Baurecht

Anwendbarkeit der Regeln zur Grenzanlage bei bei dinglicher Absicherung der Benutzungsrechte

Aktenzeichen  V ZR 128/19

Datum:
7.2.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:070220UVZR128.19.0
Normen:
§ 921 BGB
§ 922 BGB
§ 1020 S 2 BGB
§ 1021 Abs 1 S 2 BGB
Spruchkörper:
5. Zivilsenat

Leitsatz

Die Vorschriften der §§ 921 ff. BGB sind nicht anwendbar, wenn die Rechte an einer Grenzeinrichtung dinglich geregelt sind (hier: Grunddienstbarkeit), das gilt insbesondere hinsichtlich der Benutzungsrechte und der Unterhaltungslast.

Verfahrensgang

vorgehend LG Berlin, 26. April 2019, Az: 55 S 80/15vorgehend AG Spandau, 4. März 2015, Az: 7 C 320/14

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin – 55. Zivilkammer – vom 26. April 2019 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Klägerin und der Beklagte zu 2, dessen Ehefrau die Beklagte zu 1 ist, sind Eigentümer benachbarter, hintereinanderliegender und jeweils mit einem Einfamilienhaus bebauter Grundstücke. Zu dem hinteren, im Eigentum des Beklagten zu 1 stehenden Grundstück („Hammergrundstück“), gehört ein ca. 1,50 m breiter Weg, der auf einer Länge von 30 m parallel zu dem Grundstück der Klägerin verläuft und zu der öffentlichen Straße führt. Um einen komfortablen Zugang zu dem Hinterliegergrundstück zu ermöglichen, räumte die Klägerin 1994 dem jeweiligen Eigentümer an einer parallel zu dem Weg verlaufenden Teilfläche ihres Grundstücks mit einer Breite von ebenfalls 1,50 m und einer Länge von 30 m ein Geh-, Fahr- und Versorgungsleitungsrecht in Form einer Grunddienstbarkeit ein, die in das Grundbuch eingetragen wurde. Die Eintragungsbewilligung vom 9. Mai 1994 enthält u.a. die Regelung:
„I.
Frau M.     räumt den jeweiligen Eigentümern des auf Blatt 5820 eingetragenen Grundstückes das Recht ein, den circa 1.50 Meter breiten Teil ihres Grundstückes (…) von und nach dem Grundstück Blatt 5820 zum Fahren und Gehen zu benutzen und dort Versorgungsleitungen jeder Art, die zu dem Grundstück führen, zu legen und zu benutzen, im Zugangsweg einen Wasserzählerschacht zu errichten und zu betreiben, sowie diesen Weg auf eigene Kosten zu beleuchten.
II.
Der jeweilige Eigentümer des Grundstücks Blatt 5820 ist verpflichtet, auf dem dienenden Grundstück – Grundbuchblatt 6115 – auf der vorstehend bezeichneten Fläche einen Weg mit einer dauerhaften Fahrbahn anzulegen, in gutem Zustand zu erhalten und die Wegeanlagen zu unterhalten.
Der Berechtigte darf an der Straßengrenze auf seine Kosten auch ein Tor errichten. (…)
III.
Alle dadurch entstehenden Kosten tragen (…) der jeweilige Eigentümer des Grundstücks Blatt 5820.
Zu diesen Kosten gehören auch die Kosten der Anlegung und Unterhaltung der Versorgungsleitungen, der Errichtung und des Betriebes des Wasserzählerschachtes, und einer eventuellen Wiederherstellung der Wegeanlage.
IV.
(…) der jeweilige Eigentümer des Grundstückes Blatt 6115 ist berechtigt, die Wegeanlage unentgeltlich zu benutzen.“
2
Der Weg wurde Mitte der 1990er Jahre auf einer Breite von 3 m befestigt und mit drei Laternen ausgestattet. Im Jahr 1996 errichtete der Beklagte zu 2, der das Grundstück im Mai 1996 erworben hatte, an der Grenze des Wegs zur öffentlichen Straße ein elektrisch betriebenes einflügeliges Tor. Der den Torflügel tragende Pfosten befindet sich auf seinem Grundstücksstreifen, der Anschlagpfosten steht auf dem Grundstück der Klägerin. In geschlossenem Zustand erstreckt sich der Torflügel über die gesamte Breite des Wegs. Anfang 2014 haben die Beklagten die Toranlage, die bis dahin nur zum Durchfahren und Durchgehen geöffnet wurde, außer Betrieb genommen; das Tor steht seitdem offen.
3
Mit der Klage will die Klägerin erreichen, dass der Beklagte zu 2 das Tor wieder in Betrieb nimmt und ihr ermöglicht, es selbständig zu öffnen und zu schließen. Sie verlangt von beiden Beklagten, das Tor mit Ausnahme des Moments des Durchgehens oder Durchfahrens verschlossen zu halten. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht sie abgewiesen. Mit der von dem Landgericht zur Klärung der Frage, ob die auf einem Zufahrtsweg errichtete Toranlage eine Grenzeinrichtung im Sinne von § 921 BGB sein kann, zugelassenen Revision will die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

I.
4
Nach Auffassung des Berufungsgerichts besteht weder eine vertragliche noch eine gesetzliche Grundlage für die geltend gemachten Inbetriebnahme- und Verhaltenspflichten. Eine solche Verpflichtung des Beklagten zu 2 ergebe sich nicht aus der Grunddienstbarkeit. Die Toranlage werde von dem Beklagten 2 nicht mehr im Sinne des § 1020 BGB gehalten. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch auch nicht aus §§ 921, 922 BGB i.V.m. § 1004 BGB zu. Das Tor stelle, anders als der Zufahrtsweg, keine Grenzeinrichtung im Sinne des § 921 BGB dar. Es werde in geöffnetem Zustand nicht von der Grenzlinie geschnitten, sondern stehe in seinem ganzen Umfang neben der Grenzlinie. Eine andere Beurteilung ergebe sich nicht aus dem Sinn und Zweck des § 921 BGB, der bei unsicherem Grenzverlauf Streitigkeiten zwischen Nachbarn und der Zerstörung von für beide Grundstücke vorteilhaften Anlagen vorbeugen wolle. Vorliegend sei der Grenzverlauf nicht unklar.
II.
5
Die Revision ist unbegründet.
6
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es allerdings nicht darauf an, ob es sich bei der Toranlage um eine Grenzeinrichtung im Sinne von § 921 BGB handelt; die Frage, derentwegen die Revision zugelassen worden ist, stellt sich damit nicht. Ein Anspruch der Klägerin auf Inbetriebnahme der Toranlage ließe sich auch dann nicht auf § 922 i.V.m. § 1004 BGB stützen, wenn das Tor eine Grenzeinrichtung wäre. Die Vorschriften der §§ 921 ff. BGB sind nämlich nicht anwendbar, wenn die Rechte an einer Grenzeinrichtung dinglich geregelt sind (vgl. Motive III S. 277), das gilt insbesondere hinsichtlich der Benutzungsrechte und der Unterhaltungslast. Maßgeblich ist vielmehr das dingliche Rechtsverhältnis; nur so lässt sich vermeiden, dass dessen Inhalt überspielt und ggf. in sein Gegenteil verkehrt wird.
7
2. Ob der Beklagte zu 2 das Tor wieder in Betrieb nehmen muss, bestimmt sich daher nach dem Inhalt der auf dem Grundstück der Klägerin lastenden Grunddienstbarkeit.
8
a) Zum Inhalt dieser Dienstbarkeit gehört, wie sich aus der zulässigerweise in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung (§ 874 BGB) ergibt, die Befugnis, unter Inanspruchnahme des Grundstücks der Klägerin an der Straßengrenze ein Tor zu errichten. Dabei handelt es sich um das Recht, eine Anlage auf dem dienenden Grundstück zu halten und damit um einen zulässigen Inhalt einer Dienstbarkeit (vgl. zum Begriff der Anlage Senat, Urteil vom 18. Juli 2014 – V ZR 151/13, NJW 2014, 3780 Rn. 15). Dass die in der Bewilligung beschriebene Toranlage aufgrund der örtlichen Gegebenheiten zwangsläufig nur teilweise auf dem belasteten Grundstück und im Übrigen auf dem herrschenden Grundstück stehen würde, ist unerheblich; denn auch die Berechtigung, einen Teil einer Anlage auf dem belasteten Grundstück zu halten, kann Gegenstand einer Dienstbarkeit sein (vgl. RGZ 112, 368, 371).
9
b) Grundlage eines Anspruchs der Klägerin auf Inbetriebnahme der Toranlage kann mangels bestehender schuldrechtlicher Abreden nur eine als Inhalt der Grunddienstbarkeit vereinbarte Verpflichtung des Beklagten zu 2 zur Unterhaltung der Anlage im Sinne von § 1021 Abs. 1 Satz 2 BGB sein.
10
aa) Dagegen scheidet die Unterhaltungspflicht nach § 1020 Satz 2 BGB für Anlagen, die der Berechtigte in Ausübung der Dienstbarkeit hält, als Anspruchsgrundlage aus. Das gilt unabhängig davon, ob der Beklagte zu 2 die Anlage, wie das Berufungsgericht meint, nicht mehr hält, oder ob er ihre Nutzung nur zeitweilig eingestellt hat. Zur Unterhaltung der Anlage ist der Dienstbarkeitsberechtigte nach dieser Vorschrift nämlich nur verpflichtet, soweit das Integritätsinteresse des Eigentümers betroffen ist. Damit ist das Interesse des Eigentümers gemeint, dass von der Anlage keine Beeinträchtigungen für sein Grundstück ausgehen, dass die Anlage verkehrssicher ist und ggf. auch daran, dass sie ordentlich aussieht (vgl. Senat, Urteil vom 12. November 2004 – V ZR 42/04, BGHZ 161, 115, 122). Nicht geschützt ist dagegen das Benutzungsinteresse des Eigentümers; der Betrieb einer Anlage zum Zwecke der Mitnutzung kann daher über § 1020 Satz 2 BGB nicht erreicht werden.
11
bb) Im Unterschied dazu sichert die gemäß § 1021 Abs. 1 Satz 2 BGB vereinbarte Unterhaltungspflicht zwar das Interesse des Eigentümers des dienenden Grundstücks an der Mitbenutzung der von dem Dienstbarkeitsberechtigten gehaltenen Anlage. Hierauf kann sich die Klägerin aber nicht stützen, weil eine solche Unterhaltungspflicht nicht als Inhalt der Grunddienstbarkeit vereinbart worden ist.
12
(1) Nach § 1021 Abs. 1 Satz 2 BGB kann, wenn zur Ausübung einer Grunddienstbarkeit eine Anlage auf dem belasteten Grundstück gehört und dem Eigentümer – wie hier – das Recht zur Mitbenutzung der Anlage zusteht, als Inhalt der Grunddienstbarkeit eine Unterhaltungspflicht des Berechtigten vereinbart werden, soweit es für das Benutzungsinteresse des Eigentümers erforderlich ist. Darunter fällt in erster Linie sein Interesse an der Gebrauchsfähigkeit und Funktionsfähigkeit der Anlage (vgl. MüKoBGB/Mohr, 8. Aufl., § 1021 Rn. 8). Eine Unterhaltungspflicht gemäß § 1021 Abs. 1 Satz 2 BGB kann der Dienstbarkeitsberechtigte nicht dadurch beenden, dass er die Anlage aufgibt. Will er sich von der Pflicht befreien, muss er vielmehr die Dienstbarkeit aufgeben (vgl. Staudinger/Weber, BGB [2017], § 1021 Rn. 16; BeckOGK/Kazele, BGB [1.5.2020], § 1021 Rn. 61).
13
(2) Hier ist jedoch davon abgesehen worden, eine Pflicht zur Unterhaltung der Toranlage zum Inhalt der Dienstbarkeit zu machen. Das ergibt sich bei der gebotenen nächstliegenden Auslegung der Eintragungsbewilligung, die der Senat selbst vornehmen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Januar 2019 – V ZB 81/18, NJW-RR 2019, 914 Rn. 14 mwN), insbesondere im Vergleich zu den für den Weg vereinbarten Pflichten.
14
Abschnitt I. der Eintragungsbewilligung enthält die Berechtigung des Dienstbarkeitsberechtigten, eine näher bezeichnete Fläche zum Gehen und Fahren zu benutzen und zu beleuchten sowie diese für Versorgungsleitungen und einen Wasserzählerschacht zu nutzen. Der folgende Abschnitt II. regelt u.a. die Verpflichtung des Berechtigten zur Unterhaltung der Wegeanlagen. Diese Verpflichtung bezieht sich nach dem Wortlaut und der systematischen Stellung der Regelung auf den Zugangsweg nebst Beleuchtung, nicht aber auf die Toranlage. Denn diese wird erst im Anschluss daran erwähnt, ohne dass auf die in den vorausgehenden Regelungen enthaltenen Verpflichtungen Bezug genommen wird. Das lässt bei der gebotenen nächstliegenden Auslegung (vgl. zur Auslegung einer Grundbucheintragung Senat, Urteil vom 11. April 2003 – V ZR 323/02, NJW-RR 2003, 1235 f. mwN) den Schluss zu, dass die Berechtigung, ein Tor zu halten, nicht mit einer Unterhaltungsverpflichtung verknüpft werden sollte.
15
Etwas Anderes folgt nicht daraus, dass dem Eigentümer des dienenden Grundstücks in Abschnitt IV. das Recht eingeräumt worden ist, die Wegeanlage zu benutzen. Hieraus lässt sich nur ableiten, dass dieser die vorhandenen Anlagen mitnutzen darf. Welche Anlagen von dem Berechtigten im Interesse des Eigentümers unterhalten werden müssen, ist dagegen in Abschnitt II. der Bewilligung geregelt; dieser enthält, wie dargelegt, keine auf das Tor bezogene Unterhaltungspflicht. Muss der Berechtigte ein von ihm errichtetes Tor aber nicht im Interesse des Eigentümers unterhalten, kann er es auch wieder abbauen oder – als Minus hierzu – stilllegen.
16
3. Damit fehlt es auch für den übrigen, auf das Verschließen und Verschlossenhalten des Tors gerichteten Klageantrag an einer Grundlage.
III.
17
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann     
      
Kazele     
      
Göbel 
      
Haberkamp     
      
Hamdorf     
      


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