Baurecht

einstweiliger Rechtsschutz, vorläufige Besitzeinweisung (Hochwasserschutz), Heilung eines Ladungsmangels, zulässige Antragsänderung, Zustandsfeststellung, entbehrliches Entschädigungsangebot, Gebotenheit des sofortigen Baubeginns, enteignungsrechtliche Vorwirkung der Planfeststellung

Aktenzeichen  8 AS 21.40031

Datum:
20.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28492
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5
WHG § 71, § 71a
WaStrG § 20 Abs. 2 bis 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer vorzeitigen Besitzeinweisung für (Rest-)Bauarbeiten einer Hochwasserschutzmaßnahme.
Der Antragsgegner beantragte am 20. Mai 2021, ergänzt mit Schriftsatz vom 29. Juli 2021, die vorzeitige Besitzeinweisung in Teilflächen der Grundstücke FlNr. … … … … … und … Gemarkung K …
Der Antragsteller betreibt dort ein Sägewerk. Zu seinen Gunsten ist im Grundbuch jeweils eine Auflassungsvormerkung zu einem Miteigentumsanteil von 1/2 eingetragen.
Am 30. Juni 2021 fand mündliche Verhandlung bei der Enteignungsbehörde statt, zu der der Antragsteller persönlich, nicht aber sein Prozessbevollmächtigter geladen worden war. Die Antragstellerseite rügte einen Ladungsmangel, nahm aber trotzdem teil. Das Landratsamt wiederholte gleichwohl die mündliche Verhandlung am 5. August 2021. Die Antragstellerseite wurde hierzu geladen, nahm aber nicht daran teil.
Das Landratsamt Traunstein hat den Antragsgegner mit Besitzeinweisungsbeschluss vom 18. August 2021 für die Errichtung der „Hochwasserschutzmaßnahme HQ50 an der G … A … im Ortsteil K …“ mit Wirkung zum 1. September 2021 vorzeitig in den Besitz von Teilflächen an den Grundstücken FlNr. … … … … … und … Gemarkung K … eingewiesen (Ziff. I des Beschlusses). Dem Antragsgegner wurde gestattet, auf den in Ziffer I. genannten Flächen die im Planfeststellungsbeschluss des Landratsamts Traunstein vom 4. Juli 2005, geändert bzw. ergänzt mit Planergänzungsbeschluss des Landratsamts vom 30. August 2010, vorgesehenen Maßnahmen durchzuführen (Ziff. II).
Die oben angeführten Planfeststellungsbeschlüsse sind rechtskräftig. Die Durchführung der Enteignung wurde für zulässig erklärt.
Am 20. August 2021 hat der Antragsteller Klage gegen den Besitzeinweisungsbeschluss vom 18. August 2021 erhoben und nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens des Antragstellers wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
A. Entfällt die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs – wie vorliegend – kraft Gesetzes (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 71a Abs. 2 WHG, § 20 Abs. 7 Satz 1 WaStrG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Ist es – wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung oder wegen der Komplexität der aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen – nicht möglich, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wenigstens summarisch zu beurteilen, so sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten (vgl. BVerwG, B.v. 29.10.2020 – 7 VR 7.20 – NVwZ 2021, 575 = juris Rn. 12 m.w.N.). In dieser Situation ist bei der Interessenabwägung auch zu beachten, dass der Gesetzgeber durch das angeordnete Entfallen der aufschiebenden Wirkung mit § 71a Abs. 2 WHG i.V.m. § 20 Abs. 7 Satz 1 WaStrG dem Vollzugsinteresse und damit der beschleunigten Umsetzung von Hochwasserschutzmaßnahmen ein besonderes Gewicht verliehen hat (vgl. BVerwG, B.v. 14.4.2005 – 4 VR 1005.04 – BVerwGE 123, 241 = juris Rn. 11 m.w.N.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 140).
B. Nach diesen Maßstäben ist der Antrag nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen, weil sich der angegriffene Besitzeinweisungsbeschluss vom 18. August 2021 bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist und den Antragsteller voraussichtlich nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I. Der Besitzeinweisungsbeschluss leidet an keinem beachtlichen Verfahrensmangel.
1. Ein solcher Verfahrensfehler ergibt sich nicht aus der fehlenden Ladung des Bevollmächtigten des Antragstellers zur mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2021.
a) Da die mündliche Verhandlung über den Antrag des Vorhabenträgers auf Besitzeinweisung (vgl. § 71a Abs. 2 WHG i.V.m. § 20 Abs. 2 WaStrG) am 5. August 2021 wiederholt wurde, geht das Vorbringen des Antragstellers, diese Ladung sei verfahrensfehlerhaft erfolgt, ins Leere. Die Frage, ob im maßgeblichen Zeitpunkt dieser Ladung eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung für das Enteignungsverfahren vorgelegen hat, ist rechtlich ohne Bedeutung, weil die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 2021 dem angegriffenen Besitzeinweisungsbeschluss nicht zugrunde liegt. Stattdessen wurde das Verfahren im Hinblick auf die mündliche Erörterung mit den Beteiligten wiederholt, d.h. diesbezüglich in das Stadium vor der (ersten) mündlichen Verhandlung zurückversetzt. Dies ergibt sich nicht nur aus der Begründung des Besitzeinweisungsbeschlusses (BEB, vgl. dort S. 17 f.), sondern auch aus den vorgelegten Behördenakten (vgl. Schreiben der Verhandlungsleiterin vom 5.7.2021, Behördenakte [BA] 1/2 S. 375 f.), die zur mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2021 – anders als zur mündlichen Verhandlung vom 5. August 2021 (vgl. BA 2/2 S. 542 ff.) – auch kein Protokoll enthalten. Diese Verfahrensweise unterscheidet sich von einer Fehlerheilung, bei der ein Beteiligter – unter Einschluss der Ergebnisse einer mündlichen Verhandlung, zu der er verfahrensfehlerhaft nicht geladen wurde – (nur) nachträglich angehört wird (vgl. hierzu Sachs/Kamp in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 67 Rn. 34; Henkel/Enders in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 68 Rn. 26).
b) Abgesehen davon hat die Antragstellerseite an der mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2021 teilgenommen. Im Rahmen ihrer Rüge eines Ladungsmangels (vgl. insbesondere Schriftsätze vom 25.6.2021 S. 1 ff., vom 30.6.2021 S. 11 ff. und vom 1.7.2021 S. 2) hat sie auch nicht dargelegt, inwieweit sie durch die unterbliebene Ladung des Prozessbevollmächtigten – trotz erfolgter Ladung des Antragstellers – an der Ausübung ihres Rechts auf sachgerechte Vorbereitung und Teilnahme an der mündlichen Verhandlung behindert worden wäre. Deshalb ist nicht erkennbar, inwiefern die unterbliebene Ladung des Prozessbevollmächtigten den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör verletzt haben könnte (zum sog. Grundrechtsschutz durch Verfahren vgl. auch BayVGH, U.v. 08.04.2020 – 8 N 16.2210 u.a. – BayVBl 2020, 556 = juris Rn. 44). Ein etwaiger Ladungsfehler wäre am Maßstab des entsprechend anwendbaren Art. 46 BayVwVfG (vgl. VGH BW, U.v. 19.1.2017 – 5 S 301/15 – DVBl 2017, 507 = juris Rn. 33; Schenk in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, Stand September 2020, § 71a WHG Rn. 27) unbeachtlich, weil nach Aktenlage offensichtlich ausgeschlossen ist, dass er die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat (vgl. auch BVerfG, B.v. 18.6.1986 – 1 BvR 787/80 – BVerfGE 73, 280 = juris Rn. 49).
2. Die Vorgehensweise der Enteignungsbehörde, die mündliche Verhandlung am 5. August 2021 zu wiederholen, ist voraussichtlich frei von Rechtsfehlern. Die gegenteilige Auffassung des Antragstellers, der Besitzeinweisungsantrag hätte nach der mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2021 abgelehnt werden müssen, geht fehl.
Dass der Beschluss nicht innerhalb von zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2021 zugestellt wurde (vgl. § 71a Abs. 2 WHG i.V.m. § 20 Abs. 4 Satz 1 WaStrG), stellt keinen erheblichen Verfahrensmangel dar. Die Zwei-Wochenfrist dient allein dem öffentlichen Interesse der Beschleunigung des Verfahrens von Hochwasserschutzmaßnahmen (vgl. BT-Drs. 18/10879 S. 17), nicht hingegen der Sicherung von Rechten desjenigen, dem der Besitz entzogen werden soll (vgl. Schenk in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 71a WHG Rn. 35; VGH BW, B.v. 11.2.1999 – 5 S 2379/98 – NVwZ-RR 1999, 487 zu § 18f Abs. 4 Satz 1 FStrG). Abgesehen davon dürfte die Zwei-Wochenfrist betreffend die allein zugrunde gelegte mündliche Verhandlung vom 5. August 2021 (vgl. oben Rn. 16) gewahrt sein. Der Beschluss vom 18. August 2021 wurde am selben Tag zur Post gegeben; das Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten liegt der vorgelegten Behördenakte nicht bei.
3. Dem Besitzeinweisungsbeschluss liegt auch ein wirksamer Antrag zugrunde.
a) Der Einwand des Antragstellers, der Besitzeinweisungsantrag sei zu unbestimmt, erweist sich als unberechtigt. Selbst wenn man mit der Antragstellerseite verlangt, dass sich dem Antrag nicht nur die beanspruchten Grundstücksflächen klar und präzise entnehmen lassen, sondern zudem, welche Maßnahmen auf den betroffenen Grundstücksflächen vorgenommen werden sollen (so Czychowski/Reinhardt, WHG, 12. Aufl. 2019, § 71a Rn. 13; a.A. wohl Schenk in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 71a WHG Rn. 7), wurde dem vorliegend genügt. In den Anlagen AS 7 und AS 8 (Erläuterungsbericht vom 12.5.1999, vgl. dort S. 7 ff; 2. Tektur vom 26.2.2009 S. 2 ff.), die dem Antrag beigefügt wurden, werden die Art und der Umfang des Vorhabens, für das die betroffenen Grundstücke beansprucht werden, beschrieben.
b) Die Änderung des Besitzeinweisungsantrags (vgl. Schriftsatz vom 29. Juli 2021), mit der dieser um Dienstbarkeiten an den Grundstücken FlNr. … und … ergänzt wurde, war voraussichtlich zulässig. Das vorliegend anzuwendende Fachrecht (vgl. § 71a Abs. 2 WHG i.V.m. § 20 Abs. 2 bis 7 WaStrG) verbietet dies nicht (zum Maßstab des jeweiligen Fachrechts vgl. Reimer in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand Juli 2020, § 64 Rn. 59). Im Übrigen bewirkt selbst die Nachholung oder Ergänzung eines Antrags eine Heilung etwaiger Fehler (vgl. Art. 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BayVwVfG, der im förmlichen Verwaltungsverfahren Anwendung findet, vgl. Fehling in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 64 Rn. 20). Dass die Antragsänderung erst nach der (ersten) mündlichen Verhandlung der Enteignungsbehörde am 30. Juni 2021 erfolgt ist, ändert daran nichts. Auf die von der Antragstellerseite angeführten zivilprozessrechtlichen Vorschriften und Rechtsgedanken (vgl. insbesondere Schriftsatz vom 20.8.2021 S. 22, 24) lässt sich keine diesbezügliche Unzulässigkeit stützen. Stattdessen gebietet es die Verfahrensökonomie, eine Antragsergänzung auch danach zuzulassen, wie die Enteignungsbehörde zu Recht angenommen hat (vgl. BEB S. 21). Der Antragsteller hatte Gelegenheit, sich dazu zu äußern (vgl. auch die in Art. 73 Abs. 8 BayVwVfG geregelte Verfahrensweise bei nachträglicher Planänderung vor Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses); davon hat er Gebrauch gemacht. Die Rüge des Antragstellers, die Enteignungsbehörde habe sein Recht auf faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, ist deshalb unberechtigt.
4. Der angegriffene Besitzeinweisungsbeschluss leidet auch nicht deshalb an einem beachtlichen Verfahrensfehler, weil der Zustand der Grundstücke nicht ausreichend ermittelt worden wäre (vgl. § 71a Abs. 2 WHG i.V.m. § 20 Abs. 3 WaStrG).
a) Ein möglicher Verfahrensfehler wäre unbeachtlich. Die Zustandsermittlung betrifft lediglich das nachfolgende Verfahren der Bemessung der Besitzeinweisungsentschädigung; die Rechtmäßigkeit des Besitzeinweisungsbeschlusses wird hierdurch nicht berührt (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2019 – 8 AS 19.40016 – juris Rn. 16 m.w.N.; OVG Berlin-Bbg, U.v. 29.10.2020 – OVG 11 A 6.18 – juris Rn. 42 zu § 44 Abs. 3 EnWG; a.A. Schenk in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 71a WHG Rn. 31). Soweit der Antragsteller seine gegenteilige Auffassung auf die fehlende Verweisung in § 71a Abs. 2 WHG auf § 20 Abs. 1 Satz 3 WaStrG und einen Umkehrschluss aus § 18f Abs. 1 Satz 3 FStrG stützt (vgl. dort: „Weiterer Voraussetzungen bedarf es nicht.“), dringt er nicht durch. Der Gesetzgeber wollte mit § 71a WHG eine u.a. dem § 18f FStrG entsprechende Regelung vorsehen (vgl. BT-Drs. 18/10879 S. 26).
b) Abgesehen davon dürfte sich die vom Antragsteller vermisste Beweissicherung des Sägewerks (betriebliche Belange), der Wasserspiegellagen, der Bäume und geschützter Arten im Hinblick auf die enteignungsrechtliche Vorwirkung der rechtskräftigen Planfeststellungsbeschlüsse (Planfeststellungsbeschluss [PFB] vom 4.7.2005 und Planergänzungsbeschluss [PEB] vom 30.8.2010) ohnehin erübrigen, worauf der Besitzeinweisungsbeschluss nachvollziehbar hinweist (vgl. dort S. 22 f.).
II. Auch die in materiell-rechtlicher Hinsicht vorgebrachten Einwendungen gegen den Besitzeinweisungsbeschluss greifen nach summarischer Prüfung nicht durch.
Gemäß § 71a Abs. 1 WHG hat das Landratsamt als nach Art. 71a Abs. 3 WHG i.V.m. Art. 19 Abs. 1, Art. 39 Abs. 7 BayEG zuständige Enteignungsbehörde den Träger eines Vorhabens des Hochwasserschutzes auf Antrag nach Feststellung des Plans in den Besitz einzuweisen, wenn der Eigentümer oder Besitzer eines für das Vorhaben benötigten Grundstücks sich weigert, den Besitz durch Vereinbarung unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche dem Träger des Vorhabens zu überlassen (vgl. § 71a Abs. 1 Nr. 1 WHG), der sofortige Beginn von Bauarbeiten aus Gründen eines wirksamen Hochwasserschutzes geboten ist (vgl. § 71a Abs. 1 Nr. 2 WHG) und der Planfeststellungsbeschluss vollziehbar ist (vgl. § 71a Abs. 1 Nr. 3 WHG).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend voraussichtlich erfüllt.
1. Die Besitzeinweisung betrifft Flächen, die der Antragsgegner zur Verwirklichung eines Vorhabens zum Hochwasserschutz benötigt, ihm vom Antragsteller jedoch nicht freiwillig überlassen werden (§ 71a Abs. 1 Nr. 1 WHG).
a) Zwar hat sich der Antragsteller grundsätzlich bereit erklärt, eine Vereinbarung zur Besitzüberlassung (Bauerlaubnis) abzuschließen, dies aber stets mit der Forderung verknüpft, darin „weitere inhaltliche Themen“ zu regeln (vgl. E-Mail vom 15.1.2021, BA 1/2 S. 85). Dies gilt insbesondere für den vom Vorhabenträger am 14. Dezember 2020 vorgelegten Entwurf einer Bauerlaubnisvereinbarung (vgl. BA 1/2 S. 79 f.). Bei diesen „inhaltlichen Themen“ ging es dem Antragsteller vor allem um Absprachen zur ungestörten Aufrechterhaltung des Sägewerkbetriebs, der Zuflusssituation zur Bannmühle und der Standsicherheit des Mühlgebäudes (vgl. E-Mails des Prozessbevollmächtigten vom 25.11.2020, 21.12.2020 sowie vom 15.1.2021, BA 1/2 S. 85, 95, 98).
Diese Fragen waren Gegenstand der Planfeststellung (vgl. PFB S. 25; PEB S. 13 ff.) und unterfallen damit der einteignungsrechtlichen Vorwirkung (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1 WHG; PEB Ziff. V und S. 3, 19; vgl. auch BVerwG, B.v. 17.4.1989 – 4 CB 7.89 – juris Rn. 13). Zudem gehen sie weit über Regelungen des Besitzübergangs nach § 854 Abs. 2 BGB hinaus (vgl. BayVGH, B.v. 26.5.1993 – 8 AS 93.40036 – NVwZ-RR 1994, 131 = juris Rn. 14; Friesecke, WaStrG, 7. Aufl. 2020, § 20 Rn. 5). Mit solchen weitergehenden Fragen soll das Besitzeinweisungsverfahren nach dem gesetzgeberischen Willen nicht befrachtet werden (vgl. Schenk in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 71a WHG Rn. 22). Dieses Verfahren dient auch nicht dazu, die vorherige Umsetzung drittschützender Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses zu gewährleisten (vgl. VGH BW, U.v. 19.1.2017 – 5 S 301/15 – DVBl 2017, 507 = juris Rn. 39).
b) Der angegriffenen Besitzeinweisung steht auch nicht entgegen, dass sich der Vorhabenträger nicht ernsthaft um die freiwillige Überlassung des Besitzes an den beanspruchten Grundflächen durch Vereinbarung – unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche – bemüht hätte. Dass er noch kein beziffertes Entschädigungsangebot unterbreitet hat, erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtlich unerheblich.
Soweit im Besitzeinweisungsverfahren nach § 71a Abs. 1 Nr. 1 WHG ein vertretbares, nicht offensichtlich unangemessenes Angebot über die Entschädigung verlangt wird (so Schenk in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 71a WHG Rn. 22; vgl. auch BayVGH, B.v. 14.7.2014 – 22 AS 14.40020 – juris Rn. 35 zu Art. 21 AEG; U.v. 27.3.2012 – 8 B 12.112 – BayVBl 2013, 342 = juris Rn. 25; a.A. B.v. 24.11.2006 – 22 CS 06.2884 – BayVBl 2007, 569 = juris Rn. 6, letztere jeweils zu Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 BayEG), kann dies jedenfalls nicht gelten, wenn der Enteignungsbetroffene zu erkennen gibt, den Grundbesitz aus anderen Gründen nicht überlassen zu wollen. Die Verpflichtung des Vorhabenträgers zu einem ernsthaften Bemühen um einen freihändigen Erwerb zu angemessenen Bedingungen endet dort, wo ein Angebot zur „leeren Förmelei“ würde, weil der Eigentümer zu erkennen gibt, dass er dieses ablehnen werde (vgl. BayVGH, B.v. 5.4.2013 – 8 AS 13.40015 – juris Rn. 19 zu § 18f FStrG; U.v. 27.3.2012 – 8 B 12.112 – BayVBl 2013, 342 = juris Rn. 25 zu Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 BayEG, jeweils m.w.N). Das war hier wohl der Fall, weil der Antragsteller die Besitzüberlassung von weiteren Absprachen abhängig gemacht hat (vgl. oben Rn. 30). Im Übrigen kann der Senat den ihm vorliegenden Unterlagen auch nicht entnehmen, dass der Antragsteller vom Vorhabenträger vor dessen Beantragung der vorzeitigen Besitzeinweisung am 20. Mai 2021 ein beziffertes Entschädigungsangebot verlangt hätte. Die Frage, ob dem Vorhabenträger die Unterbreitung eines bezifferten Entschädigungsangebots wegen eines vom Antragsteller ausgesprochenen Betretungsverbots der beanspruchten Grundstücke unmöglich war, kann deshalb offenbleiben.
c) Der Annahme, dass sich der Vorhabenträger ernsthaft bemüht hätte, die den Besitz an den beanspruchten Grundstücksflächen durch Vereinbarung unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche freiwillig zu erlangen, stehen die vom Antragsteller gerügten Mängel des Bauerlaubnisentwurfs vom 14. Dezember 2020 nicht entgegen.
Soweit der Antragsteller einwendet, er sei nicht verpflichtet gewesen, die fehlerhafte Bauerlaubnis zu unterzeichnen oder den Vorhabenträger auf die unzutreffenden Flächenangaben hinzuweisen, verkennt er, dass er die Ablehnung dieser Vereinbarung selbst nicht mit solchen Mängeln, sondern wegen des Fehlens von – aus seiner Sicht im Rahmen der Besitzeinweisung unbedingt regelungsbedürftiger – weiterer Themen abgelehnt hat (vgl. oben Rn. 30). Derartige Fragen beziehen sich nicht auf den Besitzübergang der Grundstücke nach § 854 Abs. 2 BGB und gehören damit nicht zum Mindestinhalt einer Vereinbarung über eine Bauerlaubnis (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 26.5.1993 – 8 AS 93.40036 – NVwZ-RR 1994, 131 = juris Rn. 14 zu § 18f FStrG).
2. Der sofortige Beginn der Bauarbeiten ist aus Gründen eines wirksamen Hochwasserschutzes auch geboten (vgl. § 71a Abs. 1 Nr. 2 WHG).
Dass der sofortige Beginn der Bauarbeiten geboten ist, setzt voraus, dass notwendige Vorarbeiten und Bauarbeiten auf dem betroffenen Grundstück nach dem Bauablaufplan des Vorhabenträgers unmittelbar bevorstehen, keine erheblichen Hindernisse für deren Realisierung vorliegen und dass das Interesse der Allgemeinheit am sofortigen Beginn der Ausführung des Vorhabens das Aufschubinteresse des Betroffenen überwiegt (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2020 – 8 AS 19.40041 – W+B 2020, 132 = juris Rn. 31 ff.; vgl. auch OVG LSA, B.v. 22.3.2019 – 2 R 9/19 – juris Rn. 28 ff. zu § 18f FStrG).
Diese Anforderungen sind hier wohl erfüllt.
a) Aus dem fortgeschriebenen Bauablaufplan des Vorhabenträgers vom 8. Juli 2021 geht hervor, dass die Vorarbeiten für die Fertigstellung der Hochwasserschutzmaßnahme am 1. September 2021 (Erdarbeiten) beginnen sollten (vgl. Anlage AS 14, BA 1/2 S. 437, vgl. dort Zeilen 8 ff.). Die Wehranlage soll ab 20. September 2021 umgebaut werden. Der Abschluss der Restarbeiten ist für den 8. April 2022 angesetzt, sodass der erstrebte Hochwasserschutz ab Mai 2022 wirksam werden kann.
Weshalb der Besitzeinweisung nicht der Bauablaufplan vom 8. Juli 2021, sondern die überholte Fassung vom 26. November 2020 (Anlage AS 10, BA 1/2 S. 78) zugrunde gelegt werden sollte, erschließt sich dem Senat nicht (vgl. auch oben Rn. 22). Maßgeblich ist vielmehr die Sachlage im Zeitpunkt des Bescheiderlasses (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2019 – 8 AS 19.40016 – juris Rn. 34). Soweit der Antragsteller – wie schon im Planänderungs- bzw. Planergänzungsverfahren (vgl. BayVGH, U.v. 18.12.2012 – 8 B 12.431 – juris Rn. 32 ff.; nachfolgend BVerwG, B.v. 28.7.2014 – 7 B 22.13 – UPR 2015, 34 = juris Rn. 6 f.) – eine nennenswerte Verbesserung des Hochwasserschutzes durch das planfestgestellte Vorhaben bestreitet, verkennt er die Bindung der Enteignungsbehörde an den festgestellten Plan (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 WHG).
b) Es sind auch keine erheblichen Hindernisse für die Realisierung der Bauarbeiten ersichtlich. Die nicht näher belegten Zweifel des Antragstellers, die für das Vorhaben erforderlichen Haushaltsmittel könnten nicht zur Verfügung stehen, sind spekulativ. Der Einwand, dem Besitzeinweisungsantrag fehlten Dienstbarkeiten auf den Grundstücken FlNr. … und …, ist durch den Änderungsantrag vom 29. Juli 2021 überholt. Der Vorhalt des Antragstellers, dem Vorhabenträger fehlten Bauerlaubnisse der im Grundbuch eingetragenen Rechteinhabern (Fischereirecht, Geh- und Fahrtrecht, Abwasserleitungsrecht), geht fehl. Weder dargelegt noch sonst erkennbar ist, dass sich einer dieser Berechtigten der Besitzeinweisung (erfolgsversprechend) widersetzte. Im Übrigen kann sich der Antragsteller nicht zum Sachwalter fremder Rechte machen (vgl. BVerwG, B.v. 19.5.2005 – 4 VR 2000/05 – NVwZ 2005, 940 = juris Rn. 10).
c) Die Enteignungsbehörde hat auch rechtsfehlerfrei angenommen, das Interesse der Allgemeinheit am sofortigen Baubeginn überwiege das Interesse des Antragstellers, die betroffenen Grundstücke nicht vorzeitig zur Verfügung stellen zu müssen.
Hierfür spricht indiziell bereits die gesetzliche Regelung des § 71a WHG und das darin enthaltene Beschleunigungsgebot (vgl. BT-Drs. 18/10879 S. 16 f.; BayVGH, B.v. 9.3.2020 – 8 AS 19.40041 – W+B 2020, 132 = juris Rn. 39). Die Gegenüberstellung der widerstreitenden Interessen ergibt vorliegend kein anderes Ergebnis. Ohne den sofortigen Baubeginn würde sich der Abschluss und damit die Wirksamkeit der Hochwasserschutzmaßnahme nach der plausiblen Einschätzung der Enteignungsbehörde um mindestens ein Jahr verzögern. Bei größeren Hochwasserereignissen, die in jüngerer Vergangenheit häufiger aufgetreten sind, ist nicht auszuschließen, dass vor der Fertigstellung der Hochwasserschutzmaßnahme Leib und Leben von Menschen oder bedeutende Sachwerte, also höchstrangige Schutzgüter, gefährdet sind. Der Vorhalt des Antragstellers, mangels nennenswerter Entlastungswirkung des Vorhabens seien diese Schutzgüter weder konkret noch abstrakt gefährdet, geht schon infolge der enteignungsrechtlichen Vorwirkung der Planfeststellung ins Leere (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 WHG; vgl. PFB S. 28, PEB S. 18; vgl. auch die in den Gerichtsverfahren gegen den PFB ergangenen Entscheidungen: VG München, U.v. 27.3.2007 – M 2 K 05.2987 – juris Rn. 35 ff.; BayVGH, B.v. 9.12.2008 – 8 ZB 07.2042 – juris Rn. 8).
Demgegenüber müssen die Interessen des Antragstellers zurücktreten. Soweit er eine Betroffenheit auf das Recht als Inhaber eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs stützt, hat er nicht aufgezeigt, dass die vorzeitige Bauausführung mit besonderen Härten einherginge, etwa, weil vermeidbare Schäden innerhalb der kurzen Zeit nicht mehr abgewendet werden könnten (vgl. auch Schenk in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 71a Rn. 17). Die Enteignungsbehörde hat auch zutreffend erkannt, dass der Antragsteller hinreichend Zeit hatte, sich auf den Besitzverlust einzustellen (vgl. VGH BW, B.v. 19.9.2013 – 5 S 1546/13 – juris Rn. 35 zu § 21 AEG). Dass seit Eintritt der Rechtskraft der Planfeststellung (BVerwG, B.v. 28.7.2014 – 7 B 22.13, nachfolgend BVerfG, B.v. 21.3.2017 – 1 BvR 2637/14) längere Zeit vergangen ist, führt ebenfalls nicht ohne Weiteres dazu, dass das Interesse der Allgemeinheit am sofortigen Baubeginn zurücktreten müsste; das besondere Interesse an der raschen Umsetzung der Hochwasserschutzmaßnahme entfällt dadurch nicht. Im Übrigen durfte die Enteignungsbehörde im Rahmen ihrer Abwägungsentscheidung auch berücksichtigen, dass eine Bauverzögerung zu Mehrkosten führen würde (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2020 – 8 AS 19.40041 – W+B 2020, 132 = juris Rn. 34).
3. Der Planfeststellungsbeschluss vom 4. Juli 2005 in Gestalt des Planergänzungsbeschlusses vom 30. August 2010 ist auch vollziehbar (§ 71a Abs. 1 Nr. 3 WHG).
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwert bemisst sich nach §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Müller Meier Losenegger


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