Baurecht

Fiktion des gemeindlichen Einvernehmens bei Genehmigung von Windkraftanlagen

Aktenzeichen  1 EO 145/21

Datum:
16.9.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Oberverwaltungsgericht 1. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGTH:2021:0916.1EO145.21.00
Normen:
§ 63 BImSchG vom 03.12.2020
§ 36 Abs 1 S 1 BauGB
§ 36 Abs 2 S 2 BauGB
§ 63 BImSchG vom 03.12.2020
§ 36 Abs 1 S 1 BauGB
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Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Die Neuregelung des § 63 BImSchG findet auch auf solche Rechtsbehelfe Anwendung, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Beschleunigung von Investitionen am 10. Dezember 2020 erhoben worden sind.(Rn.17)

2. Der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfasst auch die Rechtsbehelfe einer Gemeinde gegen eine ohne ihr Einvernehmen erteilte Genehmigung.(Rn.18)

3. Die Zwei-Monats-Frist des § 36 Abs 2 S 2 BauGB steht nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 12. Dezember 1996 – 4 C 24.95) und kann dementsprechend nicht verlängert werden.(Rn.28)


Tenor

Der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 2. September 2020 gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung der Antragsgegnerin vom 11. August 2020 wird abgelehnt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
Der Streitwert wird auf 30.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine Gemeinde, wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine der Beigeladenen erteilte Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von Windenergieanlagen auf ihrem Gemeindegebiet.
Unter dem 10. Mai 2019 beantragte die Beigeladene, ihr die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von drei Windenergieanlagen (fortan WEA) auf den in der Gemarkung Jüchsen in der Flur 0 gelegenen Flurstücken … a/… b (WEA 1), … c (WEA 2) und … d (WEA 3) zu erteilen. Die Anlagen sollen jeweils eine Gesamthöhe von 241,55 m, eine Nabenhöhe von 164 + 3 m, einen Rotordurchmesser von 149,1 m und eine Nennleistung von 4,5 Megawatt haben.
Die Vorhabenstandorte liegen im Außenbereich der antragstellenden Gemeinde. Sie befinden sich in dem durch den Regionalplan Südwestthüringen (RP-S) (bekanntgemacht im Thüringer Staatsanzeiger Nr. 19/2011 vom 9. Mai 2011 und Nr. 31/2012 vom 30. Juli 2012, Seite 1067 und Seite 1068 ) ausgewiesenen Windvorranggebiet W-11 Grabfeld/Schlotberg. Im Flächennutzungsplan der Antragstellerin sind die Flächen für die Landwirtschaft ausgewiesen, sie werden derzeit als Ackerfläche genutzt.
Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens forderte der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 10. Juli 2019 zur Stellungnahme bis zum 6. August 2019 auf, ob sie dem Bauvorhaben das Einvernehmen nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauBG erteile und verlängerte die Frist auf Bitten der Antragstellerin am 24. Juli 2019 bis zum 23. September 2019.
Mit Beschluss vom 16. September 2019 lehnte es der Gemeinderat der Antragstellerin ab, dem Vorhaben das Einvernehmen zu erteilen. Dementsprechend versagte die Gemeinde das Einvernehmen mit Schriftsatz vom 23. September 2019, der am 24. September 2019 bei dem Antragsgegner einging. Nachdem der Antragsgegner der Antragstellerin die Gelegenheit eingeräumt hatte, ihre Entscheidung nochmals zu überdenken, teilte sie unter dem 27. November 2019 (Eingang bei dem Antragsgegner am 4. Dezember 2019) mit, dass sie an der Versagung des Einvernehmens festhalte.
Mit Bescheid vom 11. August 2020 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen die begehrte Genehmigung (Bescheid-Nr. 55-SM/218/18) zur Errichtung und zum Betrieb von drei WEA. Der Genehmigung sind Nebenbestimmungen beigefügt. Danach müssen u. a. für jede WEA Flurstücke zusammengelegt und durch Eintragung einer Baulast jeweils zu einem Baugrundstück vereinigt werden. Zum Schutz von Fledermäusen und Greifvögeln wurden Abschaltzeiten geregelt, Lärmemissionswerte begrenzt und bezogen auf unterschiedliche Immissionsorte die maximale Schattenimmissionsdauer festgelegt, baurechtliche und luftverkehrsrechtliche Erfordernisse und vorgezogene Artenschutz- und Landschaftsschutz- und Ausgleichsmaßnahmen bestimmt. Wegen der Regelungen im Einzelnen wird auf den Genehmigungsbescheid Seite 2 bis 20 verwiesen.
In dem Genehmigungsbescheid ersetzte der Antragsgegner zugleich das gemeindliche Einvernehmen, weil die vorgebrachten raumplanerischen, naturschutzfachlichen, immissionsschutzrechtlichen Bedenken und die eingewandte mangelnde Erschließung nicht geeignet seien, das gemeindliche Einvernehmen rechtmäßig zu versagen.
Am 2. September 2020 hat die Antragstellerin Widerspruch erhoben und am 3. März 2021 um einstweiligen Rechtsschutz beim Thüringer Oberverwaltungsgericht nachgesucht.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 2. September 2020 gegen die der Beigeladenen von dem Antragsgegner erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 11. August 2020 – Genehmigungsbescheid 55-SM/218/18 – herzustellen.
Der Antragsgegner und die mit Beschluss vom 4. März 2021 beigeladene Vorhabenträgerin beantragen,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf die Gerichtsakte (2 Bände) und die Verfahrensakte des Antragsgegners (eine Heftung und 4 Ordner), die Gegenstand der Beratung waren.
II.
Der Antrag der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt., Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 2. September 2020 statthaft.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin ist mit Inkrafttreten von § 63 BImSchG in der Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung von Investitionen vom 3. Dezember 2020 (BGBl. I 2020, S. 2694) am 10. Dezember 2020 nachträglich entfallen. Nach dieser Neuregelung haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die Zulassung von Windenergieanlagen an Land mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern keine aufschiebende Wirkung, weil die sofortige Vollziehbarkeit der Genehmigung nunmehr durch Bundesgesetz im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO angeordnet ist.
§ 63 BImSchG findet auch auf solche Rechtsbehelfe Anwendung, die – wie hier – vor dem Inkrafttreten der Neuregelung erhoben worden sind (OVG NRW, Beschl. v. 12. März 2021 – 7 B 8/21 -, juris; noch offengelassen im Beschl. v. 12. Februar 2021 – 8 B 905/20 -, juris; vgl. auch Löffler, jurisPR-UmwR 2/2021 Anm. 2, Das neue Investitionsbeschleunigungsgesetz – Auswirkungen auf die Realisierung von Windenergieanlagen an Land). Dies entspricht dem allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz, wonach Änderungen des Verfahrensrechts mit ihrem Inkrafttreten grundsätzlich auch anhängige Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erfassen, wenn Übergangsregelungen nichts anderes bestimmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 1983 – 1 BvR 1470/82 – BVerfGE 65, 76; Urt. v. 21. Juni 1977 – 2 BvR 70/75 – BVerfGE 45, 272, 297; BVerwG, Urt. v. 4. Oktober 1962 – I C 145.58 – BVerwGE 15, 48, 50 und VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 16. April 1998 – 8 S 740/98 -, juris zu § 212a BauGB). Das ist hier nicht der Fall. Es erschiene auch nicht stimmig, wenn die aufschiebende Wirkung einer nach dem Inkrafttreten der Neuregelung erhobenen Klage gegen eine vor diesem Zeitpunkt erteilte Genehmigung entfiele, hingegen ein vor dem 10. Dezember 2020 eingelegter Widerspruch trotz der Neuregelung seine aufschiebende Wirkung behalten würde.
Der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zulassung einer Windkraftanlage nach § 63 BImSchG erfasst auch die Rechtsbehelfe einer Gemeinde, mit denen sie sich gegen eine ohne ihr erforderliches Einvernehmen erteilte Genehmigung wendet. Der Begriff des Dritten in § 63 BImSchG schließt – wie in § 80a VwGO – all diejenigen ein, die durch die „Zulassung einer Windenergieanlage“ belastet werden. Dazu gehört auch die Gemeinde, die sich unter Berufung auf § 36 BauGB gegen die ohne ihr Einvernehmen erteilte Genehmigung wendet.
Die Antragstellerin ist entgegen der Auffassung der Beigeladenen antragsbefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO in entsprechender Anwendung, weil nicht nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist, dass die angefochtenen Genehmigungen eigene Rechte der Antragstellerin verletzen. Denn die Antragstellerin macht geltend dass die angefochtenen Genehmigungen unter Verletzung eines Beteiligungsrechts nach § 36 BauGB und unter Verstoß gegen die gemeindliche Planungshoheit erteilt worden seien.
2. Der Antrag ist aber nicht begründet, weil der Widerspruch und eine eventuell nachfolgende Klage der Antragstellerin wohl erfolglos bleiben werden. Aller Voraussicht nach steht der Antragstellerin kein Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Genehmigungen zu, weil alles dafür spricht, dass ihr Einvernehmen hinsichtlich der genehmigten Windkraftanlagen auf Grund der Einvernehmensfiktion nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt gilt. Mit dem Eintritt der Einvernehmensfiktion hat die Antragstellerin die Berechtigung verloren, Umstände geltend zu machen, die bis zu diesem Zeitpunkt die Verweigerung des Einvernehmens gerechtfertigt hätten. Nachträglich entstandene Umstände, die sie zur Verweigerung des Einvernehmens berechtigen könnten, sind nicht vorgebracht und liegen ersichtlich nicht vor.
Die in § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB normierte zweimonatige Einvernehmensfrist begann mit dem Eingang des Ersuchens des Antragsgegners bei der Antragstellerin am 15. Juli 2019 (siehe dazu Auflistung im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 11. Juli 2021) und endete gemäß § 57 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, 193 BGB am Montag, dem 16. September 2019.
a. Vor Ablauf der Einvernehmensfrist hat die Antragstellerin ihr Einvernehmen nicht verweigert.
aa. Die Antragstellerin wird sich auch nicht erfolgreich darauf berufen können, dass sie in einem dem eigentlichen Genehmigungsverfahren vorangegangenen Vorbescheidsverfahren schon am 8. Mai 2019 eindeutig mitgeteilt habe, dass sie dem Vorhaben ihr Einvernehmen versage.
In der Rechtsprechung wird dazu die Ansicht vertreten, dass der Gesetzgeber mit § 36 BauGB eine eindeutige Entscheidung dahingehend getroffen habe, dass in den in der Vorschrift genannten Fällen eine (Bau-)Genehmigung nur im Einvernehmen mit der Gemeinde erteilt werden dürfe, und er an keiner Stelle geregelt habe, dass das Einvernehmen in bestimmten Fallkonstellationen nicht erforderlich ist (so Hess. VGH, Beschl. v. 11. April 1990 – 4 TG 3218/89 – BRS 50 Nr. 164 = juris, dort Rn. 36 und OVG Brandenburg, Beschl. v. 4. November 1996 – 3 B 134/96 – BauR 1997, 90/91).
In der Literatur (vgl. z. B. Mittschang/Reidt/Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Kommentar, 14. Aufl. 2019, § 36, Rn. 2) wird zumindest die Ansicht vertreten, dass die Gemeinde bei einer Verfahrensstufung ggf. mehrfach zu beteiligen ist. Für diese Auffassungen sprechen Sinn und Zweck des Einvernehmenserfordernisses. Denn so wird der Gemeinde die Möglichkeit gesichert, auch noch im eigentlichen Genehmigungsverfahren selbst zu prüfen und zu entscheiden, ob das nun zur Genehmigung gestellte Vorhaben in allen bauplanungsrechtlich wesentlichen Punkten mit dem übereinstimmt, zu dem der Bauvorbescheid ergangen ist.
Letztlich kann hier offen bleiben, ob ein im Vorbescheidsverfahren versagtes Einvernehmen auch im nachfolgenden Genehmigungsverfahren Wirkung entfaltet, denn im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin im Vorbescheidsverfahren ihr Einvernehmen nicht versagt. Sie hat sich im Vorbescheidsverfahren mit Schreiben vom 8. Mai 2019 zwar „ausdrücklich gegen dieses Vorhaben an diesem Standort“ ausgesprochen, ihre Stellungnahme aber nicht in einem von dem Antragsgegner nach § 36 BauGB eingeleiteten Verfahren abgegeben. Der Antragsgegner hat in seinem Anhörungsschreiben vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Stellungnahme der Gemeinde in diesem Vorbescheidsverfahren nicht das gemeindliche Einvernehmen betrifft (Beiakte 5, Seite 037 Mitte).
Darüber hinaus werden Inhalt und Umfang der in einem Bauvorbescheid zu klärenden Fragen der Zulässigkeit eines Bauvorhabens durch die Antragstellerin bestimmt. Die Beigeladene hat einen Bauvorbescheid allein zu der Frage der Vereinbarkeit ihres Vorhabens mit den Zielen der Raumordnung gestellt und nur zu dieser Frage hat der Antragsgegner eine Stellungnahme der Gemeinde angefordert. Selbst wenn das Einvernehmen der Gemeinde im Rahmen eines Bauvorbescheidverfahrens das erneute Einvernehmen der Gemeinde im Baugenehmigungsverfahren entbehrlich machen könnte, könnte dies jedenfalls nur insoweit gelten, als im Bauvorbescheid mit bindender Wirkung über bauplanungsrechtliche Fragen entschieden wurde, was hier offensichtlich nicht der Fall war.
bb. Das Schreiben der Antragstellerin vom 24. Juli 2019 kann nicht als Verweigerung des Einvernehmens gedeutet werden. Die Antragstellerin hat darin lediglich mitgeteilt, dass sie binnen der ihr gesetzten Frist hinsichtlich des Einvernehmens noch keine Entscheidung habe treffen können und vor diesem Hintergrund um eine Fristverlängerung gebeten. Der Antragsgegner hat die Frist zwar antragsgemäß bis zu einem nach der nächsten Gemeinderatssitzung gelegenen Termin verlängert, er war dazu aber nicht befugt, weil die gesetzliche Zwei-Monats-Frist im Hinblick auf ihren Zweck nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten steht und damit nicht verlängert werden kann (BVerwG, Urt. v. 12. Dezember 1996 – 4 C 24.95 -, DÖV 1997, 550 <551> = juris).
b. Das Schreiben vom 23. September 2019 mit dem die Antragstellerin ihr Einvernehmen verweigern wollte, ist am 24. September 2019 und damit erst nach Ablauf der Zwei-Monatsfrist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB bei dem Antragsgegner eingegangen.
c. Die Erklärung der Antragstellerin vom 23. September 2019 kann nicht entsprechend § 47 ThürVwVfG in einen Widerruf des fingierten Einvernehmens umgedeutet werden. Eine solche Umdeutung hätte zur Folge, dass jede verspätete Versagung des gemeindlichen Einvernehmens als Widerruf gewertet werden müsste. Damit würde jedoch der Sinn und Zweck der Regelung des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB unterlaufen und dies hätte eine Rechtsunsicherheit zur Folge, die mit der gesetzlichen Fiktion gerade vermieden werden soll (so auch OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 23. November 1994 – 1 L 166/93 – zit. n. juris, dort Rn. 59).
d. Der Eintritt der gesetzlich angeordneten Fiktion des erteilten Einvernehmens hat zur Folge, dass die Antragstellerin die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit der Windkraftanlagen nicht mehr geltend machen kann und ihr kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Aufhebung der Genehmigung mehr zusteht (vgl. OVG NRW, Urt. v. 28. November 2007 – 8 A 2325/06 -, zit. n. juris, dort Rn. 82 m. w. N.). Die gesetzlich bestimmte Einholung des gemeindlichen Einvernehmens dient dazu, die Gemeinde als sachnahe und fachkundige Behörde gerade in solchen Bereichen ihres Gemeindegebiets, in denen sie noch nicht geplant hat, an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen von Vorhaben mitentscheidend zu beteiligen (zum baurechtlichen Genehmigungsverfahren vgl. BVerwG, Urt. v. 12. Dezember 1991 – 4 C 31.89 -, BRS 52 Nr. 136 = juris). Die Gemeinde ist dabei zur eigenverantwortlichen Beurteilung der für die Erteilung der Genehmigung maßgeblichen bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen berufen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16. September 2004 – 4 C 7.03 -, BVerwGE 122, 13 <19> = juris). Erteilt sie einem Vorhaben ihr Einvernehmen, bringt sie damit zum Ausdruck, dass sie das Vorhaben bauplanungsrechtlich positiv beurteilt. An diese Beurteilung ist die Gemeinde grundsätzlich gebunden. Das gilt auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Erteilung des Einvernehmens auf der gesetzlichen Fiktion beruht.
Soweit die Antragstellerin nach Eintritt der Fiktion aber vor der Entscheidung des Antragsgegners über die Genehmigung mit Schriftsatz vom 23. September 2019 ihre Bedenken gegen das Vorhaben vorgebracht hat, trifft die Genehmigungsbehörde nur noch eine objektiv-rechtliche Pflicht zur Beachtung dieser Einwände. Einen darüber hinausgehenden Anspruch hat die Gemeinde, der das Gesetz in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB zum Schutz ihrer gemeindlichen Planungshoheit eine Prüfungsbefugnis übertragen hat, nach Eintritt der Einvernehmensfiktion nicht mehr (vgl. dazu OVG NRW, Urt. v. 28. November 2007 – 8 A 2325/06 -, zit. n. juris, dort Rn. 79).
Da sich der Widerspruch und eine etwaige Klage nach alldem als voraussichtlich erfolglos erweisen, war der Eilantrag hier abzulehnen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, die sich in der Sache geäußert und einen Antrag gestellt und sich damit auch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Dabei hat sich der Senat an Nr. 19.3 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen (zu finden etwa unter www.bverwg.de) orientiert, wonach im Hauptsacheverfahren ein Streitwert von 60.000 EUR anzusetzen wäre. Da hier nur eine vorläufige Regelung im Streit stand, hält der Senat die Reduzierung dieses Streitwerts um die Hälfte für angemessen.
Hinweis:Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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