Baurecht

Außenbereichsinsel im Innenbereich

Aktenzeichen  M 9 K 16.2010

Datum:
11.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 14 Abs. 1, Abs. 2, § 34 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 2, Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

Die Größe eines Baugrundstücks von über 3.000 m² spricht gegen die Annahme einer Baulücke. Vielmehr liegt eine sog. Außenbereichsinsel im Innenbereich vor.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung für ein Mehrfamilienhaus mit 6 Wohneinheiten und 2 Dreifach-Garagen. Die Geltung der Veränderungssperre für das Vorhabensgrundstück ist unerheblich. Das Bauvorhaben ist im Außenbereich geplant und beeinträchtigt entgegenstehende öffentliche Belange.
Der Ablehnungsbescheid vom … März 2016 ist rechtmäßig. Im vorliegenden Verfahren ist es unerheblich, ob die Veränderungssperre für das Grundstück des Klägers rechtmäßig war, obwohl das klägerische Grundstück im Bebauungsplanentwurf nicht erfasst und damit nicht beplant wurde.
Unerheblich ist auch, ob die Ablehnung der beantragten Ausnahme von der Veränderungssperre und der Erteilung des Einvernehmens durch den Beigeladenen zu Recht erfolgten. Nach der vorliegenden Sachlage und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung handelt es sich bei dem klägerischen Grundstück um eine Außenbereichsfläche im Sinne des § 35 BauGB, für die weder aufgrund des einfachen Bebauungsplans noch nach Bauplanungsrecht eine Bebaubarkeit vorliegt.
1. Soweit das streitbefangene Vorhaben im Geltungsbereich der Veränderungssperre liegt, die nach Angaben der Beteiligten für den Bereich Ortskern und damit für das klägerische Grundstück noch fort gilt, steht diese dem Vorhaben entgegen (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB). Einen Anspruch auf eine Ausnahme von der Veränderungssperre – über die die Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entscheidet – besteht nicht, da im vorliegenden Fall überwiegende öffentliche Belange entgegenstehen (§ 14 Abs. 2 BauGB).
Damit steht der Sicherungszweck der Veränderungssperre einer Ausnahme von dem Verbot entgegen. Eine genehmigungsfähige Ausnahme besteht nicht, da das konkrete Vorhaben nicht mit den planerischen Zielvorstellungen der Gemeinde übereinstimmt, die Fläche frei zu halten.
Der entgegenstehende öffentliche Belang ist hier der Umstand, dass das geplante Vorhaben im Außenbereich errichtet werden soll und damit bauplanungsrechtlich unzulässig ist. Zwar wird das Vorhabensgrundstück – entgegen den zum Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre angedachten Planungen – nicht von dem Bebauungsplan erfasst und soll auch nicht erfasst werden.
Entgegen der Auffassung des Klägers befindet sich das Bauvorhaben jedoch nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) sondern im Außenbereich und ist dort bauplanungsrechtlich nicht zulässig (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO i.V.m. § 35 Abs. 2 und 3 Satz 1 Nrn. 5, 6 und 7 BauGB).
2. Dies gilt auch dann, wenn die Veränderungssperre für das Vorhabensgrundstück unwirksam ist.
Ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jede Bebauung im Gebiet einer Gemeinde, die trotz vorhandener Baulücken geschlossen und zusammengehörig wirkt, nach Zahl der vorhandenen Gebäude ein gewisses Gewicht hat und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (st. Rspr. seit BVerwG, U.v. 6.11.1968 – IV C 31.66). Eine unbebaute Fläche stellt danach eine Baulücke dar und ist Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint. Diese Voraussetzung muss auch bei einer unbebauten Fläche vorliegen, die auf mehreren Seiten von zusammenhängender Bebauung umgeben ist.
Wenn eine solche Prägung durch die benachbarte Bebauung fehlt, handelt es sich um einen Außenbereich. Maßgeblich für die Annahme einer Baulücke sind unter anderem der Grundstückszuschnitt sowie die Struktur der Umgebungs-bebauung unter Berücksichtigung der Lage des Einzelfalls und der Verkehrsauffassung auf der Grundlage einer umfassenden Bewertung der konkreten Gegebenheiten (BVerwG, B.v. 2.4.2007 – 4 B 7.07). Ein Indiz dafür, dass ein Bebauungszusammenhang zu verneinen ist, ist die Größe der Freifläche, da dann der Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit der Bebauung fehlt, aufgrund derer das unbebaute Grundstück als eine Lücke erscheint, die sich zur Bebauung anbietet. Wenn – wie hier – eine Bebauung auf zwei Seiten vorliegt, ist regelmäßig nicht mehr von einer Baulücke auszugehen, wenn sich an den übrigen Seiten Außenbereichsflächen anschließen.
Ausnahmsweise kann von dem Vorliegen einer Baulücke in diesen Fällen ausgegangen werden, wenn der Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit der Bebauung im Übrigen besteht und das Grundstück aufgrund topographischer Besonderheiten als Baulücke und letztes bebaubares Grundstück erscheint; dies gilt insbesondere für Ortsrandlagen. Als topographische Verhältnisse, die im Rahmen der wertenden Beurteilung heranzuziehen sind, kommen vor allem Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte in Betracht (st. Rspr. BVerwG, U.v. 12.12.1990 – 4 C 40.87; Söfker in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 34 Rn. 25).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe sowie unter Berücksichtigung der Fotodokumentation und unter Nutzung des Tools „Bayern Atlas plus“ liegt hier keine Baulücke mehr vor. Es handelt sich vielmehr aufgrund der Größe des Grundstücks um eine Außenbereichsinsel, die nicht mehr am Bebauungszusammenhang im Nord-Westen und im Nord-Osten teilnimmt. Bereits die Größe des Baugrundstücks von über 3.000 m² spricht im Hinblick auf die Dichte der Wohnbebauung im Nord-Westen und Nord-Osten – entlang der …straße und der …straße – gegen die Annahme einer Baulücke. Die südwestlich angrenzende Kleingartenanlage ist dabei nicht zu berücksichtigen, da eine Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB nur relevant ist, wenn es sich um Gebäude handelt, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Nur vorübergehend genutzte Baulichkeiten wie die Hütten einer Klein-gartenanlage stellen regelmäßig keine Elemente dar, die die Siedlungsstruktur prägen und können daher keinen Bebauungszusammenhang im Sinne einer Bau-lücke herstellen (BayVGH, B.v. 16.4.2014 – 1 ZB 13.352).
Unter Berücksichtigung dessen erscheint die Errichtung des geplanten Mehrfamilienhauses nicht mehr als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung. Im Süden beginnt die nächstrelevante Wohnbebauung südlich der Straße „… … …“. Die Gesamtgröße der Fläche lässt es nicht zu, von einer Baulücke zu sprechen, die im Sinne der Rechtsprechung in etwa eine Größe von 2 – 3 Baugrundstücken in der Nachbarschaft hat (BayVGH, U.v. 16.2.2009 – 1 B 08.340).
Auch die topographische Einbeziehung des … Baches an der Süd-West-Grenze des Baugrundstücks führt nicht zu einem Bebauungszusammenhang aufgrund der topographischen Besonderheiten. Die – abgesehen von der Kleingartensiedlung – an den Bachlauf angrenzenden Freiflächen und das im Übrigen ebene Gelände sprechen dagegen, dass das Vorhabensgrundstück noch als Teil der im Nord-Westen und Nord-Osten angrenzenden Wohnbebauung erscheint.
In Verbindung mit der Gesamtgröße des Grundstücks, auf dem deutlich mehr als die als Faustregel geltenden 2 – 3 Baugrundstücke entstehen könnten und der Lage in einem zum Teil biotopgeschützten Grünbereich verstärkt der Bachlauf – der das Gelände durchzieht – vielmehr den Gesamteindruck einer größeren Grünfläche.
Wenn – wie hier – der Bachlauf in einem erheblichen Abstand von der maßstabs-bildenden Bebauung verläuft, kann eine topographische Grenze des Bebauungszusammenhangs durch diesen nur bei dem Hinzutreten weiterer Umstände angenommen werden, für die hier keine Anhaltspunkte vorliegen (BayVGH, B.v. 14.5.2007 – 1 ZB 06.226).
Es liegt vielmehr eine so genannte „Außenbereichsinsel im Innenbereich“ vor, die nach § 35 BauGB zu beurteilen ist.
3. Das Bauvorhaben ist als „sonstiges Vorhaben“ nach § 35 Abs. 2 BauGB zu betrachten, dem jedoch öffentliche Belange des § 35 Abs. 3 BauGB entgegenstehen. Im vorliegenden Fall liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vor, da dem Vorhaben vor allem Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie die natürliche Eigenart der Landschaft und ihr Erholungswert entgegenstehen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB). Nach der fachlichen Stellungnahme des Naturschutzes vom 9. Oktober 2014 liegt das Vorhaben in der Bachaue und sind Teilflächen des Grundstücks von der Biotopkartierung erfasst, sodass ein Eingriff im Sinne des § 14 BNatSchG vorliegt. Nach der Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamtes Ingolstadt vom 29. Oktober 2014 sind aus Gründen des Hochwasserschutzes Grundstücksbereiche sowie der Uferstreifen von Bebauung freizuhalten, sodass auch eine Gefährdung des Hochwasserschutzes (§ 35 Abs. 3 Nr. 6 BauGB) als öffentlicher Belang entgegensteht.
Infolge seiner Vorbildwirkung für weitere Bauvorhaben lässt auch der öffentliche Belang der zu befürchtenden Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) das Vorhaben nicht zu.
Die Genehmigung des Bauvorhabens würde sich als Beginn einer Zersiedelung darstellen, da weitere ähnliche Vorhaben in dieser Größenordnung in den südlich angrenzenden Grundstücken nicht verhindert werden könnten (zuletzt: BVerwG, B.v. 7.8.2016 – 4 B 47.14).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO:

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