Baurecht

Gefahrenabwehrmaßnahme gegen Doppelstörer (Verhinderung eines Standsicherheitsversagens an Denkmal)

Aktenzeichen  M 11 S 16.4947

Datum:
15.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
DSchG Art. 4 Abs. 1 S. 1
BayBO BayBO Art. 10, Art. 54 Abs. 4
LStVG LStVG Art. 9 Abs. 1, Abs. 2
BayStrWG BayStrWG Art. 3 Abs. 1 Nr. 2, Art. 41 S. 1 Nr. 2, Art. 9, Art. 72
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Es ist grundsätzlich auch dann möglich, einen Landkreis als Handlungsstörer heranzuziehen, wenn dieser bei seinem Handeln in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe und damit hoheitlich tätig wird. (redaktioneller Leitsatz)
2. Haftet jemand aus mehreren Gründen, etwa wegen seines Verhaltens und aufgrund der Eigenschaft als Eigentümer (Doppelstörer), so soll diese Person vorrangig zur Gefahrenabwehr in Anspruch genommen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf EUR 2.500,– festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung, geeignete Sicherungsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur Verhinderung eines Standsicherheitsversagens an einem denkmalgeschützten Gebäude zu ergreifen.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks Fl. Nr…, Gemarkung …, Gemeinde … Das Grundstück ist mit einem unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen Bauernhaus bebaut.
Bereits im Mai 2014 kamen zwei Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis, dass das denkmalgeschützte Gebäude massive Schäden aufweise. Aufgrund von Feuchtigkeitsschäden, Schädlingsbefall sowie statischer Überlastung bestehe an mehreren Stellen akute Einsturzgefahr bzw. die Kellertreppe sei bereits eingestürzt.
Mit denkmalschutzrechtlichem Bescheid vom 20. April 2016 wurde dem Landkreis … vor dem Anwesen des Antragstellers eine geringfügige Geländeabtragung zu Zwecken des Neubau eines straßenbegleitenden Geh- und Radweges entlang der Kreisstraße …, an der Westseite des denkmalgeschützten Gebäudes erteilt. Im Anschluss hieran wurde mit der Errichtung des Geh- und Radwegs begonnen.
Im August 2016 wurde dem Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) von einem beauftragten Unternehmer erneut mitgeteilt, dass das Gebäude auf dem streitgegenständlichen Grundstück stark einsturzgefährdet sei, da die wenig vorhandenen statisch tragenden Teile des Dachstuhls bereits gebrochen seien, der Fassadenriss auf der Südseite sich bedingt durch die Bauarbeiten des Geh- und Radwegs vergrößert, die Westfassade sich gesenkt und das Dach sich an statischen Punkten verändert bzw. gewölbt habe. Das Weiterführen von Arbeiten für die Herstellung des Geh- und Radwegs werde weitere, irreparable Schäden mit sich bringen.
Am 18. Oktober 2016 beauftragte der Antragsteller einen Sachverständigen für Bauwerksprüfung mit der Begutachtung von Standsicherheitsuntersuchungen an dem denkmalgeschützten Gebäude. Der Sachverständige leitete seine Stellungnahme per E-Mail am 24. Oktober 2016 an das Landratsamt weiter. Hierin legte er dar, dass keine Sicherungsmaßnahmen (Unterfangungen) am Westgiebel des Anwesens erkennbar seien und durch das Heranrücken des Radweges an den Westgiebel die bestehenden Fundamente freigegraben und der stabilisierende Erdkörper entfernt worden seien. Durch diese Maßnahmen bestehe am Westgiebel die erhebliche Gefahr eines Grundbruchs unter dem Fundamentbereich und damit eines Standsicherheitsversagens des gesamten Westgiebels. All dies sei durch das zu nahe Heranrücken des Geh- und Radwegs sowie durch das Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen im Zuge dessen Errichtung herbeigeführt worden. DIN 4123-2000-09, die für Ausschachtungen und Gründungen im Bereich bestehender Gebäude eine Fundamenteinbindetiefe von mindestens 50 cm und eine Berme von mindestens 2m verlange, sei nicht eingehalten worden.
Mit Schreiben vom 24. August 2016 forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, sofort, spätestens bis zum 26. Oktober 2016, 9 Uhr, einen Vorschlag eines Nachweisberechtigten für Standsicherheit über geeignete Sicherungsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr beim Landratsamt vorzulegen. Der Antragsteller kam dem nicht nach.
Mit Bescheid vom 26.10.2016 verpflichtete das Landratsamt den Antragsteller, unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids, geeignete Sicherungsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur Verhinderung eines Standsicherheitsversagens des gesamten Westgiebels sowie der angrenzenden Bauteile, zu ergreifen, wobei bei diesen Sicherungsmaßnahmen die Eigenschaft des Gebäudes als zu erhaltendes Baudenkmal zu berücksichtigen sei. Des Weiteren wurde der Antragsteller verpflichtet, die angeordneten Sicherungsmaßnahmen vor Ausführung durch einen Nachweisberechtigten für Standsicherheit zu benennen und nach Abschluss der Maßnahmen innerhalb einer Woche dem Landratsamt einen Standsicherheitsnachweis vorzulegen (Nr. I.3). Diese Anordnungen wurden für sofort vollziehbar erklärt und für die Nichteinhaltung von Nr. I.1 und Nr. I.2 jeweils ein Zwangsgeld i. H. v. 5.000,– € angedroht.
Hiergegen ließ der Antragsteller durch Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 1. November 2016 Klage erheben (Az.: M 11 K 16.4946) und beantragte außerdem,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 01.11.2016 gegen den Bescheid des Landratsamts … vom 26.10.2016 (BV-Nr…) wiederherzustellen.
Zur Begründung brachte der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass die Arbeiten zur Errichtung eins Geh- und Radwegs durch den Landkreis … alleine für die vorliegenden sicherheitsrechtlichen Mängel ursächlich seien, da Sicherungsmaßnahmen unterblieben und anerkannte Regeln der Technik, insbesondere DIN 4123-2000-09 nicht eingehalten worden seien. Der Bescheid sei daher rechtswidrig, da die Behörde ihr Ermessen bei der Störerauswahl fehlerhaft ausgeübt habe. Es sei auf Art. 9 LStVG als allgemeiner sicherheitsrechtlicher Grundsatz abzustellen. Hiernach sei beim Auseinanderfallen von Handlungs- und Zustandsstörer, bei gleicher Effektivität der Gefahrenabwehr, vorrangig der Handlungsstörer heranzuziehen. Handlungsstörer sei hier der Landkreis …, der auch in einem Schreiben des Landesamts für Denkmalschutz vom 19. September 2014 darauf hingewiesen worden sei, dass zum Schutz des Baudenkmals im Rahmen der geplanten Errichtung des Geh- und Radwegs eine Unterfangung des Fundaments, insbesondere des Westgiebels – bis zur Baufuge – notwendig sei.
Der Antragsgegner hat die Akten vorgelegt, sich aber inhaltlich bisher nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, auch die des zugehörigen Klageverfahrens (M 11 K 16.4946) sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzustellende Interessenabwägung fällt zulasten des Antragstellers aus.
Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage aufgrund einer eigenen Ermessensentscheidung ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn eine vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts überwiegt. Hierbei ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers abzustellen. Erweist sich nach summarischer Prüfung der angefochtene Verwaltungsakt als rechtswidrig, so ist die Vollziehung regelmäßig auszusetzen, da an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erscheint der Verwaltungsakt dagegen nach vorläufiger Betrachtung als voraussichtlich rechtmäßig, ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abzulehnen, sofern ein besonderes Vollzugsinteresse besteht. Stellen sich die Erfolgsaussichten als offen dar, hängt das Ergebnis allein von der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung statt.
Die anzustellende Interessenabwägung ergibt im Rahmen der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Angelegenheit anhand der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten des Landratsamtes, dass das öffentliche Vollzugsinteresse das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt, da der Rechtsbehelf des Antragstellers in der Hauptsache aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird und ein besonderes Vollziehungsinteresse besteht.
a) Der streitgegenständliche Bescheid ist voraussichtlich rechtmäßig.
Die vorliegende Anordnung, Sicherungsmaßnahmen zu treffen, hat ihre Rechtsgrundlage in Art. 54 Abs. 4 i.V.m Art. 10 BayBO.
Es kann offen bleiben, inwieweit die akute Einsturzgefahr, in der sich das streitgegenständliche Gebäude befindet, auf unterlassene Sicherungsmaßnahmen bzw. das Außerachtlassen von anerkannten Regeln der Technik im Zuge der Errichtung des Geh- und Radwegs durch den Landkreis … an der Westseite des Gebäudes zurückzuführen ist.
Selbst für den Fall aber, dass die geschilderten Baumaßnahmen durch den Landkreis die akute Einsturzgefahr erheblich mitbedingt haben sollten, ist eine Heranziehung des Antragstellers zur Durchführung von Sicherungsmaßnahmen zur Verhinderung eines Gebäudeeinsturzes nicht ermessensfehlerhaft. Zwar wäre es grundsätzlich möglich, den Landkreis … als Handlungsstörer heranzuziehen, auch wenn er vorliegend beim Bau des Geh- und Radwegs entlang der Kreisstraße als Träger der Straßenbaulast gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 2, Art. 41 Satz 1 Nr. 2, Art. 9 i. V. m. Art. 72 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe und damit hoheitlich tätig wird (vgl. BVerwG, U. v. 25.07.2002 – 7 C 24/01; VG München, B. v. 10.10.2014 – M 11 E 14.4377). Allerdings ist vorliegend das Störerauswahlermessen des Landratsamts dahingehend vorgegeben, den Antragsteller als Doppelstörer vorrangig in Anspruch zu nehmen. Haftet jemand aus mehreren Gründen, z. B. wegen seines Verhaltens und aufgrund der Eigenschaft als Eigentümer, so soll diese Person vorrangig zur Gefahrenabwehr in Anspruch genommen werden (vgl. Decker, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 122. EL Januar 2016, Rn. 181). So liegt der Fall hier. Der Antragsteller ist zum einen aufgrund seiner Eigentümerstellung Zustandsstörer i. S. d. Art. 9 Abs. 2 LStVG. Darüber hinaus ist der Antragsteller auch Handlungsstörer i. S. d. Art. 9 Abs. 1 LStVG, da er es versäumt hat, die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen bzgl. des in seinem Eigentum stehenden Baudenkmals zu treffen. Handlungsstörer kann auch sein, wer ein gebotenes Handeln pflichtwidrig unterlässt. Vorliegend ist im Rahmen der im Eilrechtschutz gebotenen summarischen Prüfung anhand der Gerichts- und Behördenakten davon auszugehen, dass der Antragsteller entgegen der Pflicht des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 des Denkmalschutzgesetzes das in seinem Eigentum befindliche Baudenkmal nicht instandgehalten bzw. instandgesetzt hat. Auf den Lichtbildern, die den zwei Gutachten vom Mai 2014 beigefügt sind, sind die bezeichneten Schäden jeweils deutlich erkennbar. Ebenso ist auf diesen Lichtbildern deutlich erkennbar, dass das Gebäude sich in einem schlechten Gesamtzustand befindet und Instandhaltungs- bzw. Instandsetzungsarbeiten offensichtlich seit geraumer Zeit nicht durchgeführt worden sind. Hieraus folgt, dass der Antragsteller für das Vorliegend der jetzigen Gefährdungslage auch als Handlungsstörer durch Unterlassen erheblich mitverantwortlich ist. Die Tatsache, dass das Landratsamt auf die Eigenschaft des Antragstellers als Doppelstörer nicht ausdrücklich abgestellt hat ist unschädlich, da es sich bei der vorrangigen Inanspruchnahme eines Doppelstörers vor anderen Störern, die nur aus einem Grund haften, jedenfalls um einen Fall sog. intendierten Ermessens handelt, so dass, außer im Falle eines eventuellen Abweichens von dieser vorgegebenen Entscheidung, keine hohen Anforderungen an die Begründung der Ermessensausübung zu stellen sind.
b) Es besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung.
Aufgrund der Einsturzgefahr besteht eine Gefahr für Leib und Leben von Personen. Es liegt daher im öffentlichen Interesse, umgehend Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu treffen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m Nr. 1.7.1., 1.7.2 und 1.5 des Streitwertkatalogs und entspricht der Hälfte des voraussichtlich im Klageverfahren anzusetzenden Streitwerts.


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