestimmungsentscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt über den Wortlaut der Norm hinaus auch dann noch in Betracht, wenn die Antragsgegner bereits vor einem Gericht verklagt wurden und – wie hier – einzelne von ihnen die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend gemacht haben. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Als (örtlich) zuständiges Gericht wird das Landgericht München I bestimmt.

Gründe

I.
Der im Landgerichtsbezirk Baden-Baden wohnha:te Antragsteller macht mit seiner zum Landgericht München I erhobenen Klage Ansprüche im Zusammenhang mit einer stillen Beteiligung und einem Darlehensvertrag geltend.
Die Antragsgegnerin zu 1) hat ihren Sitz im Bezirk des Landgerichts München I. Ihr Geschä:ts:ührer, der Antragsgegner zu 2), sowie die Antragsgegnerin zu 3) wohnen im Bezirk des Landgerichts Nürnberg-Fürth.
Nach dem Klagevortrag boten der Antragsgegner zu 2) und die Antragsgegnerin zu 3), dem Antragsteller Anfang 2015 eine stille Beteiligung an der Antragsgegnerin zu 1) und den Abschluss eines Darlehensvertrages an. Die Antragsgegnerin zu 3) soll Geschäftsführerin der Antragsgegnerin zu 1) gewesen sein. Der Antragsteller trägt vor, mit der Antragsgegnerin zu 1) am 2. April 2015 einen Gesellschaftsvertrag über eine typische stille Beteiligung sowie einen „Vertrag über ein Gesellschafterdarlehen“ geschlossen zu haben. Ausweislich der vorgelegten Unterlagen wurden die Verträge in Baden-Baden unterzeichnet. Mit Anwaltsschreiben vom 4. September 2018 kündigte der Antragssteller beide Verträge fristlos. Die Antragsgegnerin zu 1) sei ihren vertraglichen Verpflichtungen aus dem Vertrag über die stille Beteiligung, insbesondere zur Vorlage des Jahresabschlusses nicht nachgekommen. Das Darlehen sei zweckwidrig verwendet worden. Der Antragsteller nimmt die Antragsgegner überwiegend als Gesamtschuldner in Anspruch. Er ist der Ansicht, die Antragsgegnerin zu 1) schulde Rückzahlung der Einlage in Höhe von 55.000,00 € und der Darlehenssumme in Höhe von 180.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 27.990,00 €. Die Antragsgegner zu 2) und 3) seien ebenfalls zur Rückzahlung der Darlehenssumme verpflichtet. Ihre Schilderungen über die wirtschaftliche Situation der Antragsgegnerin zu 1) seien grob wahrheitswidrig gewesen.
Sie hafteten aus Verschulden bei Vertragsschluss und nach § 823 Abs. 1 und § 826 BGB. Schließlich ergebe sich die Haftung der Antragsgegner zu 2) und 3) aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 15a Abs. 1 InsO; die Antragsgegnerin zu 1) sei bereits am 2. April 2015 insolvenzreif gewesen.
Die Antragsgegnerin zu 3) rügte in ihrer Klageerwiderung vom 14. Februar 2019 die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.
Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2019 beantragte der Antragsteller, das Landgericht München I als das zuständige Gericht zu bestimmen.
Die Antragsgegner hatten Gelegenheit, sich zu dem Bestimmungsantrag zu äußern. Die Antragsgegnerin zu 1) hat ihren Sitz in München bestätigt. Der Antragsgegner zu 2) habe dagegen zu keinem Zeitpunkt, auch nicht zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse in München gewohnt. Die Antragsgegnerin zu 3) hat eingewendet, Schadensersatzansprüche gegen sie seien erst vorstellbar, wenn Ansprüche gegen die Antragsgegnerin zu 1) feststünden und nicht erfüllt worden seien. Ein etwaiger späterer Prozess gegen sie sei vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth zu führen.
II.
Auf den zulässigen Antrag bestimmt der Senat das Landgericht München I als (örtlich) gemeinsam zuständiges Gericht.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist das nach § 36 Abs. 2 ZPO i.V. m. § 9 EGZPO für das Bestimmungsverfahren zuständige Gericht, weil die Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13, 17 ZPO) in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken (München und Nürnberg) haben und das zuerst mit der Sache befasste Gericht in Bayern liegt.
2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.
a) Soweit der Antragsteller beantragt, das Landgericht München I zu bestimmen, wird dies lediglich als Anregung verstanden. Denn die Auswahl obliegt im Rahmen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO dem bestimmenden Gericht.
Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist jedoch der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Urt. v. 16. Mai 2017, XI ZR 586/15, NJW 2017, 2340 Rn. 11).
b) Eine Bestimmungsentscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt über den Wortlaut der Norm hinaus auch dann noch in Betracht, wenn die Antragsgegner bereits vor einem Gericht verklagt wurden und – wie hier -einzelne von ihnen die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend gemacht haben (st. Rspr.; z. B. BGH, Beschluss vom 27. November 2011, X ARZ 321/18, juris Rn. 10; Beschluss vom 23. Februar 2011, X ARZ 388/10, NJW-RR 2011, 929 Rn. 6 f.; Toussaint in BeckOK, ZPO, 31. Edition Stand 1. Dezember 2018, § 36 Rn. 19).
c) Die Antragsgegner, die ihren allgemeinen Gerichtsstand bei verschiedenen Gerichten haben, sind nach dem im Bestimmungsverfahren maßgeblichen (Schultzky in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 36 Rn. 28), insoweit auch schlüssigen Vortrag des Antragstellers hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche Streitgenossen (§§ 59, 60 ZPO). Auf die Schlüssigkeit des behaupteten Anspruchs selbst kommt es nicht an (BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 1997, 1Z AR 74/97, NJW-RR 1998, 1291; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 28).
Streitgenossenschaft nach § 60 ZPO setzt voraus, dass gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden. Die Vorschrift ist grundsätzlich weit auszulegen. Es genügt, dass die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (auch BGH, Beschluss vom 6. Juni 2018, X ARZ 303/18, MDR 2018, 951 Rn. 12). Der innere Zusammenhang hier wird durch die beiden Vertragsschlüsse begründet, auch wenn der bei Vertragsverhandlungen für eine GmbH auftretende Geschäftsführer in der Regel nur normales Verhandlungsvertrauen in Anspruch nimmt (Grüneberg in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 311 Rn. 65).
d) Ein die Gerichtsstandsbestimmung ausschließender gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand lässt sich jedenfalls nicht sicher feststellen.
Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus § 29 ZPO. Erfüllungsort des Anspruchs nach § 235 HGB und des Darlehensrückzahlungsanspruchs ist am Sitz der Antragsgegnerin zu 1) im Bezirk des Landgerichts München I (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2019, § 29 Rn. 25 Stichwort „Darlehensvertrag“). Die Antragsgegner zu 2) und 3) sind zwar nicht Partei der streitgegenständlichen Verträge, § 29 ZPO erfasst aber auch Ansprüche nach § 311 Abs. 3 i.V. m. § 241 Abs. 2 BGB. Erfüllungsort für diesen Schadensersatzanspruch ist der Ort, an dem die Vertragsverhandlungen geführt und somit die behauptete Pflichtverletzung begangen worden ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Januar 2017, 13 SV 18/16, juris Rn. 20). Hier wurden die Verträge nicht im Bezirk des Landgerichts München I geschlossen, dass die Vertragsverhandlungen dort geführt worden wären, ist nicht eindeutig feststellbar.
3. Die Auswahl unter den in Betracht kommenden Gerichten erfolgt nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und der Prozessökonomie. Auszuwählen ist grundsätzlich eines der Gerichte, an dem die Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13, 17 ZPO) haben.
Der Senat bestimmt als zuständiges Gericht das Landgericht München I, an dem die Antragsgegnerin zu 1) ihren allgemeinen Gerichtsstand hat. Der wirtschaftliche Schwerpunkt des Rechtsstreits liegt am Sitz der Gesellschaft. Dort sind die Rückzahlungsansprüche aus der stillen Beteiligung und dem Darlehen zu leisten. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft sollen zudem anspruchsbegründende Bedeutung für die gegen die Antragsgegner zu 2) und 3) gerichtete Klage haben. Dass die Klage bereits zu diesem Gericht erhoben wurde, ist mit Blick aus das Verfahrensstadium für die Auswahlentscheidung indes irrelevant. Dass den Antragsgegnern zu 2) und 3) eine Rechtsverteidigung vor diesem Gericht nicht zumutbar wäre, ist nicht ersichtlich.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben