Aktenzeichen M 9 K 15.3888
Leitsatz
Eine hinsichtlich der Ermessensausübung fehlende oder unzureichende Begründung des Bescheids indiziert einen Ermessensnichtgebrauch, sofern sich nicht aus den Umständen etwas anderes ergibt. Dies folgt daraus, dass sich die Ermessensausübung im Einzelfall nur anhand der nach Art. 39 Abs. 1 S. 3 BayVwVfG erforderlichen Begründung des Bescheids erkennen lässt. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Bescheid des Beklagten vom 6. August 2015 über die Ausübung des Vorkaufsrechts wird aufgehoben.
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage hat Erfolg.
Der Bescheid vom 6. August 2015 war aufzuheben, da die Ausübung des Vorkaufsrechts wegen Nichtausübung des Ermessens ermessensfehlerhaft ist. In den Gründen des Bescheids kommt nicht zum Ausdruck, dass Ermessenserwägungen angestellt wurden. Eine Heilung ist nicht erfolgt.
Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB steht der Gemeinde beim Kauf von Grundstücken in einem förmlich festgesetzten Sanierungsgebiet und städtebaulichen Entwicklungsbereich ein Vorkaufsrecht zu. Die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts steht gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB im Ermessen der Gemeinde. Ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts erfüllt sind beurteilt sich nach den konkreten Erwägungen der Gemeinde im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts.
Nach § 114 Satz 1 VwGO prüft das Verwaltungsgericht nur, ob der Verwaltungsakt deswegen rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden, von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde oder ein Ermessensnichtgebrauch vorliegt. Dabei gilt, dass die Verwaltungsbehörde nach § 114 Satz 2 VwGO ihre Ermessenserwägungen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, wenn sie grundsätzlich erkannt hat, dass ihr ein Ermessen eingeräumt ist und wenn sie dieses Ermessen auch ausgeübt hat (BayVGH, U.v. 6.2.2014 – 2 B 13.2570).
Eine hinsichtlich der Ermessensausübung fehlende oder unzureichende Begründung des Bescheids indiziert einen Ermessensnichtgebrauch, sofern sich nicht aus den Umständen etwas anderes ergibt. Dies folgt daraus, dass sich die Ermessensausübung im Einzelfall nur anhand der nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG erforderlichen Begründung des Bescheids erkennen lässt.
Im vorliegenden Fall beschränkt sich der Bescheid bei seinen Ausführungen darauf, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgte. Ansonsten enthält er lediglich Ausführungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Ausübung des Vorkaufsrechts sowie zu dem öffentlichen Interesse. Inhaltlich fehlen Erwägungen zu den privaten Interessen des Klägers am Erwerb des Grundstücks. Da eine Erwähnung der privaten Interessen des Beteiligten vollständig fehlt, hat in den Gründen des Bescheids auch keine Abwägung stattgefunden, so dass vorliegend von einem Ermessensnichtgebrauch auszugehen ist.
Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass im Gemeinderat bei der Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts die gegenläufigen Interessen besprochen und erörtert wurden. Die entsprechenden Ausführungen des 1. Bürgermeisters des Beklagten finden ihre Bestätigung in den Akten des Bauamts. Diese Erwägungen haben jedoch keinen Niederschlag im Bescheid gefunden.
Eine Nachholung der Ermessensausübung gemäß § 114 Satz 2 VwGO hat im vorliegenden Fall nicht stattgefunden und ist beim vollständigen Fehlen von Ermessenserwägungen ausgeschlossen (VG München, U.v. 17.12.2014 – M 9 K 13.4815 m. w. N.). Die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung durch die Beklagtenseite sind ungeachtet dessen bereits deshalb keine Ergänzung von Ermessenserwägungen, da der Hinweis auf die Erörterungen im Gemeinderat dazu nicht genügt. Es kann daraus nicht hinreichend sicher festgestellt werden, dass bei Erlass des Bescheids das erforderliche Entschließungsermessen ausgeübt wurde und da der Hinweis auf nicht protokollierte Diskussionen im Gemeinderat keine formellen Ergänzungen der Begründung des Bescheides im Sinne der Anforderungen des Art. 39 VwVfG sind (BayVGH, B.v. 22.1.2016 – 9 ZB 15.2027).
Ungeachtet dessen, dass nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung die Inanspruchnahme des Grundstücks durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt wäre, war der Bescheid wegen der fehlenden Abwägung mit den Interessen des Klägers und dem damit verbundenen Ermessensfehler aufzuheben. Es kommt deshalb auch nicht mehr darauf an, dass der in nicht öffentlicher Sitzung gefasste Beschluss des Gemeinderats nach der Rechtslage in Bayern nicht gegen Art. 52 Abs. 2 Satz 1 GO verstößt (BayVGH, B.v. 8.4.2015 – 15 ZB 13.2564). Für die Entscheidung unerheblich ist deshalb auch, dass die Sanierungssatzung hinreichend konkret die Sanierungsziele nennt und insoweit auch nach zwanzig Jahren die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen würde (BVerwG, B.v. 15.3.1995 – 4 B 33/95; BayVGH, U.v. 6.2.2015 – 2 B 13.2570).
Die Beklagte hat als unterlegende Partei gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 f. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 23.000,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.