Baurecht

Kein Vorteilsausgleich bei Vorteilen wegen Verzögerung der Mängelbeseitigung

Aktenzeichen  28 U 1686/20 Bau

Datum:
1.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BauR – 2021, 849
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 522 Abs. 2

 

Leitsatz

Ein Vorteilsausgleich kommt nicht in Betracht, wenn die Vorteile ausschließlich auf einer Verzögerung der Mängelbeseitigung beruhen und sich der Auftraggeber jahrelang mit einem fehlerhaften Werk begnügen musste. Der Auftragnehmer darf dadurch, dass der Vertragszweck nicht sogleich, sondern erst später im Rahmen der Gewährleistung erreicht wird, keine Besserstellung erfahren. (Rn. 38)

Verfahrensgang

8 O 16867/16 2020-02-20 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 20.02.2020, Az, 8 O 16867/16, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Gründe

I. 
Entscheidung des Landgerichts
Streitgegenständlich ist ein Kostenvorschussanspruch der Klägerin für die Durchführung einer Dachsanierung.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe von 151.709,14 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen (beantragt waren darüber hinaus vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen) abgewiesen.
Aufgrund der Aussagen des gerichtlichen Sachverständigen … gelangte das Landgericht zu der Überzeugung, dass die von der Klägerin geltend gemachten Mängel und Schäden vorliegen.
Wegen der Höhe der Mängelbeseitigungskosten stützte sich das Landgericht ebenfalls auf die Angaben des gerichtlichen Sachverständigen.
Auch soweit in dem vom gerichtlichen Sachverständigen angegebenen Betrag Mehrkosten für die Ausbildung gemäß den Vorgaben der EnEV 2014 enthalten seien, seien diese zuzusprechen, da eine Mängelbeseitigung die zum Zeitpunkt ihrer Vornahme geltenden anerkannten Regeln der Technik einhalten müsse. Insoweit könne es dahinstehen, ob die Klausel in den Erwerberverträgen betreffend die Abnahme des Gemeinschaftseigentums wirksam sei.
II.
Berufungen der Streithelfer der Beklagten Dipl. Ing. … und Dipl. Ing. …
Gegen dieses Urteil haben die Streithelfer der Beklagten … und … Berufung eingelegt, soweit das Landgericht die Beklagte verurteilt hat, an die Klägerin als Kostenvorschuss auch den Betrag zu bezahlen, der notwendig sei, um bei der Sanierung die erhöhten Anforderungen der EnEV 2014 einzuhalten. Dies betreffe einen ausgeurteilten Hauptsachebetrag in Höhe von 21.839,32 Euro sowie die hierauf entfallenden Zinsen. Hilfsweise beantragen die Berufungsführer die Zulassung der Revision.
Die Beklagte beteiligt sich an der Berufungseinlegung ihrer Streithelfer ausdrücklich nicht.
Die Berufungsführer begründen ihre Berufung damit, dass zum Zeitpunkt der Kaufverträge die EnEV 2014 noch nicht gegolten habe.
Der für die Einhaltung der EnEV 2014 zusätzlich erforderliche Vorschussbetrag belaufe sich auf brutto 21.839,32 Euro.
Das Landgericht gehe von einer fehlenden Abnahme aus und komme folgerichtig zu der Einschätzung, dass die Werkleistung der Beklagten die heutigen Regeln der Technik einzuhalten habe, um mangelfrei zu sein.
Die Beurteilung des Landgerichts, wonach der Klägerin auch ein Kostenvorschussanspruch für die durch die Einhaltung der EnEV 2014 entstehenden Mehrkosten zustehe, sei jedoch falsch.
Die Klägerin erhalte damit etwas, was sie nie beauftragt habe, ihr Vorteile bringe und sie nicht bezahlen müsse. Dies sei unbillig. Der Mehraufwand sei bei Vertragsschluss weder absehbar noch kalkulierbar gewesen.
Die Berufungsführer beziehen sich für ihre Rechtsauffassung auf das Urteil des BGH vom 14.11.2017, Az.: VII ZR 65/14.
Ein Vorschuss zur Mängelbeseitigung umfasse nicht die Kosten, die entstehen, weil durch die Änderung der Regeln der Technik ein Mehraufwand entsteht.
Die vom Landgericht zitierten Urteile des OLG Schleswig und OLG Stuttgart stimmten mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht überein.
Die Begründung, mit welcher das Landgericht der Klägerin die Mehrkosten zugesprochen habe, trage nicht. Es sei zwar richtig, dass eine Mängelbeseitigung die zum Zeitpunkt ihrer Vornahme geltenden anerkannten Regeln der Technik einhalten müsse, dies sage aber noch nichts über einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung aus.
III.
Berufungserwiderung der Klägerin
Ziel der Klägerin ist die Zurückweisung der Berufung.
Ausgehend davon, dass eine Abnahme nicht stattgefunden habe, schulde die Beklagte weiterhin die erstmalig mangelfreie Herstellung nach den heutigen Anforderungen.
Ein Kostenvorschuss sei daher für die erforderlichen Maßnahmen und Kosten geschuldet, welche nach der heute geltenden EnEV voraussichtlich anfallen werden. Die Vorteile einer Wärmedämmung nach der EnEV 2014 gegenüber der EnEV 2002 seien nicht schadensmindernd zu berücksichtigen.
Eine Vorteilsausgleichung entspreche hier nicht dem Zweck des Schadensersatzes und entlaste die Beklagte als Schädiger unbillig. Vielmehr sei gegenüber einem trotz ständiger Mängelrügen seinen werkvertraglichen Pflichten nicht nachkommenden Unternehmer eine Vorteilsausgleichung unbillig.
Die Klägerin versuche bereits seit dem Jahre 2005, die Beklagte dazu zu bewegen, die notwendige Dachsanierung durchführen zu lassen. Die Klägerin habe seit dem Jahre 2005 mehrere Rechtsstreitigkeiten führen müssen, um aufgrund des angefochtenen Endurteils vom 20.2.2020 den zuerkannten Betrag abzüglich der EnEV-Mehrkosten am 24.4.2020 zu erhalten. Erst seit dem 24.4.2020 sei die Klägerin finanziell in der Lage, die Dachsanierungsarbeiten in Auftrag zu geben.
Die Verzögerung in der Durchführung der Sanierung beruhe nicht auf Umständen, welche die Klägerin zu vertreten habe, sondern liege im alleinigen Verantwortungsbereich der Beklagten. Die Klägerin habe auch kein eigenes Interesse daran, die Anforderungen der EnEV 2014 bei der Dachsanierung einzuhalten, da dies nicht mit einer wirtschaftlich merkbaren Heizkostenersparnis verbunden sei, wofür Sachverständigengutachten angeboten werde.
IV.
Einschätzung des Senats
Die Berufung der Streithelfer der Beklagten hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Der Senat geht von einer isolierten Streithelferberufung aus.
Da die Beklagte mit Schriftsatz vom 22.7.2020 ausdrücklich mitgeteilt hat, dass sie sich an der Berufungseinlegung ihrer Streithelfer nicht beteilige, sind die beiden Streithelfer und nicht die Beklagte als Berufungsführer anzusehen.
2. Die Streithelfer vermögen in ihrer Berufungsbegründung keine Rechts- bzw. Verfahrensfehler des Landgerichts aufzuzeigen.
a) Das Landgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass aufgrund der Unwirksamkeit der Klausel in Ziffer IV. 2.b) der Erwerberverträge betreffend die Abnahme des Gemeinschaftseigentums bislang keine rechtswirksame Abnahme des Gemeinschaftseigentums erfolgt sei.
Dies wird, soweit ersichtlich, durch die Berufung auch nicht in Frage gestellt.
b) Auch die Berufungsführer gehen davon aus, dass die Mängelbeseitigung nach den aktuellen Regeln der Technik, also unter Beachtung der Anforderungen der EnEv 2014 zu erfolgen hat.
c) Entgegen der Auffassung der Berufungsführer muss sich die Klägerin hierfür aber keinen Abzug von ihrem Kostenvorschussanspruch gefallen lassen.
Das Urteil des BGH vom 14.11.2017, Az.: VII ZR 65/14, auf das sich die Berufungsführer beziehen, ist für die Frage, ob sich die Klägerin im vorliegenden Fall einen Abzug von ihrem Kostenvorschussanspruch gefallen lassen muss bzw. die mit den geänderten Anforderungen der EnEV 2014 einhergehenden Mehrkosten tragen muss, nicht einschlägig.
Der BGH hat sich in der vorgenannten Entscheidung damit auseinandergesetzt, welche Auswirkungen eine Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme auf das Leistungssoll des Auftragnehmers und dessen Vergütungsanspruch hat und entschieden, dass der Auftragnehmer grundsätzlich die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme schulde. Der BGH hat weiter ausgeführt, dass der Auftraggeber im Falle einer Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme entweder die Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik verlangen könne mit der Folge, dass dann, wenn hierfür nicht von der Vergütungsvereinbarung erfasste Leistungen erforderlich werden, der Auftragnehmer im Regelfall eine Vergütungsanpassung verlangen könne oder aber der Auftraggeber von einer Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik und damit einer Verteuerung des Bauvorhabens absehen könne.
Dem Urteil des BGH ist nichts zur Frage des Vorteilsausgleichs im Zusammenhang mit Mängelbeseitigungsmaßnahmen zu entnehmen. Eine Abweichung der vom Landgericht zitierten Urteile des OLG Stuttgart und OLG Schleswig von der Rechtsprechung des BGH liegt daher nicht vor.
Für Fragen der Vorteilsausgleichung im werkvertraglichen Gewährleistungsrecht ist richtigerweise das Urteil des BGH vom 17.5.1984, Az.: VII ZR 169/82 einschlägig. Darin hat der BGH u.a. ausgeführt:
„Eine Anrechnung kommt jedenfalls nicht in Betracht, wenn diese Vorteile ausschließlich auf einer Verzögerung der Mängelbeseitigung beruhen und sich der Auftraggeber jahrelang mit einem fehlerhaften Werk begnügen musste. Der Auftragnehmer darf dadurch, dass der Vertragszweck nicht sogleich, sondern erst später im Rahmen der Gewährleistung erreicht wird, keine Besserstellung erfahren. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Gesetzeszweck der Gewährleistung im Werkvertragsrecht.“
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs muss sich die Klägerin die Mehrkosten, welche durch die notwendige Ausführung der Sanierung nach den Vorgaben der EnEV 2014 gegenüber denjenigen der EnEV 2002 ergeben, nicht von ihrem Kostenvorschussanspruch in Abzug bringen lassen.
Dass die Dachsanierung nunmehr unter Einhaltung der Anforderungen der EnEV 2014 erfolgen muss, hat seinen Grund ausschließlich darin, dass die Beklagte ihrer Verpflichtung, ein mangelfreies Dach herzustellen und Mängel umgehend auf ihre Kosten zu beseitigten, nicht nachgekommen ist.
Bei der vorzunehmenden wertenden Betrachtungsweise fällt die hiermit verbundene Verteuerung der Sanierung daher in die Risikosphäre der Beklagten.
Selbst wenn die Klägerin durch die Einhaltung der Anforderungen der EnEV 2014 eine wirtschaftlich merkbare Ersparnis bei den Heizkosten erzielen würde, erscheint es unbillig, sie an den Mehrkosten der Sanierung durch Verringerung ihres Kostenvorschussanspruchs zu beteiligen.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind ersichtlich nicht gegeben. Der Senat hätte sonst von der Verfahrensweise nach § 522 Abs. 2 ZPO abgesehen.
Die Rücknahme der Berufung wird somit angeraten.
Hierzu bzw. zur Stellungnahme zu diesem Hinweis besteht Gelegenheit bis zum 28.09.2020.


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