Aktenzeichen 4 B 5/10
Verfahrensgang
vorgehend OVG Lüneburg, 10. November 2009, Az: 1 LC 236/05, Urteil
Gründe
I.
1
Der Kläger wendet sich gegen die baurechtliche Genehmigung der Errichtung einer Basisstation für das UMTS-Netz, bestehend aus einem etwa 9,60 m hohen Antennenträger und drei bis zu 2,50 m hohen Technikschränken, auf dem Dach eines während des zweiten Weltkriegs errichteten Zivilschutzbunkers. Im Erdgeschoss des Bunkers üben mit Baugenehmigung aus dem Jahr 1983 Musikgruppen. Die beiden Obergeschosse werden mit Genehmigung aus dem Jahr 1991 als Verwaltungs- und Röntgenarchiv eines Krankenhauses genutzt.
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Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt, weil die streitige Anlage gegen nachbarschützende Grenzabstandsvorschriften verstoße. Gegenstand der Beurteilung sei nicht die genehmigte Anlage allein, sondern der Bunker mit Technikraum und Antennenmast. Auf die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die abstandsrechtliche Zulässigkeit der Antenne beurteile sich isoliert und nicht als Gesamtheit mit dem darunter stehenden Bunkergebäude (UA S. 9). Der Hinweis des Klägers, der Bunker habe seine Funktion und damit seinen Bestandsschutz verloren, ändere daran nichts. Mit Genehmigungen aus den Jahren 1983 und 1991 seien Nutzungen aufgenommen worden, die seine Substanz vollständig umfassten. Diese Genehmigungen seien (auch vom Kläger) nicht angegriffen worden und damit bestandskräftig (UA S. 15). Auch der Gebietserhaltungsanspruch berechtige den Kläger nicht zur Abwehr des streitigen Vorhabens (UA S. 21 ff.). Selbst wenn die maßgebliche Umgebung als reines Wohngebiet einzustufen wäre, könnten fernmeldetechnische Nebenanlagen dort gemäß § 14 Abs. 2 BauNVO 1990 als Ausnahme zugelassen werden. Nur ergänzend sei daher auszuführen, dass die Schutzwürdigkeit des klägerischen Grundstücks nach neuerlicher Überlegung geringer ausfalle, als von den Beteiligten und dem Senat im Eilverfahren angenommen. Die Situation des klägerischen Grundstücks werde ganz wesentlich von einer Grundschule mitbestimmt. Diese habe eine Funktion und eine Größe, die in einem reinen Wohngebiet nicht erfüllt werden dürfte. Dies habe zur Folge, dass die nach § 34 BauGB maßgebliche Umgebung als allgemeines Wohngebiet einzustufen und der Schutzanspruch des Klägers dementsprechend herabgesetzt sei.
II.
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Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
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1.1 Als rechtsgrundsätzlich bezeichnet der Kläger folgende Frage:
Wie ist ein funktionslos gewordener Zivilschutzbunker des Zweiten Weltkriegs, der für seinen besonderen Zweck und seine Funktion im Rahmen seiner Landesverteidigung nur mittels Dispens genehmigt werden konnte, bezüglich wesentlicher Änderungen oder Erweiterungen der Bausubstanz baurechtlich zu bewerten?
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Mit dieser Frage möchte der Kläger geklärt wissen, ob die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass die Antenne abstandsrechtlich isoliert und nicht als Gesamtheit mit dem Zivilschutzbunker zu beurteilen sei, zutrifft. Maßgebend hierfür ist das dem irrevisiblen Landesrecht angehörende niedersächsische Grenzabstandsrecht. Fragen zur Auslegung und Anwendung von Landesrecht sind in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
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1.2 Die Frage,
ob eine Baugenehmigung, die nachbarliche Belange berührt und dennoch ohne Kenntnis der Nachbarn erteilt wurde und deren Ausnutzung für die Nachbarn vollkommen unmerklich geschieht, diesen Nachbarn bei einem Änderungsvorhaben zu deren Nachteil mit Erfolg vorgehalten werden kann,
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Nutzung des Bunkers durch Musikgruppen und als Verwaltungs- und Röntgenarchiv eines Krankenhauses für die Nachbarn unmerklich geschehen ist. Dass ihm die Nutzung des Bunkers durch Musikgruppen bekannt gewesen sei, hat der Kläger in der Beschwerdebegründung selbst nicht bestritten.
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Im Übrigen ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und aus der bisherigen Rechtsprechung des Senats, dass, wenn eine Baugenehmigung dem Nachbarn nicht bekanntgegeben worden ist, gemäß § 70 i.V.m. § 58 VwGO auch die Frist zur Einlegung eines Widerspruchs nicht zu laufen beginnt; auch in derartigen Fällen kann die Anfechtungsbefugnis des Nachbarn aber nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwirkt sein (Urteil vom 25. Januar 1974 – BVerwG 4 C 2.72 – BVerwGE 44, 294 und Beschluss vom 28. August 1987 – BVerwG 4 N 3.86 – BVerwGE 78, 85). Ob letzteres der Fall ist, hängt maßgebend von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (Beschluss vom 28. August 1987 a.a.O. S. 90).
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1.3 Aus den bereits dargelegten Gründen (1.2) rechtfertigt auch die Frage,
wie weit die Pflichten eines Bürgers zum anlasslosen und präventiven Angriff auf “heimliche” Baugenehmigungen in seiner Nachbarschaft reichen, wenn er von den Genehmigungen und ihrer Ausnutzung keine Kenntnis erhält, die Existenz dieser Genehmigungen ihm jedoch zu einem späteren Zeitpunkt zu seinem Nachteil vorgehalten werden könnten,
nicht die Zulassung der Revision. Im Übrigen hatte der Kläger spätestens aufgrund der entsprechenden Feststellungen im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 27. September 2005 Kenntnis von den Genehmigungen der zivilen Nutzungen des Bunkers. Widerspruch gegen die Genehmigungen hat er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch danach nicht erhoben.
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2. Die Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, die der Kläger geltend macht, liegen ebenfalls nicht vor. Eine Divergenz im Sinne dieser Vorschrift ist nur gegeben, wenn die Vorinstanz mit einem die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328).
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2.1 Der Kläger macht geltend, das Oberverwaltungsgericht widerspreche mit seiner Auffassung, die ohne Prüfung der Kubatur des Bunkers erteilten Genehmigungen aus den Jahren 1983 und 1991 hätten eine “vollständige Legalisierung” bewirkt, mehreren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur baurechtlichen Beurteilung von Nutzungsänderungen nach § 34 BauGB. Insoweit verkennt der Kläger, dass sich die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Legalisierungswirkung der Genehmigungen nicht auf § 34 BauGB, sondern auf das niedersächsische Grenzabstandsrecht und damit auf irrevisibles Landesrecht beziehen (vgl. UA S. 14). Schon deshalb liegt eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht vor. Unabhängig davon bezeichnet der Kläger keinen abstrakten Rechtssatz, mit dem das Oberverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen sein könnte; er wendet sich vielmehr gegen Ausführungen zu Inhalt und Reichweite der im vorliegenden Streitfall erteilten Genehmigungen.
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2.2 Eine Divergenz zum Vorhabenbegriff im Sinne des § 29 BauGB liegt ebenfalls nicht vor. Einen Rechtssatz zur Auslegung des § 29 BauGB hat das Oberverwaltungsgericht nicht aufgestellt. Wie bereits dargelegt, hat es die baurechtliche Beurteilung lediglich im Hinblick auf die landesrechtlichen Grenzabstandsvorschriften auf die neu hinzutretende Sendeanlage beschränkt.
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Die im Rahmen der Divergenzrüge als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage,
ob ein materiell-illegales Gebäude ohne erneute baurechtliche Prüfung einem neuen Nutzungszweck zugeführt werden darf,
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Baugenehmigungen aus den Jahren 1983 und 1991 bestandskräftig geworden seien (UA S. 15).
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3. Schließlich greifen auch die Verfahrensrügen nicht durch.
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3.1 Der Kläger macht geltend, das Oberverwaltungsgericht habe seine Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO sowie den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, weil es die Beteiligten nicht vor der mündlichen Verhandlung auf seine Auffassung hingewiesen habe, dass die maßgebliche Umgebung nicht – wie bisher von den Beteiligten und im Eilverfahren auch dem Oberverwaltungsgericht selbst angenommen – als reines, sondern als allgemeines Wohngebiet einzustufen sei. Zu einem solchen Hinweis war das Oberverwaltungsgericht schon deshalb nicht verpflichtet, weil die Abweisung der Klage auf der Einstufung als allgemeines Wohngebiet nicht beruht. Das Oberverwaltungsgericht hat einen Gebietserhaltungsanspruch auch für den Fall verneint, dass die maßgebliche Umgebung als reines Wohngebiet einzustufen wäre; dann wäre das streitige Vorhaben nach § 14 Abs. 2 BauNVO 1990 im Wege der Ausnahme zu Recht zugelassen worden; auf die Befreiung komme es nicht an (UA S. 28). “Nur ergänzend” (UA S. 33), d.h. als weitere selbstständig tragende Erwägung, hat es dargelegt, dass die Schutzwürdigkeit des klägerischen Grundstücks nach neuerlicher Überlegung geringer ausfalle, weil die maßgebliche Umgebung wegen einer dort vorhandenen Grundschule nur als allgemeines Wohngebiet einzustufen sei (UA S. 33 f.). Da diese ergänzende Erwägung hinweggedacht werden kann, wäre auch die auf S. 39 der Beschwerdebegründung als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich.
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3.2 Einen Verfahrensfehler sieht die Beschwerde schließlich darin, dass das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage einer von der Beigeladenen während des Berufungsverfahrens vorgelegten “Standortanalyse” den Einwand des Klägers zurückgewiesen hat, dass ein anderer Standort nördlich der Autobahn zur Versorgung des Gebiets mit UMTS-Diensten besser geeignet sei (vgl. UA S. 30). Die Analyse leide unter erheblichen und offenkundigen Mängeln.
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Ein Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) ergibt sich aus diesem Vortrag nicht. Die Beschwerde legt nicht – wie dies erforderlich wäre (Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.) – dar, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung getroffen worden wären. Der Sache nach rügt sie, dass das Oberverwaltungsgericht ihren Einwänden gegen die Verwertbarkeit der Standortanalyse nicht gefolgt ist. Mit Angriffen gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts kann ein Verfahrensmangel im Sinne § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründet werden, da derartige Fehler in der Regel – und so auch hier – revisionsrechtlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern der materiellen Rechtsanwendung zuzurechnen wären.
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Auch soweit der Kläger eine Verletzung des fairen Verfahrens rügt, weil das Oberverwaltungsgericht zwar die von der Beigeladenen erst nach Bauantragstellung und Erlass der Baugenehmigung vorgelegte Standortanalyse, nicht aber das ihm günstige Inkrafttreten der Richtlinie 2009/114/EG berücksichtigt habe, ist ein Verfahrensfehler nicht schlüssig dargelegt. Bei der Prüfung, ob der Vorinstanz ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von deren materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte (Urteil vom 25. März 1987 – BVerwG 6 C 10.84 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 S. 4, stRspr). Das Oberverwaltungsgericht war der Rechtsauffassung, dass dem Bauherrn nachteilige Veränderungen der Sach- und Rechtslage während eines Nachbarstreitverfahrens nicht zu berücksichtigen sind (UA S. 31). Ausgehend hiervon war die Richtlinie 2009/114/EG nicht berücksichtigungsfähig. Begründete Einwände gegen die Verwertbarkeit der Standortanalyse bestanden demgegenüber nach seiner Rechtsauffassung nicht.