Baurecht

Bürgerbegehren gegen überörtliches Verkehrsprojekt

Aktenzeichen  4 B 18.1851

Datum:
13.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DÖV – 2019, 1016
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 28 Abs. 2
BayGO Art. 18a Abs. 1, Abs. 4, Abs. 13, Abs. 14, Art. 57
FStrG § 5
BImSchG § 47 Abs. 1
BayVwVfG Art. 48, Art. 49, Art. 75

 

Leitsatz

1. Eine Gemeinde darf sich auch mit einem überörtlichen Straßenbauvorhaben, für das ein bestandskräftiger Planfeststellungsbeschluss vorliegt, jederzeit befassen und ihre aus dem Selbstverwaltungsrecht folgenden Belange gegenüber den für die Bauausführung zuständigen Stellen zur Geltung bringen. (Rn. 19)
2. Einem Bürgerbegehren, das sich gegen die Realisierung eines bereits unanfechtbar genehmigten bzw. planfestgestellten Infrastrukturprojekts wendet, fehlt die erforderliche inhaltliche Bestimmtheit, wenn die Fragestellung so formuliert ist, dass „alles“ unternommen werden soll, um den Bau zu verhindern (Klarstellung zu BayVGH, U.v. 16.3.2001 – 4 B 99.318 – BayVBl 2001, 565). (Rn. 38)

Verfahrensgang

M 7 K 17.3914 2018-03-07 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten des Verfahrens gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts M. vom 7. März 2018 hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die auf Zulassung des Bürgerbegehrens „Kein Tunnel in S.“ gerichtete Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens, das sich gegen den Bau eines zur Bundesstraße … gehörenden Entlastungstunnels wendet, steht zwar weder eine rechtliche Bindung der Beklagten an eine bereits getroffene staatliche Planungsentscheidung zugunsten des Tunnelbaus noch das Verbot einer irreführenden Fragestellung oder Begründung entgegen (nachfolgend 1.). Die konkret gewählte Formulierung weist aber nicht das für den Vollzug eines erfolgreichen Bürgerentscheids notwendige Mindestmaß an inhaltlicher Bestimmtheit auf (nachfolgend 2.).
1. Die von der Beklagten und von der Landesanwaltschaft Bayern gegen die Zulässigkeit vorrangig erhobenen Einwände greifen nicht durch.
a) Das Bürgerbegehren „Kein Tunnel in S.“ betrifft eine Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises im Sinn von Art. 18a Abs. 1 GO. Zwar gehört die Baumaßnahme, da kein Fall des § 5 Abs. 2 oder 3 FStrG vorliegt, nach § 5 Abs. 1 FStrG zur Straßenbaulast des Bundes, der somit für die Realisierung und Finanzierung des Vorhabens zuständig ist (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1977 – IV C 3.74 – BVerwGE 52, 226/229). Gleichwohl ist auch der eigene Wirkungskreis der Beklagten betroffen. Der Begriff der Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises nach Art. 18a Abs. 1 Satz 1, Art. 57 GO bzw. Art. 83 BV ist deckungsgleich mit den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinn von Art. 28 Abs. 2 GG (BayVGH, B.v. 12.3.1997 – 4 CE 96.3422 – juris Rn. 22 m.w.N.). Er umfasst daher alle Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solche gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen (BVerfG, B.v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619/83 – BVerfGE 79, 127/151). Das kann auch bei Maßnahmen der Fall sein, die zwar nicht in der (Mit-)Entscheidungskompetenz der Gemeinde liegen, jedoch gewichtige Auswirkungen auf ihre Selbstverwaltungsaufgaben haben können und z. B. die Finanz- oder Planungshoheit berühren (vgl. BVerwG, B.v. 14.12.1990 – 7 C 37.89 – NVwZ 1991, 682 f.; B.v. 9.1.1995 – 4 NB 42.94 – BayVBl 1995, 440/441). Der Bau des seit längerem planfestgestellten Tunnels im Stadtgebiet der Beklagten ist auch für diese mit dauerhaften Folgekosten verbunden und wirkt sich auf die ortsplanerischen Gestaltungsmöglichkeiten in erheblicher Weise aus. Die Beklagte darf sich daher mit diesem überörtlichen Straßenbauprojekt, über dessen Fortgang auf politischer Ebene entschieden wird, auch noch nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens jederzeit befassen und ihre gemeindlichen Belange gegenüber den zuständigen staatlichen Stellen in geeigneter Weise zur Geltung bringen (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.1990, a.a.O., zur Zulässigkeit sog. Vorratsbeschlüsse schon bei potentieller Gebietsbetroffenheit).
b) Dass die Beklagte den zu dem Vorhaben ergangenen Planfeststellungsbeschluss vom 22. Februar 2007 nicht in ihrer Eigenschaft als unmittelbar betroffene Standortgemeinde angefochten, sondern sich als Beigeladene auf der Seite des Vorhabensträgers an den im Jahr 2008 rechtskräftig abgeschlossenen verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren beteiligt hat, steht dem mit dem Bürgerbegehren verfolgten Ziel einer Verhinderung des Tunnelbaus nicht entgegen. Die mit Ablauf der Anfechtungsfrist eingetretene Bestandskraft der Zulassungsentscheidung und die Bindung an die klageabweisenden Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (§ 121 Nr. 1 VwGO) bewirken lediglich, dass sich die Beklagte in einem Gerichtsverfahren nicht mehr darauf berufen kann, dass der Planfeststellungsbeschluss sie oder einen der damaligen Kläger in eigenen Rechten verletze. Eine fortdauernde Duldungsverpflichtung dahingehend, dass die Beklagte die Verwirklichung des Vorhabens von Rechts wegen hinzunehmen und alle auf Verhinderung gerichteten Aktivitäten zu unterlassen hätte, folgt dagegen weder aus dem Planfeststellungsbeschluss noch aus den gerichtlichen Entscheidungen über die Drittanfechtungsklagen.
c) Das Bürgerbegehren ist auch nicht deshalb unzulässig, weil die Beklagte damit im Fall eines erfolgreichen Bürgerentscheids verpflichtet würde, der für das Stadtgebiet geltenden Luftreinhalteplanung zuwiderzuhandeln.
Der von der Regierung von O. gemäß § 47 Abs. 1 BImSchG i. V. m. Art. 8 BayImSchG erarbeitete „Luftreinhalteplan für die Stadt M. unter Beteiligung des Umlandes“ (3. Fortschreibung, Stand April 2012) schlägt in dem als Anlage A2 beigefügten „Teilplan für die Stadt S.“ den Bau des Entlastungstunnels der … vor und spricht diesem Vorhaben, das von der Regierung von O. und dem Staatlichen Bauamt W. zu veranlassen sei, bezüglich der Luftschadstoffbelastung ein deutliches Minderungspotenzial zu (A2-12). Bereits in der Vorbemerkung zu diesem Teilplan wird aber darauf verwiesen, dass ein verbindlicher Luftreinhalteplan keine bestehenden Rechtsgrundlagen oder Verwaltungsverfahren für die Realisierung der Maßnahmen ersetzt und keine neuen Zuständigkeiten schafft (A2-11). An anderer Stelle wird zu den gegen den Tunnelbau vorgebrachten Argumenten angemerkt, dass der Luftreinhalteplan diese planfestgestellte Maßnahme zwar im Hinblick auf deren NO₂-Minderungspotenzial aufgreife, sie aber nicht fordere (S. 95). Diese Aussagen lassen erkennen, dass die Regierung von O. mit der Aufstellung des Luftreinhalteplans in der derzeitigen Fassung keine Verpflichtung zur Verwirklichung dieses überörtlichen Straßenbauvorhabens statuieren wollte. Selbst wenn dies aber der Fall wäre, ergäbe sich daraus für die in die Luftreinhalteplanung eingebundenen Staatsbehörden und Kommunen eine Umsetzungspflicht nach § 47 Abs. 6 BImSchG nur innerhalb ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs (vgl. Köck in BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 47 Rn. 18; Jarass in Jarass, BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 47 Rn. 55 ff.). Da die Beklagte für die Realisierung des Tunnelprojekts nicht zuständig ist, könnte sie durch einen ihr Stadtgebiet betreffenden Reinhalteplan insoweit nicht zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen verpflichtet werden.
d) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts verstößt weder die Fragestellung noch die Begründung des Bürgerbegehrens gegen das aus der verfassungsrechtlich gewährleisten Abstimmungsfreiheit (Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 BV) folgende Täuschungs- und Irreführungsverbot (dazu BayVGH, U.v. 4.7.2016 – 4 BV 16.105 – BayVBl 2017, 92 Rn. 27 f. m.w.N.).
aa) Die zur Abstimmung gestellte Forderung, dass die Beklagte „alles unternimmt, damit der planfestgestellte …-Tunnel in unserer Stadt nicht gebaut wird“, lässt bei der gebotenen wohlwollenden Auslegung (vgl. BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – BayVBl 2018, 22 Rn. 25) nicht den – sachlich unzutreffenden – Eindruck entstehen, dass das Bauvorhaben allein durch eine Entscheidung oder Willensbekundung der Beklagten gestoppt werden könne. Der weitgefasste Auftrag, „alles“ zu unternehmen, deutet im Gegenteil darauf hin, dass es auch aus Sicht der Sicht der Initiatoren des Bürgerbegehrens kein allein ausreichendes Mittel gibt, um den angestrebten Erfolg zu erzielen, sondern dass an eine Vielzahl von Maßnahmen und Aktivitäten gedacht ist, bei denen sich noch nicht absehen lässt, ob der Tunnelbau damit am Ende verhindert werden kann. Das in diesem Zusammenhang verwendete Verb „unternehmen“ umfasst nach dem Alltagsverständnis ebenso wie im juristischen Sinn (§ 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB) auch das letztlich erfolglose Bemühen, ein vorgegebenes Ziel zu erreichen.
Die Formulierung, dass es um einen „planfestgestellte(n)“ Tunnel gehe, weist hinreichend deutlich auf die Besonderheit hin, dass die von dem Verkehrsprojekt betroffene Beklagte ihren ablehnenden Standpunkt nicht als Beteiligte an einem laufenden Zulassungsverfahren, sondern erst nach dessen Abschluss zur Geltung bringen soll. Die in diesem Sinn zu verstehende Fragestellung ist auch nicht deshalb als irreführend anzusehen, weil es keine zulässigen und nicht gänzlich ungeeigneten Mittel mehr gäbe, um der Verwirklichung des Entlastungstunnels von gemeindlicher Seite entgegenzutreten. Insoweit kommen vielmehr zahlreiche rechtliche und politische Handlungsmöglichkeiten in Betracht.
Die Beklagte kann allerdings den bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss nicht mehr anfechten, sondern ist an dessen rechtsgestaltende Wirkung gebunden (Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG) und mit Unterlassungsansprüchen ausgeschlossen (Art. 75 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG). Dies hindert sie als betroffene Standortgemeinde jedoch nicht daran, auf eine Beseitigung der Zulassungsentscheidung hinzuwirken, etwa durch einen – grundsätzlich zulässigen – Antrag auf Rücknahme oder Widerruf nach Art. 72 Abs. 1 i. V. m. Art. 48 oder 49 BayVwVfG (vgl. BVerwG, U.v. 19.12.2017 – 3 A 8.15 – NVwZ 2018, 501 Rn. 23 m.w.N.) oder durch das – notfalls klageweise zu verfolgende – Begehren, ein von ihr behauptetes Außerkrafttreten des Planfeststellungsbeschlusses nach Art. 75 Abs. 4 BayVwVfG förmlich feststellen zu lassen (dazu Neumann/Külpmann in Stelkens u. a., VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 75 Rn. 98 m.w.N.). Ob solche eher ungewöhnlichen Rechtsbehelfe in einem von der Beklagten angestrengten Behörden- oder Gerichtsverfahren von vornherein aussichtslos und daher ungeeignet wären, der geplanten Baumaßnahme die Rechtsgrundlage zu entziehen, kann hier offenbleiben. Denn zumindest die interne juristische Vorabprüfung der Erfolgsaussichten dieser förmlichen Instrumente wäre von dem allgemein gehaltenen Auftrag gedeckt, „alles“ zu unternehmen, um den Tunnelbau noch zu verhindern.
Neben diesen auf die Bestandskraft der Zulassungsentscheidung abzielenden und daher an die Planfeststellungsbehörde zu richtenden Anträgen umfasst die Fragestellung des Bürgerbegehrens auch alle Arten von Appellen an diejenigen politischen Instanzen, die in irgendeiner Weise über den Fortgang des Bauprojekts zu befinden haben. Da der Planfeststellungsbeschluss das Vorhaben nur genehmigt, den Träger aber nicht zur Ausführung verpflichtet (vgl. Neumann/Külpmann in Stelkens u.a., a.a.O., § 74 Rn. 22), steht es nach wie vor im verkehrspolitischen Ermessen des Bundes als Straßenbaulastträger, ob es zum Bau des Entlastungstunnels der … kommt, der nach dem aktuellen Bundesverkehrswegeplan der Bundesregierung in die Dringlichkeitsstufe „Weiterer Bedarf“ fällt (http://bvwp-projekte.de/strasse/B002-G050-BY/B002-G050-BY.html). Mögliche Adressaten einer ablehnenden Stellungnahme der Beklagten wären demgemäß die Bundesregierung, der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie der für die Finanzierung des Vorhabens zuständige Deutsche Bundestag bzw. sein Verkehrsausschuss, aber auch einzelne Fraktionen bzw. Fraktionsvorsitzende oder einflussreiche (Wahlkreis-)Abgeordnete. An die entsprechenden Verfassungsorgane und politischen Funktionsträger auf Landesebene könnte eine solche Resolution ebenfalls gerichtet werden, da immerhin die Möglichkeit bestünde, in Verhandlungen zwischen dem Freistaat Bayern und dem Bund zu einer Neubewertung des Projekts zu gelangen. Ob die zuständigen politischen Entscheidungsträger durch ein – plebiszitär zustande gekommenes – Negativvotum der Beklagten tatsächlich bewegt werden könnten, von ihrer bisherigen Absicht zur Realisierung des Vorhabens auch noch nach dem mittlerweile erfolgten offiziellen Baubeginn abzurücken, lässt sich nicht voraussagen; ausgeschlossen erscheint eine solche Reaktion nach den in der Vergangenheit verlautbarten Äußerungen jedenfalls nicht. Angesichts der insoweit bestehenden Ungewissheit können unverbindliche Appelle und Petitionen nicht als ein gänzlich ungeeignetes Mittel zur Erreichung des mit dem Bürgerbegehren verfolgten Ziels angesehen werden.
bb) Auch in der Begründung des Bürgerbegehrens „Kein Tunnel in S.“ liegt kein Verstoß gegen das ungeschriebene Irreführungs- und Täuschungsverbot.
Die gemäß Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO jedem Bürgerbegehren beizufügende Begründung soll sicherstellen, dass die zur Unterschriftsleistung aufgeforderten Gemeindebürger die Bedeutung und Tragweite der mit Ja oder Nein zu entscheidenden Fragestellung erkennen können. Da sie nur dann sachgerecht über die Unterstützung eines Bürgerbegehrens entscheiden können, wenn sie nicht durch den vorgelegten Begründungstext in wesentlichen Punkten in die Irre geführt werden, darf in der Begründung des Bürgerbegehrens weder eine unzutreffende entscheidungsrelevante Tatsache behauptet noch die maßgebende Rechtslage unzutreffend oder unvollständig erläutert werden (vgl. BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – BayVBl 2018, 22 m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird der hier zu beurteilende Begründungstext gerecht. Er musste, da das Bürgerbegehren eine kommunalpolitische Grundsatzentscheidung zur Frage des Tunnelbaus zum Gegenstand hat, keine Rechtsausführungen zum derzeitigen Verfahrensstand und zu den zulässigen Handlungsoptionen enthalten, sondern konnte in pauschaler und plakativer Weise die aus Sicht der Initiatoren wichtigsten Gründe für die Ablehnung des Projekts präsentieren (vgl. BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – BayVBl 2018, 22 Rn. 44). Einige der dabei getroffenen Aussagen bestehen demgemäß aus subjektiven Einschätzungen und Bewertungen (Verkehrsproblem nicht gelöst, schadstoffbedingte Gesundheitsgefahr für die Bürger, unverhältnismäßige Belastung), die nicht auf ihren objektiven Wahrheitsgehalt hin überprüft werden können. Soweit in der Begründung auch konkrete Tatsachenbehauptungen aufgestellt werden, können diese bei sachgerechter Würdigung ihres Aussagegehalts nicht als nachweislich unzutreffend angesehen werden. Dass die neue Straßenverbindung zusätzlichen Verkehr in die Stadt (nicht auch in den Innenstadtbereich) ziehen wird, stellt eine auf allgemeine Erfahrungen gestützte Prognose dar, die zumindest als vertretbar gelten kann. Die Aussage, dass Abgase und Feinstaub ungefiltert aus dem Tunnel geleitet werden sollen, entspricht ersichtlich dem aktuellen Planungsstand. Auch die Behauptung, mit der Zustimmung zum Tunnelbau widerspreche der Stadtrat der Beklagten dem bei der letzten Kommunalwahl zum Ausdruck gekommenen „Mehrheitsvotum der Wähler“, stellt nach dem objektiven Erklärungsgehalt keine unrichtige Tatsachenbehauptung dar. Da es bei der Wahl nur um die Vergabe der Mandate und nicht um einzelne Sachentscheidungen ging, kann die genannte Aussage so verstanden werden, dass die Mehrheit der damals gewählten Ratsmitglieder sich als Tunnelgegner bekannt hatte oder entsprechenden Fraktionen angehörte.
2. Das Bürgerbegehren ist aber unzulässig, weil die darin zur Abstimmung gestellte Frage, die den erforderlichen Entscheidungscharakter besitzt (nachfolgend a), nicht mit hinreichender Bestimmtheit erkennen lässt, zu welchen Handlungen die Beklagte verpflichtet werden soll (nachfolgend b).
a) Das Bürgerbegehren, das eine mit Ja oder Nein zu entscheidende Fragestellung im Sinn des Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO enthält („Sind Sie dafür, dass…“), ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht lediglich auf eine unverbindliche Meinungskundgabe gerichtet.
Bürgerbegehren müssen, wie sich aus Art. 18a Abs. 14 Satz 1 GO ergibt, eine von den Unterzeichnern „verlangte Maßnahme“ der Gemeinde zum Gegenstand haben. Auch eine mit Ja oder Nein zu beantwortende Frage ist daher nur zulässig, wenn die Gemeindeorgane durch einen erfolgreichen Bürgerentscheid in irgendeiner Weise zu einem Tun oder Unterlassen verpflichtet sind. Ziel des plebiszitären Abstimmungsverfahrens muss eine vollzugsbedürftige und vollzugsfähige Entscheidung der Aktivbürgerschaft und nicht bloß eine kollektive Meinungsbekundung zu einem bestimmten Thema sein. Ein Bürgerbegehren, das ohne jede – zumindest gemeindeinterne – rechtliche Wirkung nur ein politisches Signal an die Öffentlichkeit aussendet, ist unzulässig (VerfGH, E.v. 21.12.2015 – Vf. 14-VII-13 – VerfGH 68, 316/328 = BayVBl 2016, 300 Rn. 38; BayVGH, B.v. 22.3.1999 – 4 ZB 98.1352 – BayVBl 1999, 439 f.; Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Art. 18a Abs. 4 GO Anm. 6). Gleiches gilt, wenn eine angestrebte Entscheidung aufgrund von entgegenstehenden äußeren Umständen von vornherein erkennbar ins Leere geht (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2018 – 4 CE 17.2472 – BayVBl 2018, 747).
Um ein solches rechtlich folgenloses Votum handelt es sich bei dem Bürgerbegehren „Kein Tunnel in S.“ nicht. Die Fragestellung beschränkt sich nicht darauf, ein Meinungsbild zu dem Straßenbauvorhaben des Bundes zu ermitteln (z. B. mit der Frage: „Sind Sie dagegen, dass der planfestgestellte …-Tunnel in unserer Stadt gebaut wird?“). Mit der beantragten Abstimmung soll vielmehr darüber entschieden werden, ob „die Stadt S.“ dazu verpflichtet werden soll, den Bau des Tunnels mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern. Hätte ein entsprechender Bürgerentscheid Erfolg, müsste der darin liegende Handlungsauftrag durch entsprechende Maßnahmen des Stadtrats und der Stadtverwaltung erfüllt werden.
b) Wie diese Umsetzungsmaßnahmen konkret auszusehen hätten, lässt sich aber aus der Fragestellung auch bei wohlwollender Auslegung nicht erkennen. Dieser nicht heilbare Mangel führt zur Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens.
Ein Bürgerbegehren kann nur zugelassen werden, wenn die mit ihm unterbreitete Fragestellung ausreichend bestimmt ist (BayVGH, U.v. 17.5.2017, a.a.O., Rn. 24 m.w.N.). Das bedeutet zwar nicht zwingend, dass es zum Vollzug des Bürgerentscheids nur noch der Ausführung durch den Bürgermeister im Rahmen der laufenden Angelegenheiten nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO bedarf. Mit einem Bürgerentscheid können vielmehr auch Grundsatzentscheidungen getroffen werden, die erst noch durch nachfolgende Detailregelungen des Gemeinderates ausgefüllt werden müssen (BayVGH, U.v. 19.2.1997 – 4 B 96.2928 – VGH n.F. 50, 42/44 = BayVBl 1997, 276/277), wie dies etwa bei einem Planaufstellungsbeschluss nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB der Fall ist (vgl. BayGH, B.v. 13.12.2010 – 4 CE 10.2839 – VGH n.F. 63, 282 Rn. 29 = BayVBl 2011, 309). Die Fragestellung muss aber in jedem Fall so bestimmt sein, dass die Bürger zumindest in wesentlichen Grundzügen erkennen können, wofür oder wogegen sie ihre Stimme abgeben und wie weit die gesetzliche Bindungswirkung des Bürgerentscheids (Art. 18a Abs. 13 GO) im Fall eines Erfolgs reicht (BayVGH, B.v. 8.4.2005 – 4 ZB 04.1246 BayVBl 2005, 504 m.w.N.; vgl. auch für Volksentscheide VerfGH, E.v. 13.4.2000 – Vf. 4-IX-00 – VerfGH 53, 81/105 f. = BayVBl 2000, 460/464). Die auf eine Grundsatzentscheidung abzielenden Bürgerbegehren unterliegen damit strengeren Bestimmtheitsanforderungen als entsprechende Beschlussanträge im Gemeinderat, der an seine früheren Entscheidungen in keiner Weise gebunden ist und nicht vollzugsfähige Beschlüsse jederzeit präzisieren kann.
Die vorgenannten Grundsätze gelten auch bei den auf eine Negativentscheidung abzielenden Bürgerbegehren, die sich etwa gegen ein auf dem Gemeindegebiet geplantes Projekt eines öffentlichen oder privaten Trägers richten. Die in solchen Fällen häufig verwendeten Formulierungen der Abstimmungsfrage, mit denen die Organe der Gemeinde verpflichtet werden sollen, zur Verhinderung des Vorhabens „alle rechtlichen Mittel“ einzusetzen (BayVGH, U.v. 19.2.1997, a.a.O., 42) oder „alle zulässigen rechtlichen Möglichkeiten“ auszuschöpfen (BayVGH, U.v. 14.10.1998 – 4 B 98.505 – VGH n.F. 52, 12/14), verstoßen dann nicht gegen das Bestimmtheitsgebot, wenn sie sich auf ein laufendes fachplanungsrechtliches oder sonstiges Zulassungsverfahren beziehen, das der Gemeinde eine selbständige Rechtsposition vermittelt (§ 36 BauGB) oder bei dem ihre Einwände zumindest in der Abwägung zu berücksichtigen sind (§ 38 BauGB). Zwar steht auch hier wegen des noch offenen Verfahrensausgangs nicht schon im Voraus fest, welche rechtlichen Mittel die Gemeinde ergreifen muss, um ihren ablehnenden Standpunkt möglichst wirksam zur Geltung zu bringen. Für die Abstimmungsberechtigten, die an dem Bürgerentscheid teilnehmen, ist aber ohne weiteres erkennbar, dass mit der Forderung nach einem Einsatz „aller“ rechtlichen Mittel nicht lediglich die aktive Beteiligung an dem Verwaltungsverfahren gemeint ist, sondern – im Fall der Zulassung des Vorhabens – vor allem auch das Beschreiten des (Verwaltungs-)Rechtswegs, sofern dies aus juristischer Sicht nicht offensichtlich aussichtslos ist (vgl. BayVGH, U.v. 19.2.1997, a.a.O., 45). Die in der Rechtsprechung anerkannten Klagemöglichkeiten einer Gemeinde gegen überörtliche Infrastrukturvorhaben (dazu Allesch, BayVBl 2018, 181 f.) sind daher von der genannten Formulierung in einem Bürgerbegehren eindeutig mitumfasst.
Bei Vorhaben, die bereits unanfechtbar genehmigt bzw. planfestgestellt sind, scheiden diese gängigen Formen des gerichtlichen Drittrechtsschutzes allerdings aus. In solchen Fällen kann somit nicht anhand einer allgemein üblichen Vorgehensweise bestimmt werden, welche konkreten Aktivitäten gemeint sind, wenn zur Verhinderung des Vorhabens „alles“ unternommen werden soll. Die damit verbundene Ungewissheit wird noch verstärkt, wenn wie beim vorliegenden Bürgerbegehren die Beschränkung auf spezifisch „rechtliche“ Mittel fehlt bzw. wenn „alle rechtlich vertretbaren Maßnahmen“ ergriffen werden sollen (wie in dem Fall BayVGH, U.v. 16.3.2001 – 4 B 99.318 – BayVBl 2001, 565), so dass von der Fragestellung sämtliche irgendwie erfolgversprechenden (nicht verbotenen) Handlungen erfasst werden. Insoweit kommen, wie oben gezeigt (I.1.d.aa), neben diversen Anträgen verfahrensrechtlicher Art vor allem politische Appelle an jene Akteure auf Bundes- und Landesebene in Betracht, die direkt oder indirekt Einfluss auf die Realisierung des Projekts nehmen können. Auch damit steht aber der Katalog möglicher Maßnahmen noch nicht abschließend fest. So werden als grundsätzlich geeignete Mittel, mit denen die Gemeinde eine nachträgliche Überprüfung initiieren oder die Öffentlichkeit gegen die Verwirklichung des Vorhabens mobilisieren kann, beispielsweise auch Petitionen an das Europäische Parlament, Beschwerden an die Europäische Kommission sowie Diskussionsveranstaltungen und Zeitungsanzeigen vorgeschlagen (vgl. Dziallas/Jäger, KommJur 2016, 6/9).
Käme das Bürgerbegehren „Kein Tunnel in S.“ in der vorliegenden Form zur Abstimmung und fände sich dafür die nötige Mehrheit, so müsste die Beklagte alle diese in Betracht kommenden Verhinderungsinstrumente zumindest auf ihre etwaige Erfolgseignung hin untersuchen und von ihnen gegebenenfalls Gebrauch machen. Ein derart bunter Strauß voneinander unabhängiger, auch kumulativ nutzbarer Handlungsoptionen vermag aber selbst ein umfassend informierter Bürger bei seiner Stimmabgabe nicht zu überblicken. Er kann nicht im Vorhinein anhand objektiver Maßstäbe oder allgemeiner Erfahrungswerte einschätzen, wann, wie lange und mit wieviel Aufwand die einzelnen Maßnahmen seitens der Beklagten eingesetzt werden müssten, damit zur Verhinderung des Vorhabens buchstäblich „alles“ getan ist. Zudem müsste er mit der Möglichkeit rechnen, dass von den Tunnelgegnern auch noch nachträglich – innerhalb der Frist des Art. 18a Abs. 13 Satz 2 GO – neue rechtliche oder fachliche Angriffspunkte vorgebracht werden, aufgrund derer die Beklagte zu weiteren, gegenwärtig nicht absehbaren Aktivitäten verpflichtet wäre.
Worin der plebiszitär erteilte Auftrag zur Verhinderung des Tunnelbaus im Wesentlichen bestehen soll und wonach sich das Maß seiner Erfüllung bestimmt, bleibt nach der Formulierung des Bürgerbegehrens gänzlich unklar. Dies wird im vorliegenden Klageverfahren auch daran erkennbar, dass das Wort „alles“ selbst von rechtskundiger Seite sehr unterschiedlich verstanden wird. Während der frühere Klägervertreter eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verhinderung des Vorhabens als möglich ansah und die konkrete Auswahl der Beklagten überlassen wollte (Bl. 110 f. der VG-Akte), leitet der jetzige Bevollmächtigte der Kläger aus dem Bürgerbegehren eine zwingende Verpflichtung ab, auf verfahrensrechtlichem Wege gegen den Planfeststellungsbeschluss vorzugehen; weitergehende politische Aktionen sind dagegen aus seiner Sicht nicht geboten (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.3.2019, S. 3).
Die herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden liefern keine Antwort auf die Frage, was der Stadtrat und die erste Bürgermeisterin der Beklagten im Einzelnen unternehmen müssten, um einem Bürgerentscheid nachzukommen, der lediglich das Ziel einer Verhinderung des Tunnelbaus festlegt, ohne die dafür (vorrangig) einzusetzenden Mittel zu benennen. Angesichts der mangelnden Bestimmtheit der Fragestellung könnte der Stadtrat in diesem Fall auch nicht von seinem aus Art. 18a Abs. 14 Satz 1 GO folgenden Recht Gebrauch machen, die Durchführung der mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahme von sich aus zu beschließen und damit den Bürgerentscheid überflüssig zu machen. Auch dies belegt, dass das streitgegenständliche Bürgerbegehren hinter den gesetzlich vorausgesetzten inhaltlichen Mindestanforderungen zurückbleibt und demnach unzulässig ist.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 709 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

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