Baurecht

Untersagung der gewerblichen Sammlung von Alttextilien aus privaten Haushaltungen

Aktenzeichen  M 17 K 17.494

Datum:
11.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KrWG KrWG § 17 Abs. 3, Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Alt. 2, § 18 Abs. 5 S. 3 Alt. 2
AEUV AEUV Art. 34, Art. 35, Art. 106 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Ein zwingendes Erfordernis, die Aufgaben der unteren Abfallbehörde und des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers bei unterschiedlichen Rechtsträgern anzusiedeln, folgt aus dem Neutralitätsgebot nicht (Anschluss an OVG NRW BeckRS 2014, 46261). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch Bringsysteme mit flächendeckend aufgestellten Sammelcontainern, die eine für sämtliche Einwohner des Entsorgungsgebiets mit zumutbarem Aufwand erreichbare Möglichkeit der Abgabe von Abfällen ermöglichen, können eine sonstige hochwertige getrennte Erfassung im Sinne von § 17 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 KrWG darstellen (Anschluss an OVG NRW BeckRS 2015, 54784). (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Darlegungslast hinsichtlich der größeren Leistungsfähigkeit der eigenen Sammlung obliegt dem Unternehmer (Anschluss an VG Ansbach BeckRS 2013, 47466). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4 Zur Widerlegung der Regelvermutung des § 17 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 KrWG sind die Auswirkungen der Sammlung auf die vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu erzielende Sammelmenge zu ermitteln. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
5 Es ist nicht Aufgabe der Abfallbehörde, den Umfang der angezeigten Sammlung auf das gerade noch verträgliche Maß zu beschränken. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist formell (s.u. I.) und materiell (s.u. II.) rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Der Bescheid vom 1. Februar 2017 ist formell nicht zu beanstanden, insbesondere liegt – entgegen der Auffassung der Klägerseite – kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot vor.
Gemäß Art. 37 Abs. 1 LKrO ist das Landratsamt Kreisbehörde und, soweit es rein staatliche Aufgaben wahrnimmt, Staatsbehörde (vgl. BayVGH, B.v. 13.6.2013 – 20 ZB 13.805 – juris Rn. 5). § 4 Abs. 1 Nr. 2 AbfZustV ermächtigt die Kreisverwaltungsbehörde als Staatsbehörde und nicht den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger. Das Landratsamt als eine Behörde mit Doppelzuständigkeit hat als Teil der öffentlichen Verwaltung in beiden ihr übertragenen Funktionen dem Gemeinwohl zu dienen und insoweit „von Amts wegen“ Neutralität zu wahren. Es ist an Recht und Gesetz gebunden und untersteht exekutiver Aufsicht sowie gerichtlicher Kontrolle (BVerwG, U.v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NvWZ 2010, 44f.; VG Würzburg, B.v. 6.6.2013 – W 4 S. 13.441 – juris Rn. 29, B.v. 22.5.2013 – W 4 S. 13.327 – juris Rn. 29; VG Ansbach, U.v. 3.7.2013 – AN 11 K 13.00617 – juris Rn. 33; OVG NRW, B.v. 20.1.2014 – 20 B 331/13 – juris Rn. 7). Die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers wird hier von einem Eigenbetrieb des Landkreises wahrgenommen, während das Abfallrecht in die Zuständigkeit des Sachgebiets 24 des Landratsamts fällt. Beide Bereiche haben einen unterschiedlichen Leiter und befinden sich in unterschiedlichen Gebäuden, so dass von einer ausreichenden organisatorischen und personellen Trennung der beiden Aufgabenbereiche ausgegangen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 16.6.2014 – 20 ZB 14.885 – juris Rn. 2; VGH B-W, B.v. 4.3.2014 – 10 S 1127/13 – juris Rn. 16; VG Düsseldorf, B.v. 26.4.2013 – 17 L 580/13 – juris Rn. 13). Ein zwingendes Erfordernis, die Aufgaben der unteren Abfallbehörde und des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers bei unterschiedlichen Rechtsträgern anzusiedeln, folgt im Übrigen aus dem Neutralitätsgebot nicht (vgl. OVG NRW, B.v. 20.1.2014 – 20 B 331/13 – juris Rn. 7). Ebenso ist es zulässig und auch kein Beleg für ein das Neutralitätsprinzip verletzendes Tätigwerden, dass sich die für den Vollzug des KrWG zuständige Abfallbehörde – wie hier – der nach § 18 Abs. 4 KrWG einzuholenden Stellungnahme des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers vollumfänglich anschließt. Insbesondere kann sie aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung diese Stellungnahme auch wörtlich übernehmen.
II.
Der Bescheid ist aber auch materiell rechtmäßig. Maßgeblicher Zeitpunkt ist insoweit, da es sich bei der Untersagungsanordnung um einen Dauerverwaltungsakt handelt, derjenige der mündlichen Verhandlung (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 57; OVG NW, U.v. 21.9.2015 – 20 A 2219/14 – juris Rn. 42).
1. Gemäß § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG hat die zuständige Behörde die Durchführung der angezeigten Sammlung zu untersagen, wenn Tatsachen bekannt sind, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Anzeigenden oder der für die Leitung und Beaufsichtigung der Sammlung verantwortlichen Personen ergeben oder die Einhaltung der in § 17 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 oder Nr. 4 KrWG genannten Voraussetzungen anders nicht zu gewährleisten ist.
2. Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der Klägerin wurden weder von Beklagten- oder Beigeladenenseite geltend gemacht noch sind diese sonst ersichtlich (vgl. a. VG München, Ue. v. 24.10.2013 – M 17 K 13.2442 und v. 10.4.2014 – M 17 K 13.2786).
3. Gemäß § 18 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 KrWG sind vom Sammler die innerhalb des angezeigten Zeitraums vorgesehenen Verwertungswege einschließlich der erforderlichen Maßnahmen zur Sicherstellung ihrer Kapazitäten darzulegen sowie, wie die ordnungsgemäße und schadlose Verwertung der gesammelten Abfälle im Rahmen der Verwertungswege gewährleistet wird. Nach § 7 Abs. 3 Sätze 2 und 3 KrWG erfolgt die Verwertung ordnungsgemäß, wenn sie im Einklang mit den Vorschriften dieses Gesetzes und anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften steht, und schadlos, wenn nach der Beschaffenheit der Abfälle, dem Ausmaß der Verunreinigungen und der Art der Verwertung Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit nicht zu erwarten sind, insbesondere keine Schadstoffanreicherung im Wertstoffkreislauf erfolgt.
Ob der Beklagte seine Untersagung insoweit auf § 18 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 1 KrWG stützen konnte, weil die Klägerin die Gewährleistung der ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung der Abfälle nicht hinreichend dargelegt hat – wovon das Gericht nicht ausgeht (vgl. die ebenfalls die Klägerin betreffenden Urteile der Kammer vom 24.10.2013 – M 17 K 13.2442 und vom 10.4.2014 – M 17 K 13.2786) –, kann hier letztendlich dahingestellt bleiben. Denn die Voraussetzungen einer Untersagung gemäß § 18 Abs. 5 Satz 3 Alt. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 KrWG liegen hier vor, weil der gewerblichen Sammlung der Klägerin überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen:
4. Gemäß § 17 Abs. 3 KrWG ist dies der Fall, wenn die Sammlung in ihrer konkreten Ausgestaltung, auch im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen, die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, des von diesem beauftragten Dritten oder des auf Grund einer Rechtsverordnung nach § 25 KrWG eingerichteten Rücknahmesystems gefährdet. Eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers oder des von diesem beauftragten Dritten ist wiederum anzunehmen, wenn die Erfüllung der nach § 20 KrWG bestehenden Entsorgungspflichten zu wirtschaftlich ausgewogenen Bedingungen verhindert oder die Planungssicherheit und Organisationsverantwortung wesentlich beeinträchtigt wird.
Eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers ist insbesondere anzunehmen, wenn durch die gewerbliche Sammlung
1.Abfälle erfasst werden, für die der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger oder der von diesem beauftragte Dritte eine haushaltsnahe oder sonstige hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung der Abfälle durchführt,
2.die Stabilität der Gebühren gefährdet wird oder
3.die diskriminierungsfreie und transparente Vergabe von Entsorgungsleistungen im Wettbewerb erheblich erschwert oder unterlaufen wird.
Nummern 1 und 2 gelten nicht, wenn die vom gewerblichen Sammler angebotene Sammlung und Verwertung der Abfälle wesentlich leistungsfähiger ist als die von dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger oder dem von ihm beauftragten Dritten bereits angebotene oder konkret geplante Leistung.
Vorliegend ist von einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers auszugehen (§ 17 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 KrWG), weil der Beigeladene eine im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung der Abfälle durchführt (s.u. 4.1), die Sammlung der Klägerin nicht wesentlich leistungsfähiger ist (s.u. 4.2) und die in dieser Vorschrift enthaltene Regelvermutung nicht widerlegt ist (s.u. 4.3).
4.1 Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei der Sammlung des Beigeladenen um eine hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung der Abfälle. Wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ergibt, muss die Sammlung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers nicht zugleich haushaltsnah sein, d.h. im Wege einer Holsammlung o.ä., durchgeführt werden. Auch ist nicht erforderlich, dass es sich um die hochwertigste Erfassung und Verwertung im Sinne der bestmöglichen Sammlung handelt. Vielmehr werden über das Tatbestandsmerkmal der „sonstigen hochwertigen getrennten Erfassung“ Erfassungssysteme einbezogen, die zwar kein Holsystem darstellen, aber nach ihrer räumlichen Ausgestaltung, ihrer Beschaffenheit und ihrem konkreten Betrieb die werthaltigen Abfälle aus den privaten Haushalten in gleichem Umfang, gleicher Qualität und gleicher Effizienz erfassen können und somit das Ressourcenpotenzial der werthaltigen Abfälle effizient nutzen. Es schließt somit ein Bringsystem mit flächendeckend aufgestellten Sammelcontainern ein, soweit – wie hier – für sämtliche Einwohner des Entsorgungsgebiets eine mit zumutbarem Aufwand erreichbare Möglichkeit der Abgabe der Abfälle besteht (OVG NW, U.v. 21.9.2015 – 20 A 2120/14 – juris Rn. 66 ff. m.w.N.). Soweit die Klägerseite geltend macht, dass sie eine hochwertigere Sammlung durchführe, da – anders als beim Beigeladenen – Schuhe und Alttextilien grundsätzlich getrennt würden, sie somit ein den üblichen Sammelsystemen überlegenes Sammelbzw. Verwertungssystem anbiete, verfehlt sie den rechtlichen Maßstab des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG.
4.2 Dass ihre Sammlung gegenüber derjenigen des Beigeladenen wesentlich leistungsfähiger wäre, hat die insoweit darlegungspflichtige Klägerin nicht dargelegt (vgl. z.B. VG Ansbach, U.v. 23.1.2013 – AN 11 K 12.01693 juris) und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit sind sowohl die in Bezug auf die Ziele der Kreislaufwirtschaft zu beurteilenden Kriterien der Qualität und der Effizienz, des Umfangs und der Dauer der Erfassung und Verwertung der Abfälle als auch die aus Sicht aller privaten Haushalte im Gebiet des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers zu beurteilende gemeinwohlorientierte Servicegerechtigkeit der Leistung zugrunde zu legen. Leistungen, die über die unmittelbare Sammel- und Verwertungsleistung hinausgehen, insbesondere Entgeltzahlungen, sind bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht zu berücksichtigen (§ 17 Abs. 3 Sätze 4 bis 6 KrWG).
Die Klägerin sammelt nach eigenen Angaben nur an acht Standorten im Landkreis, wobei nur an einem Standort mit klassischen Containern gesammelt werde, während es sich im Übrigen um kleine Sammlungen in Ladengeschäften handele. Der Beigeladene sammelt dagegen nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung mit insgesamt 102 Containern. Zudem sind die Sammelcontainer des Beigeladenen sowohl auf Wertstoffhöfen als auch auf Wertstoffinseln aufgestellt, so dass nicht nur eine Erreichbarkeit rund um die Uhr sichergestellt ist, sondern zumindest auf den Wertstoffhöfen der Einwurf der Textilien – anders als bei der Klägerin – unter Aufsicht erfolgt. Auch wenn die Klägerin zum Teil eine getrennte Erfassung von Altschuhen und Alttextilien durchführt, ist ihr die Sammlung des Beigeladenen insbesondere im Hinblick auf die Kriterien des Umfangs und der Servicegerechtigkeit damit weit überlegen. Nach der vorzunehmenden Gesamtschau anhand der obengenannten fünf Kriterien ist daher von der größeren Leistungsfähigkeit der Sammlung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers auszugehen.
4.3 § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG stellt eine widerlegbare Vermutung auf. Von einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung und damit von einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers durch eine gewerbliche Sammlung ist danach im Regelfall auszugehen (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 50). Da eine Untersagung gewerblicher Sammlungen jedoch eine Beschränkung unionsrechtlicher Grundsätze, insbesondere der Warenverkehrsfreiheit (Art. 34, 35 AEUV) darstellt, ist sie nach Art. 106 Abs. 2 AEUV nur gerechtfertigt, soweit anderenfalls die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers bzw. dessen Beauftragter verhindert wird (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 31 ff., 48 ff.). Denn die flächendeckende und diskriminierungsfreie Entsorgung von Haushaltsabfällen, wozu auch sortenreine Abfallfraktionen wie Alttextilien gehören, stellt eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse dar (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 41) und fällt damit in den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung des Art. 106 Abs. 2 AEUV. Aufgrund der genannten unionsrechtlichen Vorgaben muss die Vermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG im Einzelfall widerlegt werden können, wenn die streitbefangene gewerbliche Sammlung auch im Zusammenwirken mit anderen privaten – auch gemeinnützigen – Sammlungen nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Schutzobjekts der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers führt. Ob die Regelvermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG im Einzelfalle widerlegt ist, bestimmt sich deshalb danach, ob durch den Marktzugang eines gewerblichen Sammlers im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen die Grundstrukturen der Entsorgung, die der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger zur Gewährleistung einer sachgerechten Aufgabenerfüllung nach Maßgabe seiner organisatorischen Grundentscheidungen ins Werk gesetzt hat, wesentlich umgestaltet werden müssten (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 50 ff.). Dazu sind die Auswirkungen auf die vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu erzielende Sammelmenge zu ermitteln. Denn die vorgehaltene Entsorgungsstruktur ist nur schutzwürdig, soweit sie bedarfsgerecht auf die zu erwartende Sammelmenge zugeschnitten ist, da insoweit Einbußen, die sich durch den Marktzutritt anderer Sammler abzeichnen, einen organisatorischen und strukturellen Anpassungsbedarf nach sich ziehen können (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 52). Hierzu ist zunächst der status quo zu ermitteln, d.h. der Anteil des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers am Gesamtaufkommen der Sammlungen. Dieser Anteil wird durch bereits rechtmäßig durchgeführte Sammlungen mitgeprägt, wobei insbesondere die gemeinnützigen Sammlungen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 KrWG einzubeziehen sind (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 55 f.). Mit anderen Worten schmälert der Anteil der gemeinnützigen Sammlungen den Anteil des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers. Auf dieser Grundlage sind die zu erwartenden Veränderungen zu betrachten, wobei neben der streitgegenständlichen insbesondere auch weitere angezeigte und sofort vollziehbar, aber noch nicht bestandskräftig untersagte Sammlungen als mögliche Zusatzbelastungen in den Blick zu nehmen sind (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 53 f.). Denn angezeigte, aber untersagte Sammlungen entfallen erst dann als mögliche Zusatzbelastung, wenn die Untersagung bestandskräftig geworden ist (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 54). Die so ermittelten zusätzlichen Sammelmengen auf Seiten der privaten Sammler sind sodann den tatsächlichen bzw. auf der Grundlage konkreter Planungen erwarteten Sammelmengen des Entsorgungsträgers gegenüberzustellen und hiernach die Rückgänge bzw. die verminderten Steigerungspotenziale auf Seiten des Entsorgungsträgers zu prognostizieren und zu bewerten (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 58).
Gemessen an diesen Grundsätzen führt die Sammlung der Klägerin zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers:
Zu ermitteln sind in einem ersten Schritt die Anteile des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers sowie der rechtmäßig durchgeführten privaten Sammlungen am Gesamtaufkommen (BayVGH, B.v.30.1.2017 – 20 CS 16.1416 – juris Rn. 32). Hier sammelte der Beigeladene im Jahr 2016 362 t und gemeinnützige Sammler 115,1 t. Rechtmäßig sammelnde gewerbliche Sammlungen bestanden nicht, insbesondere ist entgegen der Auffassung der Klägerseite deren Sammlung nicht den rechtmäßig durchgeführten Sammlungen zuzurechnen, da maßgeblicher Zeitpunkt – wie bereits ausgeführt – derjenige der mündlichen Verhandlung ist, die klägerische Sammlung aber mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 1. Februar 2017 untersagt wurde. Das gesamte Sammelaufkommen an Alttextilien betrug damit 2016 477,1 t, sodass auf den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger ein Anteil von 75,88% entfiel.
Im zweiten Schritt ist sodann eine Prognose der anstehenden Veränderungen durch die streitgegenständliche Sammlung im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen vorzunehmen. Dabei sind zum einen weitere gewerbliche Sammlungen einzustellen, die zwar angezeigt, aber noch nicht bestandskräftig untersagt sind, insbesondere solche, deren Untersagung für sofort vollziehbar erklärt wurde. Denn diese entfallen als mögliche Zusatzbelastungen erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 54; BayVGH, B.v.30.1.2017 – 20 CS 16.1416 – juris Rn. 33). Laut den Angaben des Beklagten wurden hier neben der streitgegenständlichen Sammlung noch die Sammlungen der … G. GmbH mit maximal 12 t, der E. GmbH mit 200 t und der F. GmbH mit maximal 10 tpro Jahr angezeigt. Anhaltspunkte dafür, dass die Sammlungen der Firmen E. und G., die bereits 2013 angezeigt wurden, nicht mehr durchgeführt werden sollen, liegen nicht vor. Insbesondere wurden die Anzeigen laut Angaben des Beklagten nicht zurückgenommen. Zusammen mit der Sammlung der Klägerin, die nach ihren eigenen Angaben einen Umfang von jährlich maximal 15 t aufweist, sind somit angezeigte Sammlungen mit einem Gesamtvolumen von 237 tzu berücksichtigen. Die mögliche Steigerung des Anteils der privaten (gemeinnützigen und gewerblichen) Sammlungen am gesamten Sammelaufkommen beträgt somit 73,80% gegenüber vorher 24,12%. Dies ergibt einen zu prognostizierenden Rückgang des Anteils des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers um 49,68% auf 26,20%, so dass die Irrelevanzschwelle, die bei 10 bis 15% liegt (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 59), hier deutlich überschritten ist. Das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, aufgrund derer gegebenenfalls (nach unten oder oben) von der genannten Irrelevanzschwelle abgewichen werden könnte (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 59), ist hier nicht ersichtlich.
Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass – wie die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – das Überschreiten der Irrelevanzschwelle somit letztendlich von dem Zufall abhängt, ob gleichzeitig mit der betreffenden Sammlung weitere Sammlungen mit einem erheblichen Umfang angezeigt wurden. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 17 Abs. 3 Satz 1 KrWG („Zusammenwirken mit anderen Sammlungen“) sind aber sämtliche angezeigten Sammlungen, sofern diese nicht bestandskräftig untersagt wurden, zu berücksichtigen, da diese potentiell Auswirkungen auf die vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu erzielenden Sammelmengen haben (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 52, 54). Auch von Klägerseite wurde insoweit keine konkrete Alternativberechnung vorgeschlagen, bei der dieses Zufallsmoment keine Rolle spielen würde. Hinzu kommt, dass beim Vorliegen außergewöhnlicher Umstände im Einzelfall von der Irrelevanzschwelle abgewichen werden könnte. Derartige Umstände sind aber – wie bereits ausgeführt – nicht ersichtlich, vielmehr wird die Irrelevanzschwelle hier deutlich überschritten.
Entsprechendes gilt für den Vortrag der Klägerin, es gebe im Landkreis noch ausreichend „ungehobenes“ Sammlungspotenzial, sodass, da dieses noch ausgeschöpft werden könne, die angezeigten Sammlungen keine Auswirkungen auf die Sammelmenge des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers hätten. Denn ob ein derartiges Sammlungspotenzial tatsächlich besteht und, falls ja, in welchem Umfang dieses ausgeschöpft werden könnte, steht nicht fest und kann daher nicht in eine etwaige Berechnung einbezogen werden. Auch das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris) und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B.v.30.1.2017 – 20 CS 16.1416 – juris) haben ein derartiges Potenzial bei ihrer Berechnung bzw. Beurteilung nicht berücksichtigt.
Nach alledem ist im vorliegenden Falle die Regelvermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG nicht widerlegt, sodass eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers zu bejahen ist.
5. Eine Untersagung ist gemäß § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG zwar nur möglich, wenn die Einhaltung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 oder 4 KrWG genannten Voraussetzungen anders nicht zu gewährleisten ist. Diese Regelung stellt eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar; die Untersagung ist insoweit als ultima ratio anzusehen (OVG NW, B.v. 11.12.2013 – 20 B 643/13 – juris; VG Würzburg, U.v. 14.5.2013 – W 4 K 12.1139 – juris Rn. 35; B.v. 15.4.2013 – W 4 S. 13.145 – juris Rn. 42f.). Ein milderes Mittel, um die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG sicherzustellen, wie etwa Auflagen oder Bedingungen, ist vorliegend aber nicht ersichtlich. Insbesondere wäre eine räumliche oder mengenmäßige Beschränkung der Sammlung im Hinblick auf den Umstand, dass im Landkreis noch zahlreiche weitere gewerbliche Sammlungen angezeigt und untersagt wurden, nicht praktikabel. Eine räumliche Beschränkung würde wohl zu keiner wesentlichen Änderung der Abfallmenge führen, die dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger entzogen wird. Die Bestimmung individueller Mengenkontingente für jeden einzelnen gewerblichen Sammler, die in ihrer Summe gerade noch keine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung begründen, ist dagegen oft schwierig. Insbesondere müsste diese Mengenbegrenzung bei jeder neuen Anzeige eines gewerblichen Sammlers neu berechnet und festgesetzt werden. Zudem ist es nicht Aufgabe der zuständigen Abfallbehörde, den Umfang der angezeigten Sammlung auf das gerade noch verträgliche Maß zu beschränken (OVG NW, U.v. 21.9.2015 – 20 A 2120/14 – juris Rn. 211; VG Münster, U.v. 22.3.2017 – 7 K 700/14 – juris Rn. 25). Dabei ist unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auch zu berücksichtigen, dass der Klägerin nicht ihre gesamte Sammlungstätigkeit, sondern nur die Durchführung der angezeigten Sammlung für das Gebiet des Landkreises Fürstenfeldbruck untersagt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2013 – 20 CS 13.2446 – juris Rn. 19).
6. Ebenso wenig sind hier Vertrauensschutzgesichtspunkte nach § 18 Abs. 7 KrWG zu berücksichtigen (vgl. zur Anwendbarkeit auf Untersagungen VG Würzburg, B.v. 28.1.2013 – W 4 S. 12.1130 – juris Rn. 52; VG Düsseldorf B.v. 26.4.2013 – 17 L 580/13 Rn. 28 ff.).
Nach dieser Vorschrift ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere ein schutzwürdiges Vertrauen des Trägers der Sammlung auf ihre weitere Durchführung, zu beachten, soweit eine gewerbliche Sammlung, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes am 1. Juni 2012 bereits durchgeführt wurde, die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, des von diesem beauftragten Dritten oder des auf Grund einer Rechtsverordnung nach § 25 KrWG eingerichteten Rücknahmesystems bislang nicht gefährdet hat.
Die Klägerin hat ihre gewerbliche Sammlung im Landkreis aber nicht bereits vor dem 1. Juni 2012 durchgeführt. Vielmehr ist im klägerischen Schreiben vom … Februar 2017 von einer „geplanten“ Sammlung die Rede und im Schreiben vom … April 2017 wurde ausdrücklich ausgeführt, dass die Sammlung drei Monate nach deren Anzeige, mithin erst im September 2016, aufgenommen wurde.
4. Schließlich sind auch die Zwangsgeldandrohung in Nr. 2 und die Kostenentscheidung in Nrn. 4 und 5 des streitgegenständlichen Bescheids rechtmäßig. Es wurden insoweit weder von Klägerseite eigenständige Bedenken geltend gemacht noch sind solche sonst ersichtlich.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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